Biographie

Württemberg, Herzogin Alexandrine Mathilde von

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Äbtissin, Wohltäterin
* 16. Dezember 1829 in Carlsruhe/ Schlesien
† 2. September 1913 in Carlsruhe/ Schlesien

In ihrem Todesjahr wurde sie als „Seniorin“ des württembergischen Königshauses bezeichnet. Ihre beiden Vollbrüder, Wilhelm Nikolaus (1828-1896) und Nikolaus (1833-1903), waren bis zu deren Ableben jeweils die nächsten Thronfolger des württembergischen Königs Wilhelm II. (1848-1921) gewesen, obwohl die Verfassung des Königreichs Württemberg die weibliche Thronfolge für dessen einzige Tochter Pauline nicht ausschloss.

An der Wiege gesungen wurde ihr dies natürlich nicht, als Alexandrine Mathilde am 16. Dezember 1829 im schlesischen Carlsruhe (heute Pokój) als Tochter von Herzog Eugen von Württemberg und seiner fast zwanzig Jahre jüngeren, zweiten Frau Helene von Hohenlohe-Langenburg geboren wurde. Ihre beiden Halbgeschwister aus seiner Verbindung mit der 1825 verstorbenen Mathilde zu Waldeck und Pyrmont, Marie Alexandrine und Eugen Erdmann, bis dahin von Friedrich von Schillers ältester Tochter Caroline unterrichtet, waren zu diesem Zeitpunkt elf und neun Jahre alt. Eine jüngere Schwester Agnes, meist Anna genannt, gesellte sich 1835 dazu.

Schon die Namen der Kinder weisen auf die enge Bindung an Russland. Die Zaren Alexander I. († 1825) und Nikolaus I. († 1855) waren Vettern ersten Grades von Herzog Eugen. Ihre Mutter Sophie Dorothea von Württemberg war eine Schwester von Eugens gleichnamigem Vater und von Friedrich Wilhelm Karl, dem ersten württembergischen König. Eugen als Neffe des Königs gehörte somit zur königlichen Familie, auch wenn er seit 1822 im fernen preußischen Carlsruhe residierte, General in kaiserlich-russischen Diensten gewesen und an der siegreichen Schlacht gegen Napoleon bei Kulm/Böhmen entscheidend beteiligt gewesen war.

Helene von Württemberg erzog „ihre“ sechs Kinder nach Möglichkeit weitgehend alle selbst, erteilte ihnen auch Unterricht und bedachte ihre Familie mit wechselnden Kosenamen, die die in der Literatur gelegentlich angesprochene enge Familienbindung belegen. Zu ihrer Stieftochter „Mariechen“ pflegte sie bis ins hohe Alter einen engen, liebevollen Briefkontakt, und ihren Stiefsohn „Ernstchen“ soll sie anfangs mehr vergöttert haben als „Willa“, ihren Ältesten, und die in der Familie zumindest in Kinder- und Teenagertagen als „dicke Musch“ bezeichnete Alexandrine Mathilde.

Im Sommer 1843 – Alexandrine Mathilde war gerade 13 Jahre alt – heiratete ihr Halbbruder Eugen Erdmann (1820-1875) in Bückeburg seine Kusine, Prinzessin Mathilde zu Schaumburg-Lippe (1818-1891). Mit dieser sehr standes- und pflichtbewussten Schwägerin verstand sich Alexandrine Mathilde, die von ihrer Mutter zu einem höflichen und bescheidenen Verhalten gegenüber jedermann erzogen worden war, anscheinend weniger gut. Noch bei den Schilderungen zum Empfang ihres frisch mit der russischen Großfürstin Wera verheirateten Neffen Eugen 1874 und zu den Hochzeitsfeierlichkeiten ihrer Nichte Pauline 1880 in Carlsruhe an ihren abwesenden Lieblingsbruder Wilhelm ist aus der Bezeichnung „Frau Thilla“ ein leicht boshafter Unterton herauszuhören, wie sie ihn für kein weiteres Familienmitglied verwendete. „Paulinchen“ ging als erstes Mitglied des württembergischen Königshauses eine morganatische Ehe mit einem Breslauer Arzt ein, was der Familie zunächst wenig ausmachte. Sie verzichtete auf alle Titel inklusive des ihr neu verliehenen Namens „von Kirbach“ und avancierte zur glühenden Sozialdemokratin, was ihr die königliche Verwandtschaft dann aber doch stellenweise übel genommen haben soll. Alexandrine Mathilde indes bedachte ihr Patenkind Pauline, deren Mann Dr. Melchior Willim und die drei Kinder in ihrem Testament genauso wie die anderen Neffen und Nichten, wenngleich sie die Tochter ihrer Schwester Agnes zur Universalerbin einsetzte.

Ihrer Halbschwester Marie, die im Oktober 1845 den Landgrafen Carl von Hessen-Philippsthal (1803-1868) heiratete, war sie wohl wie ihre Mutter herzlich zugetan, ähnliches gilt weitgehend für das Verhältnis aller Geschwister untereinander.

Die ersten Monate des Jahres 1846 verbrachte Alexandrine Mathilde bei der älteren Schwester ihrer Mutter, der verwitweten Fürstin Konstanze von Hohenlohe-Schillingsfürst in Rauden und Koschentin – zunächst gegen den Willen des Vaters auf Wunsch der Mutter, vielleicht um ihr über den Weggang der älteren Schwester hinwegzuhelfen. Zahlreiche Briefe ihrer Mutter ermahnen Alexandrine Mathilde, stets fromm, fleißig, bescheiden und artig zu sein, ihre Kleider zu schonen und ähnliches mehr. Den liebevoll-besorgten Schreiben ihrer Mutter Helene zufolge war sie zu dieser Zeit reichlich unordentlich, schrieb viel zu gerne unnütze Briefe, las viel und gerne und schrieb besser Französisch als Englisch – die Fehler wurden von der Mutter jeweils korrigiert. Die Freude an Literatur kam nicht von ungefähr. Das Elternhaus von Alexandrine Mathilde war Versammlungsort bedeutender Literaten der damaligen Zeit. Auch Musik hatte einen hohen Stellenwert, Carl Maria von Weber etwa war häufiger Gast in Carlsruhe. Dennoch lebte man in der Provinz, der die Eltern mit ihren heranwachsenden Töchtern ab und an auch entflohen, spätestens als die Söhne Wilhelm und Nikolaus, die als erste württembergische Prinzen ein öffentliches Gymnasium besucht hatten, ihre Karriere beim Militär verfolgten.

Im Herbst 1852, Alexandrine war mit ihren knapp 23 Jahren schon fast ein „spätes Mädchen“, mietete sich die Familie höchst bescheiden inkognito als Grafen Hohenberg in einem Privathaus in Baden-Baden ein, wo sie bis Mai 1853 fernab von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen „nur der Gesundheit“ leben wollten. Von dort ging es dann über Lausanne und einen Badeaufenthalt in Langenau zurück nach Carlsruhe.

Bei einem weiteren Aufenthalt in Baden-Baden soll sich Alexandrine Mathildes jüngere Schwester Agnes 1856 mit einem Vetter verlobt haben – aus dieser Verbindung wurde aber offenbar nichts. Die Biografin von Agnes, welche sich als spätere Fürstin Reuß unter dem Pseudonym Angelica Hohenstein auch schriftstellerisch betätigte, berichtet zu 1857 von einer Verlobung der 22-Jährigen mit dem regierenden Fürsten Heinrich XIV. Reuß jüngere Linie nach nur fünf Tagen in Carlsruhe.

Alexandrine Mathilde indes zeigte wenig Neigung, sich einen Ehemann zu suchen oder gar geheiratet zu werden. Auch wenn sie allen Geschwistern und deren Kindern herzlich zugetan war, stand ihr doch ihr gleichfalls unverheirateter Bruder Wilhelm am nächsten, für den sie noch 1880, dem Wunsch ihrer Mutter entsprechend, in Carlsruhe „seine Häuslichkeit“ erhalten wollte.

Die Jahre 1857/58 bedeuten einen großen Schnitt in ihrem Leben. Mit dem Tod des schon länger kranken Vaters – der nicht nur von Alexandrine Mathilde und ihrer Mutter schmerzlich vermisst wurde – ging das Majorat Carlsruhe an ihren Halbbruder Eugen Erdmann über, wenige Monate später verließ Agnes die Familie als Fürstin Reuß. Alexandrine Mathilde muss sich mehr noch als früher an ihre Mutter angeschlossen haben, mit der sie fortan zahlreiche Reisen und Kuren unternahm. Ende 1859 begrüßten die beiden in Schloss Osterstein bei Gera ihren neugeborenen Neffen Heinrich Reuß und begleiteten im Folgejahr die fortan immer kränkliche Agnes zu einer Badekur in das böhmische Bad Cudowa. 1866 trafen sich Mutter und Töchter in Franzensbad, denn auch Alexandrine Mathilde neigte sehr zu einem kränkelnden Wesen, es folgten u.a. Reisen nach Italien und Frankreich.

Alexandrine Mathilde verstand sich auch bestens mit ihrer anderen Nichte, Eugen Erdmanns ältester Tochter, der 1844 geborenen Wilhelmine (Minna). Durch deren Heirat 1868 mit ihrem Bruder Nikolaus sollte sie zugleich ihre Schwägerin werden, die Ehe blieb jedoch kinderlos. Noch im Sommer 1872 berichtete Alexandrine Mathilde ihrem Lieblingsbruder Wilhelm, den sie wenige Wochen zuvor mit ihrer Mutter in Prag besucht hatte, von dem gar lockeren Leben, das für die drei Damen in Ungarisch-Altenburg aus Ausflügen nach Wien und Pressburg, Opern- und Verwandtenbesuchen bestand.

Zwei Jahre später standen der Familie erneut große Ereignisse ins Haus: Der Neffe Eugen brachte mit der Großfürstin Wera Konstantinowna von Russland, der Adoptivtochter von König Karl I. und Königin Olga von Württemberg, eine hochrangige Braut nach Hause. Als Olgas Nichte war Wera – was meist übersehen wird – auch mit König Karl und ihrem Schwiegervater Eugen Erdmann verwandt, die beide Vettern zweiten Grades von Olga waren. Dasselbe galt natürlich auch für Alexandrine Mathilde, die bei der königlichen Hochzeit am 8. Mai 1874 in Stuttgart nicht anwesend war, Wilhelm aber ausführlich von den Vorbereitungen für den Empfang des Paares in Carlsruhe berichtete.

Im selben Jahr war die inzwischen 45-jährige Alexandrine Mathilde von König Karl zur Äbtissin von Stift Oberstenfeld bei Marbach ernannt worden. Ob sie auf diese „Versorgung“ als unverheiratetes Mitglied des württembergischen Königshauses tatsächlich angewiesen war, darf indes bezweifelt werden. Ihre Versorgung nach dem Tod ihrer Eltern war teilweise schon durch das württembergische Hausgesetz geregelt, und aus der bereits 1828 für die Kinder angelegten „Geschwisterkasse“ von ihrer Mutter Helene, deren Universalerbin sie 1880 zudem werden sollte, kam noch einmal der zehnfache Betrag hinzu. Jahre später erhielt sie darüber hinaus eine jährliche Rente aus der Königin Charlotte-Mathilde-Stiftung.

Alexandrine Mathilde nahm erstmals nach dem Tod ihrer Mutter 1880 für die Sommermonate in Oberstenfeld ihren Wohnsitz, den sie entgegen den Statuten des Stiftes mit eigenen Mitteln ausstattete. Sie betätigte sich jedoch gleich nach ihrer Amtsübernahme als Wohltäterin der Gemeinde: Neben einer großzügigen finanziellen Unterstützung stellte sie für die 1875 eingeweihte neugegründete Kleinkinderschule in ihrem Damenstift zwei Zimmer zur Verfügung. Auch in späteren Jahren öffnete sie immer wieder ihren Geldbeutel – im Hageljahr 1905, beim Bau der Wasserleitung 1909, für den Krankenpflegeverein, zur Anschaffung einer neuen Fahne für den ihren Namen tragenden Militärverein, um nur einige Beispiele zu nennen.

Auch ihr Geburtsort hatte sie – solange er noch Carlsruhe hieß – als Wohltäterin der Gemeinde in Erinnerung. Zu ihrem 80. Geburtstag wurde sie als „Carlsruhes Segen“ verehrt. Das von ihr gegründete Krankenhaus „Helenenstift“ sollte auch nach ihrem Ableben äußerst großzügig bedacht werden, ebenso die in Carlsruhe lebenden und für Alexandrine Mathilde tätigen „kleinen Leute“. Den ganz Bedürftigen sollten dann sogar ihre Schulden bei ihr erlassen werden.

Die Bildung des Volkes, insbesondere die der Kinder, lag ihr besonders am Herzen. Sie sah in ihrem Testament für die von ihrer Mutter 1837 gegründete Helenen-Schule – eine Nähschule – und die Spiel-Schule in Gründorf große Summen vor und setzte sowohl für die evangelische wie die katholische Volksschule von Carlsruhe Beträge zur Beschaffung von ausleihbaren Lehrbüchern aus.

In Oberstenfeld weitgehend nur als „Herzogin Mathilde“ bekannt, verbrachte Alexandrine Mathilde bis zum Tod der von ihr gepflegten Mutter 1880 die Winter meist auf Reisen, in der Schweiz und an der Riviera, oft auch als Gast in Triest, wo ihr Bruder Wilhelm als Kommandant der Infanterietruppendivision tätig war. In den Jahren 1881 bis 1888 überwinterte sie gleichfalls bei ihrem Bruder Wilhelm. Als nächster Anwärter auf den württembergischen Thron sollte dieser 1891 seinen Abschied nehmen und nach Carlsruhe zurückkehren, bis er bereits im Folgejahr über die Fallstricke der preußischen Steuergesetze stolperte, nach denen seine in Württemberg bereits versteuerten Einnahmen ein zweites Mal besteuert werden sollten. Alexandrine Mathilde war von diesen Gesetzen unter entsprechender Strafandrohung gleichfalls betroffen. Sie redete sich schließlich damit heraus, dass sie als Äbtissin ihren ständigen Wohnsitz in Oberstenfeld habe, der nur durch „Besuche“ unterbrochen werde – was letztlich zur Folge hatte, dass ihr in Carlsruhe auch keine Kreis- und Kirchensteuern abverlangt wurden.

Von ihren Zeitgenossen wurde Alexandrine Mathilde aufgrund ihres überaus bescheidenen Wesens – 1871 sie besaß nicht einmal ein schwarzes Kleid für die Beerdigung eines Verwandten –, ihres scharfen Verstandes, ihres liebenswürdigen Entgegenkommens, ihrer Höflichkeit und großen Herzensgüte besonders verehrt und geschätzt, insbesondere bei den aristokratischen und militärischen Kreisen in Lemberg und Graz.

Ähnlich wie der letzte König von Württemberg, auf den nach dem Tod ihrer beiden Brüder Wilhelm und Nikolaus 1896 und 1903 das Majorat Carlsruhe überging und der seiner „Tante Äbtissin“ dort weiterhin ein Kavalierhäuschen, das „kleine Schloss“, als Wohnsitz zur Verfügung stellte, hatte sie keine Berührungsängste mit dem normalen Volk.

Die schlesischen Winter waren ihr offensichtlich zu kalt, meist verbrachte sie diese Jahreszeit nun in Meran, wo der „von ihr heißgeliebte Bruder“ Wilhelm seine letzte Ruhestätte hatte. Im Sommer pflegte sie die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihrer früh verwitweten Nichte Wera, deren Zwillingstöchtern und anderen Mitgliedern des Königshauses. Technischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen, fuhr sie etwa 1905 mit Wera von Oberstenfeld bis Marbach im Auto spazieren und sah vermutlich den eigens aus Russland gesandten Film über die russischen Krönungsfeierlichkeiten 1906 bei Wera in der Stuttgarter Villa Berg.

Ihre beiden letzten Lebensjahre verbrachte sie krankheitsbedingt und seit einiger Zeit „gänzlich gelähmt“ in Carlsruhe, wo sie am 2. September 1913 verstarb und drei Tage später wunschgemäß als letzte Vertreterin des Hauses Württemberg neben ihren Eltern in der Familiengruft in der Sophienkirche beigesetzt wurde.

Quellen und Lit.: Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart: Bestände E 14 Bü 126; E 55 Bü 277, 354, 500; G 279 Bü 2; G 316 Bü 23, 29. – Ludovica Hesekiel, Agnes Fürstin Reuß jüngere Linie geb. Herzogin zu Württemberg. Ein Lebensbild, Leipzig 1887. – Friedrich-Carl Esbach, Das herzogliche Haus Württemberg zu Carlsruhe in Schlesien, Stuttgart 1906. – Ders., Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Herzogin Alexandrine Mathilde von Württemberg zu Höchstihrem 80. Geburtstage am 16. Dezember 1909 [Gedicht]. Carlsruhe 1909. – Schwäbische Kronik vom 9.9.1913 Nr. 419, Abendblatt. – Staatsanzeiger vom 4.9.1913, Nr. 206. – Rościław Żerelik, Art. „6.2.13. Alexandrine Mathilde“, in: Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon, hrsg. von Sönke Lorenz/Dieter Mertens/Vol­ker Press (†), Stuttgart 1997, S. 371. – Paul Sauer, Wenn Liebe meinem Herzen fehlt, fehlt mir die ganze Welt. Herzogin Wera von Württemberg, Großfürstin von Rußland. 1854-1912, Filderstadt, 2. veränd. Aufl. 2007. – Ernst Schedler, Königliche Hoheiten im adeligen Damenstift Oberstenfeld. Herzogin Alexandrine Mathilde von Württemberg K.H., in: Mitteilungsblatt der Gemeinde Oberstenfeld Nr. 16 (20.4.2012), S. 3f. – Ders., Herzogin Wera, a.a.O., Nr. 17 (27.4.2012) S. 4f.

Bild: Autorin.

Heike Drechsler-Meel