Ereignis vom 12. September 1296

Verleihung des Kulmer Rechts an Tolkemit

Wappen von Tolkmicko

Die Stadt Tolkemit ist eine Gründung des Deutschen Ordens. Sie liegt unmittelbar am Frischen Haff zwischen Elbing und Frauenburg und gehörte bis 1945 zum westpreußischen Land­kreis Elbing, erhielt danach von der polnischen Verwaltung den Namen Tolkemicko, damals weiter­hin Landkreis Elbing (Elbl¹g), und gehört seit der Gebietsreform 1975 zur gleich­namigen Woiwodschaft.

An dieser Stelle oder in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gab es bereits zur Prußenzeit eine Ansiedlung und eine Burg: die Tolkemita. Der Stadtname ist also prußischen Ursprungs. Wann die Stadt ihre Handfeste erhalten hat, ist nicht nachweis­bar, denn die Gründungsurkunde ging verloren. Sie wurde am 31. März 1351 auf der Marienburg zur Amtszeit des Hoch­meisters Heinrich Dusemer (1345-1351) erneuert. Die eigentli­che Verleihung des Kulmer Stadtrechts erfolgte durch den Ordensritter Ludwig von Schippen, der seit dem 12. März 1296 Komtur von El­bing war und von 1299 bis zum 27. Mai 1300 auf der Elbinger Burg als Landmeister residierte. In wel­cher Eigenschaft er die Stadtrechtsverleihung vornahm, ist unbe­­kannt. Es wird vermutet, daß dies noch 1296 erfolgte. Mit der Handfeste erhielt Tolkemit 100 Hufen Land. Als Gründer der Stadt wird Bernhard von Rotstock genannt. Da sich der Deut­­sche Orden bei der Erneue­rung der Handfeste die Gerichtsbar­keit in der Stadt über alle Prußen, Polen und allerlei Leute wendischer Zunge vorbehielt, „die da Gäste“ sind, müs­sen zu der Zeit viele Fremde in der Stadt gewesen sein.

Die Selbständigkeit der Stadt war zur Ordenszeit nicht allzu groß. Sie hatte nicht das Recht, Gesetze (Willküren) zu erlas­sen, in der Gemarkung Befestigungen anzulegen, und ohne Ge­nehmigung durch den Landesherrn durfte in Tolkemit kein Kloster gebaut werden. Erlaubt war ihr der freie Markt und die Anlage von Krügen in der Stadt. Der Zins vom Kaufhaus, den Brotbänken und ähnlichen Einrichtungen mußte mit dem Deut­schen Orden geteilt werden. Bemerkenswert ist, daß die Stadt keinen Zugang zum Frischen Haff erhielt, von dem sie durch einem 38 Meter breiten Streifen Land getrennt war. Die Er­neuerung der Handfeste 1351 muß für die Stadt und wohl auch für den Deutschen Orden eine erhebliche Bedeutung gehabt haben. Eine größere Anzahl hoher Persönlichkeiten war näm­lich Zeuge dieses Ereignisses wie z. B. der Großkomtur, der Oberstspittler, der Obersttrapier, der Treßler und der Elbinger Komtur.

Die zunächst aus Holz gebaute Pfarrkirche wurde durch einen Steinbau ersetzt und 1376 durch den Bischof von Ermland zu Ehren der Jungfrau Maria und dem Apostel Jakobus ge­weiht. Diese gehörte bereits seit 1344 mit ihrem Grundeigentum und Einkommen dem 1242 ge­gründeten Heilig-Geist-Hospital in Elbing. Erst am Ende der Ordensherrschaft 1457 bzw. 1466 sollte sich dies ändern. Von großer wirtschaftlicher Bedeutung war die Verleihung der Fischgerechtigkeit auf dem Frischen Haff am 25. Mai 1359. Zwar durften die Tolkemiter nur mit kleinem „Gezeuge“ auf Fang fahren, und sie unterstanden der Aufsicht des Fischmeisters der Komturei Elbing, aber dies

dürfte die Geburtsstunde Tolkemits als Fischerstadt gewesen sein. Tolkemit war mit zwei Unterbrechungen auch Sitz des Waldmeisters der Komturei Elbing.

Durch den Hochmeister Winrich von Kniprode (1352-1382) erhielt die Stadt ein eigenes Wap­penbild: Das Siegel zeigt eine Eichenstaude mit drei Blättern. Zweihundert Jahre später wurde es unter Hinzufügung eines über der Eiche freischwe­bendes schwarzen Kreuzes in einen gol­denen Schild gesetzt. In dieser Zeit wurden vermutlich auch die um die Stadt angeleg­ten Palisaden durch eine ordentliche Befestigung ersetzt. Hochmeister Konrad von Ehrlichshausen stellte 1444 auf Bit­ten der Einwohner der Stadt eine neue und wohl erweiterte Handfeste aus.

Wie in Thorn, Elbing und Danzig wurde 1454 auch in Tol­kemit die Ordensburg von den Bür­gern zerstört und die Stadt huldigte am 19. Juni durch ihren Bürgermeister Michael Reichnau dem König von Polen als dem neuen Oberherrn. Zwei Jahre später, im 13jährigen Städtekrieg, überfielen Or­denstruppen Tolkemit, drangen in die Stadt ein, brand­schatzten die Stadt und deportierten 150 Bürger. Nach dem Zweiten Thorner Frieden wurde Tolkemit mit einigen umliegenden Ort­schaften eine Starostei. Tol­kemit kam an den Gubernator Hans von Baisen, fiel aber 1508 an den ermländischen Bischof, der die gesamte Starostei dem Domkapitel von Frauenburg über­schrieb. Es folgten zum Teil sehr unruhige Jahre. Polen be­setzten die Stadt im 16. Jahrhundert und Schweden im 17. Jahrhundert. Gustav Adolf hielt sich hier zwei Tage und drei Nächte auf. Er schenkte Tolkemit dem Elbinger Gouverneur Benedikt Oxenstierna, einem Vetter seines Reichskanzlers Axel Oxen­stierna, der von Elbing aus das preußische Land verwaltete. Zur Schwedenzeit von 1626-1635 wurde in der Tolkemiter Pfarrkirche evangelischer Gottesdienst abgehalten. Eine Erneuerung und wohl auch Erweite­rung der Fischerei­rechte erhielt Tolkemit 1638. Im Nordischen Krieg  kamen zeitweise wieder Schweden­truppen nach Tolkemit. Im Jahre 1720 baute die Mälzenbrauerzunft ein gemeinsames Brauhaus am Marktplatz und der Vertreter des Schutzherrn ein beachtli­ches Starostenschloß. Beide Bauwerke blieben nicht erhalten.

Als die Stadt 1772 an Preußen gelangte und Friedrich der Große die Provinz Westpreußen schuf, war Tolkemit ein „recht armseliges Städtchen“, bestehend aus 156 Stein­häusern inner­halb und 27, davon 17 mit Stroh gedeckt, außerhalb der Stadt. Damals wurden 973 Einwohner gezählt. Es führte keine Land­straße durch Tolkemit. An der Spitze der Stadt stand ein aus vier Personen gebildeter Magistrat. Die Starostei wurde zu einem Kgl. Domänen­amt umgewandelt, das 1805 aufgelöst wurde. Alles drängte nun nach Elbing, das wieder auf­blühte. Dennoch entwickelte sich die Stadt im Laufe des 19. Jahrhun­derts, wenn auch zunächst langsam. Es war 1772 eine evange­lische Gemeinde entstanden, die erst 1887 ihre eigene Kapel­le erhielt und zeitweise nach Frauenburg oder Lenzen gehörte. Eine neue Schule wurde bereits 1785 gebaut, 1793 das neue Rathaus, das dann 1945 abbrannte. 1802 wurde die erste Bo­ten­post eingerich­tet.

Bei der Einführung der neuen Städteordnung 1809 betrug die Einwohnerzahl 1782, die der Bürger 161, von denen 133 stimmfähig waren. Der Magistrat bestand seitdem aus 6 Mit­glie­dern und die Gemeindevertretung aus 18. Obwohl der Bau der Ostbahn nach Königsberg in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits an der Haffküste abgesteckt war, blieb Tolkemit den­noch bis zum Bau der Haffuferbahn 1900 ohne Eisenbahnan­schluß. Von Bedeutung war der Chaussee­bau Elbing-Tolkemit 1873.

Endlich wurde in den Jahren 1862-64 der bereits bald nach 1772 geplante Hafen gebaut und schließlich 1884 vollendet. Trotzdem hatten Fischfang und Schiffahrt auch vorher eine Rolle gespielt. Die Tolkemiter galten sogar als kühne Seefah­rer. Mit dem Hafen entwickelten sich Schiffahrt und später auch Tourismus. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden im Hafen über 120 Segelschiffe gezählt, und Tolkemit galt als größter Binnensegelschiffshafen Deutschlands.

Am Frischen Haff und im Weichselmündungsgebiet gab es seit altersher Wasserfahrzeuge un­terschiedlicher Typen mit der Bezeichnung Lomme. Das waren Schiffe ohne Kiel, sie besa­ßen lediglich eine im Vorschiff schräg nach oben gebogene Bodenplanke. Die Außenhaut bestand aus starken breiten Planken, die klink miteinander verzimmert waren. Das jüngste Glied in der Entwicklung der Lommenfamilie war die Tol­kemiter Frachtlomme mit der Übergangsform zum sogenann­ten T-Kiel. Sie wurde nach 1840 in Tolkemit unter Berück­sichtigung des flachen Strandwassers entwickelt und zum Transport der in den vielen Ziegeleien am Frischen Haff pro­duzierten Ziegeln eingesetzt, zum Sandtransport, zum Steine­zangen auf der Ostsee und zum Bergen anderer Schiffe. Es waren ein- und zweimastige, bauchige, viel Ladung aufneh­mende Schiffe. Sie galten als Schnellsegler. Eine Königsberger Reederei hatte beispielsweise nach 1920 eine größere Anzahl Tolkemiter Lommen im Einsatz, die die kleinen Ostseehäfen wie Stolp­münde, Kolberg, Rostock, Wismar, aber auch Stettin anliefen, von Rügen Kreide und von Bornholm Steine für Ufer- und Hafenbefestigungen holten.

Seit 1914 wurden keine Lommen mehr gebaut. Die inzwischen angelegten Haffhäfen konnten auch mit Schiffen angelaufen werden, die über einen Kiel verfügten. Bei Kriegsende dürften noch etwa gut 50 Tolkemiter Lommen im Einsatz gewesen sein. Etwa 26 zweimastige und 8 einmastige Lommen sind 1945 im Tolkemiter Hafen zerstört worden: durch die Kämpfe und durch das Eis, das die Bootswände eindrückte, weil es niemand mehr zerhackte. Sechs Tol­kemiter Lommen wurden nach Schleswig-Holstein gerettet. Auch sie gibt es nicht mehr.

Außer dem Fischfang, der Schiffahrt und dem Schiffbau gab es u. a. das Böttcherhandwerk und die Töpferei, Ende 1939 wurde eine auf 800 Arbeitsplätzen angelegte Marmeladenfabrik mit zunächst ca. 100 Beschäftigten eröffnet. Die Einwohnerzahl stieg von 3.302  im Jahr 1910 auf 3.942 im Oktober 1943. Fünfzig Jahre nach Kriegsende liegt die Fi­scherei brach, Schiffbau gibt es nicht, ein wenig Marmelade wird produziert. Die Stadt bildet mit den umliegenden Ge­meinden einschließ­lich Cadinen eine kommunalpolitische Einheit „Stadt und Ge­meinde Tol­kemit“ mit einem jungen ideenreichen Bürgermei­ster an der Spitze.

Lit.:  Lic. Dr. E. G. Kerstan: Die Geschichte des Landkreises Elbing, Elbing 1925. – Ernst Bahr: Tolkemit. Wirtschaftliches Leben einer kleinen Stadt in sieben Jahrhunderten, in: West­preußen-Jahrbuch, Band 12, Lübeck 1962. – Ernst Bahr: Tolkemit, in: Handbuch der Hi­stori­schen Stätten. Ost- und Westpreußen, Stuttgart 1966. – Rudolf Pillukat: Tolkemit erhält Marmeladenfabrik, in: Westpreußen-Jahr­buch, Band 32, Münster 1982. – Siegfried For­nacon/Gerhard Sa­lemke: Lommen und Buxer, Brilon-Gudenhagen 1988.

Foto: Wappen von Tolkmicko / Quelle: Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=902664

Hans-Jürgen Schuch