Ereignis vom 1. Januar 1708

Gründung der Liegnitzer Ritterakademie

Ritterakademie Liegnitz

Die Errichtung der Liegnitzer Ritterakademie wurde durch drei Voraussetzungen begünstigt: Die Johannesstiftung des Piasten- Herzogs Georg Rudolph (1595-1653) mit samt seiner nach ihm benannten Bibliotheca Rudolphina, den schon seit dem 17. Jahrhundert im habsburgischen Österreich etablierten gleichnamigen Einrichtungen und den Verhandlungen über Schlesien von 1707 bis 1709 in der Altranstädter Konvention, deren politische Grundzüge am 1.9.1707 abgeschlossen worden waren. Am 11. November 1708 „konnte mit einem Festgottesdienst in der Liegnitzer Johan­niskirche in Anwesenheit der beiden Grafen Schaffgotsch, der Liegnitzer Stände, des neuen Lehrkörpers und der ersten 9 Akademisten der Anfang gemacht werden. Die Festrede hielt der aus Jena berufene Oberprofessor Dr. August Bohse über ein Dichterwort Casper von Lohensteins: erst kluge Unterrichtung mache den Menschen zum Menschen“ (Conrads, 1971, S. 191). Am 19. März des nächsten Jahres wurde die endgültige Fassung der Akademieordnung veröffentlicht. Mit dem Internat war die Liegnitzer Ritter-Akademie „als adelige Simultanschule, als paritätische Akademie konzipiert“. Unterrichtet wurden die Fächer, die für die Bildung der Adeligen erforderlich waren. Nach Norbert Conrads hatte die Liegnitzer Ritter-Akademie (wie sie sich bis Ende des 19. Jahrhunderts schrieb) unter den habsburgischen Kaisern ihre „Glanzzeit“. Das noch heute bestehende Gebäude der Ritterakademie in der ehemaligen Haynauer Str., Nähe des Ringes, wurde mit Ausnahme der schon vorher fertigen Reiterhalle zwischen 1726 und 1738 errichtet. Der Ausbau des Königssaales in der Reithalle und des zu ihm führenden Innen-Turmes erfolgte erst 1903. Als eine dem Staat (und nicht der Kommune) unterstellte Anstalt stand die Ritterakademie unter dem Einfluss der jeweils Regierenden. Als Friedrich II. (der Große) Schlesien 1740, end­gültig 1763, übernahm, wurde Carl Abraham Frei­herr von Zedlitz beauftragt, die Leitlinien zur Erziehung der Liegnitzer Ritterakademisten zu erstellen. Im preußischen Interesse wurde ein erhebli­cher Anteil der Akademisten zu hohen Offizieren in Generalsrängen erzogen. Dies blieb trotz der preußischen Kadettenanstalten ein Trend etlicher Schüler auch des angeschlossenen Johanneums bis in das Jahr 1944. Dieses Gymnasium war im Gebäude der Ritterakademie untergebracht, das insgesamt ein Stadt­viertel einnimmt. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Johanneum den Kindern bürgerlicher Familien geöffnet. Von den wissenschaftlich geschulten Lehrern der Ritterakademie bzw. des Johanneums wurden Jahresprogramme mit Lehrer-, Zöglingen- und Schülerlisten sowie fundierte Beiträge herausgebracht, die eine gute Übersicht über die Leistungen der Lehrer und Schüler dieser Anstalt und über die Bibliotheca Rudolphina gaben. Bereits am 13.2.1901 wurde der Verein Ehemaliger Ritter-Aka­de­misten zu Liegnitz (VERA) gegründet, der noch heute unter der Leitung von Wilfried von Korn besteht. Nach dem Ersten Weltkrieg sind diese Publikationsmöglichkeiten zum Leidwesen der Studienräte untersagt worden. Bis Anfang des Zweiten Weltkriegs (1. April 1941) unterstanden die Internatangehö­rigen (Zöglinge), darunter eine größere Anzahl Adeliger, einem militärischen Erzieher, dann dem Oberstudiendirektor des Johanneums Dr. Wöhrmann. In der Ritterakademie (im Internat) sorgten daneben der Senior und die Stubenältesten für eine innere Ordnung.

Internat und Schule bestanden bis 1944; noch im gleichen Jahr wurde das Johanneum, seit 1937 nicht mehr (humanistisches) Gymnasium, sondern staatliche Ober­schule für Jungen, noch in Herzog-Georg-Rudolf-Schule umbenannt und schließlich alle Klassen in das Gebäude der Oberrealschule, der Herzog Heinrich-Schule, der Städtischen Oberschule für Jungen, gegenüber der Liebfrauenkirche überführt. Das geleerte Gebäude der Ritterakademie ist von der Roten Armee als Magazin unter militärischer Aufsicht verwendet worden. Die Polen haben es dann übernommmen und angefangen zu renovieren; sie nutzen das Gebäude für Kultur-In­stitutionen.

Aus der Ritterakademie und dem zugehörigen Johanneum sind neben ranghohen Offizieren und Verwaltungsbeamten, die eher konservativ ausgerichtet waren, auch namhafte Wissenschaftler hervorgegangen; stellvertretend seien zwei ge­nannt: der Physiker (Klimaforscher) Heinrich Wilhelm Dove (1803-1879) und der Theologe Rudolf Schnackenburg (1914-2002). Mit ihren besonders ausge­suchten Lehrerpersönlichkeiten waren Ritterakademie und Johanneum eine be­deutende überregionale Bildungsstätte, zu der auch die zahlreichen und wert­vollen Bestände der Bibliotheca Rudolphina gehörten.

Die Bibliotheca Rudolphina in der Ritterakademie bzw. im späteren dazu gehörenden Gymnasium Johanneum wurde etliche Jahrzehnte von Ernst Pfudel betreut, der die gedruckten Musikalienbestände und die Musikhandschriften nach der vor ihm von Siegfried Dehn durchgeführten Erfassung in Katalogen erschlossen hat. Auskunft über die anderen (ehemals?) vorhandenen Buchbe­stände gibt Hans Mau in seinen gedruckten Katalogen der Jahre 1905 bis 1914. Zwischen den beiden Weltkriegen wurde dieser gesamte Bestand in die Liegnitzer Stadtbibliothek überführt und vom letzten Deutschen Dr. Wolf­gang Scholz verwaltet. Die Rote Armee hat die Bibliotheca Rudolphina 1945 nach Russland abtransportiert und vermutlich auf Betreiben der Warschauer Ordinaria für Musikwissenschaft Frau Prof. Zofia Lissa später den Polen zurückgegeben. Die heute noch vorhandenen Musikalienbestände, zugänglich in Breslau, Liegnitz, Lublin und Warschau, erschließt der zuverlässige Katalog von Aniela Kolbuszewska.

Lit. (Auswahl): Johann Christian Kund­mann, Academiae et Scholae Germaniae praecipue Ducatus Sile­siae, Breslau 1741. – Notifikacya oninieyszym krolewskiey Akademii Rycerskiey w. Legnici Postanowieniu, Anno 1749, W Wrocławiu (Faksimile-Nachdruck o.J. mit Vorwort von Aniela Kolbuszewska, Legnica 1993. – Ferdinand Wilhelm Kaumann, Versuch einer Geschichte der Ritter-Akademie zu Liegnitz, Erste Abtheilung (Geschichte der Akademie unter öster­reichischer Landeshoheit von 1708-1741), Liegnitz 1829. – Georg Wendt, Geschichte der Königlichen Ritter-Akademie zu Liegnitz, Teil 1, 1708-1840, Beilage zum Pro­gramm der Königlichen Ritter-Akademie zu Liegnitz, Ostern 1893, Programm 197. – Karl Friedrich Blau, Geschichte der Königlichen Ritter-Akademie zu Liegnitz in den Jahren 1741-1787, 1. Abt. 1741-1787, 2. Abt. 1787-1809 und Fortsetzung, Beilage zum Programm der Königlichen Ritter-Akademie zu Liegnitz 1840, 1841 und 1842. – Ernst Pfudel, Geschichte der Königlichen Ritterakademie zu Liegnitz, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertums-Vereins für die Stadt und das Fürstentum Liegnitz 2 (1906 bis 1908), S. 79-122, auch als Sonderdruck erschienen, Nachdruck im Auftrag des Vereins der ehemaligen Ritterakademisten 1971, weiterer Faksimile-Nachdruck Hofheim/Taunus 1994 (Beiträge zur Liegnitzer Geschichte 24). – Ders., Verzeichnis der Leiter, Beamten und Abiturienten der Königlichen Ritter-Akademie zu Liegnitz von 1811-1908, Liegnitz 1809, Programm der Liegnitzer Ritter-Akademie Nr. 274. – Wolfgang Scholz, Die Liegnitzer Ritterakademie 1927-1937, in: Liegnitzer Heimatbrief, Lorch/Württ. 11 (1959), S. 20ff. – Norbert Conrads, Die Durchführung der Altranstädter Konvention in Schlesien 1707-1709, Köln und Wien 1971, Speziell S. 191-251 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kultur­geschichte Ostdeutschlands 8). – Ders., Ritterakademien der frühen Neuzeit. Bil­dung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert, Göttingen 1982 (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 21). – Peter Mainka, Die Erziehung der Adligen Jugend in Brandenburg-Preußen. Curriculare Anweisungen Karl Abrahams von Zedlitz und Leipe für die Ritteraka­demie zu Liegnitz. Eine archivalische Studie zur Bildungsgeschichte der Auf­klärungszeit, Würzburg 1997 (Wissenschaftliche Schriften des Vereins für Ge­schichte Schlesiens 3). – Hieronymus Freiherr von Münchhausen, Geschichte der königlichen Ritterakademie zu Liegnitz im 20. Jahrhundert, Privatdruck VERA (Verein der ehemaligen Ritterakademisten zu Liegnitz), 2001. – Hubert Unverricht, Liegnitzer Lebensbilder des Stadt- und Landkreises, Bd. 1-4 Hofheim/Taunus 2001-2004 (Beiträge zur Liegnitzer Geschichte 31-34). – B.C., 300 Jahre Ritterakademie zu Liegnitz am 11.11.2008, in: Liegnitzer Heimatblatt 58 (2006), S. 67-69.

Lit. zur Bibliotheca Rudolphina (Auswahl): Ernst Pfudel, Mitteilungen über die Bibliotheca Rudolfina der Königl. Ritter-Akademie zu Liegnitz I, II und III, Liegnitz 1876, 1877 und 1878, Programm der Königlichen Ritter-Akademie zu Liegnitz 1876 Nr.153, 2 1877 Nr.157 und 3 1878 Nr.159. – Ders., die Musik-Handschriften der Königl. Ritter-Akademie zu Liegnitz, Leipzig 1886 (Musik-Handschriften auf öffentlichen Bibliotheken. Verzeichnet von Verschiedenen, hrsg. von Robert Eitner. Beilage zu den Monats­heften für Musikgeschichte 1), Nachdruck Scarsdale, N.Y. USA 1980. – Hans Mau, Katalog der mit der Lehrerbibliothek des Königlichen Gymnasiums Johanneum vereinigten Bibliotheca Rudolfina, Teil I: Libri philosophici et philologici; II: Libri historici; III: Libri medici; IV: Libri iuridici; V und VI: Libri theologici et acatholici (Erste Hälfte, 2. Hälfte mit Nachträgen), Liegnitz 1905, 1907, 1908, 1911, 1913, 1914, Beilage(n) zum Programm der Königlichen Ritter-Akademie Nr. 235, 244, 260, 281, 284, 290. – Wolfgang Scholz, Beiträge zur Musikgeschichte der Stadt Liegnitz von ih­ren Anfängen bis etwa zum Jahre 1800, phil. Diss. Breslau 1939, Druck Liegnitz 1941, speziell S. 31-104). – Aniela Kolbuszewska, Bibliotheca Rudolphina. Druki i rękopisy muzyczne z Legnickiej Biblioteki księcia Jerzego Rudolfa, Katalog wystawy, Legnica 1983. – Dies., Katalog zbiorów muzycznych legnickiej biblioteki księcia Jerzego Rudolfa „Bibliotheca Rudolphina“, Legnica 1992. – Hubert Unverricht, Der Musikbestand der Liegnitzer Bibliotheca Rudolphina (Rudolfina), in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 44 (1995), S. 92-96. – Klaus Garber, Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven, 19: Breslau Universitätsbibliothek – Wrocław Biblioteka Uniwersytecka, Abt. IV Bestände aus Liegnitz und Brieg, Hildesheim u.a. 2007.

Bild: Ritterakademie Liegnitz/ Quelle: Marek ŚliweckiLegnica – Akademia RycerskaCC BY-SA 4.0

Hubert Unverricht (OGT 2008, 246)