Ereignis vom 1. Januar 1221

Vertrag von Tribsees


Altes Wappen von Tribsees bis 2000

Nach der Völkerwanderung war auch im südlichen Ostseeraum die Besiedlung stark zurückgegangen. Dieser Zustand hielt bis et­wa in das 6. bis 8. Jahrhundert an. In dieser Zeit begannen von Osten her Slaven einzuwan­dern. Neben dörflichen Sied­lungen entstanden auch einige stadtähnliche Handelsplätze. Für das spätere Pommern sind zum Beispiel Stettin, Wollin und Kol­berg zu erwähnen. Sie sind archäologisch gut belegt und tauchen auch in den schriftlichen Quellen auf. Außerhalb solcher Zentren hatten die Slaven häufig kleine, weilerartige Wohnplätze. Die Felder bearbeiteten sie mit einfachen Acker­geräten extensiv. Sie mußten Abgaben und Dienste an Grundherren und an den Landesherrn entrichten.

Im 12. Jahrhundert war das Land durch zahlreiche kriegerische Auseinander­setzungen verwüstet und entvölkert worden. Polnische, dänische und deut­sche Herrscher versuchten, den südli­chen Ostseeraum unter ihre Kontrolle zu bringen. Das Bestreben der slavischen Fürsten, größeren Nutzen aus ihrem Land zu ziehen und es besser zu schützen, löste am Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts eine umfangreiche Siedlungs­bewegung in dieser Region aus. Die slavischen Landesherren erteilten die Erlaubnis zur Ansiedlung von Dä­nen, Deut­schen, Slaven, „Leute(n) ganz gleich welchen Volkes und welcher Handfer­tigkeit“ (Pommersches Urkundenbuch, Bd. 1 Nr. 62). Im Fürsten­tum Rügen und im Herzogtum Pommern ließen sich vor allem Deut­sche nieder, die überwiegend aus Gebieten westlich der Elbe kamen. Es wa­ren, wenn­gleich an Zahl we­sentlich geringer, auch Dänen und Slaven unter den Neu­sied­lern.

Die Siedler nahmen ein erhebliches Risiko auf sich, wenn sie über Hunderte von Kilometern mit Familie, Vieh und Hausrat in ein unbekanntes Land zogen, um dort zu siedeln. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die Landesherren ihnen Bedingun­gen anboten, die besser, zumin­dest aber ebenso gut waren wie ihre herkömmlichen. Das bedeutete aber zumeist, daß die den Siedlern eingeräumten Freiheiten umfangreicher waren, als sie die ansässige Bevölkerung genoß. Eine ethnische Umwandlung des Siedlungsraumes wurde dabei weder von den Landesherren noch von den Siedlern beabsichtigt. Sie ergab sich für den größten Teil Pommerns und Rü­gens allerdings später zwangsläufig.

Erste Spuren von Siedlern sind in den schriftlichen Quellen gegen Ende des 12. Jahrhunderts zu finden. So gehörte zum Besitz des Klosters Kolbatz eine „villa teutonicorum“, ein Dorf der Deutschen. 1178 wurde in Stettin von „multus populus teutonicorum“, von vielen Deutschen berichtet. Es handelte sich hier sicher um eine Handelsniederlassung. Ein zahlenmäßig bedeutender Zustrom von Siedlern zeigte sich erst in den ersten Jahr­zehnten des 13. Jah­hunderts. Er machte sich, geo­graphisch bedingt, zu­nächst im westlich des Herzogtums Pommern gelegenen Fürstentum Rügen bemerkbar.

Das Abkommen, das der Rügenfürst Wizlaw I. mit dem Schweriner Bischof Brunward am 24. November 1221 schloß, kennzeichnete am Beispiel des Landes Tribsees bereits einen gewissen Stand der Besiedlung und ist daher historisch bedeut­sam. Es war notwendig geworden, die Interessen des slavi­schen Landesher­rn einerseits und der deutschen Siedler ande­rerseits gegeneinander abzu­grenzen und zu wahren. Gleichzeitig mußten praktikable Lösungen für eine effektive Verwaltung des neu besiedelten Raumes gefunden werden. Dieses Schriftstück, das in Tribsees unterzeichnet wurde, ist vor allem auch deshalb interessant, weil es über praktische Maßnahmen in­formiert, die bei einer Besiedlung notwendig waren.

Zunächst einigte man sich in diesem Vertrag über die Ge­richtsbarkeit, die bis zum Eintreffen der deutschen Siedler aus­schließlich dem Landesherrn bzw. seinem Vertreter oblag, und über die Verteilung des Zehnten. Danach sollte in ei­nem 12 Hufen großen Dorf, das Wizlaw dem Schweriner Bischof schenkte, nur dieser die Gerichtsbarkeit über die schon ansässigen Siedler ausüben dür­fen. Das schloß die Einziehung der Sühnegelder ein. Für weitere Siedler teil­ten der Fürst und der Bischof die Gerichtsgelder auf, so daß der Bischof zwei Drittel und Wizlaw ein Drittel davon bekamen. Dafür übertrug der Bischof dem Landesherrn den vollen Zehnten von 120 Hufen nach dem Lehnsrecht. Vom Rest des Landes Tribsees sollte, so wurde vereinbart, der Bischof in jedem Dorf den Schulzen mit dem Zehnten von einer Hufe belehnen. Die Einnahmen von den restlichen Hufen teilten sich der Bischof und der Rügen­fürst zu gleichen Teilen. Weiterhin wurde festgehalten, wie die Einkünfte von neuangelegten Dör­fern zu verteilen waren. Der Landesherr sollte zwei Drittel und der Bischof ein Drittel des anfallenden Zehnten erhal­ten.

Aus dem Vertrag geht hervor, daß der Fürst und der Bischof höchstpersön­lich mit einem Seil das Land vermaßen und den Siedlern zuteilten. Hier tauchte auch das neue Flächenmaß, die „Hufe“, auf. Es wird gesagt, daß die Siedler zunächst die Bäume fällen und das Gestrüpp ausreißen müßten, bevor sie das Land unter den Pflug nehmen konnten. Eine mit den da­maligen noch recht einfachen Geräten mühsame und kräftezeh­rende Tätigkeit. Interessant ist auch der Hinweis, daß die Deut­schen nicht nur das von ihnen selbst urbar gemachte Land bebauen sollten, sondern auch solche Äcker, die vor ih­rer An­kunft von den Slaven bewirtschaftet worden waren. Es ist von Slaven die Rede, die vor den Deutschen „gewichen“ sind. Sie hatten ein Drittel des Zehnten an den Landesherrn und zwei Drittel an den Bischof zu entrichten. Es ist kaum anzunehmen, daß dieses Ausweichen vor den deutschen Siedlern ohne Konflikte vonstatten gegangen ist. Restriktive Maßnahmen gegen die slavische Bevölkerung kamen zum Teil vom eigenen Lan­des­herrn, der in ei­ner anderen Urkunde festlegte, wieviel Slaven in einem neu anzulegenden Dorf höchstens wohnen durften. (Pom­mersches Urkundenbuch, Band 2, Nr. 957). Ganz in die­sem Sinne einigten sich Fürst und Bischof an anderer Stelle des Ver­trages darauf, daß im „Unglücksfall“ der Vertrei­bung der Neu­siedler durch die slavischen Bewohner letztere, wie vor­dem, die Bischofsabgabe oder die „biscopounizha“,  wie sie auch genannt wurde, nur dem Bischof zu ent­richten hätten. Im Ver­­trag ist auch von einem Zusammenleben von Slaven und neuen Siedlern die Rede. Dabei ist nicht sicher, ob damit eine gemischte Sied­lung oder nur eine sehr enge Nach­barschaft zwi­­schen zwei getrennten Sied­lungen ge­meint war. Von ihnen ging der gesamte Zehnt an den Schweriner Bischof.

Von den 16 namentlich aufgeführten Personen, die diesen Ver­trag als Zeugen bestätigten, waren, soweit das am Namen zu erkennen ist, 13 Deutsche und nur 3 Slaven.

Die deutsche Siedlungsbewegung erstreckte sich in den näch­sten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts auch weit nach Pom­mern hinein. Aus den zahlreichen Urkunden, die das belegen, geht hervor, daß die damals noch slavischen Landesherren die Ansiedlung nicht dem Selbstlauf überließen. Es sind regel­rechte „Siedlungsunternehmer“ erkennbar. Häufig wurden die Dör­fer nach diesen Lokatoren benannt. Im nördlichen Vor­pom­mern und in der hinter­pommerschen Küstenregion findet man die an einer Straße angeordneten Hagenhufendörfer. Meist aber wurden sogenannte Angerdörfer angelegt. Dörfer, deren Häuser rings um einen Anger errichtet wurden.

Die Besiedlung des Landes wurde nicht nur von den Landes­herren betrieben, sondern auch von der Kirche, den Klöstern und einzelnen Grundherren. In Pommern erreichte die  Sied­lungstä­tigkeit unter Herzog Barnim I. einen  Höhepunkt. In seiner Regierungszeit wurden besonders viele Städte nach deut­schem Recht gegründet. Ähnlich aufschlußreich wie der beschrie­bene Vertrag zwischen dem Rügenfürsten und dem Schwe­riner Bi­schof ist die Urkunde, die Barnim I. über die Gründung der damals zu seinem Herr­schaftsbereich gehören­den Stadt Prenzlau am 27. Dezember 1234 aus­stellte. (Pom­mer­sches Urkundenbuch, Band I, Nr. 308). Hierin kom­men die Motive des Pommernherzogs deutlich zum Ausdruck. Er ver­sprach sich von der Gründung deutschrechtlicher Sied­lungen „Nut­zen und Vorteil“. Aus der Zeugenliste dieser Ur­kunde geht hervor, daß bereits 1234 herzogliche Hof­ämter von Deutschen besetzt waren. Von da an war es nur noch ein Schritt, daß den Neusiedlern auch in den Städten die „Rechtsprechung“ übertragen wurde. Barnim beurkundete dies für Stettin im Jahre 1237 (Pommersches Urkundenbuch, Band I, Nr. 348).

Die Siedlungstätigkeit in Pommern verlief nicht immer gleich­mä­ßig. Sie war von Hindernissen und auch Rückschlä­gen gekenn­zeichnet. Jedoch ver­schmolzen die Neusiedler und die einhei­mischen Slaven in den weiteren Jahrzehnten und Jahr­hunderten mehr und mehr zum deutschen Neustamm der Pommern.

Lit.: Herbert Helbig/Lorenz Weinrich: Urkunden und erzählende Quellen zur deutschen Ostsiedlung im Mittelalter. Darmstadt 1968. – Klaus Conrad: Her­zogliche Städtegründungen auf geistlichem Boden, in: Pommern und Mecklenburg (Hrsg. Roderich Schmidt), Köln 1981. – Ders: Urkundliche Grundlagen einer Siedlungsgeschichte Pom­merns bis 1250, in: ZfO Jg. 31 (1982), H. 3, S. 33 ff.

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Henning Rischer