Ereignis vom 24. September 1845

Gründung und Ende des Siebenbürgisch-Sächsischen Landwirtschaftsvereins

Eine Szene aus dem Sachsenspiegel

Auf dem teilautonomen Gebiet der Siebenbürger Sachsen, dem „Königsboden“, hatte sich das genossenschaftliche Prinzip seit der Ansiedlung im 12. Jahrhundert so konsequent durchge­setzt, daß es dort keinen grundbesitzenden Adel gab. Bauern­höfe erbte je nach örtlichem Brauch der jüngste oder älteste Sohn, die Grundstücke wurden aber unter allen Geschwistern aufgeteilt. Nachdem die ackerfähigen Böden der „Gemeinen Erde“ (Allmende) aufgeteilt waren, hatte diese Erbsitte eine kleinbäuerliche Betriebsstruktur bei extremer Flurzersplitte­rung zur Folge. Bei dem durch die Drei- oder Zweifelderwirt­schaft bedingten Flurzwang blieb jeweils ein Drittel oder gar die Hälfte des Ackerlandes als Schwarzbrache unbebaut lie­gen. Die Agrarverfassung entsprach damit weitgehend der süd­deutscher Realteilungsgebiete und war dringend reformbedürftig.

Deshalb ergriffen Beamte siebenbürgisch-sächsischer Gebiets­körperschaften und Pfarrer die Initiative zur Modernisierung der Landbewirtschaftung. Während der Jahrestagung 1843 des Vereins für siebenbürgische Landeskunde in Kronstadt beschloß man die Gründung eines Landwirtschaftsvereins in der Rechtsform eines Aktienvereins und verabschiedete einen Sat­zungsentwurf. Dieser wurde nach eingehender Beratung am 17. Februar 1845 zur „allerhöchsten Genehmigung“ einge­reicht, die nach wenigen Monaten eintraf. Bis zur konstituie­renden Generalversammlung am 24. September 1845 in Mediasch traten etwa 600 Personen dem Verein bei, die rund 1.100 Aktien zeichneten. Mehr als die Hälfte der Mitglieder stellten sächsische Beamte, Pfarrer und Lehrer, erst mit deut­lichem Abstand folgten selbständige Landwirte, die zudem meist Ortsrichter (Bürgermeister) waren. Die Organisation sah eine Oberverwaltung (Vorstand) und elf Bezirksverwaltungen vor, entsprechend der damaligen Verwaltungsgliederung auf Königsboden.

Motor der Gründung war der Publizist und Pfarrer Stephan Ludwig Roth (1796-1849). Als Tübinger Doktorand und als Schüler Pestalozzis kannte er die agrarischen Verhältnisse in Südwestdeutschland. Er setzte durch, daß als vordringliche Aufgabe des Vereins in der Satzung „die Ansiedlung tüchtiger deutscher Landwirte“ vor der Errichtung von Musterwirtschaf­ten auf Allmendland, Versuchen, Preisaufgaben und „be­leh­ren­der Aufsätze in vaterländischen Zeitschriften“ ge­nannt wurde. Roth reiste bereits im Sommer 1845 nach Würt­temberg, um zunächst fünfzig Bauernfamilien als Pächter oder Verwalter geplanter Musterbetriebe anzuwerben. Unter den aus­wan­de­rungslustigen Schwaben löste er damit eine über­stürzte Emi­gra­tion ins „gelobte Land Siebenbürgen“ aus, wo man darauf noch nicht vorbereitet war. Viele zogen des­halb ent­täuscht zurück und lösten damit große Zurückhaltung gegen­­über Roths Plänen aus. Zugleich entfachte die ungari­sche Presse eine Pro­pa­ganda gegen das Vorhaben. Einige hundert Fami­lien aus Würt­temberg blieben immerhin in Sie­benbürgen, auch wenn es nicht zur Errichtung der gewünsch­ten Musterbe­triebe kam. Im übrigen verhinderten die Revolu­tionsjahre 1848/49 und die darauf folgende allgemeine Stagnation wei­tere Aktivitäten. Auch Vorschläge zur Neuord­nung der Flur­verfassung auf Königs­boden (1847, 1850) wurden Makulatur.

Eine Neubelebung der Vereinstätigkeit setzte erst ein, nach­dem Josef Bedeus von Scharberg jun. (1826-1901) das Heft in die Hand nahm. Eine neue Satzung brachte 1864 die Um­wandlung in einen eingetragenen Verein; für besondere Fachbereiche konnten Sektionen der Oberverwaltung oder Zweckvereine gegründet werden. Die Aktivitäten wurden auf Gemeinden aus­geweitet, die vor der Bauernbefreiung (1848) außerhalb des teil­autonomen Gebietes des Königsbodens auf grundhörigem Gebiet lagen u.a.m.

Wichtigstes Anliegen des Vereins war nun die Förderung der landwirtschaftlichen Fachausbildung. Die Bemühungen zur Errichtung von Ackerbauschulen (Fachschulen mit Lehrbe­trieb) führten bald zum Ziel: Im Herbst 1870 konnte eine zwei­jährige Schule in Bistritz, ein Jahr später eine Schwe­ster­an­stalt in Marienburg bei Kronstadt und ebenfalls im Herbst 1871 die Höhere Ackerbauschule in Mediasch ihren Betrieb aufnehmen.

In Mediasch wurde 1919 eine ländliche Hauswirtschaftsschule eröffnet. Eine zweisemestrige landwirt­schaftliche Winterschule entstand 1930 in Hermannstadt. Außerdem setzte sich der Land­wirtschaftsverein mit Verve für die Einführung eines Fach­­unterrichts in den 1870 zu Pflicht­schu­len erklärten länd­lichen Fortbildungsschulen – den Vor­läufern der Berufs­schu­len – durch Herausgabe von Lesebü­chern und Schulung der Lehr­kräfte ein. Die Oberverwaltung förderte auch einen fach­be­tonten Unterricht an ländlichen Volksschu­len. Am Her­mann­städ­ter Lehrerseminar wurde Landwirtschaft Pflicht­fach.

Der Erwachsenen-Fortbildung dienten Fachausstellungen und Lehrschauen. Voraussetzung für eine intensivere Fachbera­tung war die 1874  verwirklichte Einstellung von Fachkräften als „Wan­­der­lehrer“. Nach dem Ersten Weltkrieg stieg ihre Zahl auf sieben Fachlehrer an, darunter je eine Haushalts- und Web­leh­­rerin. Die Wanderlehrer veranstalteten während des Winters Fach­­kurse (z.B. für Obstbaumwarte, Kochkurse), sprachen auf Be­zirks- und Ortsversammlungen, veranstalteten Flur­be­ge­hun­gen, Betriebsbesichtigungen, Maschinenkurse u.a. Eine weitere wichtige Aufgabe war die Aufklärung über Maß­nahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges gelang es immerhin in drei Vierteln der säch­si­schen Gemeinden, die Kommassation (Flurbereinigung) durch­zu­führen und damit die Vorausset­zungen für eine „innere Auf­stockung“ der Betriebe durch in­tensivere Fruchtfolgen und zur Aufhebung des Flurzwanges zu schaffen.

Auf die Tätigkeit der Fachabteilungen für Acker- und Pflan­zenbau, Tierzucht und Gemüsebau kann hier ebenso wenig ein­gegangen werden, wie auf die wirtschaftlich orientierten Tochtergesellschaften. Genannt sei hier nur die Bodenkredit­anstalt zu Hermannstadt als Instrument der Kapitalbeschaf­fung für Agrarkredite. Sie gründete 1891 gemeinsam mit dem Spit­zeninstitut der Raiffeisengenossenschaften die „Siebenbürger Vereinsbank“ zur Zwischenfinanzierung des Erwerbs und zur Aufsiedlung vormals adliger Güter außerhalb des ehemaligen Königsbodens. Beide Bankinstitute sanken nach dem Ersten Weltkrieg 1928 zur Bedeutungslosigkeit ab. Die Vereinsbank büß­te als Folge der ersten rumänischen Agrarreform (1919/ 1921) ihren Gründungszweck ein, die Bo­denkreditan­stalt ver­lor infolge der neuen Grenzziehungen ihre alten Kapi­talmärkte. Im Gegensatz dazu nahm die Bedeutung der Raiffei­sen­ge­nos­sen­schaften eher zu; viele Konsumgenos­senschaften über­stan­den hingegen die große Weltwirtschafts­krise um 1930 nicht.

Im Siebenbürgisch-sächsischen Landwirtschaftsverein nahm die Zahl der bäuerlichen Mitglieder ab 1885 erheblich zu. Er wurde damit auch bäuerliche Standesvertretung. Es entstanden bis zu 239 Ortsvereine und die Mitgliederzahl erreichte im Jahre 1919 mit 16.120 Personen ihren Höchststand. Damit er­faßte der Verein bis 1940 etwa 40 % aller landwirtschaftlichen Betriebe der Siebenbürger Deutschen. Seine Fachzeitschrift „Landwirtschaftliche Blätter für Siebenbürgen“ erschien 1873 als Monatsbeilage eines Wochenblattes, machte sich ein Jahr später mit 700 Beziehern selbständig und wurde 1903 zum Wochenblatt ausgebaut. Mit etwa 15.000 Beziehern war sie in der Zwischenkriegszeit das auflagenstärkste deutschsprachige Fachorgan Rumäniens. – Der erste landwirtschaftliche Ta­schenkalender „Der Pflug“ erschien 1928, der letzte für das Jahr 1944.

Auf Druck Hitlerdeutschlands erließ Rumänien am 20. No­vember 1940 ein Gesetz, durch das die deutschen Volksgrup­pen die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts er­hielt. Das Gesetz bildete die Grundlage zur Gleichschaltung nach nationalsozialistischen Grundsätzen. Der Siebenbürgi­sch-sächsische und der seit 1891 bestehende (banat)schwäbische Landwirtschaftsverein wurden kaltgestellt, ihre Aufgaben ab 1941 der neu konstituierten „Landesbauernschaft“ übertragen. -Aus den Wochenblättern der beiden Vereine entstand die „Südostdeutsche Landpost“, die nach dem Frontwechsel Ru­mäniens am 23. August 1944 ihr Erscheinen einstellen mußte.

Der Deportation arbeitsfähiger Rumäniendeutscher in die Sowjetunion als „Reparation durch Arbeit“ im Januar folgte am 23. März 1945 das zweite rumänische Agrarreformgesetz, durch das bis auf wenige Ausnahmen die deutschen Grund­besitzer mit ihrem lebenden und toten Inventar entschädi­gungslos enteignet wurden. Der Siebenbürgisch-sächsische Landwirtschaftsverein, der fast hundert Jahre nicht nur zum Wohl seiner Mitglieder, sondern auch zur Weiterentwicklung der gesamten Provinz beigetragen hatte, war damit funktions­los geworden und mußte seine Tätigkeit einstellen.

Lit.: Thomas Nägler, Josef Schobel, Karl Drotleff: Geschichte der siebenbürgisch-sächsischen Landwirtschaft. Bukarest 1984. – Ernst Wagner: Zur Geschichte des Siebenbürgisch-sächsischen Landwirt­schaftsvereins (1845-1940), in: Siebenbürgisches Archiv, Bd. 14. Köln-Wien 1979, S. 197-293. – Hans Acker: Weinland Siebenbürgen. Achthundert Jahre Weinbaukultur im Karpatenbogen, Gesellschaft für Geschichte des Weines. Wiesbaden 1993 (Schriften zur Wein­bauge­schichte H. 108).

Bild: Eine Szene aus dem Sachsenspiegel / Quelle: WIkipedia.Gemeinfrei.

Ernst Wagner