Ereignis vom 1. Januar 1346

Estland an den Deutschen Orden

Alte Karte Livlands Joannes Portantius

Die Bemühung des Deutschen Ordens um die Inbesitznahme Livlands war geprägt von militäri­schem Kampf und Rechtsstreit. Das Ziel war – nach dem Vorbild Preußens –, eine ein­heitliche Herrschaft in Livland zu begründen. Eine ent­schei­den­de Etappe war bereits im 13. Jahrhundert die Vereinigung mit dem in Livland tätigen Schwertbrüderorden. Aber bereits im Umfeld die­ses Ereignisses zeigte es sich, mit welchen Geg­nern es der Deutsche Orden auf dem Weg zu seinem Ziel zu tun haben würde: zum einen mit dem Erzbischof von Riga, zum andern mit den Litauern. Deshalb bedeutete es für den Deut­schen Orden einen wichtigen Schritt, daß ihm Kö­nig Ru­dolf von Habsburg 1274 die weltliche Gerichtsbarkeit über die Stadt Riga übertrug. Die Einflußnahme auf die rigischen Ver­hältnisse seitens des Ordens riefen 1297 einen schweren Rück­schlag hervor, der mit der Zerstörung des dort errichteten Or­densschlosses und der Hin­richtung der Konventsmitglieder endete. Einen neuen Anlauf unternahm der Orden 1304 mit­tels eines Bündnisses mit den Bischöfen von Dorpat und Ösel samt den Kapiteln und Vasallen sowie mit der harrisch-wierischen Ritterschaft; 1305 gründete er in der durch Kauf erworbenen Zisterzienser-Niederlassung Dünamünde eine Komturei, von der aus der rigische Seehandel gestört werden konnte. Das veranlaßte den Erzbischof von Riga vor der Kurie in Avignon ei­nen Prozeß gegen den Orden einzuleiten, der aber 1319 zu Gunsten des Deutschen Ordens ent­schieden wurde. Die weitere Entwicklung stand im Zeichen von Litauer-Einfällen, die von rigi­scher Seite, wenn nicht veranlaßt, so doch unterstützt wur­den, um die Ordenspolitik zu kon­terkarieren. Trotzdem konn­te der Ordensmeister Eberhard von Monheim im Frühjahr 1330 nach monatelanger Belagerung Riga erobern und die Ober­ho­heit des Ordensmeisters unter fol­genden Bedingungen durch­set­zen: Teilnahme des Rigaer Hauskomturs an den Ratssit­zun­gen, Abtretung der Hälfte der Gerichtsgefälle, Lösung des Bündnisses mit Litauen (Bündnis mit Gedimin von Litauen bis 1330) und Heeresfolge gegenüber dem Orden. Im Stadtgebiet ließ der Orden eine neue Burg errichten.

Kaiser Ludwig der Bayer bestätigte 1332 diesen Status quo, insbesondere aber die Landesho­heit des Deutschen Ordens über Riga. Auf dieser Grundlage konnten der Deutsche Orden über das Erzstift auch die Oberhoheit wahrnehmen, da Erzbi­schof Engelbert von Dolen (1341-1348) außer Landes weilte. Der gegen den Deutschen Orden 1343 organisierte Aufstand der Esten erwies sich als die zunächst letzte militärische Hürde. Die Inbesitznahme des gesamten Livland konnte nämlich 1346 durch den Kauf Nordestlands vom König von Dänemark terri­torialpolitisch abgeschlossen werden. Am 29. August 1346 wurde der Verkaufsakt in der Hochmeister-Residenz Marien­burg getätigt. Die Kaufsumme für das bisher dänische nördli­che Estland be­trug 19.000 Mark Silber. Die Verwaltung über­trug der Hochmeister dem Livländischen Mei­ster. Der livländi­sche Herrschaftsbereich des Deutschen Ordens erstreckte sich nun vom Finni­schen Meerbusen bis zur Nordgrenze Litauens sowie auf Teile der vorgelagerten Inseln (Ösel, Dagö) und ganz Moon.

Wenn damit das Jahr 1346 durch den Erwerb Harriens mit Reval und Wierlands auch im Kampf um die Herrschaft über Gesamtlivland eine bedeutende Wegmarke bildete, so war die fernere, auch rechtlich unanfechtbare, Inbesitznahme noch mit weiteren Fallstricken verbunden, da die rigischen Erzbischöfe sowohl mit Hilfe der Kurie als auch mit Hilfe des Reiches ihren Rechtsstandpunkt zu behaupten versuchten. Der Zenit des Erfolges wurde gegen Ende des 14. Jahrhunderts durch die zeitweise Inkorporation des Erzbistums und des Domstiftes durch Papst Bonifaz IX. in den Deutschen Orden erreicht; so konnte zunächst Johann von Wallen­rode, ein Verwandter des Hochmeisters, zum Rigaer Erzbischof erhoben werden, wei­terhin sollten für Erzstuhl und Kapitel nur Ordensbrüder in Frage kommen. Letztendlich aber blieben auch im 15. Jahr­hundert Rechtspositionen und Besitztitel in Livland umstritten, nicht zuletzt durch eine verworrene Kirchen- und geistliche Territorialpolitik.

Lit.: L. Arbusow: Grundriß der Geschichte Liv-, Est-, und Kurlands, 21918. – R. Wittram: Bal­tische Geschichte: Die Ostseelande Livland, Estland, Kurland, 1180-1918, 1954. – Baltische Kir­chengeschichte, hrsg. v. R. Wittram, 1956. – M. Hellmann: Die Stellung des livländi­schen Or­denszweiges zur Gesamtpolitik des Deutschen Ordens vom 13. bis 16. Jh., in: Festschrift M. Tumler, 1978, S. 68-93. – H. von zur Mühlen: Livland von der Christianisierung bis zum Ende seiner Selb­ständigkeit (etwa 1180-1561), in: Deutsche Geschichte im Osten Eu­ropas. Baltische Länder, hrsg. v. G. von Pistohlkors, 1994.

Bild: Alte Karte Livlands Joannes Portantius, 1573 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Carl August Lückerath