Die Bemühung des Deutschen Ordens um die Inbesitznahme Livlands war geprägt von militärischem Kampf und Rechtsstreit. Das Ziel war – nach dem Vorbild Preußens –, eine einheitliche Herrschaft in Livland zu begründen. Eine entscheidende Etappe war bereits im 13. Jahrhundert die Vereinigung mit dem in Livland tätigen Schwertbrüderorden. Aber bereits im Umfeld dieses Ereignisses zeigte es sich, mit welchen Gegnern es der Deutsche Orden auf dem Weg zu seinem Ziel zu tun haben würde: zum einen mit dem Erzbischof von Riga, zum andern mit den Litauern. Deshalb bedeutete es für den Deutschen Orden einen wichtigen Schritt, daß ihm König Rudolf von Habsburg 1274 die weltliche Gerichtsbarkeit über die Stadt Riga übertrug. Die Einflußnahme auf die rigischen Verhältnisse seitens des Ordens riefen 1297 einen schweren Rückschlag hervor, der mit der Zerstörung des dort errichteten Ordensschlosses und der Hinrichtung der Konventsmitglieder endete. Einen neuen Anlauf unternahm der Orden 1304 mittels eines Bündnisses mit den Bischöfen von Dorpat und Ösel samt den Kapiteln und Vasallen sowie mit der harrisch-wierischen Ritterschaft; 1305 gründete er in der durch Kauf erworbenen Zisterzienser-Niederlassung Dünamünde eine Komturei, von der aus der rigische Seehandel gestört werden konnte. Das veranlaßte den Erzbischof von Riga vor der Kurie in Avignon einen Prozeß gegen den Orden einzuleiten, der aber 1319 zu Gunsten des Deutschen Ordens entschieden wurde. Die weitere Entwicklung stand im Zeichen von Litauer-Einfällen, die von rigischer Seite, wenn nicht veranlaßt, so doch unterstützt wurden, um die Ordenspolitik zu konterkarieren. Trotzdem konnte der Ordensmeister Eberhard von Monheim im Frühjahr 1330 nach monatelanger Belagerung Riga erobern und die Oberhoheit des Ordensmeisters unter folgenden Bedingungen durchsetzen: Teilnahme des Rigaer Hauskomturs an den Ratssitzungen, Abtretung der Hälfte der Gerichtsgefälle, Lösung des Bündnisses mit Litauen (Bündnis mit Gedimin von Litauen bis 1330) und Heeresfolge gegenüber dem Orden. Im Stadtgebiet ließ der Orden eine neue Burg errichten.
Kaiser Ludwig der Bayer bestätigte 1332 diesen Status quo, insbesondere aber die Landeshoheit des Deutschen Ordens über Riga. Auf dieser Grundlage konnten der Deutsche Orden über das Erzstift auch die Oberhoheit wahrnehmen, da Erzbischof Engelbert von Dolen (1341-1348) außer Landes weilte. Der gegen den Deutschen Orden 1343 organisierte Aufstand der Esten erwies sich als die zunächst letzte militärische Hürde. Die Inbesitznahme des gesamten Livland konnte nämlich 1346 durch den Kauf Nordestlands vom König von Dänemark territorialpolitisch abgeschlossen werden. Am 29. August 1346 wurde der Verkaufsakt in der Hochmeister-Residenz Marienburg getätigt. Die Kaufsumme für das bisher dänische nördliche Estland betrug 19.000 Mark Silber. Die Verwaltung übertrug der Hochmeister dem Livländischen Meister. Der livländische Herrschaftsbereich des Deutschen Ordens erstreckte sich nun vom Finnischen Meerbusen bis zur Nordgrenze Litauens sowie auf Teile der vorgelagerten Inseln (Ösel, Dagö) und ganz Moon.
Wenn damit das Jahr 1346 durch den Erwerb Harriens mit Reval und Wierlands auch im Kampf um die Herrschaft über Gesamtlivland eine bedeutende Wegmarke bildete, so war die fernere, auch rechtlich unanfechtbare, Inbesitznahme noch mit weiteren Fallstricken verbunden, da die rigischen Erzbischöfe sowohl mit Hilfe der Kurie als auch mit Hilfe des Reiches ihren Rechtsstandpunkt zu behaupten versuchten. Der Zenit des Erfolges wurde gegen Ende des 14. Jahrhunderts durch die zeitweise Inkorporation des Erzbistums und des Domstiftes durch Papst Bonifaz IX. in den Deutschen Orden erreicht; so konnte zunächst Johann von Wallenrode, ein Verwandter des Hochmeisters, zum Rigaer Erzbischof erhoben werden, weiterhin sollten für Erzstuhl und Kapitel nur Ordensbrüder in Frage kommen. Letztendlich aber blieben auch im 15. Jahrhundert Rechtspositionen und Besitztitel in Livland umstritten, nicht zuletzt durch eine verworrene Kirchen- und geistliche Territorialpolitik.
Lit.: L. Arbusow: Grundriß der Geschichte Liv-, Est-, und Kurlands, 21918. – R. Wittram: Baltische Geschichte: Die Ostseelande Livland, Estland, Kurland, 1180-1918, 1954. – Baltische Kirchengeschichte, hrsg. v. R. Wittram, 1956. – M. Hellmann: Die Stellung des livländischen Ordenszweiges zur Gesamtpolitik des Deutschen Ordens vom 13. bis 16. Jh., in: Festschrift M. Tumler, 1978, S. 68-93. – H. von zur Mühlen: Livland von der Christianisierung bis zum Ende seiner Selbständigkeit (etwa 1180-1561), in: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Baltische Länder, hrsg. v. G. von Pistohlkors, 1994.
Bild: Alte Karte Livlands Joannes Portantius, 1573 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.
Carl August Lückerath