Ereignis vom 1. Januar 1357

Die Grundsteinlegung der Karlsbrücke in Prag

Karlsbrücke um 1880

Dem romanischen Kern der Stadt Prag lag noch ein spärlich bebautes Straßennetz zugrunde. Erst in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, als die Altstadt ihre Stadtmauern erhielt und eine rege Bautätigkeit einsetzte, zeichnete sich ein Stadtbild ab. Während der gotischen Epoche, bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, kamen weitere Stadtgemeinden hinzu. Jede der Kulturepochen hat in Prag bedeutende Baudenkmäler hinterlassen. Aus der Blütezeit der Gotik gehören dazu der St. Veitsdom, die Teynkirche, das Altstädter Rathaus, das Karolinum und die Karlsbrücke.

Die Karlsbrücke (Karlův most) ist eine der ältesten erhaltenen Steinbrücken Europas. Sie verbindet die Prager Altstadt (Staré Město) mit der Kleinseite (Malá Strana). Letztere wurde von König Přemysl Ottokar II. im Jahr 1257 als zweite Prager Stadt gegründet, und zwar an der Stelle eines bereits im 9. Jahrhundert bestehenden Marktfleckens, und unter Karl IV. um 1360 erweitert. Die Karlsbrücke ist nicht die erste Brücke, die in Prag über die Moldau führte. Sie wurde anstelle der zuvor im Auftrag Judiths von Thüringen errichteten Steinbrücke aus dem 12. Jahrhundert, die 1342 durch Hochwasser zerstört wurde, gebaut. Die nach ihrer Auftraggeberin benannte Judithbrücke war für das damalige Prag von großer Bedeutung. Auf ihr überquerten nicht nur Handelsleute die Moldau, sondern sie war auch gleichzeitig die einzige direkte Verbindung zwischen Stadtteilen Prags. Der Einsturz dieser Brücke führte daher zu einer hohen Beeinträchtigung für die Stadt.

Schließlich erfolgte am 9. Juli 1357, exakt um 5.31 Uhr die Grundsteinlegung für eine neue Steinbrücke durch Karl IV. Dieser hatte sich von Astrologen den günstigsten Zeitpunkt für das Zeremoniell errechnen lassen. Verantwortlich für die Durchführung des Vorhabens war der aus Schwäbisch Gmünd stammende Peter Parler (1330-1399), der u.a. auch als Dombaumeister des St. Veitsdoms auf der Prager Burg bekannt ist. Vorbild für das zu errichtende Bauwerk war die Steinerne Brücke in Regensburg. Um die Prager Brücke diesmal stabiler zu machen, wurde – so heißt es – der Mörtel mit Eiern angereichert. Die neue Brücke hat eine Länge von fast 516 Metern und eine Breite von etwa 9,50 Metern. Ihre 16 Brückenbögen ruhen auf 15 Pfeilern. Ursprünglich wurde das Bauwerk Steinbrücke bzw. Steinerne Brücke oder Prager Brücke genannt. Der Name Karlsbrücke ist erst seit etwa 1870 gebräuchlich.

Von Bedeutung für das Gesamtbauwerk sind auch seine Brückentürme. Am östlichen Ende der Brücke steht der Altstädter Brückenturm. Dieser ist das letzte Werk des Baumeisters Peter Parler. Er wurde noch unter Karl IV. (1346-1378) begonnen, aber erst unter Wenzel IV. (1378-1419) fertiggestellt. Oberhalb des Tor­bogens – an der stadtseitigen Durchfahrt – sind links Kaiser Karl IV. und rechts sein Sohn König Wenzel IV. als halbplastische Sitzfiguren dargestellt. Zwischen den beiden Herrschern, aber erhöht auf einem Brückenmodell, steht der hl. Veit, der Schutz­patron Böhmens. Im oberen Feld des Turmes sind die hll. Adalbert und Sigismund abgebildet. Bei der Wappenreihe un­ter dem Hauptgesims handelt es sich nach der gängigen Inter­pretation um Wappen der Länder, die in den Jahren 1373-1377 zu den böhmischen Kronländern gehörten. Karl IV. trägt die Krone des römischen Kaisers und Wenzel IV. die des römischen Königs, deren Form mit der Krone der Karlsbüste in Aachen letztlich identisch ist. In der Ikonographie der Ostfront des Altstädter Brückenturms verbinden sich drei Bestandteile, die aufs engste mit der damaligen Regierung bzw. dem Staat verbunden sind: die Wappenausschmückung, die Herrscherkronen und die Bildnisse ihrer Träger. Die bedeutendste Position in der Wappenreihe nehmen das Reichswappen und das böhmische Wappen ein. Sie verzieren zudem die Baldachinkonsolen über den thronenden Herrschern und dies im Einklang mit den Titeln Karls IV., dem Rang Wenzels und den dargestellten Kronen. In der Mitte des Torgewölbes ist die böh­mische Landeskrone dargestellt, und das an einer Stelle, wo sich üblicherweise der Schlussstein befindet. Indem beide Herr­scher dargestellt sind – Karl in voller kaiserlicher Repräsentation und Wenzel als römischer König –, wird zugleich auf die dynastische Nachfolge der Luxemburger auf dem Kaiserthron hingewiesen. Der unheraldische Löwe in der Spitze des Giebels könnte hier im christologischen Sinne verstanden werden, enthält aber vermutlich ebenso eine Anspielung auf die Macht der Herrscher. Die Bedeutung der bildhauerischen Ausschmückung der Ostfront des Brückenturmes zeigt sich in der aufwendigen Repräsentation. Die Herrscher sind so dargestellt, als würden sie eine Huldigung nach ihrer Krönung oder bei einer anderen offiziellen Gelegenheit entgegennehmen. Die Komposition als solche erinnert an die Majestätsseite eines Siegels. Wahrscheinlich waren alle Statuen der Ostfront ur­sprünglich vergoldet und die Wappen farbig. Die bildhauerische Ausstattung ist sicherlich das Werk mehrerer Bildhauer. Die beiden thronenden Herrschergestalten, das Haupt­wappen und der Löwe kommen dem Schaffen Peter Parlers sehr nahe.

Nur die Darstellungen der Ostfront des Brückenturmes sind erhalten geblieben. Ursprünglich war auch die Westseite des Turmes verziert. Dort war vermutlich ein von Karl IV. und seiner vierten Gemahlin Elisabeth von Pommern flankiertes Madonnenbild zu sehen, das durch den Beschuss der Schweden im Dreißigjährigen Krieg zerstört und daraufhin entfernt wurde. Hinsichtlich der Brückentürme auf der Kleinseite geht der von der Karlsbrücke aus gesehen linke Turm noch auf die frühere Kleinseitner Stadtbefestigung und dann die Judithbrücke zurück. Der größere der beiden Türme wurde erst im 15. Jahrhundert unter König Georg von Poděbrad (1458-1471) als Pendant zum Altstädter Brückenturm errichtet. Das zinnenbewehrte Tor zwischen den Türmen hatte von Anfang an nur eine Schmuckfunktion.

Die Karlsbrücke verdankt ihre spätere Berühmtheit den Skulpturen, die ihre Steinbrüstungen säumen, aber auch der besonderen Aussicht auf den Fluss und die sich an seinen beiden Ufern erstreckende Stadt. Erst im 17. Jahrhundert wurde die Brücke mit barocken Heiligenstatuen versehen. Im 18. Jahrhundert wurden weitere Skulpturen angebracht, die dann alle aus Stein waren. Andere kamen im 19. Jahrhundert hinzu. Die Karlsbrücke ist somit ein Freilichtmuseum mit mittlerweile dreißig Hei­ligen und Heiligengruppen. Aus konservatorischen Gründen sind mehrere der aus der Barockzeit stammenden Monumente durch Repliken ersetzt worden. Die Originale befinden sich im Lapidarium des Nationalmuseums. Die bekannteste Statue auf der Brücke ist sicherlich die des hl. Johann von Nepomuk. Der Generalvikar Johann von Nepomuk hatte sich im Verlauf eines kirchenrechtlichen Streits zwischen Wenzel IV. und dem Erz-bischof von Prag im Jahre 1393 auf die Seite seines Herrn gestellt, was den König so erboste, dass er ihn foltern und in einem Sack in die Moldau werfen ließ. Nach einer späteren Legende wurde er Märtyrer des Beichtgeheimnisses. Er habe sich geweigert, dem König die Beichte seiner Gattin zu offenbaren. Zur Erinnerung an dieses Geschehen wurde 1683 auf dem achten Brückenpfeiler (Nordbalustrade) eine von Mat­thias Rauchmüller und Johannes Brokoff geschaffene Bronze­skulptur des Heiligen aufgestellt. Johann von Nepomuk wurde 1729 heiliggesprochen. Ihm begegnet man im katholischen Europa auch allenthalben als „Brückenheiligen“. Gegenüber der Statue des hl. Johann von Nepomuk wurde 1784 das von Matthias Bernhard Braun um 1730 geschaffene Standbild der hl. Ludmila errichtet. Ludmila, die Landespatronin Böhmens, war die Gemahlin des ersten christlichen Herzogs von Böhmen und die Großmutter König Wenzels I. Sie wurde 921(?) von der heidnischen Gegenpartei unter Führung Drahomíras ermordet.

Die Karlsbrücke, die die Stadtteile Staré Město und Malá Strana verbindet, ist heute nur noch für Fußgänger zu benutzen. Seit 1883 wurde sie von der Pferdebahn und Anfang des 20. Jahrhunderts kurzfristig von der elektrischen Straßenbahn befahren. Dies wurde jedoch als Gefährdung der statischen Stabilität des alten Bauwerks gesehen. Danach verkehrten bis in die 1960er Jahre lediglich Busse über die Brücke. Die Karlsbrücke ist mittlerweile auch ein beliebter Treffpunkt lokaler Künst­ler, Musiker und Souvenirverkäufer, deren Stände das ganze Jahr über auf der Brücke zu finden sind.

Lit.: Hartmut Binder, Prag. Literarische Spaziergänge durch die Goldene Stadt, 2., unveränderte Aufl. Stuttgart 1997. – Jaromír Homolka, Zu den ikonographischen Programmen Karls IV., in: Die Parler und der Schöne Stil, 1350-1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern. Ein Handbuch zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Kunsthalle Köln, hrsg. von Anton Legner, Bd. 2, Köln 1978, S. 607-618. – Karel Plicka, Prag. Ein fotografisches Bilderbuch, 7., neubearb. Aufl. Hanau/Main 1983. – Prag. Text: Franz Peter Künzel, Köln 1993 (Urlaubsberater).

Bild: Karlsbrücke um 1880 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Renate Dix (OGT 2007, 325)