Im Herbst 1345 vollzog sich in der Leitung des Deutschen Ordens ein auf merkwürdige Weise ausgelöster Wechsel. Anfang des Jahres hatte sich in Königsberg ein glänzend besetztes Aufgebot aus Europa zu einer Litauerreise versammelt. Schlechtes Wetter und die durch eine Geisteskrankheit des Hochmeisters Ludolf König verursachte Handlungsunfähigkeit der Ordensleitung ließen den Feldzug militärisch und politisch zu einem Mißerfolg werden. Die Großgebietiger veranlaßten den Hochmeister im September auf dem Generalkapitel zum Rücktritt, ehe im Dezember 1345 der frühere Oberste Marschall, Heinrich Dusemer, zum neuen Hochmeister gewählt wurde (vgl. vorstehenden Beitrag von Klaus Conrad).
Hier ist daran zu erinnern, daß gleichzeitig der livländische Ordensmeister Burchart von Dreileven von seinem Amt zurücktrat, dessen Amtszeit von der älteren livländischen Geschichtsschreibung als eine der wichtigsten angesehen wird. Er entstammte einer ursprünglich „schöffenbarfreien“ Familie, die zum Adel gerechnet wurde, dann aber im 13. Jahrhundert in die Ministerialität der Bischöfe von Halberstadt und Erzbischöfe von Magdeburg eintrat. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts hatten die Dreileven unmittelbare Beziehungen zum Deutschen Orden. Der spätere Landmeister Burchart ist schon als Kind nach Livland gekommen. Von seiner Ämterlaufbahn ist bekannt, daß er um 1320 Kumpan des Komturs von Fellin war und danach die kurländischen Komtursämter zu Windau und Mitau versehen hat. Als im Juni 1340 der livländische Meister Eberhart von Monheim sich auf dem Kapitel im Haupthaus Marienburg von seinem Amt entbinden ließ, wurde Burchart von Dreileven zum neuen Meister bestimmt.
Als Meister hatte er sich verschiedenen militärischen Anforderungen zu stellen. Während seiner Fahrt zum Wahlkapitel war ein Aufgebot der russischen Stadtrepublik Pleskau ins Erzstift Riga eingefallen, so daß die Domherren den Ordensmeister um Hilfe baten. Dieser versuchte den Grenzsteit zunächst durch Verhandlungen zu schlichten. Trotz der Vermittlungsversuche von Novgorod kam es im folgenden Jahr zu einer weiteren kriegerischen Auseinandersetzung, die teilweise in Livland ausgetragen wurde, aber auch den Meister vor Izborsk führte. 1342 wurden zur Grenzsicherung die livländische Ordensburg Marienburg, die auch das Erzstift decken sollte, und im Stift Dorpat die Frauenburg (Neuhausen) vollendet.
Das wichtigste Ereignis seiner Amtszeit war der große Estenaufstand des Jahres 1343. Nordestland mit Reval, Wesenburg und Narwa gehörte zu dieser Zeit noch zur Krone Dänemark. Im Lande lebten mächtige Vasallengeschlechter meist deutscher Herkunft. Gegen deren Herrschaft richtete sich der heftige Widerstand der Esten, denen es zunächst gelang, eine größere Zahl von Deutschen zu töten. In der Georgsnacht (22./23. April) war der Aufstand in Harrien ausgebrochen, mit der Hoffnung auf schwedische Hilfe sollte Reval belagert werden. Die Ordensburg Weißenstein bot vielen Deutschen Schutz. Der Statthalter des dänischen Königs stand der Aufstandsbewegung hilflos gegenüber. Schon Anfang Mai hatte Meister Burchart mit seiner Streitmacht Weißenstein erreicht. Bei Verhandlungen mit den Estenführern war er nicht mit einer einfachen Unterwerfung zufrieden, sondern erwartete eine Sühne für die Verwüstungen und Tötungen. Die Folge waren weitere Kämpfe, vor Reval wurde den Esten die wohl entscheidende Niederlage zugefügt. Da inzwischen die Aufstandsbewegung auch die Wiek (Westestland) und Ösel ergriffen hatte, wo der Bischof von Leal/Ösel größter Landsherr war, hatte der Landmeister den Hochmeister um Unterstützung gebeten. Unter Leitung von Heinrich Dusemer, der zu dieser Zeit Komtur von Strasburg war, erschien ein preußisches Aufgebot, das die Aufständischen in Ösel niederwarf. In Nordestland übergaben jedoch die Dänen, da sie selbst zur Verteidigung nicht die nötigen Kräfte hatten, die Burgen Reval und Wesenburg dem Meister des Ordens zur Verwahrung für die Krone Dänemark. Gegen Erstattung der vom Orden aufgewandten Kosten sollten die Burgen auf Verlangen wieder zurückgegeben werden. Ende 1343 war die Lage militärisch weitgehend beruhigt.
Diplomatisch kamen die Verhandlungen wegen eines möglichen Verkaufs der nordestnischen Landschaften Harrien und Wierland von Dänemark an den Deutschen Orden wieder in Gang. Nachdem Waldemar IV. Atterdag König von Dänemark geworden war, war schon 1341 ein Kaufpreis ausgehandelt worden. Nach der Niederschlagung des Estenaufstands erbat der König zunächst 1344 die Rückgabe. Anläßlich eines persönlichen Erscheinens in Reval überzeugte sich Waldemar davon, daß Estland auf Dauer nicht zu halten war. Die Vasallen, die zunächst im Orden den Retter gesehen hatten, versuchten zwar, nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, die von ihnen mehr gefürchtete strengere Landesherrschaft des Ordens zu vermeiden. Doch war der Verkauf nicht zu verhindern, es ging nur noch um die Bedingungen. 1345 war das Jahr, an dessen Anfang sich Meister Burchart auf Anraten des Hochmeisters nicht an der erwähnten Litauerreise beteiligte, sondern nach Ösel ging, um den wieder aufflackernden Aufstand der dortigen Esten endgültig niederzuwerfen. Zur Sicherung wurde die Ordensburg Sonneburg errichtet. Diese Lage nutzten die Litauer, um ihrerseits nach Livland einzufallen, wo sie große Verwüstungen anrichteten, da sie keinen ernsthaften Widerstand fanden.
Das könnte der Anlaß dafür gewesen sein, daß Burchart nach dem Rücktritt des Hochmeisters Ludolf König anläßlich der Wahl des Nachfolgers sein Amt als Meister von Livland aufgegeben hat. Ob er darüber hinaus mit dem Schicksal Ludolf Königs enger verbunden war, mit dem ihn eine gemeinsame Heimatlandschaft und wohl auch ein gemeinsames Lebensalter verbanden, läßt sich nicht ausmachen. Burchart von Dreileven übernahm 1346 zunächst in Preußen die Komturei Strasburg. Die Verhandlungen des Ordens mit Dänemark und den nordestländischen Ständen führten dazu, daß nicht der livländische Ordenszweig mit dem neuen Meister Goswin von Herike, sondern der neue Hochmeister Heinrich Dusemer Nordestland ankaufte. Dieser suchte dort offenbar zunächst eine Ordensprovinz einzurichten. Als Provinzial wurde 1346/47 die Leitung der Verwaltung Burchart von Dreileven anvertraut. Damit wäre – nach der im Deutschen Reich üblichen Terminologie – eine Ballei eingerichtet gewesen. Offenbar hat sich das bald als wenig zweckmäßig erwiesen, denn noch 1347 übertrug der Hochmeister die Herrschaftsausübung dem Meister von Livland, der im Namen des Hochmeisters die Huldigung der Stände entgegenzunehmen hatte. Dabei ist es auf Dauer geblieben, ehe Hochmeister Albrecht von Brandenburg seine Rechte an Meister Wolter von Plettenberg verkaufte. Burchart von Dreileven hat nach 1347 – soweit überliefert ist – kein festes Amt mehr innegehabt. Dennoch muß er innerhalb des Ordens eine geachtete Stellung gehabt haben, denn noch nach zwei Jahrzehnten – bei dem bekannten Danziger Tag von 1366 (vgl. OGT 1991, S. 236-239) – war er einer der Verhandlungsführer seitens des livländischen Deutschordenszweiges.
Lit.: Leonid Arbusow d.Ä.: Grundriß der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands, 4. Aufl. Riga 1918. – Klaus Scholz: Beiträge zur Personengeschichte des Deutschen Ordens in der ersten Hälfte des 14 Jahrhundert. Phil.Diss. Münster 1969, S. 56-63. – Klaus Conrad: Der dritte Litauerzug König Johanns von Böhmen und der Rücktritt des Hochmeisters Ludolf König, in: Festschrift für Hermann Heimpel. Bd. 2. Göttingen 1972, S. 382 – 401. – Ritterbrüder im livländischen Zweig des Deutschen Ordens, hg. v. Lutz Fenske u. Klaus Militzer (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte 12). Köln, Weimar, Wien 1993, Nr. 182.
Foto: Das Siegel des Landmeisters des Deutschen Ordens in Livland / Quelle: Von SVG created by the uploader – History of Estonia, 2007, ISBN: 9789985209303, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5131164
Bernhart Jähnig