Biographie

Tobolla, Heinz

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Bildhauer
* 19. September 1925 in Hindenburg/Oberschlesien

Das mit Jahresbeginn 1922 zur Stadt erhobene Hindenburg, nach den Eingemeindungen von 1927 eine Großstadt mit 126.410 Einwohnern, ist der Geburtsort von Heinz Tobolla. Dort kam er am 19. September 1925 als jüngstes von sieben Kindern eines Stadtamtmanns, der als Schul- und Kulturdezernent tätig war, zur Welt. Die krankheitsbedingte Pensionierung des Vaters hatte einen Wohnortwechsel der Familie zur Folge. Sie verließ die von Gruben und Hütten geprägte oberschlesische Industriestadt und zog in das am Rande des Eulengebirges gelegene, in eine reizvolle Landschaft eingebettete niederschlesische Frankenstein. An der Oberschule dieser Kleinstadt bestand Tobolla am 4. März 1943 die Reifeprüfung. Sein auf dem Abiturzeugnis vermerkter Berufswunsch, Bildhauer zu werden, musste vorerst zurückgestellt werden; denn im August 1943 zum Kriegsdienst bei der Luftwaffe eingezogen, geriet Tobolla ein Jahr später in amerikanische Gefangenschaft, aus der er 1946 entlassen wurde. Zunächst versuchte er, sich bei einem Kölner Bildhauer einen ersten Einblick in dessen Arbeitsgebiet zu verschaffen, bevor er an die Meisterschule des Handwerks nach Münster ging, die später in Werkkunstschule umbenannt wurde. Dort war er von 1946 bis 1953 Schüler der Bildhauer-Professoren Franz Guntermann und Kurt Schwippert sowie des Maler-Professors Vincenz Pieper. Außerdem schrieb er sich am Anatomischen Institut der Universität Münster ein, damit dem wohl gemeinten Rat des Institutsleiters Prof. Dr. Helmut Becher folgend. Er erwarb nicht nur die für einen Bildhauer unerlässlichen anatomischen Kenntnisse, sondern arbeitete gleichzeitig auch als Plastiker, Maler, Zeichner und Präparator. Zwischen 1963 und 1985 nahm er in Aachen an der Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen, der späteren Fachhochschule, Lehraufträge für plastisches Gestalten, Freihandzeichnen und Moderne Kunst wahr. Während des Anatomiestudiums gelangte Tobolla bei der Beschäftigung mit dem „Innersten“ des Menschen und dem Bau seines Körpers zu der Einsicht, dass der Mensch ein Wunder sei, dem man als Teil der Schöpfung mit Respekt zu begegnen habe. In einer autobiographischen Skizze aus dem Jahr 1993 fasste Tobolla sein künstlerisches Credo in die Worte: „Mein Thema ist der Mensch; und die Aussage gestalte ich im Zeit-Raum-Erlebnis im adäquaten Material zum Gedanken.“ Es versteht sich von selbst, dass Tobolla die kritische Auseinandersetzung mit dem Rätsel „Mensch“ auf dem Hintergrund der geistigen Strömungen, gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Ereignisse sucht und führt, bis das bildnerische Resultat vorliegt. Genauso wichtig ist ihm der Dialog mit dem Betrachter seines Werkes, von dem er ausdauerndes Sehen erwartet, wenn er Zugang an ihm finden, es verstehen möchte.

Mit der 55 cm hohen FigurengruppeMenschen sprechen miteinander, aus Plastikbeton gefertigt, gelingt dem seit 1953 in Aachen Freischaffenden der künstlerische Durchbruch. Bei der Unesco-Ausstellung in Monte Carlo wurde sie 1962 mit zwei Goldmedaillen ausgezeichnet, nämlich mit dem Premier Prix International de Sculpture à Monte-Carlo und dem Prix Spécial Jury à Monte-Carlo. Diese Plastik wurde später in anderen Materialien und Größen wiederholt. 1963 bis 1965 wurde sie als Auftragsarbeit Landes Nordrhein-Westfalen überlebensgroß in Bronze ausgeführt und vor dem Bibliotheksgebäude der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen aufgestellt. Unterschiedliche Lösungen erfährt die Thematik des menschlichen Miteinanders in zwei Großplastiken, die im Auftrag Nordrhein-Westfalens für die Kernforschungsanlage in Jülich geschaffen wurden. In deren Foyer steht die Bronze Menschen leben miteinander (1965) und im Innenhof ihrer Bibliothek die BronzeMenschen gehen aneinander vorbei (1966). In der Folgezeit entstand eine Reihe weiterer Bildwerke, in denen das Thema „Mensch“ gestaltet wurde: Der Protest (1968), Eskalation der Gewalt (1991), Die Selbstzerstörung (1991), Prometheus (1991), Der Dualismus im Menschen (1993), Der offene Mensch und Der verschlossene Mensch (beide 1993) sowie Menschen sprechen nicht mehr miteinander (1998).

Für die Stadt Aachen, die dem Bildhauer zur zweiten Heimat wurde, in der er lebt und arbeitet, schuf er für den öffentlichen Raum mehrere markante Kunstwerke, die der Humanisierung des Stadtbildes dienen sollen: den Röhrenbrunnen (1971) vor der Neuen Galerie, die Bronzeplastik Mädchen mit Regenschirmen (1972) im Fußgängerbereich der Großkölnstraße, die Die große Welle und Wasserspeier, beide 1974 aus Basaltlava und Bronzeblech geschaffen und vor dem Hotel Steigenberger aufgestellt, die Bronzefigur Kehrmännchen (1976) und auf dem Hermann-Heusch-Platz die Skulptur Der Durchbruch (1984/ 1985), ausgeführt in belgischem Granit. Ein eindrucksvolles Monument auf dem Aachener Synagogenplatz ist der 3 Meter hohe und 26 Tonnen schwere Kristallberg in Form eines Davidsterns (1984). Dieses Mahnmal wurde von den beiden christlichen Kirchen anlässlich des Neubaus der Synagoge gestiftet. Es soll an die während der NS-Herrschaft in die Todeslager deportierten jüdischen Mitbürger und an die Brandschatzung der Synagoge in der „Reichskristallnacht“ des Jahres 1938 erinnern.

Tobolla, der in den Materialien Holz, Stein, Keramik, Bronze, Gips, Stahl, Kupfer, Messing, Blei, Beton, Glas und Kunststoff arbeitet, hat in nahezu 60 Jahren ein erstaunlich umfangreiches Œuvre geschaffen. Bis 2005 will er ungefähr 700 Arbeiten ausgeführt haben, darunter mehr als 100 in Überlebensgröße. Dagegen nennt das Werkverzeichnis für den Zeitraum von 1946 bis 2005 lediglich 484 Arbeiten. Darin sind allerdings die anatomischen Arbeiten, die zwischen 1951 und 1955 in Münster entstanden sind, nicht erfasst. Seit 1962 fand der Bildhauer wachsende Anerkennung. 1990 wurde er mit dem Kulturpreis Schlesien (Sonderpreis) des Landes Niedersachsen ausgezeichnet. Die Teilnahme an 44 Wettbewerben trug ihm sechzehn 1. Preise, zwei 2. Preise und drei 3. Preise ein.

Die erste Reise des Bildhauers in seine Geburtsstadt Hindenburg fiel in das Jahr 1991. Damals begannen die Vorbereitungen für eine Wanderausstellung, die in den Jahren 1993-1994 im Stadtmuseum Hindenburg, im Schlesischen Museum in Kattowitz, im Museum in Neisse, im Museum für Medaillenkunst in Breslau und zum Abschluss im Oberschlesischen Landesmuseum in Ratingen-Hösel zu sehen war. 1997 schuf Tobolla die 3.50 m hohe Bronze Konfrontation mit dem eigenen Ich. Von der Aachen-Münchener-Versicherung und dem Ehepaar Springsfeld gestiftet, wurde die Monumentalplastik am 13. Juni 1998 der Bevölkerung von Hindenburg als Geschenk übergeben. Der 80. Geburtstag des Künstlers war willkommener Anlass für eine Retrospektiv-Ausstellung, die unter der Schirmherrschaft von Dr. Jürgen Rüttgers, dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, am 20. Oktober 2005 im Schlesischen Museum in Kattowitz eröffnet und anschließend auch in anderen Städten Polens gezeigt wurde. Dazu erschien eine deutsch-polnische Publikation, die das Werk von Heinz Tobolla analysiert und dokumentiert. Mit dieser Retrospektive endete vorerst die Reihe der Einzelausstellungen, die 1965 im Suermondt-Ludwig-Museum der Stadt Aachen ihren Anfang nahm.

Vorbildlich zu nennen ist Tobollas ehrenamtliches Engagement für Kunst und Künstler in den verschiedensten Gremien: Über zehn Jahre leitete er als 1. Vorsitzender die Interessengemeinschaft Bildender Künstler in Aachen nach ihrer Gründung im Jahre 1972. Nachdem er 1974 in den Vorstand des Vereins der Freunde der Neuen Galerie der Stadt Aachen gewählt worden war, beschlossen die Stadtväter auf seinen Antrag eine Ausstellung in Reims unter dem Titel Kunst von heute in Aachen. Seit 1987 gehört Tobolla dem Vorstand des Museumsvereins im Suermondt-Ludwig-Museum der Stadt Aachen an. Zehn Jahre war er Mitglied des Rates der Stadt Aachen als Bürgerschaftsvertreter im Bauausschuss.

Lit.: Ausstellungskatalog Heinz Tobolla. Plastiken, Aachen 1965. – Ausstellungskatalog: Heinz Tobolla. Mensch + Architektur (Plastiken, Entwürfe und Modelle 1962-1975). Eine Ausstellung des Suermondt-Museums und des Museumsvereins Aachen, Aachen 1975. – Ausstellungskatalog des Oberschlesischen Landesmuseums (deutsch-polnisch): Heinz Tobolla. Vier Jahrzehnte Plastik, Skulptur und Objekte. Mensch-Zeit-Raum, Ratingen-Hösel 1995. – Ausstellungskatalog (deutsch-polnisch): Heinz Tobolla. Das Werk, Katowice-Ratingen-Aachen 2005.

Bild: Privatarchiv des Autors.

Waldemar Zylla