„Ich kann es nicht unterlassen, da ich Dich heute nicht sehen werde, Dir schriftlich nochmals zu sagen, wie sehr Du mich gestern wieder erfreut, entzückt und verpflichtet hast. Wärest Du gestern abend noch bei mir gewesen, Du hättest manches Lied auf Dich singen hören. Du bist und bleibst ein einziger Mensch! Nun ich denke, wenn es Dir recht ist, legen wir Montag noch einmal los, wie gestern? Wohl bekomm Dir’s! Das ist mein größter Wunsch – denn Gott erhalte Dich mir noch recht lange! Adieu, lieber Bruder, Dein Richard Wagner.“ Diese Zeilen schrieb der große Komponist an den Sänger der Titelpartie nach einer Aufführung der Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg am 19. Oktober 1846 in Dresden. Sie dokumentieren, dass Wagner große Dankbarkeit, Anerkennung und menschliche Nähe mit dem Interpreten seiner Arien verband. Tatsächlich gilt Josef Tichatschek als einer der wichtigsten Wegbereiter Richard Wagners in der Öffentlichkeit; mit seiner Stimme verhalf er den Opern Richard Wagners zum Durchbruch.
Josef Tichatschek wurde am 11. Juli 1807 in Ober-Wekelsdorf im Kreis Braunau im nordöstlichen Böhmen geboren. Sein Vater, ein Weber und Holzmacher, spielte Klarinette und Waldhorn und sang im örtlichen Kirchenchor. Offensichtlich hatte Josef von ihm das Interesse an der Musik und vor allem das musikalische Talent erworben, das seine Lehrer bereits in der Schulzeit in Wekelsdorf erkannten und förderten: er wurde in Gesang sowie im Geigen- und Klavierspiel unterrichtet. Ab dem Jahr 1822 besuchte Josef Tichatschek das Stiftsgymnasium der Benediktiner in Braunau, wo er die 1. und 2. Klasse als privater Schüler absolvierte; d.h., seine Eltern mussten Schulgeld bezahlen. In der 3. und 4. Klasse war er „öffentlicher“ Schüler und Sängerknabe im Stift, nachdem auch dort seine schöne Altstimme aufgefallen war, die im 17. Lebensjahr zur Tenorstimme mutierte. Dass er dann in Wien überraschenderweise Medizin zu studieren begann, wird auf die Liaison mit einer reichen Braunauer Gastwirtstochter zurückgeführt, deren Vater vom zukünftigen Schwiegersohn einen Beruf mit gesichertem Einkommen gefordert habe. Das Ende dieser Beziehung soll auch zum Abbruch des Medizinstudiums geführt haben. Belegt ist, dass auch in Wien sehr schnell seine überaus schöne Tenorstimme auffiel und der Chordirektor des Theaters am Kärntnertor, der damaligen Hofoper, Michael Weinkopf, ihn im Jahr 1830 in den Chor seines Theaters aufnahm und ihm ein Musikstudium in Wien vermittelte.
Damit hatte die sängerische Karriere Josef Tichatscheks begonnen. Seine Stimme wurde bei Giuseppe Cicimara ausgebildet, einem der führenden Tenöre seiner Zeit, der sich nach Beendigung seiner Bühnenlaufbahn – insbesondere in Neapel – als Gesang- und Klavierlehrer am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien niedergelassen hatte. Bereits nach vier Jahren wurde Josef Tichatschek als Erster Heldentenor nach Graz engagiert, wo er bald der Liebling des Publikums war. In dieser Zeit gastierte er auch achtmal an der Wiener Staatsoper.
Von 1837 bis 1869 – also 32 Jahre lang – gehörte Josef Tichatschek dem Ensemble des Ersten Königlichen Hoftheaters in Dresden an. Er sang fast alle Tenorrollen der Opern von Gluck, Mozart, Beethoven, Weber, Bellini, Auber oder Boieldieu und verkörperte dort insgesamt 1125 Rollen; er trat zusammen mit den bedeutendsten Sängerinnen und Sängern seiner Zeit auf, etwa mit Wilhelmine Schröder-Devrient und Anton Mitterwurzer.
Seinen großen Durchbruch verdankte er aber einem Zufall. Als Tichatschek in der Kanzlei des Dresdner Operndirektors eine Partitur fand, die dieser mit den Worten abtat, sie sei ein unmögliches Erstlingswerk und gehe morgen zurück, erwachte die Neugier des Sängers. Er war von dem Werk begeistert, und sein Ansehen beim Hof führte dazu, dass die Oper aufgeführt wurde: Rienzi von dem damals noch unbekannten Komponisten Richard Wagner. Die Uraufführung, die mehr als sechs Stunden dauerte, fand am 20. Oktober 1842 statt; sie war für Josef Tichatschek – er sang die Rolle des Tribunen – das größte künstlerische Ereignis seines Lebens und für Richard Wagner ein äußerst wichtiger Markstein in seinem künstlerischen Schaffen. Dieses Ereignis war gleichzeitig der Beginn einer langen und innigen Freundschaft zwischen Tichatschek und Wagner. Als Richard Wagner wegen seiner Beteiligung an den Maiaufständen im Jahr 1848 aus Dresden fliehen musste und auch seine Opern am Hoftheater nicht gespielt werden durften, sang Tichatschek die Titelrolle des Tannhäuser – unter Leitung des dortigen Hofkapellmeisters Franz Liszt – im Jahr 1849 in Weimar. Als der sächsische König im Jahr 1852 die Aufführung von Wagner-Opern in Dresden wieder bewilligte, bedankte sich der Komponist bei seinem treuen Interpreten, indem er ihm die Partie des Schwanenritters in Lohengrin auf den Leib schrieb. Für diese Rolle wurde Josef Tichatschek vom König von Sachsen mit einer silbernen Rüstung geehrt.
Am 16. Januar 1870 feierte Josef Tichatschek als Ehrenmitglied des Dresdner Hoftheaters sein 40-jähriges Künstlerjubiläum und gleichzeitig den Abschied von der Bühne. Den ersten Bayreuther Festspielen im Jahr 1876 wohnte der greise Sänger noch mit lebhaftem Interesse bei. Richard Wagner war hoch erfreut, seinen Wegbereiter und Mithelfer bei der Begründung seines Lebenswerkes begrüßen und als „unermüdlichen Herold“ vorstellen zu können. Zehn Jahre später starb Josef Tichatschek in Blasewitz bei Dresden; er ruht auf dem katholischen Friedhof in Dresden-Friedrichstadt.
An seinem Geburtshaus in Wekelsdorf ließ Cosima Wagner im Jahr 1886 eine Bronzetafel mit folgender Inschrift anbringen:„Geburtshaus des königl. sächs. Opern- und Kammersängers Josef Tichatschek, geboren 11. Juli 1807, gestorben zu Dresden am 18. Jänner 1886“. An einer anderen Stelle des Hauses wurde ein Reliefbildnis mit der Umschrift „Dem Altmeister deutscher Sangeskunst. Der Dresdner Tonkünstlerverein“ angebracht. Das Geburtshaus steht nicht mehr. Aber ein Abguss des Reliefs ziert ein Denkmal, das 1999 in Wekelsdorf – dem heutigen Teplice nad Metuji – errichtet wurde. Ein anderes Relief von Josef Tichatschek hängt an der Brüstung des 1. Ranges der Semper-Oper in Dresden. Beide dokumentieren den Lebensweg eines der glänzendsten deutschen Sänger des 19. Jahrhunderts, der mit der Entwicklungsgeschichte der deutschen Oper unlösbar verbunden ist.
Lit.: Josef Karpf, „Wekelsdorf“, Dorfbücher des Kreises Braunau/Sudetenland, 25. Band, Forchheim 2003, S. 215-221; Sudetendeutsches Musikinstitut (Hrsg.), Lexikon zur Deutschen Musikkultur: Böhmen, Mähren, Sudetenschlesien, München.
Bild: Stahlstich, Autor unbekannt, ca. 1860.