Ereignis vom 1. Januar 1309

Erwerb Pommerellens durch den Deutschen Orden

Hochmeistersiegel des Deutschen Ordens

Pommerellen bildete ein christliches Herzogtum westlich der Weichselmündung. Das rechtlich in der Wissenschaft um­strit­tene Verhältnis zum polnischen Gesamtterritorial­ver­bund war de facto unter dem Haus der Samboriden seit 1227 aufgegeben. Herzog Mestwin II. (1266-1294) unterstützte den Aufstand der Prußen gegen den Deutschen Orden, der östlich der Weichsel ein erstarkendes Territorium aufbaute. Gleichzeitig gab es eine Erbauseinandersetzung Mestwins mit seinen Brüdern, mit dem zentralen Streitpunkt Danzig. Der Danziger Fürst Wartislaw lehnte sich an den Orden an, Mestwin 1269 an die Markgrafen von Brandenburg. In der folgenden militärischen Auseinander­setzung eroberte Mestwin Danzig und bot es den Brandenbur­gern an, die sofort zugriffen, jedoch 1272 von Mestwin wieder verjagt wurden. Zwischen Brandenburg und Mestwin kam es zu einem latenten Ruheverhältnis. Der Deutsche Orden erhielt 1282 endgültig das Gebiet um Mewe, das ihm Mestwins Onkel bereits vorher übertragen hatte und womit der Orden auf dem linken Weichselufer Fuß fasste. Um sich zwischen diesen Nachbarn abzusichern, lehnte sich Mestwin an seinen Vetter Przemysl II., Herzog von Großpolen mit dem Zentrum Gnesen, an und adoptierte ihn zwecks Sicherung der Herrschaft.

Als Mestwin 1294 starb, beanspruchten drei Nachbarn ganz Pommerellen, zumindest Teile davon: Großpolen, Brandenburg und der Orden. Przemysl II. übte zunächst unangefochten die Herrschaft in Pommerellen aus. Er versuchte, ebenfalls Klein­polen mit dem Zentrum Krakau an sich zu ziehen, konnte sich dort jedoch gegen die erbvertraglichen Ansprüche König Wen­zels II. von Böhmen nicht durchsetzen.

Als Przemysl II. 1296 starb, wurde auch Pommerellen in die polnischen Thronwirren einbezogen. Der polnische Fürst Wladyslaw Lokietek konnte sich gegen König Wenzel nicht behaupten und musste ihm 1300 Großpolen ebenso wie Pom­merellen überlassen. Wesentliche Kraft in Pommerellen war die Adelsfamilie der Swenzonen als Statthalter, bereits seit Mestwins Zeiten. 1301 tauchte ein neuer Herrschaftsaspirant in Pommerellen auf, Fürst Sambor von Rügen. Der Böhmenkönig Wenzel II. rief den Orden, mit dem wegen seiner reichen Besitzungen in Böhmen eine gute Beziehung bestand, zur Hilfe, in Überein­stim­mung mit Swenza und dem Landrichter Bogussa. Nach dem Zurückschlagen des rügenschen Angriffs verließ der Or­den das Land wieder.

Wenzel II. starb 1305, ihm folgte sein Sohn Wenzel III., der aber im Folgejahr ermordet wurde. Damit begann einerseits der Kampf um die böhmische Krone, in den auch Ungarn und das Deutsche Reich involviert waren, andererseits konnte Herzog Wladyslaw Lokietek sich in Polen durchsetzen und erlangte 1320 sogar die Königskrönung. Pommerellen wurde zum Zank­­­apfel zwischen Böhmen, Polen und Brandenburg.

Wladyslaw Lokietek ergriff die Initiative, rückte 1306 in Pom­merellen ein und setzte den Landrichter Bogussa als Ge­gen­pol gegen die Swenzonen zum Palatin in Danzig ein. Daraufhin verbündeten sich die Swenzonen mit Brandenburg, das 1308 in Pommerellen einfiel und bis Danzig vorging. Da Wladyslaw nicht half, rief Bogussa den Deutschen Orden zu Hilfe, mit dessen Loyalität man rechnete, hatte er doch 1302 Danzig pro­blemlos geräumt und 1306 versucht, einen Aus­gleich zwi­schen Wla­dyslaw und Böhmen herbeizuführen. Ob es zu einer ver­trag­lichen Absprache zwischen Wladyslaw bzw. Bo­gus­sa und dem Orden kam, dass dessen Truppen nach Ersatz der Kriegs­kosten wieder abziehen sollten, ist nicht zu klären. Der Orden kam, und die Brandenburger, die die Burg vonseiten der Stadt be­lagert hatten, wurden nun durch die Burgbesatzung belagert. Zwar verließen die Brandenburger Ende 1308 erfolglos das Land, doch diesmal zog der Orden nicht wieder ab. Unter dem Vor­wand der Nichterstattung der Kriegskosten warf er nun auch Bogussa aus der Burg hinaus. Die Stadtbewohner ver­moch­te er durch ein heranrückendes Heer vom pommerel­li­schen Adel zu tren­nen, gegen den er mit Hinrichtung von wohl 16 Anführern vorging.

In diesen Zusammenhang gehört die Frage nach der Zerstörung der deutschrechtlichen „Rechtstadt“ Danzig und Ermordung von 10.000 Bürgern durch den Orden. Letzteres ist sicher falsch – so groß war die Stadt gar nicht – und diente der Pro­paganda in der folgenden Auseinandersetzung zwischen Polen und dem Or­den. Die Zerstörung der Stadt ist wahr­scheinlich, doch vor­sich­tig wurde vor einigen Jahren von polnischer Seite ange­deutet, dass es ja auch die Brandenburger während der Be­la­ge­rung gewesen sein könnten – ein Problem, das sich mit Hilfe der schriftlichen Quellen sicher nie eindeutig klären las­sen wird.

Wichtig bleibt, dass sich der Orden nicht wieder aus Danzig zurückzog, sondern zusätzlich 1309 das Dirschauer Gebiet wie auch Schwetz eroberte und damit ganz Pommerellen in seine Hand brachte. Ob dies als Möglichkeit bereits auf dem Elbin­ger Generalkapitel 1303 anhand der Erfahrungen von 1301/02 erörtert wurde, wissen wir nicht. Jedenfalls sah der Landmeis­ter des preußischen Ordenszweiges Heinrich von Plötzke, der seit Mitte 1307 amtierte und auch nach der Übersiedlung des Hochmeisters auf die Marienburg 1309 (siehe den entspre­chen­den Beitrag) der starke Mann in Preußen blieb, die Gelegenheit der Territorial- und Machterweiterung und war bereit, sie zu nutzen. Von polnischer Seite ist das stets als Verrat an der Idee des Ordens, dem Kampf gegen Heiden seitens eines „Missions­staates“, gewertet worden, da es sich bei Pommerellen um ein christliches Land handelte. Auch wenn man sich dieser eher moralisch von Seiten des Verlierers motivierten Wertung nicht anschließen will, so bleibt auf jeden Fall die Feststellung, dass der Orden in Preußen sich in derselben Form wie seine Nach­barn territorialpolitisch verhielt und die Gelegenheit der territo­ri­alen Ausdehnung ohne Skrupel nutzte. Pommerellen war zu schwach gewesen, um sich dauerhaft zu einer eigenständigen Territorialmacht zu entwickeln, und hatte alle Nachbarn ver­lockt, in diese machtverdünnte Zone einzudringen.

Der Orden vermochte sich militärisch wie politisch durchzu­set­zen. Denn er unterwarf nicht nur das ganze Gebiet, ab 1309 verstand er es auch, alle Ansprüche seitens Brandenburgs, Glo­gaus und Rügens unter Zustimmung des deutschen Königs Hein­rich VII. finanziell abzulösen und sich gegenüber Böhmen 1329 im Rahmen eines Schenkungsvertrages abzusichern. Nur die Gegnerschaft zu Polen blieb. Hochmeister Karl von Trier hatte hier ebenfalls eine diplomatische Lösung versucht, was aller­dings in Preußen 1317 zu seiner Absetzung führte, auch wenn er im Reich bis 1324 weiter amtieren konnte. Die Kräfte, die zur Eroberung Pommerellens geführt hatten, sahen offenbar auch jetzt die Lösung der Probleme mit Polen eher im mili­tärischen als im politischen Bereich – ein Fehler, der sich später rächen sollte. Obwohl im Frieden von Kalisch 1343 König Kasi­mir der Große von Polen auf Pommerellen verzich­tete – den Rechts­titel als Erbe von Pommerellen jedoch weiter­füh­rte –, so blieb der Anspruch Polens auf das Gebiet trotz der Erfolglosig­keit aller Prozesse gegen den Orden doch bestehen und wurde rea­lisiert, als die politische Entwicklung es ermög­lichte, im Stän­dekrieg seit 1454 bzw. im Zweiten Thorner Frie­den 1466. Als moralisch-politischer Streitpunkt blieb das The­ma bis weit ins 20. Jahr­hundert erhalten und dient auch in der Gegen­wart als Grund­lage eines nicht immer ressentimentfreien Gedenkens in Polen.

Lit.: Udo Arnold, Der Erwerb Pommerellens durch den Deutschen Orden, in: Westpreußen-Jahrbuch 30, 1980, S. 27-37. – Ulrich Niess, Hochmeister Karl von Trier (1311-1324). Stationen einer Karriere im Deutschen Orden (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 47), Marburg 1992. – „Rzez gdańska“ z 1308 roku w swietle najnowszych badan. Materialy z sesji naukowej 12-13 listopada 2008 roku, hrsg. v. Blazej Sliwiński, Gdańsk 2009.

Bild: Hochmeistersiegel des Deutschen Ordens / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Udo Arnold (OGT 2009, 335)