Biographie

Zedlitz und Trützschler, Robert Graf von

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien), Posener Land
Beruf: Oberpräsident, Minister
* 8. Dezember 1837 in Freienwalde a.O.
† 21. Oktober 1914 in Charlottenburg/Berlin

Robert Graf von Zedlitz-Trützschler (der Ältere) gehörte zu den tatkräftigen und zugleich charaktervollen wie vorausschauenden hohen Beamten des Kaiserreiches. So verwundert es nicht, daß sein Name wiederholt auch als der eines künftigen Reichskanzlers genannt wurde. Freilich war Zedlitz Kaiser Wilhelm II. zu unbequem und nach dem Sturz Bülows (1909) bereits zu alt. Aufmerksamkeit in weiteren Kreisen hatte er als preußischer Kultusminister (seit März 1891) erregt, als eine von ihm in das Abgeordnetenhaus eingebrachte Volksschulvorlage in der Öffentlichkeit mit dem Vorwurf der Klerikalität bekämpft wurde, der Kaiser daraufhin eine Revision des Gesetzentwurfs im liberalen Sinne forderte und Zedlitz das mit einem Rücktrittsgesuch beantwortete. So schied er nach einem vergeblichen Versuch Wilhelms II., ihn zum Bleiben zu bewegen, bereits ein Jahr nach seiner Berufung aus dem Ministeramt wieder aus (März 1892).

Zunächst hatte Zedlitz, dem der evangelische Glaube die bewegende Kraft seines Lebens, Unverständnis oder gar Unduldsamkeit gegenüber anderen Konfessionen aber fremd war, gar nicht in die Geschäfte des Staates oder die Kämpfe der Politik gedrängt. Nach fünfjährigem Heeresdienst war er 1863 Landwirt in Schlesien geworden. Er bewirtschaftete das von seinem Vater für ihn erworbene Gut Großenborau, Kreis Freystadt, Regierungsbezirk Liegnitz. So wurde er, der sich auch sonst eine breite, namentlich philosophische Bildung erworben hatte, 1879 Vorsitzender des Provinzialausschusses von Schlesien. Der Blick des Fürsten Bismarck fiel auf ihn, so daß man ihn bald für den preußischen Staatsdienst zu gewinnen suchte. Da er als Beamter sein Gut zu vernachlässigen fürchtete, sträubte er sich lange, nahm aber 1881 doch eine Berufung zum Regierungspräsidenten von Oppeln an. 1884 wurde er Referent im wiedereinberufenen Staatsrat und 1886 Oberpräsident der Provinz Posen sowie Vorsitzender der Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen (bis 1891). Hier oblag ihm der Vollzug des gegen das Polentum in Preußen gerichteten Ansiedlungsgesetzes, das das preußische Abgeordnetenhaus am 26. April 1886 ohne die in der Vorlage vorgesehene verfassungswidrige staatliche Enteignungsbefugnis verabschiedet hatte. Unter der Leitung des Grafen Zedlitz erwarb die Kommission rund 58000 Hektar Land, davon 53000 Hektar aus polnischer und 5000 Hektar aus deutscher Hand, um darauf deutsche Bauern anzusiedeln. Begleitet wurde die Tätigkeit des Oberpräsidenten vom Studium der bäuerlichen und der kommunalen Verhältnisse in anderen Gegenden Deutschlands, etwa in Württemberg.

Den Höhepunkt seiner dienstlichen Laufbahn erreichte Zedlitz mit dem Amt des Oberpräsidenten seiner Heimatprovinz Schlesien, das er 1903 antrat, nachdem er seit 1898 in gleicher Eigenschaft in Wiesbaden der Provinz Hessen-Nassau vorgestanden hatte. Nach dem Rücktritt als Kultusminister war er für einige Jahre nach Großenborau zurückgekehrt. Als Oberpräsident von Schlesien bemühte er sich um die Linderung der in den Gebirgsgegenden des Landes herrschenden Not, gewann ein vertrauensvolles Verhältnis zur katholischen Kirche, förderte das Kulturleben des Landes, besonders die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau, und stützte das in die Defensive geratene deutsche Volkstum in Oberschlesien. Welch ein Maß an Popularität er in der Provinz gewinnen konnte, bewiesen die Feierlichkeiten zu seinem siebzigsten Geburtstag am 8. Dezember 1907. Im Jahre 1909 schied er aus dem Dienst. Angesichts des Beginns des Ersten Weltkrieges, den er noch wachen Sinns erlebte, soll er mit Sorge in die Zukunft Preußens und des Reiches gesehen haben.

Lit.: Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode: „Die unentschiedene Generation. Deutschlands konservative Führungsschichten am Vorabend des Ersten Weltkrieges“, München und Wien 1968; Peter Mast: „Künstlerische und wissenschaftliche Freiheit im Deutschen Reich. 1890-1901“ (= Historische Forschungen Nr. 17), Rheinfelden21986.