Ereignis vom 13. Mai 1923

Begründung der „Historischen Kommissionen für Ost- UND Westpreussische Landesforschung“

Die alte Stadtbibliothek in Königsberg

„Die Historische Kommission hat den Zweck, Quellen und Darstellungen aus dem Gebiet der ost- und westpreußischen Geschichte in streng wissenschaftlicher Form herauszugeben und die Tätigkeit einzelner Personen sowie der ost- und westpreußischen Geschichtsvereine, soweit diese den Zielen der Historischen Kommission entspricht, durch Beihilfen zu unterstützen.“

Mitten in der Inflation setzte sich die in der Stadtbibliothek Königsberg am 13. Mai 1923 begründete „Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung“ eine Aufgabe, die zwar durch die politischen Umstände nach dem Ersten Weltkrieg motiviert war, aber der Aufgabenstellung paralleler Institutionen in anderen deutschen Landschaften entsprach und in eine bedeutende Forschungstradition deutscher Geschichtswissenschaft hineinwuchs. Der Mitbegründer Erich Keyser hat anläßlich der Wiederbegründung der Kommission 1951 über die Gründungsintentionen ausgeführt: „Alle billige Tages-propaganda mußte der wissenschaftlichen Arbeit ferngehalten werden.“ Die Kommission hat trotz der problematischen politischen Entwicklung seit 1923 mit überwiegendem Erfolg an dieser Maxime festhalten können.

In der deutschen Geschichtswissenschaft anerkannte Fachvertreter gehörten der Kommission vor wie nach dem Kriege an, wie etwa Friedrich Baethgen, Kurt Forstreuter, Fritz Gause, Walther Hubatsch, Erich Keyser, Guido Kisch, Hans Koeppen, Erich Maschke, Erich Riemann, Hans Rothfels, Theodor Schieder, Hans Schmauch, Bernhard Schmid, Walther Ziesemer, um nur wenige zu nennen. Sie alle hinterließen in der Geschichtsschreibung des Preußenlandes intensive Spuren, am besten in der von Ernst Wermke von der Kommissionsgründung an bis 1978 geführten „Bibliographie der Geschichte von Ost- und Westpreußen“ belegt.

Die 1945 erzwungene Zäsur in der Arbeit bewirkte auch eine personelle Neuorientierung: Langsam wuchsen die nicht im Preußenland geborenen Nachwuchskräfte in die Fortführung der Aufgabenstellung hinein, denn das wissenschaftliche Interesse für die Erforschung einer Landschaft ist nicht an die Herkunft aus dem Raum gebunden. Dies sichert die Arbeit der Kommission, auch wenn sie durch die Lösung von der Herkunftsregion vor allem finanziell benachteiligt ist gegenüber den im Forschungsgebiet tätigen Institutionen.

Der eingangs zitierte Zweck umreißt das Feld der Arbeitsvorhaben deutlich: Nicht Volksbildung für ein eifriges Bildungsbürgertum, nicht historische Information als Voraussetzung politischer Tätigkeit ist angestrebt, sondern Verbreiterung und Vertiefung historischen Wissens in Fachkreisen. Das schließt nicht aus, daß die erstgenannten Bereiche davon profitieren, doch steht dies nicht im Vordergrund. So haben Quelleneditionen wie das „Preußische Urkundenbuch“, die „Staatsverträge des Deutschen Ordens“, die „Berichte der Generalprokuratoren des Deutschen Ordens an der Kurie“ oder die „Preußischen Landesordnungen des 16. bis 18. Jahrhunderts“ einen bedeutenden Stellenwert in der Arbeit. Wichtige Hilfsmittel wie die genannte Bibliographie oder der „Historisch-Geographische Atlas des Preußenlandes“ traten ihnen zur Seite, dann erst folgten die Darstellungen wie etwa Christian Krollmanns „Politische Geschichte des Deutschen Ordens“ oder Bruno Schu¬machers „Geschichte Ost- und Westpreußens“. Die Kommission gründete eine eigene Veröffentlichungsreihe, die „Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung“, von denen vor dem Kriege neun Bände erschienen. Hinzu kam die umfangreiche Zeitschrift „Altpreußische Forschungen“. Nach dem Kriege wurde unter dem Vorsitz von Erich Keyser (1950-1965) und Hans Koeppen (1965-1974) an die alten Arbeitsvorhaben im Bereich der Quelleneditionen oder der Bibliographie nahtlos angeknüpft, während die neue Zeitschrift „Preußenland“ sich vom Umfang deutlich bescheiden mußte und eine Fortführung der „Einzelschriften“ erst jüngst wieder gelang, beginnend mit einem „Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens“. Es fehlte nicht das Interesse, sondern die Zahl der Mitarbeiter war durch den Krieg deutlich reduziert, vor allem aber bot die Finanzierung erhebliche Probleme.

Die Quellenlage nach 1945 war für die ost- und westpreußische Landesforschung in Deutschland gut infolge der Überführung großer Teile des Staatsarchivs Königsberg in den Westen. Viele Fragen ließen sich jedoch ohne Einsicht in die vor allem in Polen lagernden Quellen nicht aufarbeiten. Dieses für die deutsche wie umgekehrt auch die polnische Forschung sich stellende Problem galt es zu überwinden, eine seit Mitte der 70er Jahre unter Udo Arnold (1974-1995) systematisch angegangene Zielvorstellung der Kommission. Längst vor dem politischen Umsturz in Ost- und Ostmitteleuropa war ein fast normaler, grenzübergreifender Kooperationsstand erreicht, der 1994 durch die Aufnahme polnischer und litauischer Mitglieder sichtbare Dokumentation erfuhr.

Verbunden war damit sicherlich ein Erkenntnisprozeß, wie ihn bereits Erich Keyser anläßlich des 40jährigen Gründungsjubiläums 1963 ansprach: „Während vormals der gebotene Selbstbehauptungswille uns veranlaßte, unsere Landesgeschichte betont als Geschichte des Deutschtums zu behandeln, wird sie fortan als die Zeit der Zusammenarbeit und der Auseinandersetzungen zwischen den Völkern und Volksgruppen verstanden werden, die an der Weichsel, am Pregel und an der Memel sowie an den Küsten der Ostsee sich ausgewirkt haben. Die Erforschung der Geschichte des Preußenlandes kann daher die Augen öffnen für die geschichtlich begründeten Möglichkeiten und Hindernisse bei der Herausbildung einer die Völker umspannenden Gemeinschaft im Osten Europas.“

Dieses Umdenken ist ein beiderseitiger Vorgang, formulierte doch vor 15 Jahren Marian Biskup, daß „innerhalb der polnischen Geschichtswissenschaft … die bisher überwiegenden nationalen Gesichtspunkte immer mehr in den Hintergrund gedrängt und eine rein publizistische Färbung vermieden“ wurden. Damit ist die eingangs genannte Aufgabenstellung der Kommission eine grenzübergreifende, gemeinsame Aufgabe geworden, die unter dem derzeitigen Vorsitz von Bernhart Jähnig (seit 1995) eine tragfähige wissenschaftliche Basis besitzt.

Lit.: Udo Arnold: „…Quellen und Darstellungen in streng wissenschaftlicher Form“. Die Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, in: Der gemeinsame Weg, Jg. 1, 1976, Heft 2, S. 8-11. – Ders.: Die Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung – Kooperation über die Grenzen, in: Ungewöhnliche Normalisierung. Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Polen, hrsg.v. Werner Plum, Bonn 1984, S. 245- 251. – Bernhart Jähnig: Die landesgeschichtliche Forschung des Preußenlandes (Ost- und Westpreußen) seit 1960 im Überblick, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 38, 1989, S. 81-141. – Udo Arnold: Ostdeutsche Landesforschung im letzten Vierteljahrhundert – das Beispiel Ost- und Westpreußen, in: Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag, hrsg.v. Werner Buchholz und Günter Mangelsdorf, Köln 1995, S. 41- 62. – Ders.: Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, in: Aspekte der Zusammenarbeit in der Ostmitteleuropa-Forschung, hrsg.v. Hugo Weczerka, Mar¬burg 1996, S. 65- 76.

Bild: Die alte Stadtbibliothek in Königsberg / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Udo Arnold