Die Jesuitenuniversität in Breslau, nach ihrem Stifter Kaiser Leopold I. auch „Leopoldina“ genannt, ist die erste Universität Schlesiens und Vorgängerin der späteren Friedrich-Wilhelms-Universität gewesen. Schlesien ist aufgrund der besonderen politischen und konfessionellen Verhältnisse des Landes erst spät zu einer Hochschule gelangt. Verschiedene frühere, seit 1505 unternommene Versuche zur Gründung waren allesamt gescheitert. Erst der von den Habsburgern im Zuge der Gegenreformation ins Land geholte Jesuitenorden verfügte über die Ressourcen und die nötige Unterstützung zur Gründung einer Hochschule.
Nachdem eine erste Mission in Breslau von 1581 bis 1595 wegen des protestantischen Widerstandes aufgegeben werden mußte, waren zwei Jesuiten 1638 erneut in die Stadt gekommen bzw. geschmuggelt worden. Die Breslauer Protestanten hätten sie gerne wieder vertrieben, allein, man wagte nicht, entschieden gegen des Kaisers Schützlinge vorzugehen. Stattdessen entwickelte sich ein jahrzehntelanges diplomatisches Hin und Her um den Standort und die weitere Entwicklung des Kollegs. Die Jesuiten blieben dabei dank kaiserlicher Unterstützung Sieger, 1670 wurde ihnen die bereits 1659 leihweise zur Verfügung gestellte kaiserliche Burg in Breslau endgültig geschenkt.
Der von den Jesuiten schon 1638 begonnene Schulunterricht nahm bald bedeutende Ausmaße an. Im März 1638, unmittelbar nach der Ankunft, waren 12 Schüler bei den Jesuiten, im Dezember desselben Jahres schon 100 und 1641 schon über 200. 1696 lehrten die Jesuiten die beachtliche Zahl von 842 Schülern. Von den Unterrichtsstufen her war bereits 1640 das Vollgymnasium erreicht, 1643–1645 wurden die drei philosophischen Kurse der studia superiora unterrichtet. 1644 begannen Vorlesungen über Mathematik. 1670 gehörten 33 Personen zum Breslauer Kolleg, darunter 15 Priester, die teilweise universitäre Inhalte lehrten.
Es war nur folgerichtig, wenn 1695 die Jesuiten einen Versuch unternahmen, die bereits vorhandenen Ansätze in eine geschlossene Form zu bringen. Die Jesuiten schlugen eine Volluniversität mit Philosophie, Theologie, Jura und Medizin vor, die Stadt protestierte energisch. Sie sah in einer katholischen Hochschule geradezu den Untergang der protestantischen Handelsstadt Breslau. Die Proteste führten erneut zur Verzögerung; doch 1702 ist die Leopoldina gegründet worden – wenn auch zunächst ohne die Fakultäten Jura und Medizin, für die externe Professoren notwendig gewesen wären. Die Stadt Breslau suchte die weitere Entwicklung der Universität, den Neubau des Gebäudes und die Einrichtung der fehlenden Fakultäten zu verhindern, nicht ohne Erfolg. Es gab mehrfach Ansätze für Jura und Medizin, die aber nie zu echten Fakultäten wurden. Der 1728 schließlich begonnene Neubau am Oderufer auf dem Burggelände konnte wegen des preußischen Einmarsches nicht mehr beendet werden, so daß das Universitätsgebäude bis heute unvollendet blieb.
Die Hochschule entwickelte sich zunächst sehr gut: Das Kolleg war bedeutend angewachsen: Kolleg, Gymnasium, Hochschule, Jesuitenkirche, ein umfangreicher Güterbesitz und nicht zuletzt zahlreiche Konvertiten (1702: 259 Konversionen durch die Breslauer Patres) waren Symbole des Erfolges. Schlesien war mit einem Netzwerk an Kollegien überzogen; der gesamte gymnasiale katholische Unterricht und die einzige Universität Schlesiens waren in jesuitischer Hand.
Die preußische Invasion 1740 setzte dem Aufschwung ein Ende. Die Patres wurden zwar geduldet und zunächst dachte man sogar an Reformen – Friedrich II. ließ dazu französische Jesuiten nach Breslau holen –, doch im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) erwog man eine Vertreibung der Jesuiten aus Schlesien. Zwar unterblieb diese, doch das Kolleg war 1763 wegen mangelnder landesherrlicher Unterstützung, wegen Kriegsabgaben und zusätzlicher Kosten – im Krieg diente das Gebäude als Lazarett und Gefangenenlager – hoch verschuldet. Zudem machte sich im Zeitalter der Aufklärung ein Sinneswandel gegenüber den einstmals in ganz Europa hochgeschätzten Jesuitenuniversitäten bemerkbar. Der jesuitische Unterricht – mehr ein Diktieren und Auswendiglernen als ein modernes Studium – galt als veraltet.
Als der Papst 1773 den Orden aufhob, wollte ausgerechnet Friedrich II. von Preußen den Orden unbedingt erhalten. Hintergrund war die Tatsache, daß der Jesuitenunterricht deutlich kostengünstiger als die Einrichtung staatlichen Unterrichts war. Unter dem Namen der „Priester des königlichen Schuleninstituts“ blieb die Korporation in Schlesien erhalten; die Leopoldina wurde 1776 und dann noch einmal 1800/01 reformiert. Die Reformen (neue, weltlich orientierte Inhalte, modernerer Unterricht) blieben jedoch in Ansätzen stecken. Es fehlte an Geld und auch an neuen Köpfen. Die Jesuiten, ihres religiösen Motives beraubt, wurden zu schlecht bezahlten Schulmeistern, die in einer ordensähnlichen Gemeinschaft lebten. Die Jesuitengüter wurden 1788 verkauft und aus den Erlösen des nun eingerichteten Fonds neben den Exjesuiten auch andere preußische Universitäten unterstützt – statt die Leopoldina auszubauen. Erst im Zuge der preußischen Reformen nach 1806 verlegte man 1811 die Universität Frankfurt/Oder nach Breslau und vereinigte sie mit der alten Leopoldina – es entstand eine konfessionell gemischte Volluniversität mit einem bedeutenden jesuitischen Erbe.
Die oft verkannte Leopoldina hat trotz der schwierigen äußeren Umstände einen erheblichen Beitrag zur Bildungsgeschichte Schlesiens geleistet. Einige ihrer Professoren taten sich durchaus mit beachtenswerten Leistungen hervor. Rund 10.000 Studenten haben die Breslauer Universität besucht. Ein Vergleich deutscher Universitäten des 18. Jahrhunderts bringt die Leopoldina damit auf Platz 15 von 31 bei den Immatrikulierten. Die meisten studierten Philosophie, nicht wenige wechselten danach noch auf andere Universitäten, um dort Jura oder Medizin anzuschließen. Hier kommt der Leopoldina mindestens das Verdienst einer soliden Grundausbildung zu. Für die katholische Geistlichkeit war sie bis zuletzt eine wichtige Institution. Alle Weihbischöfe des Zeitraums von 1703 bis 1857 haben bei Jesuiten studiert, seit Elias Daniel von Sommerfeld (Weihbischof ab 1714) sogar stets in Breslau, manchmal in Verbindung mit weiteren Studien in Rom. Und schließlich ist der einzige in Schlesien geborene Kardinal, den das Land bis ins 20. Jahrhundert aufweisen konnte, Johann Heinrich Graf von Frankenberg (1726–1804), ab 1741 ebenfalls Zögling der Leopoldina gewesen.
Lit.: Carsten Rabe: Alma Mater Leopoldina. Kolleg und Universität der Jesuiten in Breslau 1638–1811, Köln 1999 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte; 7).
Bild: Aula Leopoldina der Breslauer Universität / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.
Carsten Rabe (OGT 2002, 371)