Ereignis vom 1. Januar 0997

Erste Erwähnung Danzigs

Chronik von 997, mit Ersterwähnung urbem Gyddanyzc

Das Jahr 997 stellt keineswegs das Gründungsdatum der Stadt Danzig dar, sondern nur jenen Zeitpunkt, an dem der Name Danzig zum ersten Mal in einer schriftlichen Quelle auftaucht, im Lebensbericht des Hl. Adalbert, den kurz nach dessen Märtyrertod der römische Abt Canaparius verfaßte. Es heißt hier über die Reise des Bischofs nach Danzig und seine Ankunft dort: ”Dux (sc. Boleslaus) cognita voluntate eius (sc. Adalberti) dat ei navem et ipsam pro pace iti¬neris terdeno milite armat. Ipse vero adiit primo urbem Gyddanyzc…”. Der polnische Herzog Bolesław Chrobry hatte also dem Prager Bischof für seine Missionsreise zu den Prussen militärischen Schutz mitgegeben und mit ihm traf dieser zunächst an einem Ort ein, den der Biograph die ”urbs Gyddanyzc” nennt. Ohne Zweifel handelt es sich bei ihm um die spätere Stadt Danzig. Die Bezeichnung ”urbs” scheint auf eine schon vorhandene größere Stadt zu deuten, doch kann von einer solchen zu dieser Zeit natürlich noch keine Rede sein. Immerhin läßt der Aus-druck jedoch eine nicht ganz kleine Siedlung vermuten, wie sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges denn auch archäologisch ermittelt worden ist. Die seit 1948 von polnischer Seite auf dem späteren Altstadt-, in kleinerem Umfang auch auf dem Rechtstadtgelände durchgeführten Ausgrabungen haben die Siedlungsverhältnisse auf dem Boden Danzigs um 1000 in nicht geringem Maß klären können, wie sie zuletzt der 1. Band der großangelegten polnischen Geschichte Danzigs Historia Gdańska von 1978 geschildert hat.

Demnach bestand damals an diesem Platz zunächst eine vermutlich in den Jahren 970 bis 980 errichtete Burg, von einem starken, in Holz-Erde-Konstruktion aufgeworfenem Wall umgeben, die Herzog Mieszko I. nach der Unterwerfung Pommerellens für seinen Statthalter am Mott¬lauknie, direkt vor der Mündung dieses Flusses in die Weichsel, hatte erbauen lassen, wahr¬scheinlich auf einer Insel, ”auf roher Wurzel”. Wesentlich älter war jedoch eine auf dem Rechtstadtgelände damals schon bestehende Siedlung, deren älteste Spuren auf das 7. bis 9. Jahrhundert datiert werden, die sich als größere Siedlung aber erst seit dem 10. Jahrhundert entfaltete und Handelscharakter besaß. Diese auf die Wirtschaft ausgerichtete Siedlung nutzte die günstige geographische Lage an der Mündung der Mottlau in die Weichsel aus und war damit zugleich mit der Ostsee ver¬bunden, da die Weichsel damals, bis zum Ende des 14. Jahrhunderts noch viel wasserärmer als später, fast unmittelbar an das Gelände Danzigs heranreichte. Dennoch, wenn der Ende des 9. Jahrhunderts auf seiner Reise von Haithabu nach Truso in die Nähe dieser Weichselmündung gelangende angelsächsische Mönch Wulfstan we¬der die Siedlung noch den Namen Danzigs nennt, so kann es sich kaum um einen größeren Han¬delsplatz gehandelt haben, sondern nur um einen gegenüber Truso noch weit zurückstehenden Handelsort. Natürlich hatte dieser auch einen Markt, der an der Kreuzung zweier wichtiger Straßen lag, der von Süden aus dem Raum von Dirschau kommenden nach Kolberg laufenden ”Kaufmannsstraße” (via mercatorum), wie sie die Quellen nennen, und der von Westen aus dem Gebiet von Chmielno nach Danzig direkt zur Burg führenden Straße. Dieser Kreuzungspunkt läßt sich in der Nähe der späteren Katharinen- oder auch Nikolaikirche vermuten – eben da, wo sich noch heute rund um die Markthalle ein reges Wirtschaftsleben ab¬spielt.

Die Entwicklung Danzigs wurde seit dem 10. Jahrhundert vorrangig von diesem Markt und der Burg oder dem zu ihr gehörigen Siedlungsterrain bestimmt. Hatten zunächst auf dem Burggelände neben dem Gefolge des politischen Regenten auch Fischer gesiedelt, so kam es im 12. Jahrhundert auf dem altstädtischem Gelände bis etwa zur späteren Katharinenkirche zur Entstehung eines Suburbiums, in dem sich Handwerker und auch Handeltreibende niederließen. Nach Auffassung des lange

Zeit führenden polnischen Archäologen A. Zbierski erbaute man hier auch einen Hafen mit einem regulären Hafenanleger, indem man den alten Lauf des auf die Mottlau zulaufenden Schidlitzbaches nutzte. Freilich bestehen noch über so manche Einzelfragen zu diesen Siedlungen, ihrer Ausbreitung und Wirtschaftsstruktur wegen der räumlichen Begrenztheit aller Ausgrabungen auf dem Gebiet Danzigs allerlei Unklarheiten, doch gibt es keinerlei Zweifel daran, daß die Bevölkerung aller Siedlungseinheiten auf dem Boden Danzigs vom 7. bis zum 12. Jahr¬hundert slavischer Natur gewesen ist. Sie gehörte zum Stamm der Pomora¬nen, die zwischen Oder und Weichsel sie-del¬ten, im Westen auch darüber hinausreichten, so daß sich nicht nur die Fürsten des späteren Pommern, sondern auch die Regenten in Danzig als Fürsten oder (ab 1227) Herzöge der Pommern oder Pommerns bezeichneten.

Obwohl die früheste Christianisierung des Landes an der unteren Weichsel sicherlich im Zuge der Missionsreise des Hl. Adalbert von Prag und ebensosehr infolge der Verbindung Pommerellens mit dem ab 960 christlich gewordenen Polen in Gang gekommen war, hatte eine heidnische Reaktion im 11. Jahrhundert sie großenteils wieder zunichte gemacht. Erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts kam es zu einer neuen Hin¬wen-dung zum christlichen Glauben, die vor allem der pommerellische Fürst Subislaus förderte, der sehr wahrscheinlich um 1185 die Katharinenkirche in Danzig gründete und unmittelbar da-nach, 1186, nach eindeutiger schriftlicher Überlieferung auch die Stiftung des ältesten pommerellischen Klosters Oliva, eine Art Hauskloster für die Herrscherfamilie, vollzog, das schon durch seine Lage, nur etwa 10 Kilometer von Danzig entfernt, die enge Verbindung mit den Landesherren verriet.

Einen wesentlichen Wandel in seiner Gesamtstruktur erlebte das alte Danzig am Ende des 12. Jahrhunderts, als deutsche Kaufleute, vor allem aus Lübeck, die anfangs gewiß nur als Gäste (”hospites”) gekommen waren, sich mit dem Einverständnis des Fürsten in Danzig niederließen und mehr und mehr den Fernhandel übernahmen. Sie erbauten sich 1190 zwischen alt- und rechtstädtischem Terrain, wiederum mit landesherrlicher Genehmigung, eine dem Hl. Nikolaus, dem Patron der Schiffer, geweihte Kirche, die Nikolaikirche in unmittelbarer Nähe des slavischen Marktes. Dieser Zustand blieb jedoch nur wenige Jahrzehnte bestehen, dann bemühte sich die kleine deutsche Kaufmannsgemeinde um eine Erweiterung ihres Siedlungsgeländes und insbesondere um eine Umgestaltung ihres Rechts- und Wirtschaftssystems. Schon um 1225 fand sich Herzog Swantopolk bereit, ihren Wünschen zu entsprechen und im wohlverstandenen Eigeninteresse an einer stärkeren Handelstätigkeit und damit einer Wirtschaftsbelebung durch die deutschen Kaufleute die Anlage einer deutschrechtlichen Stadt – also die ”Lokation” einer ”civitas” – auf rechtstädtischem Gelände zuzulassen bzw. selbst in die Hand zu nehmen, da hier um diese Zeit die ältere Siedlung, vielleicht infolge der Konkurrenz der Burgsiedlung und des Suburbiums im Altstadtbereich, eingegangen oder bedeutungslos geworden war.

Diese weitgehend mit deutschen Kaufleuten und Handwerkern besiedelte und mit deutschem, sehr wahrscheinlich Lübecker Recht begabte Stadt (”civitas Gdanensis”) erwies sich als der auf die Dauer entwicklungsfähigste Teil des Danziger Sied-lungs¬komplexes. Denn die räumlich und personell zweifellos kleinste Einheit der Siedlungsagglomeration Danzigs überragte durch ihre Wirtschaftskraft bald die anderen Teile, so daß sie schon 1271/72 nach dem Tode Swantopolks (1266) im Ringen der beiden Brüder Mestwin II. und Wartislaus dem erstgenannten Herzog trotzen konnte. Zwar unterlag sie, als dieser Fürst auswärtige Hilfe erhielt, nicht nur ihm, sondern nach dem Aus-sterben des pommerellischen Herrscherhauses 1294 auch dem in den nach¬folgenden politischen Wirren 1308 vom polnischen Herzog Władysław Łokietek zu Hilfe gerufenen Deutschen Orden, der sie sogar teilweise zerstörte. Aber nach dem Neuaufbau der Stadt in den Jahren nach 1310, wieder auf recht¬städ¬ti-schem Gebiet, das der Deutsche Orden erlaubte und förderte, ja, mit der Verleihung des Kulmer Rechts 1342 krönte, und nach der Bewidmung der ehemaligen slavischen ”Burgstadt” (Altstadt) am Mottlauknie mit dem deutschen Stadtrecht 1278 wurde diese ”Rechtstadt” zur entscheidenden Trägerin der kommenden Entwicklung Danzigs, da ihr auch die vom Deutschen Orden 1380 gegründete Jungstadt nicht gefährlich wer-den konnte, denn sie nutzte die günstige Gelegenheit, jene  1454 beim Ausbruch des Krieges gegen den Deutschen Orden zu zerstören. Aus der zunächst rein slavischen ”urbs” mit verschiedenen Siedlungsteilen wurde so nach 1310 unter der Herrschaft des Deutschen Ordens immer mehr eine bevölkerungsmäßig, kulturell und rechtlich sehr weitgehend deutsche Stadt, wie sie es auch unter der polnischen Herrschaft 1466 bis 1793 noch großenteils geblieben ist.

Lit.: Konrad Jażdżewski: Gdańsk X * XII w. na tle Pomorza wczes-no¬śred¬niowiecznego, in: Szkice z dziejów Pomorza, Warszawa 1958, S. 73-120. – Andrzej Zbierski: Port gdański na tle miasta w X * XIII wieku, Gdańsk 1964. – Historia Gdańska, Tom I pod red. E. Cieślaka, Gdańsk 1978. – Gdańsk. Jego dzieje i kultura, Warszawa 1969. – Erich Keyser: Die Baugeschichte der Stadt Danzig, hg. von Ernst Bahr, Köln/Wien 1972. – Heinz Lingenberg: Die Anfänge des Klosters Oliva und die Entstehung der deutschen Stadt Danzig, Stutt¬gart 1982. – Ders.: Das topographische Problem der deutschrechtlichen Stadt Danzig im 13. Jahrhundert, in: Danzig in acht Jahrhunderten, hg. von Bernhart Jähnig und Peter Letkemann, Münster 1985, S. 23-60.

Bild: Chronik von 997, mit Ersterwähnung urbem Gyddanyzc / Quelle: Von Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel – http://diglib.hab.de/mss/553-helmst/start.htm, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36427506

Heinz Lingenberg