Ereignis vom 1. Januar 1218

Wallfahrt zum „Schlesischen Jerusalem“ In Albendorf/ Grafschaft Glatz

Blick auf Wambierzyce und seine Basilika

„Im Ort Albendorf, in der Prager Erzdiözese, steht ein Gotteshaus von gewaltiger Größe, wuchtig in seiner Bauart mit prächtigen Kunstwerken, mit Türmen, Kuppeln und vielen Kapellen, geschmückt mit Gemälden und herrlichster Ausstattung, Gott geweiht zu Ehren der heiligen Jungfrau Maria. Dieses Marienheiligtum von Albendorf liegt nahe der Grenze von Böhmen in der Grafschaft Glatz, gleichwie ein Bollwerk des katholischen Glaubens; viele haben es in frommer Pilgerfahrt besucht und besuchen es noch heute, Christgläubige jeden Standes, schlichte Leute des Volkes ebenso wie vornehme, aus den Nachbarländern Böhmen, Mähren, Schlesien, aber auch aus Polen, Sachsen, Preußen, Österreich und Ungarn. Sie beten vor dem Bilde der wundertätigen Jungfrau und Gottesmutter, das seit alter Zeit an dem heiligen Orte aufbewahrt wird.“

Mit diesen Worten beginnt ein Breve von Papst Pius XI., mit dem 1936 die Wallfahrtskirche in Albendorf in der Grafschaft Glatz den Titel einer Basilika minor erhielt. Zehn Jahre später mussten die Bewohner des Wallfahrtsortes mit ihrem Pfarrer Klein ihre Heimat verlassen, weil sie Deutsche waren. Nationale Zwietracht und Egoismus der Völker machten auch vor Heiligtümern nicht halt: Ein trauriges Kapitel gerade in den deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neisse, aber auch im Sudetenland und im Südosten Europas. Heuer begeht Albendorf die 800-Jahrfeier als Wallfahrtsort.

Heute heißt dieses Albendorf offiziell Wambierzyce, aber den Katholiken aus der alten Grafschaft Glatz und darüber hinaus vielen Wallfahrern der Nachbargebiete Schlesiens und des Sudetenlandes blieb Albendorf als schlesisches Jerusalem bis heute ein Begriff. Ja, wegen ihrer jahrhundertelangen Zugehörigkeit zur Erzdiözese Prag, auch nach dem Jahre 1742, als Friedrich II. Schlesien Maria Theresia raubte, hatten die Glatzer bis 2015 in der Vertreibung in der Bundesrepublik Deutschland eine eigene kirchliche Jurisdiktion mit einem Visitator, als letzten den Großdechanten Franz Jung.

In seinem großen Buch Des Österreichers Wallfahrtsorte schreibt Alfred Hoppe von „Ständigen Devotionalienhändlern: 12 Geschäftsläden, 42 Bu­den, zwei Grossisten: Es gab elf Gasthäuser, etwa 20 Kaffee­schänken und Unterkunft für 9000 Personen. 48 Prozent der Wall­fahrer waren Deutsche und 52 Slawen, und zwar Tschechen, Slowaken und Polen.“

Der Ort Albendorf liegt am Fuße der Heuscheuer, einem Gebirgszug aus Quadersandstein, dessen stark zerklüftete Formationen auf der 1867 bis 1870 gebauten Heuscheuerstraße überquert werden. Als „Jerusalem in deutschen Landen“ war dieses Albendorf berühmt. In einer Linde ließ ein adliger Grundherr auf Grund einer Erscheinung bereits im 12. Jahrhundert ein kleines Marienbild, aus Zedernholz geschnitzt, aufstellen. Im Jahre 1218 soll ein Blinder namens Jan hier wieder sehend geworden sein. Unter dem böhmischen König Ottokar wurde dann das heutige Albendorf von ins Land gerufenen deutschen Siedlern gegründet. Es entstand 1263 die erste Kirche, genannt der Engelbau, weil nach einer alten Legende Engel beim Bau geholfen hat­ten. Während der Hussitenzeit litt auch die Gegend um Glatz, aber trotzdem nahm die Zahl der Wallfahrer zu. Realistisch beschreibt ein Chronist die Menge der damaligen Pilger: „Sie war an manchen Tagen so groß, dass 18 Fass Bier nicht ausreichten, um sie zu versorgen.“

Da die hölzerne Engelkirche im Laufe der Zeit zu klein wurde, ließ ein Edler von Pannwitz 1512 eine neue Kirche errichten. Die entscheidende Blütezeit aber begann im 17. Jahrhundert, als die Ritter von Osterberg Albendorf übernahmen. Einem von ihnen, Daniel Paschasius von Osterberg, fiel auf, dass Albendorf inmitten der Berge ähnlich lag wie Jerusalem. In den Jahren 1683 bis 1699 führte er seine Idee aus, ein schlesisches Jerusalem zu errichten, mit einem Kalvarienberg und zahlreichen Kapellen, einem Heiligen Grab und verschiedenen Leidensdarstellungen, aber auch Szenen aus dem Leben Jesu wie der Hochzeit von Kana u.a. Eine gewaltige dreischiffige Kirche, die ein italienischer Baumeister aus Prag entwarf, stellte den Tempel zu Jerusalem dar. Durch eines von zwölf Toren kam man in die „Heilige Stadt“. Daniel Paschasius von Osterberg starb 1711. Cosmas Flam schrieb über ihn seinen Roman Daniel Paschasius von Osterberg. Nach dem Tode Osterbergs verfiel seine Anlage, sogar die Kirche. Doch ein Graf Götz wurde zum Erneuerer der Gnadenstätte. Über eine mächtige Freitreppe gelangt man seitdem zur Basilika mit ihrer 54 Meter breiten gegliederten Fassade. Es sind 33 Stufen, entsprechend den Lebensjahren Jesu Christi. Vorhöfe und Ambiten umgeben die Kirche. Die Dreiteilung der Kirche in Vorhof, Heiliges und Allerheiligstes erinnert an das Jerusalemer Tempelvorbild mit dem Vorhof der Heiden, dem Vorhof der Gläubigen und dem Allerheiligsten. Das „Allerheiligste“ ist die Gnadenkapelle mit dem hölzernen Gnadenbild: Maria trägt das Jesuskind auf dem rechten Arm, in der linken Hand trägt sie eine Art Reichsapfel oder Weltkugel.

Die Basilika zeigt auf sechs Nebenaltären den hl. Johannes Nepomuk, die Heiligen Valentin, Johannes Sarkander, Franz Xaver, Karl Borromäus und heilige Frauen wie Appolonia, Odilia und Hedwig.

Um das Hauptschiff der Basilika führt ein Kreuzgang, den die Polen als Lehnwort „Kruźgank“ kennen. Zwölf Seitennischen bzw. Kapellen stellen das Leben Jesu dar, angefangen von seiner Menschwerdung bei der Verkündigung des Engels, den Besuch Marias bei Elisabeth, seine Geburt, Beschneidung, den Besuch der drei Weisen, die Flucht nach Ägypten und weitere Stationen bis zur Taufe. Der Kreuzgang informiert auch über die Geschichte der Wallfahrt, angefangen von der Heilung des Jan 1218 und birgt Darstellungen des Grabes Marias und der Grotten des hl. Hieronimus, der hl. Rosalia und der hl. Maria Magdalena.

Aber nicht nur diese Kirche sollte nach dem Willen des Erbauers die Pilger anziehen. In über 100 weiteren Kapellen und Monumenten im Ort, auf dem Ölberg und Kalvarienberg lernten die Gläubigen das Leben und Leiden Jesu kennen. Man bräuchte Tage, um alles zu sehen, was in Albendorf geboten wird: Da gibt es Darstellungen, die dem Pilger eine Vorstellung von Galiläa, Jerusalem und Bethanien geben wollen. Es gibt die Berge Sion, Kalvaria und Tabor, den Ölberg und den Berg der Versuchung, aber etwas außerhalb auch den Berg Sinai, wo nicht nur Moses dargestellt ist, sondern auch das Grab der hl. Katharina und ein Turm der hl. Barbara. Meistens erkennt der bibelfeste Pilger an den Szenen mit oft lebensgroßen Figuren das Dargestellte, auf das aber auch Inschriften hinweisen wie „Cedrontal“ oder Hinweise auf Tore Jerusalems, auf das Tal Josaphat oder die Häuser und Paläste von Annas, Kaiphas und Herodes. Der Kreuzweg auf dem Kalvarienberg hat außer den üblichen vierzehn Stationen noch Darstellungen aus apokryphen und legendären Überlieferungen.

Bis zu 100.000 Wallfahrer kamen Jahr für Jahr bis zum Zweiten Weltkrieg hierher. Sie sangen das alte Lied, das Daniel Paschasius von Osterberg geschaffen hatte:

„Freu dich, du Albendorfische Jungfrau,
Freu dich, auf deiner auserwählten Au!
Freu dich, du gnadenreiche Königin,
Freu dich, du reine Gottesgebärerin!
Steh uns bei in unserer Not!
Durch Jesu Christi Namen
Bitt’ Gott für uns in dem Tod
Unseres Absterbens! Amen“

Seit 1946 war das deutsche Lied im Glatzer Land verklungen. 161.000 Grafschafter wurden vertrieben. Eine Welt ging zu Ende, von der es in der Zwischenkriegszeit noch hieß: „Wer Grafschafter Volksleben und seine religiösen Vorstellungen begreifen will, der gehe nach Albendorf. Dort wird er sehen, dass die Grafschafter ein altes und im Grunde ihres Herzens immer noch ein frommes, gläubiges und treukatholisches Gebirgsvolk sind.“

Das galt von der ganzen Grafschaft Glatz, denn als der tschechische Kapitelsvikar Theophil Opatrný 1946 bei Papst Pius XII. in Rom energisch protestierte, dass der polnische Primas Kardinal Augustin Hlond der Erzdiözese Prag die Grafschaft geraubt habe, nannte er die Grafschaft die „Perle der Erzdiözese“ mit den besten Katholiken des Erzbistums Prag.

Aber auch unter polnischer Herrschaft ist der Wallfahrtsstrom nach Wambierzyce nicht versiegt. Die Aufschriften sind zwar polnisch geworden, aber manche alte deutsche Votivtafel blieb erhalten. Das Ave-Maria ist nicht verstummt. Die marianische Frömmigkeit der Polen hat Albendorf als Pilgerziel weiter bestehen lassen. Polnische Franziskaner betreuen heute das Heiligtum. Seit 1972 wurde es renoviert. Am 17. August 1980 ließ der große Marienverehrer Kardinal Wyszynski das Gnadenbild feierlich krönen. Mehr als 50 Bischöfe waren anwesend, darunter Bischof Lettmann aus Münster und Kardinal Tomašek aus Prag. 150.000 Gläubige hatten sich versammelt. Der polnische Papst verlieh der Albendorfer Muttergottes den Ehrentitel „Königin der Familien“.

Nach der Wende und dem Ende der kommunistischen Herrschaft fand auch die deutsche Tradition wieder Eingang in Albendorf. Seit 2002 werden dort Jahr für Jahr Symposien über den in Albendorf geborenen deutschen Lehrer, Kirchenmusiker und Komponisten Ignaz Reimann abgehalten. Bei diesen Ignaz-Reimann-Festivals wird seine Musik von Chören aus Polen, Tschechien und Deutschland aufgeführt.

Albendorf ist nicht der einzige Marienwallfahrtsort in der Grafschaft Glatz, die zu Recht den Beinamen führte: Marienland. Als 1690 der Jesuit Johannes Miller seine Kurze Beschreibung von dem uralten wundertätigen Marienbild zu Glatz veröffentlichte, zählte er in diesem Buch alle damals noch vorhandenen Marienbilder der Grafschaft auf. Pater Miller berichtet darin auch, dass bei den Plünderungszügen der Hussiten viele Marienbilder verbrannt wurden, ja dass sie alle Marienbilder und geschnitzten Statuen, die sie erreichen konnten, auf einem Haufen zusammentrugen, den sie anzündeten und darauf den Dominikanerprior verbrannten. Damals blieben nur wenige alte Madonnenbilder erhalten, von denen es im 14. Jahrhundert unzählige gab, als Ernst von Pardubitz, auch bekannt als seliger Arnestus, unter Kaiser Karl IV. erster Erzbischof von Prag war. Sein Vater war böhmischer Burgkastellan in Glatz, wo Ernst seine Jugend verbrachte und die Schule der Johanniter besuchte. Auf dem Hochaltar der Ordenskirche stand eine Statue der Gottesmutter mit dem Kind auf dem Arm, vor der Ernst eine Vision hatte, die er erst spät zu Papier brachte, „geschrieben durch mich der Heiligen Prager-Kirche unwürdigen Erz-Bischof durch meine sündhaftigen Hände“. Als Arnestus-Vision und als Arnestus-Prophezeiung ist dieses Geschehen bekannt geblieben.

Ernst hat diese Vision nie vergessen. Er hatte stets eine Kopie jener Muttergottesfigur bei sich und schenkte Abbilder der Statue an verschiedene Kirchen, er wird sogar als Begründer der innigen Marienverehrung in Glatz und Böhmen genannt. Berühmte Madonnen der Grafschaft sind neben der Albendorfischen Jungfrau das Hochaltarbild der Dekanatskirche in Glatz, die Altwilmsdorfer „Schmerzhafte Muttergottes“ und die Mittelwalder „Schwarze Madonna“. Der berühmte Wiener Prediger Abraham a Santa Clara kannte den Wallfahrtsort Altwilmsdorf (Stary Wieslislaw): „… allwo Du wundertätig Deine Gnaden ausspendierst, Altwilmsdorf-Maria! Dort bist Du das Heil der Kranken!“ Wenn auch Altwilmsdorf nicht das Ansehen anderer Wallfahrtsorte der Grafschaft hatte, so trägt es dennoch den Titel Internationales Heiligtum der Gottesmutter der Schmerzen, den Papst Johannes Paul II. dem Ort im Jahre 2001 verlieh.

Die gekrönte Schwarze Madonna von Mittelwalde ist ein Geschenk des Papstes Innozenz XI. an den polnischen König Jan III. Sobieski als Dank für dessen Hilfe bei der Rettung Wiens 1683 vor den Türken. Neben Mittelwalde (Międzylesie), Altwilmsdorf und Albendorf ist auch Maria Schnee zu nennen. Diese Wallfahrtskirche liegt bei Wölfelsdorf (Wilkanów). Das Gnadenbild ist eine Nachbildung des Bildes von Mariazell, das ein Bürger von einer Wallfahrt aus Mariazell mitbrachte. Es wurde Mittelpunkt einer Wallfahrt, als der Preußenkönig Friedrich II. die Wallfahrt nach Mariazell durch seine Raubkriege gegen Österreich erschwerte.

Auch viele Mariensäulen sprechen für die Marienverehrung der Grafschafter. Als 1676 eine schwere Feuergefahr Glatz verschonte, gelobte die Bürgerschaft bereits die Errichtung einer Mariensäule. Aber vor ihrer Fertigstellung bedrohte die Pest die Stadt, nach deren Ende die Mariensäule nach dem Vorbild der Mariensäule auf dem Prager Altstädter Ring fertiggestellt wurde. Die deutsche Inschrift ist erhalten geblieben, wo es unter anderem heißt:

„Drumb soll der hohe Ehrentritt
Maria stets bezeigen
Wie Gott durch seiner Mutter bitt
Sein
Herz auf Glatz ließ neigen.“

Die Bewohner der Grafschaft haben das nie vergessen. Die Glatzer Katholiken waren nicht nur nach dem Zeugnis des Prager Kapitelvikars die Perle der Erzdiözese Prag, sondern stellten der Kirche auch nach der Vertreibung bis heute viele Priester und Ordensleute.

Lit.: Albendorfisch-Marianischer Gnadenthron, 2 Bände 1696 und 1735. – Alfred Hoppe, Des Österreichers Wallfahrtsorte, Wien 1913. S. 261-272. – Aegidius Müller, Das heilige Deutschland. Geschichte und Beschreibung sämtlicher im deutschen Reiche bestehender Wallfahrtsorte, 3. Auflage, Köln 1888. – Georg Ott, Marianum, Legende von dem lieben heiligen und gottseligen Dienen Unserer Lieben Frau und den berühmten Gnadenorten der hohen Himmelskönigin, Regensburg/ New York/ Cincinnati 1877. – Christian Schreiber, Wallfahrten durchs deutsche Land. Eine Pilgerfahrt zu Deutschlands Stätten, Berlin, 1822. – P.E. Zimmer, Albendorf, Albendorf 1893, gekürzte Ausgabe 1908.

Bild: Blick auf Wambierzyce und seine Basilika / Quelle: Von Jacek Halicki – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=72202963

Rudolf Grulich (OGT 2018, 254)