Biographie

Wobbermin, Ernst Gustav Georg

Herkunft: Pommern
Beruf: Theologe, Religionsphilosoph
* 27. Oktober 1869 in Stettin/Pommern
† 15. Oktober 1943 in Berlin

Auch die engere Geschichte seines Faches ging sehr bald nach dem Tode Wobbermins über seine Person und seine wissenschaftliche Leistung und Bedeutung hinweg. Das steht im Gegensatz zu dem hohen Ansehen des Gelehrten zu seinem Lebzeiten, das in seiner Mitgliedschaft in den Akademien der Wissenschaften zu Heidelberg und zu Göttingen beredten Ausdruck fand. Seine wissenschaftliche Laufbahn gleicht einer Stufenleiter, die im Zentrum des Wissenschaftsbetriebes seiner Zeit in Berlin endete, als Wobbermin auf den alten Lehrstuhl Schleiermachers berufen wurde. Georg Wobbermin wurde als Sohn des Real-Gymnasiallehrers Albert Wobbermin (+ 1904) und dessen Ehefrau Laura, geb. Quandt, geboren. Zum Wintersemester 1888/89 schrieb er sich zunächst an der Universität in Halle, dann in Berlin sowohl in der Philosophischen wie auch Theologischen Fakultät zum Studium ein. Leitbild in den philosophischen Fächern war ihm dabei insbesondere Wilhelm Dilthey, während in der Theologie Julius Kaftan, der in der Tradition Albrecht Ritschis stand, sein wichtigster Lehrer wurde. Am 2. Mai 1893 legte er sein erstes theologisches Examen ab. Noch während seiner Tätigkeit als Missionssekretär (1893-1895) promovierte er am 30. Juli 1894 in Berlin mit einer Arbeit über Die innere Erfahrung als Grundlage eines moralischen Beweises für dasDasein Gottes zum Dr. phil. Bereits in diesem Erstlingswerk zeigt sich ein wesentlicher Grundzug seiner wissenschaftlichen Arbeit in ihrer Beschäftigung mit methodologischen Fragen. Lizentiatenprüfung und zweites theologisches Examen schlossen sich im folgenden Jahre an. Den Auftakt zu einer Reihe religionsgeschichtlicher Arbeiten, in denen man neben der Autorität Adolf v. Harnacks besonders den Einfluß von E. Troeltsch, W. Bousset, H. Usener, S. Reitzenstein und E. Meyer spürt, bildeten die Religionsgeschichtlichen Studien zur Frage der Beeinflussung des Urchristentums durch das antike Mysterienwesen (1896). Studien zur Textgeschichte des Neuen Testaments veranlaßten ihn zu einer längeren Reise nach Griechenland und in den Orient (1896-1897), wo er in Klöstern und Bibliotheken Handschriften studierte. Frucht dieser Reisetätigkeit war eine Schrift über Altchristliche liturgische Stücke aus der Kirche Ägyptens (1898). Mit dieser Arbeit habilitierte er sich am 10. November 1898 in Berlin für Systematische Theologie. In seiner Zeit als Privatdozent in Berlin beschäftigte ihn insbesondere die Frage des Verhältnisses von christlichem Gottesglauben zur modernen Philosophie und Naturwissenschaft. Anlaß zu diesen Arbeiten war vor allem das Auftreten Ernst Haeckels und sein „Kampf gegen die christliche Weltanschauung". Daneben galt sein Interesse den Grundproblemen der Systematischen Theologie; dabei führte er einerseits das für ihn zentrale Thema der „Gewinnung einer einheitlichen und eindeutigen Methode" (Systematische Theologie I, VII) weiter, das er andererseits auf die für ihn grundlegende Frage des „Wahrheitsbeweises für die christliche Religion" erstmals anwandte. Damit war das Tor zu den sein künftiges Schaffen bestimmenden religionsphilosophischen und religionspsychologischen Studien eröffnet.

Nachdem Wobbermin zunächst acht Jahre in Berlin als Privatdozent, Titular-Professor (April 1904) und schließlich Lehrbeauftragter für Apologetik (März 1905) gewirkt hatte, führte ihn seine Karriereleiter im Herbst 1906 als außerordentlichen Professor nach Marburg und schließlich zum Sommersemester 1907 als ordentlichen Professor nach Breslau. Am 29. Dezember 1906 verheiratete er sich mit der Berliner Kaufmannstochter Theodora Brockhausen. 1913 wurde ihm der Rote Adler-Orden IV. Klasse verliehen. Zu seinen wichtigsten wissenschaftlichen Erfahrungen dieser Zeit gehörte die Begegnung mit den Arbeiten des Amerikaners William James, dessen Hauptwerk er durch seine Bearbeitung und

Übersetzung in Deutschland erst recht bekannt machte (Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, 1907). James‘ Ergebnisse waren Wobbermin notwendige Ergänzung und Korrektiv, um Schleiermachers Ansatz für die religionspsychologische Forschung erneut fruchtbar zu machen. Nach einer Reihe von wichtigen Vorarbeiten, angefangen von Theologie und Metaphysik (1901) über Aufgaben und Bedeutung der Religionspsychologie (1910), erschien seit 1913 sein opus magnum, die Systematische Theologie nach religionspsychologischer Methode. Ziel dieses Werkes war es, aufgrund eindeutiger methodischer Ausrichtung die Frage nach dem Wesen der Religion im allgemeinen und dem Wesen der christlichen Religion im besonderen zu stellen und zu beantworten. Dabei sollte die religionspsychologische Methode „den evangelischen Glaubensbegriff zur vollen Geltung … bringen." Ein wesentliches Anliegen Wobbermins war es, das Erbe Schleiermachers in der durch die Auseinandersetzung mit W. James gleichsam korrigierten Ausprägung „für die Theologie seiner Gegenwart fruchtbar zu machen" (W. Bauer). Von zentraler Bedeutung für das Verständnis der Religionen war es ihm daher, gegen alle „Orthodoxie und dogmatische Verknöcherung der Religion" (Schleiermacher und Ritschi, 5 f.) der christlich-religiösen Erfahrung selbst wissenschaftlich nachzuspüren. Die „Selbstentfaltung der Glaubenserfahrung" (W. Köhler) bildete den Kern seines methodischen Ansatzes. Indem er den „religionspsychologischen Zirkel" zwischen den kirchlich überlieferten Glaubensvorstellungen und der religiösen Erfahrung des einzelnen als entscheidend ansah (W. Bauer), suchte er den „kirchlichen wie den wissenschaftlichen Charakter der Theologie" (W. Köhler) in gleicher Weise zur Geltung zu bringen. Die Feststellung des Wesens der Religion führte ihn so auch zu einer Antwort über die Wahrheit der Religion und damit letztlich auch über die Wahrheit des Christentums. Wobbermin war sich bei seinem Ansatz und seinem Denken der Abhängigkeit von Schleiermacher und Ritschi wohl bewußt. Er sah es als eine Aufgabe seines Werkes und seiner religionspsychologischen Methode an, „eine Synthese der Positionen von Schleiermacher und Ritschi in der Weise zu erarbeiten, daß ihre auf die Reformation zurückgreifenden Motive zur vollen Geltung gebracht, die von ihr wegführenden Momente aber ausgeschaltet werden" (Schleiermacher und Ritschi, 33). Ausgehend von Luther, suchte er in der Neubestimmung der systematischen Theologie unmittelbar bei Schleiermacher anzuknüpfen. Unter diesen Voraussetzungen wird auch Wobbermins Wendung gegen Historismus und Rationalismus verständlich, in den 20er Jahren vor allem aber auch gegen die dialektische Theologie Karl Barths, Emil Brunners und Friedrich Gogartens.

Die Hauptarbeit an seiner Systematischen Theologie nach religionspsychologischer Methode, deren erster Band Die Religionspsychologische Methode in Religionswissenschaft und Theologie freilich bereits während seines Breslauer Ordinariats (1913) erschien, fällt in seine Zeit als Ordinarius an der Universität Heidelberg (der zweite Band Das Wesen der Religion erschien 1921, der dritte Band Wesen und Wahrheit des Christentums 1925), wohin er 1915 als Nachfolger Ernst Troeltschs auf den Lehrstuhl für Systematische Theologie berufen worden war. Hier war es insbesondere die Begegnung mit Heinrich Rickert, die von Einfluß auf seine eigenen Positionen war, ebenso wie seine Auseinandersetzung mit der Religionsphilosophie Ernst Troeltschs (vgl.Religionsphilosophie, 1924). 1922 folgte Wobbermin einem Ruf nach Göttingen auf den ehemaligen Lehrstuhl Albrecht Ritschis. Zweifellos waren seine Heidelberger und Göttinger Jahre die seiner größten öffentlichen Wirksamkeit. 1920 wurde er Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 1929 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

1935 schließlich bestieg Wobbermin den Lehrstuhl seines Lehrers Julius Kaftan in Berlin, den einst auch Schleiermacher innegehabt hatte. Die Hochschätzung, die ihm anläßlich seines 70. Geburtstages entgegengebracht wurde, war freilich eine gespaltene. Hatte er einerseits die Reihe seiner religionspsychologischen Studien und Arbeiten zu Schleiermacher fortgesetzt, um sein Hauptwerk weiter zu stützen, und auch nicht unwesentlich an einer Überwindung der theologischen Gegensätze und Richtungen und für eine ökumenische Verständigung gearbeitet, betätigte er sich nach 1933 andererseits doch auch als „begeisterter Herold nationaler Gesinnung", wie es im Grußwort zu seiner Festschrift heißt. Diese Begeisterung fand ihren Ausdruck in Arbeiten wie Deutscher Staat und evangelische Kirche (1934), über Rassen- und Arier-Fragen in der Kirche (1938), Schleiermachers protestantische und vaterländische Sendung (1938) oder Der Bischof von Gloucester über Volkstum und Kirche in England und Deutschland (1939). Wobbermin stellte dabei seine Theologie ganz in den Dienst des Staates Hitlers; seineevangelische Kirche war die des Reichsbischofs Müller. Zur Entwürdigung seiner wissenschaftlichen Lebensarbeit trug er schließlich selbst bei, indem er Schleiermacher zu den „Klassikern des Nationalsozialismus" rechnete.

Fragt man nach den Gründen für Wobbermins Vergessenwerden bald nach dem Zweiten Weltkrieg, so liegen sie wesentlich in zwei Momenten. Sein Eintreten für eine Betrachtung der Theologie im Sinne des „Dritten Reiches" erschwerte eine Rezeption auch seines vorausgegangenen Schaffens. Zugleich war Wobbermin keiner der originären Propagatoren nationalsozialistischen Gedankengutes; so war auch eine Beschäftigung mit Wobbermin unter diesem Aspekt wenig reizvoll, zumal man nach 1945 weniger an eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Faches im Dritten Reiche dachte, sondern eher nach positiven Anknüpfungspunkten suchte. Ein zweiter Grund für das Vergessen des bedeutenden Religionspsychologen ist sicher darin zu sehen, daß die Entwicklung seines Faches seine Positionen überrollte. Denn schließlich war es gerade die von Wobbermin befehdete dialektische Theologie, deren Bedeutung nach 1945 voll zum Tragen kam.

Werke: Vgl. Das wissenschaftliche Schrifttum Georg Wobbermins, zusammengestellt von W. Meyer und J.E. Newhall, in: Luther, Kant, Schleiermacher in ihrer Bedeutung für den Protestantismus. Forschungen und Abhandlungen. Georg Wobbermin zum 70. Geburtstag, hrsg. von F.W. Schmidt, R. Winkler, W. Meyer. Berlin 1939, S. 578-588.

Lit.: W. Bauer: Georg Wobbermin, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1943/44, Göttingen 1944, S. 78-80. – H. Wobbermin: Wobbermin, Georg, in: Philosophen-Lexikon. Handwörterbuch der Philosophie nach Personen, hrsg. von W. Ziegenfuß und G. Jung, Bd. II, Berlin 1950, S. 901 -903. – W. Lohff: Wobbermin, Georg; in: RGG Bd. 6,3. A.Tübingen 1962, Sp. 1788 -1789. – Catalogus Professorum Gottingensium 1734- 1962, bearb. u. hrsg. von W. Ebel, Göttingen 1962, S. 38. – D. Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon, Berlin/Heidelberg/New York/Tokyo 1986, S. 303. – (Eine Würdigung Walther Köhlers für Georg Wobbermin befindet sich im Archiv der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; weiteres Material zum Werdegang bis 1922 im Universitätsarchiv Heidelberg).

Bild: Universitätsarchiv Heidelberg.