Die Pommern wurden zuweilen mit zwinkerndem Auge als ‘umgedrehte Bayern’ bezeichnet, weil ihre Landesfarben eben nicht wie im alten Lande der Wittelsbacher weiß und blau, sondern blau und weiß unter dem Himmel Deutschlands leuchten. Die Heimat der Pommern trug in der Frühzeit ihrer Geschichte den Namen “po more”, was soviel bedeutet wie “Land am Meer”. In alten Anthologien steht noch gelegentlich zu lesen, dass das Meer zwischen Pommern und Dänemark nur so breit war, dass man von einer Höhe aus an einem ganz klaren Tage die “Küste als kleine Wolke erkennen konnte”. Nicht zufällig haben daher die Dänen und später auch die Schweden wieder und wieder versucht, in diesem Winkel Europas Fuß zu fassen. Die Verwandtschaft von Landschaft und Lebensart lockte sie über Jahrhunderte hinweg – aber Pommern blieb dennoch ungeachtet aller Anfechtungen und Überfremdungsversuche deutsch. Es blieb, um es mit Ernst Moritz Arndt zu sagen, “ein heiliges Land, ein geliebtes Land”.
Dieses heilige Land Pommern wurde in einem friedlichen Missionswerk von Bayern aus christianisiert. Bischof Otto von Bamberg (s. OGT 1989, S. 109-111), anno 1060 in das Zeitalter des glücklosen Kaisers Heinrich IV. hineingeboren, bereitete dem Kreuz eine Stätte an Oder und Ostsee. Otto von Bamberg, als genialer Kopf seiner Zeit gefeiert, betätigte sich zunächst als Hofkaplan im Hause einer Schwester Heinrichs IV., dann übernahm er für einige Zeit die Aufgabe des Dombaumeisters in Speyer, um schließlich – allerdings nur für kurze Zeit – die Würde eines Kanzlers des Reiches zu übernehmen, bis ihn die Bamberger zu ihrem Bischof erwählten. Doch der Geistliche war wohl zu unruhig und zu rastlos, um nur in seiner Residenz am Main Erfüllung zu finden. Otto vom Bamberg sah über die Grenzen Bayerns und Süddeutschlands weit hinweg nach Norden zu den heidnischen Gebieten an der Odermündung. Seine Gedanken fanden Widerhall gerade im Hause des Greifengeschlechts, das damals die Herzogswürde ertrotzt hatte. Eine Gesandtschaft aus Pommern brachte dem Bischof die Einladung des Herzogs, “die heidnischen Pommern zum christlichen Glauben zu bekehren”. Otto von Bamberg zögerte nicht lange. Er bereitete sich vor, in das Land zu ziehen, deren Menschen, wie der Literarhistoriker Alfred Biese es ausdrückte, “ein grüblerischer, unerlöster, jedoch um Erlösung ringender Ernst” anhaftet.
Anno 1124 begann die erste Reise des Bischofs nach Pommern. Von Bamberg aus ging es über Kloster Michelfeld – noch in Begleitung von Freunden, die den Bischof vor den Gefahren der Reise warnten – über Waldeck und Vohenstrauß und die Further Senke bis nach Kladrau. Dort wurde die Gruppe vom Böhmenherzog willkommen geheißen, nach Prag begleitet und dann zogen die Bamberger von der Moldau über Wartha und Nimptsch durch Schlesien über Posen bis nach Gnesen – zu der Stätte, wo Otto III. am Grabe Adalberts von Prag (s. OGT 1997, S. 252-257) niedergekniet war. Über Pyritz ging es dann weiter nach Cammin. Otto vollzog Taufen, gründete Kirchen in Stettin und auf der Insel Wollin, besuchte auch Kolberg, Belgard und das Land an der Persante.
Diese erste Missionsreise zeigte sich als Erfolg und Misserfolg zugleich. Der Bischof wurde im Missionsgebiet bedroht und konnte sich persönlicher schwerer Misshandlungen nur mit Mühe entziehen. Was half es da, dass der Pommernherzog Wartislaw I. ihn begrüßte, dem Heidentum abschwor und dem Missionar aus Bayern von Pyritz aus sicheres Geleit zugestanden hatte. Otto von Bamberg war mit dem Erfolg seiner ersten Missionsreise durchaus nicht zufrieden. Nicht zuletzt empfand er auch die Zugeständnisse der Pommern als halbherzige Ges-ten. Der Bischof wurde bei seiner Rückkehr in Bamberg wohl triumphal gefeiert, aber er selbst war nicht glücklich über das, was er in Pommern erreicht – oder besser gesagt – nach eigenem Eindruck nicht erreicht hatte. Ernst Moritz Arndt hat diese von inneren Zweifeln erfüllten Gedanken einmal mit dem Wort umschrieben: “Das Leben ist kein ewiger Krieg und soll es nicht sein, aber es ist Kampf und Ringen” – und Otto von Bamberg rang weiter mit sich und mit den nur bedingt dem Christentum zugeführten Pommern. Es ging ihm – und insofern ist sein Werk von hoher aktueller Bedeutung – auch um die Einbeziehung Pommern in das Handels- und Wirtschaftsleben des Reiches und Europas.
Nur wenige Jahre darauf – 1128 – machte sich der Bischof zu einer zweiten Missionsreise nach Pommern auf und zog aus dem reich kultivierten Lande um Bamberg in das Umfeld der Oder, die Paul Keller nicht zufällig “das Bauernweib unter den deutschen Flüssen” genannt hatte. Bei dieser zweiten Reise trat Otto als offizieller Abgesandter des Papstes Honorius II. und des deutschen Königs Lothar (= Kaiser Lothar III.) auf. Er wählte diesmal auch eine andere Reiseroute und zog über die Bamberger Besitzungen in Greiz, an Querfurt, Merseburg und Naumburg vorüber nach Halle und reiste von der Saalestadt aus meist mit dem Schiff bis Havelberg, sah dort den Dom – den Jochen Klepper als “frommes Gebirge” apostrophieren sollte. Im Havelland erlebte Otto jedoch die ganze Unruhe, auch kleinliche Widerwärtigkeiten, die sein Werk überschatte-ten. Erzbischof Norbert von Magdeburg bereitete ihm einen denkbar kühlen Empfang, weil er in der Mission des Bambergers ein Konkurrenzdenken spürte. Als der Bischof weiter nach Norden zog, erfuhr er an der Müritz auch den zwischen den Slawen gärenden Gegensatz: der Pommernherzog Wartislaw lud die Seinen zur Taufe auf den Landtag nach Usedom ein, indessen sich der Polenherzog Bolesław bedeckt zeigte, weil er befürchtete, die Missionierung Pommerns durch Deutsche könnte den Einfluss des Reiches im Lande an Oder und Ostsee stärken. Kaum in Pommern angekommen, wurde der Bischof auf Rügen bedroht und in Stettin wurde sogar ein Anschlag auf ihn verübt. Es rächte sich wohl, dass Otto bei seinem ersten Zug die heidnischen Heiligtümer zerstört hatte. Der Kampf gegen den heidnischen Hauptgott der Pommern – Triglaw – war noch keineswegs entschieden. Diesem Hauptgott unterstanden – nach dem Glauben der Pommern – drei Reiche: der Himmel, die Erde und die Unterwelt. Triglaw verhüllte vor seinen Anhängern auch das Angesicht, weil er die Sünden der Menschheit nicht sehen mochte. Aber Otto von Bamberg zerstörte auch das Heiligtum des Triglaw und sandte den abgeschlagenen Dreikopf des Götzen als Beweis seines Bekehrungswerkes nach Rom. Das von Zähigkeit getragene Werk des Geistlichen führte nicht allein zur Bekehrung der Pommern, sondern auch zur Gründung des Bistums Wollin 1140 (s. OGT 1990, S. 223-226), das als ‘exemtes Bistum’ unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt wurde. Der Christianisierung Pommerns folgte die Kolonisierung auf dem Fuße.
Etliche Jahre nach der Rückkehr des Bischofs nach Bamberg nahm Heinrich der Löwe die Herzogswürde von Sachsen an und machte die Pommern zu seinen Lehnsträgern. Damit gewann er im Wettstreit mit Waldemar I. von Dänemark das Land am Unterlauf der Oder dem Deutschtum. Aber ohne das Wirken des Bamberger Bischofs wäre all das unmöglich gewesen. Erst beider Plan führte zu Kirchen- und Klostergründungen in Cammin und Eldena, in Belbuck und Kolbatz, das im übrigen fast gleichzeitig (1173) mit dem weit südlich in Schlesien liegenden Kloster Leubus (1175) an der Oder ins Leben gerufen wurde. Mönche und deutsche Siedler mussten jedoch im 12. Jahrhundert im sogenannten Wendenkreuzzug die Stätten des Kreuzes schützen. Dabei wurde 1168 wiederum durch die Dänen auch das bis dahin noch immer bestehende Standbild von Swantewit in der heidnischen Tempelburg Arkona, dem heutigen Kap Arkona auf Rügen, zerstört.
Was von Ottos Werk blieb, ist viel – Gedenksteine, Kirchen, Klöster, auch Brunnen, wie unter anderem in Pyritz, wo der Geistliche nach der Überlieferung anno 1124 die ersten Taufen in Pommern feiern konnte. Dennoch wurde der Pommern-Missionar keineswegs nur mit Beifall bedacht. Sein erstes Missionswerk scheiterte nahezu gänzlich. Die Menschen, die er 1124 am Unterlauf der Oder getauft hatte, bekannten sich allzu bald wieder zu ihren heidnischen Göttern. Erst mit der zweiten Reise – 1128 – gelangte Otto von Bamberg ans Ziel. In Usedom beugten sich die Häupter des Landes vor dem Kreuz und empfingen die Taufe. An dem aus Backstein gefügten Denkmal, das 1928 errichtet wurde, erinnert bis heute eine Inschrift an die Tätigkeit Ottos. “An dieser Stätte nahmen an Pfingsten 1128 die Führer der Wenden das Christentum an.” Darunter steht ein in Erz gegossenes Wort des Pommern-Apostels zu lesen: “Gott will nicht erzwungenen, sondern freiwilligen Dienst.”
Otto von Bamberg hat am Ende das erreicht, was Adalbert von Prag 1168 im Samland versagt blieb. Otto von Bamberg kehrte als gefeierter Pommern-Missionar nach Bamberg zurück. Adalbert von Prag wurde an der Küste des Samlandes er-schlagen und hernach in Gnesen als Märtyrer verehrt. Otto von Bamberg wurde ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode durch Papst Clemens III. heiliggesprochen. Der polnische Bischof von Stettin-Cammin Jerzy Stroba ehrte den Bamberger 1974 mit dem Wort: “Die Erzdiözese Bamberg und die Diözese Stettin-Cammin sehen den heiligen Otto als Vater ihres Glaubens an.” Und der langjährige Erzbischof von Bamberg, Josef Schneider, notierte ebenfalls 1974 das verheißungsvolle Bekenntnis: “Die 37 Jahre des bischöflichen Wirkens des Otto von Bamberg bekunden seinen rast- und restlosen Einsatz für das Werk Jesu Christi. Man kann ohne Vorbehalt sagen: Es brannte in ihm ein heiliges Feuer.”
Lit.: Bischof Otto von Bamberg, Metropolitan Kapitel Bamberg 1974. – Johannes Hinz: Pommernwegweiser, Würzburg o. J. – Pommern. Denkschrift der Landsmannschaft, Leer o. J. – Jürgen Petersohn: Der südliche Ostseeraum im kirchlich-politischen Kräftespiel des Reichs, Polens und Dänemarks vom 10. bis 13. Jahrhundert. Mission – Kirchenorganisation – Kulturpolitik (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 17) Köln, Wien 1979. – Hans-Ulrich Engel: Pommern – unvergessene Heimat, Würzburg 1990. – Dietmar Lucht: Pommern. Geschichte, Kultur und Wirtschaft bis zum Beginn des Zweiten Welt-krieges (Historische Landeskunde – Deutsche Geschichte im Osten, Bd. 3) Köln 1996.
Bild: Der heilige Otto, Darstellung in der Bamberger Michaelskirche / Quelle: Von Dagny, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4665238
Hans-Ulrich Engel