Biographie

Waldeck, Johann Friedrich von

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Forscher, Entdeckungsreisender, Maler
* 16. März 1766 in Prag
† 30. April 1875 in Paris

„Ein hundert-jähriger Maler“, so stellte das Wiener Neue Fremden-Blatt 1867 den Maler Johann Friedrich Maximilian von Waldeck vor. Er wurde noch älter, denn er starb erst 1875 in Paris im Alter von fast 110 Jahren. Heute ist er auch bei den Pragern und bei den Sudetendeutschen genauso unbekannt wie andere Männer aus Böhmen und Mähren, die in allen Jahrhunderten seit der Entdeckung der Neuen Welt in Neu-Spanien (Nueva España), also im heutigen Mexiko, aber bald auch in ganz Lateinamerika wirkten und bis heute dort bekannter sind, als bei ihren Landsleuten. So stammte der erste Deutsche in Mittelamerika aus Hotzenplotz. In der erhaltenen Liste der nur 400 Soldaten, mit denen Hernando Cortez das Aztekenreich erobern konnte, war auch ein Juan Aleman de Hotzenplotz. Die Kathedrale in Buenos Aires baute der Jesuitenbruder Johann Kraus aus Pilsen, die Kathedrale in Lima baute nach einem Erdbeben der Prager Johann Röhr wieder auf, die Salpeterproduktion in Chile verbesserte der Kreibitzer Thaddäus Henke, der Leibarzt von Kaiser Maximilian von Mexiko war der Prager Jude Samuel Basch.

Johann Friedrich Maximilian Waldeck wurde 1766 in Prag geboren, aber schon kurz nach seinem Tod musste Constant Wurzbach im Band 52 seines Biographischen Lexikons des Kaiserthums Oesterreich feststellen, dass er zwar Österreicher von Geburt war, aber „nach Einigen einfach Herr von Waldeck, nach Anderen Graf“ war. Er selber galt als eine schillernde Figur und gab an, adliger Herkunft, ja Herzog und Graf zu sein. Als 10-Jähriger zog er mit seinen Eltern nach Paris, wo im Elternhaus Persönlichkeiten wie Diderot und d’Alembert verkehrten.

Auch über seine Jugend machten schon seine Zeitgenossen verschiedene lückenhafte Angaben, so über seine Studien in Berlin und Paris. Als 19-Jähriger nahm er an einer Entdeckungsfahrt teil, die der Franzose François Le Vaillant in Afrika durchführte. Da Waldeck Zeichenunterricht bekommen hatte, malte und zeichnete er viel und füllte seine Tagebücher mit ethnologischen Skizzen. Während der Französischen Revolution, während der er die Hinrichtung von Königin Marie Antoinettes und seines Freundes Danton sah, trat Waldeck 1794 in Paris in die französische Armee ein und kämpfte bei verschiedenen Feldzügen mit. Er behauptete später, auch am Ägyptenfeldzug Napoleons teilgenommen zu haben, doch haben wir dafür keine Zeugnisse. Sicher war er noch ein zweites Mal in Südafrika und von dort auch im Indischen Ozean. In dieser Zeit soll er auch Pirat bzw. Korsar gewesen sein und geriet dabei in englische Gefangenschaft, aus der ihn in London der Herzog von York befreite. In England lernte er Lord Byron und Walter Scott kennen, ehe er 1819 nach Chile reiste und anschließend von dort nach Guatemala und Mexiko, wo er Bilder der dortigen Ruinen der indianischen Bauten und Kunstdenkmäler zeichnete und teilweise auch in Öl und Aquarell malte. 1822 finden wir ihn in London, von wo er als Ingenieur der britischen Silberminengesellschaft wieder nach Mexiko geschickt wurde. Er gab diese Stellung bald auf, um im Auftrag des neuen unabhängigen Staates Mexiko, das damals kurze Zeit ein Kaiserreich war, die präkolumbischen Altertümer zu erforschen und in Zeichnungen aufzunehmen. In Palenque hielt er sich zwei Jahre auf, lange Monate auch in Uxmal. So entstand das Material für ein 1838 veröffentlichtes Werk Voyage pittoresque et archéoloque dans la Province de Yucatan pendant les années 1834 et 1836. Es ist die erste Beschreibung und bildliche Darstellung der legendären Maya-Ruinen in Wort und Bild und motivierte amerikanische Forscher wie John Lloyd Stephens zu weiteren Forschungen über die Kultur des Maya-Reiches. Durch Waldeck wurde Stephens der Vorreiter der Maya-Forschung. Der damals schon über 70 Jahre alte Waldeck publizierte weiterhin bis zu seinem 100. Geburtstag Bilder und Lithographien, wobei er aus dem zeichnerischen Material seiner Reisen schöpfen konnte und diese Bilder oft im Geist der Zeit romantisierte. Als er 100 Jahre alt war, kaufte ihm 1866 die französische Regierung seine Studien über Palenque ab, das im heutigen mexikanischen Bundesstaat Chipas liegt und zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Paris gab diese Studien auf Staatskosten in einem Prachtband heraus, wobei Waldeck das Werk redigierte, das unter dem Titel Encyclopédie d’Archéo­logie Americain erschien. Außerdem stellte er auch noch 1869 als 103-Jähriger Bilder in Pariser Salons aus, meist miniaturartige Aquarelle, die von der Presse wegen ihrer Schönheit gerühmt wurden. Die Wiener Presse und das Neue Fremdenblatt brachten damals Artikel über ihn. Er selbst war in der Pariser Gesellschaft sehr beliebt wegen seiner Erzählkunst, mit der er „seine reichen und mannigfältigen Reiseergebnisse mit Münch­hausenschen Virtuosität zu erzählen“ (Wurzbach) verstand. Waldeck war bis zu seinem Tode als Maler aktiv und starb am 30. April 1875 in Paris an einem Herzinfarkt, als er einer jungen Frau nachschaute.

Lit.: Ludwig Kalisch, Ein gräflicher Methusalem in Paris, in: Die Gartenlaube Heft 39, 1867. – Constantin Wurzbach, Joh. Friedr. von Waldeck, in: ÖBL. – Marg R. Darby Smith, Recollections of two distinguished persons. La Marquise de Boissy and the Count of Waldeck, Philadelphia 1878. – Frank Leinen, Jean Fréderic Waldecks Forschungsreise nach Uxmal und die Unüberwindbarkeit der kulturellen Distanz, in: Teresa Pinheiro, Natascha Ueckmann (Hrsg.), Globa­li­sierung avant la lettre. Reiseliteratur vom 16. bis 21. Jahrhundert, Münster 2005, S. 91-114.

Rudolf Grulich, 2017