Die Stadt Tolkemit ist eine Gründung des Deutschen Ordens. Sie liegt unmittelbar am Frischen Haff zwischen Elbing und Frauenburg und gehörte bis 1945 zum westpreußischen Landkreis Elbing, erhielt danach von der polnischen Verwaltung den Namen Tolkemicko, damals weiterhin Landkreis Elbing (Elbl¹g), und gehört seit der Gebietsreform 1975 zur gleichnamigen Woiwodschaft.
An dieser Stelle oder in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gab es bereits zur Prußenzeit eine Ansiedlung und eine Burg: die Tolkemita. Der Stadtname ist also prußischen Ursprungs. Wann die Stadt ihre Handfeste erhalten hat, ist nicht nachweisbar, denn die Gründungsurkunde ging verloren. Sie wurde am 31. März 1351 auf der Marienburg zur Amtszeit des Hochmeisters Heinrich Dusemer (1345-1351) erneuert. Die eigentliche Verleihung des Kulmer Stadtrechts erfolgte durch den Ordensritter Ludwig von Schippen, der seit dem 12. März 1296 Komtur von Elbing war und von 1299 bis zum 27. Mai 1300 auf der Elbinger Burg als Landmeister residierte. In welcher Eigenschaft er die Stadtrechtsverleihung vornahm, ist unbekannt. Es wird vermutet, daß dies noch 1296 erfolgte. Mit der Handfeste erhielt Tolkemit 100 Hufen Land. Als Gründer der Stadt wird Bernhard von Rotstock genannt. Da sich der Deutsche Orden bei der Erneuerung der Handfeste die Gerichtsbarkeit in der Stadt über alle Prußen, Polen und allerlei Leute wendischer Zunge vorbehielt, „die da Gäste“ sind, müssen zu der Zeit viele Fremde in der Stadt gewesen sein.
Die Selbständigkeit der Stadt war zur Ordenszeit nicht allzu groß. Sie hatte nicht das Recht, Gesetze (Willküren) zu erlassen, in der Gemarkung Befestigungen anzulegen, und ohne Genehmigung durch den Landesherrn durfte in Tolkemit kein Kloster gebaut werden. Erlaubt war ihr der freie Markt und die Anlage von Krügen in der Stadt. Der Zins vom Kaufhaus, den Brotbänken und ähnlichen Einrichtungen mußte mit dem Deutschen Orden geteilt werden. Bemerkenswert ist, daß die Stadt keinen Zugang zum Frischen Haff erhielt, von dem sie durch einem 38 Meter breiten Streifen Land getrennt war. Die Erneuerung der Handfeste 1351 muß für die Stadt und wohl auch für den Deutschen Orden eine erhebliche Bedeutung gehabt haben. Eine größere Anzahl hoher Persönlichkeiten war nämlich Zeuge dieses Ereignisses wie z. B. der Großkomtur, der Oberstspittler, der Obersttrapier, der Treßler und der Elbinger Komtur.
Die zunächst aus Holz gebaute Pfarrkirche wurde durch einen Steinbau ersetzt und 1376 durch den Bischof von Ermland zu Ehren der Jungfrau Maria und dem Apostel Jakobus geweiht. Diese gehörte bereits seit 1344 mit ihrem Grundeigentum und Einkommen dem 1242 gegründeten Heilig-Geist-Hospital in Elbing. Erst am Ende der Ordensherrschaft 1457 bzw. 1466 sollte sich dies ändern. Von großer wirtschaftlicher Bedeutung war die Verleihung der Fischgerechtigkeit auf dem Frischen Haff am 25. Mai 1359. Zwar durften die Tolkemiter nur mit kleinem „Gezeuge“ auf Fang fahren, und sie unterstanden der Aufsicht des Fischmeisters der Komturei Elbing, aber dies
dürfte die Geburtsstunde Tolkemits als Fischerstadt gewesen sein. Tolkemit war mit zwei Unterbrechungen auch Sitz des Waldmeisters der Komturei Elbing.
Durch den Hochmeister Winrich von Kniprode (1352-1382) erhielt die Stadt ein eigenes Wappenbild: Das Siegel zeigt eine Eichenstaude mit drei Blättern. Zweihundert Jahre später wurde es unter Hinzufügung eines über der Eiche freischwebendes schwarzen Kreuzes in einen goldenen Schild gesetzt. In dieser Zeit wurden vermutlich auch die um die Stadt angelegten Palisaden durch eine ordentliche Befestigung ersetzt. Hochmeister Konrad von Ehrlichshausen stellte 1444 auf Bitten der Einwohner der Stadt eine neue und wohl erweiterte Handfeste aus.
Wie in Thorn, Elbing und Danzig wurde 1454 auch in Tolkemit die Ordensburg von den Bürgern zerstört und die Stadt huldigte am 19. Juni durch ihren Bürgermeister Michael Reichnau dem König von Polen als dem neuen Oberherrn. Zwei Jahre später, im 13jährigen Städtekrieg, überfielen Ordenstruppen Tolkemit, drangen in die Stadt ein, brandschatzten die Stadt und deportierten 150 Bürger. Nach dem Zweiten Thorner Frieden wurde Tolkemit mit einigen umliegenden Ortschaften eine Starostei. Tolkemit kam an den Gubernator Hans von Baisen, fiel aber 1508 an den ermländischen Bischof, der die gesamte Starostei dem Domkapitel von Frauenburg überschrieb. Es folgten zum Teil sehr unruhige Jahre. Polen besetzten die Stadt im 16. Jahrhundert und Schweden im 17. Jahrhundert. Gustav Adolf hielt sich hier zwei Tage und drei Nächte auf. Er schenkte Tolkemit dem Elbinger Gouverneur Benedikt Oxenstierna, einem Vetter seines Reichskanzlers Axel Oxenstierna, der von Elbing aus das preußische Land verwaltete. Zur Schwedenzeit von 1626-1635 wurde in der Tolkemiter Pfarrkirche evangelischer Gottesdienst abgehalten. Eine Erneuerung und wohl auch Erweiterung der Fischereirechte erhielt Tolkemit 1638. Im Nordischen Krieg kamen zeitweise wieder Schwedentruppen nach Tolkemit. Im Jahre 1720 baute die Mälzenbrauerzunft ein gemeinsames Brauhaus am Marktplatz und der Vertreter des Schutzherrn ein beachtliches Starostenschloß. Beide Bauwerke blieben nicht erhalten.
Als die Stadt 1772 an Preußen gelangte und Friedrich der Große die Provinz Westpreußen schuf, war Tolkemit ein „recht armseliges Städtchen“, bestehend aus 156 Steinhäusern innerhalb und 27, davon 17 mit Stroh gedeckt, außerhalb der Stadt. Damals wurden 973 Einwohner gezählt. Es führte keine Landstraße durch Tolkemit. An der Spitze der Stadt stand ein aus vier Personen gebildeter Magistrat. Die Starostei wurde zu einem Kgl. Domänenamt umgewandelt, das 1805 aufgelöst wurde. Alles drängte nun nach Elbing, das wieder aufblühte. Dennoch entwickelte sich die Stadt im Laufe des 19. Jahrhunderts, wenn auch zunächst langsam. Es war 1772 eine evangelische Gemeinde entstanden, die erst 1887 ihre eigene Kapelle erhielt und zeitweise nach Frauenburg oder Lenzen gehörte. Eine neue Schule wurde bereits 1785 gebaut, 1793 das neue Rathaus, das dann 1945 abbrannte. 1802 wurde die erste Botenpost eingerichtet.
Bei der Einführung der neuen Städteordnung 1809 betrug die Einwohnerzahl 1782, die der Bürger 161, von denen 133 stimmfähig waren. Der Magistrat bestand seitdem aus 6 Mitgliedern und die Gemeindevertretung aus 18. Obwohl der Bau der Ostbahn nach Königsberg in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits an der Haffküste abgesteckt war, blieb Tolkemit dennoch bis zum Bau der Haffuferbahn 1900 ohne Eisenbahnanschluß. Von Bedeutung war der Chausseebau Elbing-Tolkemit 1873.
Endlich wurde in den Jahren 1862-64 der bereits bald nach 1772 geplante Hafen gebaut und schließlich 1884 vollendet. Trotzdem hatten Fischfang und Schiffahrt auch vorher eine Rolle gespielt. Die Tolkemiter galten sogar als kühne Seefahrer. Mit dem Hafen entwickelten sich Schiffahrt und später auch Tourismus. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden im Hafen über 120 Segelschiffe gezählt, und Tolkemit galt als größter Binnensegelschiffshafen Deutschlands.
Am Frischen Haff und im Weichselmündungsgebiet gab es seit altersher Wasserfahrzeuge unterschiedlicher Typen mit der Bezeichnung Lomme. Das waren Schiffe ohne Kiel, sie besaßen lediglich eine im Vorschiff schräg nach oben gebogene Bodenplanke. Die Außenhaut bestand aus starken breiten Planken, die klink miteinander verzimmert waren. Das jüngste Glied in der Entwicklung der Lommenfamilie war die Tolkemiter Frachtlomme mit der Übergangsform zum sogenannten T-Kiel. Sie wurde nach 1840 in Tolkemit unter Berücksichtigung des flachen Strandwassers entwickelt und zum Transport der in den vielen Ziegeleien am Frischen Haff produzierten Ziegeln eingesetzt, zum Sandtransport, zum Steinezangen auf der Ostsee und zum Bergen anderer Schiffe. Es waren ein- und zweimastige, bauchige, viel Ladung aufnehmende Schiffe. Sie galten als Schnellsegler. Eine Königsberger Reederei hatte beispielsweise nach 1920 eine größere Anzahl Tolkemiter Lommen im Einsatz, die die kleinen Ostseehäfen wie Stolpmünde, Kolberg, Rostock, Wismar, aber auch Stettin anliefen, von Rügen Kreide und von Bornholm Steine für Ufer- und Hafenbefestigungen holten.
Seit 1914 wurden keine Lommen mehr gebaut. Die inzwischen angelegten Haffhäfen konnten auch mit Schiffen angelaufen werden, die über einen Kiel verfügten. Bei Kriegsende dürften noch etwa gut 50 Tolkemiter Lommen im Einsatz gewesen sein. Etwa 26 zweimastige und 8 einmastige Lommen sind 1945 im Tolkemiter Hafen zerstört worden: durch die Kämpfe und durch das Eis, das die Bootswände eindrückte, weil es niemand mehr zerhackte. Sechs Tolkemiter Lommen wurden nach Schleswig-Holstein gerettet. Auch sie gibt es nicht mehr.
Außer dem Fischfang, der Schiffahrt und dem Schiffbau gab es u. a. das Böttcherhandwerk und die Töpferei, Ende 1939 wurde eine auf 800 Arbeitsplätzen angelegte Marmeladenfabrik mit zunächst ca. 100 Beschäftigten eröffnet. Die Einwohnerzahl stieg von 3.302 im Jahr 1910 auf 3.942 im Oktober 1943. Fünfzig Jahre nach Kriegsende liegt die Fischerei brach, Schiffbau gibt es nicht, ein wenig Marmelade wird produziert. Die Stadt bildet mit den umliegenden Gemeinden einschließlich Cadinen eine kommunalpolitische Einheit „Stadt und Gemeinde Tolkemit“ mit einem jungen ideenreichen Bürgermeister an der Spitze.
Lit.: Lic. Dr. E. G. Kerstan: Die Geschichte des Landkreises Elbing, Elbing 1925. – Ernst Bahr: Tolkemit. Wirtschaftliches Leben einer kleinen Stadt in sieben Jahrhunderten, in: Westpreußen-Jahrbuch, Band 12, Lübeck 1962. – Ernst Bahr: Tolkemit, in: Handbuch der Historischen Stätten. Ost- und Westpreußen, Stuttgart 1966. – Rudolf Pillukat: Tolkemit erhält Marmeladenfabrik, in: Westpreußen-Jahrbuch, Band 32, Münster 1982. – Siegfried Fornacon/Gerhard Salemke: Lommen und Buxer, Brilon-Gudenhagen 1988.
Foto: Wappen von Tolkmicko / Quelle: Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=902664
Hans-Jürgen Schuch