Biographie

Eichendorff, Joseph Karl Benedikt Freiherr von

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Dichter
* 10. März 1788 in Lubowitz/Schlesien
† 26. November 1857 in Neisse/Schlesien

Joseph Karl Benedikt von Eichendorff wird am 10. März 1788 auf dem oberschlesischen Landsitz Lubowitz, etwa 10 km nördlich der Oderstadt Ratibor, die damals zu Preußen gehörte, geboren. Die Eltern des Dichters, Freiherr Adolf Theodor Rudolf von Eichendorff (1756-1818), seines Zeichens preußischer Offizier und Gutsherr, und seine Frau Karoline geb. von Kloch (1766-1822) hatten 1785 das im klassizistischen Stil erbaute Schloss samt Gutsbesitz von Karolines Vater gekauft. Hier wuchs Joseph zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Wilhelm (1786-1849) und seiner sechs Jahre jüngeren Schwester Louise Antonie (1804-1883) auf.

Auch wenn Joseph von Eichendorffs Kinder- und Jugendjahre am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert im Zeichen der Französischen Revolution von 1789 und der sich anschließenden Napoleonischen Eroberungskriege standen, erlebte er diese Phase seines Lebens als eine unbeschwerte und glückliche Zeit, nach der er sich zeitlebens zurücksehnte. Von 1793 bis 1801 wurden die beiden Brüder von einem gerade zum Priester geweihten Hofmeister auf Schloss Lubowitz unterrichtet. In seinem 1798 begonnenen Tagebuch berichtet Eichendorff über das tägliche Leben auf dem Lande wie von ausgedehnteren Reisen, etwa über Dresden nach Karlsbad 1799. Aber auch seine Lektüreerlebnisse verzeichnete Eichendorff, wobei er Abenteuer‑, Ritter- und Schelmenromane ebenso schätzte wie antike Sagen und aktuelle Kinderbücher, die er in einer Leihbücherei in Ratibor fand.

Von 1801 bis 1804 besuchten die Brüder Eichendorff das katholische Matthias-Gymnasium in Breslau, wo sie im angegliederten St.‑Josephs‑Konvikt wohnten. Dort blieben sie auch, als sie auf die angeschlossene Breslauer Universität wechselten, wo Joseph im folgenden Jahr (1805) die „Philosophische Promotion“, einen ersten Studienabschluss, erwarb, während Wilhelm die höhere Stufe des „Licentiaten“ erreichte. Schulzeugnisse bescheinigen Joseph von Eichendorff auch die gute Beherrschung der polnischen Sprache (später wird er polnische Märchen sammeln).

Eichendorff begann etwa um 1800, Gedichte zu schreiben; das erste, 1803 in den Schlesischen Provinzblättern veröffentlichte, zusammen mit seinem Bruder verfasste Gedicht dokumentiert eine wenig romantische Seite der Wirklichkeit, mit der zur damaligen Zeit jede Familie meistens mehrmals konfrontiert wurde und was schon im Titel anklingt Am frühen Grabe unseres Bruders Gustav (der mit sechs Jahren gestorben war). In Breslau nahm Eichendorff intensiv am kulturellen Leben teil, wobei besonders seine häufigen Theaterbesuche auffallen; er sah Stücke von August Wilhelm Iffland (1759-1814) oder August von Kotzebue (1761-1819), Dramen von Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) und Friedrich Schiller (1759-1805). Und im konvikteigenen Theater scheint Eichendorff selbst als Schauspieler brilliert zu haben, und zwar bevorzugt in Frauenrollen und Frauenkleidern, wobei dieser ‚Geschlechtertausch‘ als Zeugnis pubertärer Sinnlichkeit und erotischen Begehrens verstanden werden kann. Dafür, dass sich dieser ‚Perspektivenwechsel‘ auch in der Realität und von dort in lyrischen Ergüssen niedergeschlagen hat, zeugen mehrere Gedichte, etwa ein Liebe betiteltes, für das vermutlich eine Breslauer Schauspielerin als Muse gedient hat.

Eichendorff studierte seit 1805 in Halle und, nachdem Napoleon die Stadt besetzt und die Universität geschlossen hatte, ab 1807 in Heidelberg Jura. In diesem, für seine schriftstellerische Entwicklung bedeutsamen Jahre freundete sich Eichendorff mit dem Grafen Otto Heinrich von Loeben (1786-1825) an, der sich als Dichter Isidorus Orientalis nannte und seinerseits seinem Vorbild Novalis (1772-1801) nacheiferte. Loeben gewann zunächst großen Einfluss auf Eichendorff und dessen frühes Werk; während er sich später von Loeben und seinen novalisierenden bzw. schwärmerischen Dichtungen distanzierte.

In Halle und Heidelberg nahmen die beiden Brüder am studentischen und gesellschaftlichen Leben teil und wurden in die eine oder andere Liaison verwickelt, wovon sowohl Tagebucheinträge als auch mehrere Gedichte Zeugnis ablegen. In einem wenige Jahre später verfassten Gedicht, Es waren zwei junge Grafen (1810), kommt ebenso die Stimmung dieser Zeit zum Ausdruck wie der spürbare Einfluss der LiedersammlungDes Knaben Wunderhorn (1806/08), deren Herausgeber Achim von Arnim (1781-1831) und Clemens von Brentano (1778-1842) in Heidelberg lebten. Durch mehrere Vertonungen wurde vor allem Eichendorffs um Liebe und Liebesleid, um Treueschwüre und Treuebruch kreisendes Gedicht Das zerbrochene Ringlein mit seinen ersten beiden Verszeilen„In einem kühlen Grunde / Da geht ein Mühlenrad“ weltberühmt.

1809 wechselte Eichendorff an die von Wilhelm von Humboldt (1767-1835) neu gegründete Universität Berlin, wo er Vorlesungen bei dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) und dem romantischen Staatstheoretiker Adam Müller (1779-1829) hörte; außerdem hatte Eichendorff Umgang mit den verehrten Achim von Arnim und Clemens Brentano sowie mit E.T.A. Hoffmann (1776-1822) und Heinrich von Kleist (1777-1811). Ab 1810 studierte Eichendorff – noch immer mit seinem Bruder Wilhelm – in Wien, wo er im Kreis um Theodor Körner (1791-1813), Friedrich Schlegel (1772-1829) und seiner Frau Dorothea (1764-1839) verkehrte. In Wien schlossen die Brüder Eichendorff ihr Studium der Rechte 1812 ab.

In den Jahren 1810 bis 1812 entstand Eichendorffs erster, mit vielen autobiographischen Zügen versehener Roman Ahnung und Gegenwart. Anregungen erfuhr Eichendorff vor allem durch Dorothea Schlegel, von der wohl auch der Romantitel stammt. Während die bis dato in mehreren Zeitschriften veröffentlichten einzelnen Gedichte Eichendorffs unter dem Pseudonym „Florens“ erschienen waren, wurdeAhnung und Gegenwart1815 unter seinem eigenem Namen von Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843) herausgegeben und mit einem Vorwort versehen.

Der GoethesWilhelm Meisters Lehrjahre, Novalis’ Heinrich von Ofterdingen und Franz Sternbalds Wanderungen von Ludwig Tieck (1773-1853) verpflichtete Roman schildert die Jugendgeschichte des jungen Grafen Friedrich, der soeben die Universität verlassen hat, um sich auf Reisen zu begeben und die Welt und sich selbst kennenzulernen. Am Ende des vor dem historischen Hintergrund der sich abzeichnenden Befreiungskriege spielenden Romans wird der Protagonist den profanen Versuchungen der Welt entsagen und sich in ein Kloster zurückziehen. Nach der Absage an die von den Klassikern bewunderte (heidnische) Antike, die in Eichendorffs Roman durch die (an Venus erinnernde) Gestalt der verführerischen Gräfin Romana repräsentiert wird, zeichnet sich (wie bei vielen anderen Romantikern) die Hinwendung zum Christentum ab. In Ahnung und Gegenwart klingen bereits zahlreiche Motive an, die zum erzählerischen wie lyrischen Repertoire Eichendorffs gehören: die Natur in ihren vielfältigen Erscheinungsformen, der idyllische Garten und der geheimnisvolle Wald, der Blick von den Bergen in die Täler, die Reise in die Fremde und die Sehnsucht nach der Heimat und der vergangenen Kinder- und Jugendzeit. Erst zwei Jahrzehnte nach seinem ersten Roman Ahnung und Gegenwart sollte Eichendorff seinen zweiten, thematisch verwandten Roman Dichter und ihre Gesellen (1834) schreiben.

1813 meldete sich Eichendorff, um am Befreiungskrieg gegen Napoleon teilzunehmen, zu den Lützower Jägern, wo er dem deutschtümelnden Friedrich Ludwig Jahn, dem „Turnvater Jahn“ (1787-1852), unterstand. 1814 wurde Eichendorff zu seinem Verdruss ohne ‚Feindberührung‘ im Rang eines Leutnants aus der Armee entlassen und kehrte nach Schlesien zurück. Dort hatte er – gegen den Willen seiner Eltern – seit 1808 ‚zarte Bande‘ zu der auf einem nahen Gut wohnenden Aloysia Anna Victoria Louise von Larisch (1792-1855) geknüpft und sich 1809 mit ihr verlobt. Seine Eltern, die sich von der Verbindung mit einer reichen ‚Kandidatin‘ eine Sanierung ihrer prekären Vermögensverhältnisse erhofft hatten, blieben der Hochzeit am 7. April 1815 fern. Eichendorff seinerseits ließ schon wenige Wochen später seine schwangere Frau zurück und unternahm einen zweiten Versuch, am Befreiungskampf gegen Napoleon in der Armee des Generalfeldmarschalls Gebhardt Leberecht Blücher (1741-1819) teilzunehmen. Aber auch diesmal kam er – und wiederum zu seinem Bedauern – zu spät: Napoleons endgültige Niederlage bei Waterloo, am 18. Juni 1815, war längst besiegelt. Dem schlesischen Freiherrn blieb nur der Dienst als Ordonnanzoffizier bei dem Heeresreformer Graf August von Gneisenau (1760-1831), immerhin in Paris. 1816 nahm Eichendorff seinen Abschied und kehrte nach Schlesien zu seiner Frau und seinem neugeborenen, ältesten Sohn Hermann (1815-1900) zurück; im folgenden Jahr wurde seine Tochter Therese (1817-1884) geboren, dann sein Sohn Rudolf (1819-1891); zwei Töchter starben im Kleinkindalter.

Nach seiner Teilnahme an den Befreiungskriegen wurde Eichendorff 1816 im preußischen Staatsdienst Referendar in Breslau,   1821 katholischer Kirchen‑ und Schulrat in Danzig, 1824 Oberpräsidialrat in Königsberg; von 1831 bis 1844 war er im Berliner Kultusministerium beschäftigt. Seit den 1820er Jahren versuchte sich Eichendorff ebenfalls als Bühnenautor, allerdings mit mäßigem Erfolg: Seine Theaterstücke Krieg den Philistern (1824), Ezelin von Romano (1828) und Meierbeths Glück und Ende (1828) erfuhren und erfahren ebensowenig Resonanz wie Der letzte Held von Marienburg (1830) und Die Freier (1833).

Während seiner Zeit als Ministerialbeamter entstanden Erzählungen wie Das Marmorbild (1819), Viel Lärmen um nichts (1833) undDie Entführung (1839) sowie Eine Meerfahrt (postum 1864). Den Handlungshintergrund vieler Erzählungen bilden historische Ereignisse wie der 30-jährige Krieg in Die Glücksritter (1841), die Französische Revolution in Das Schloß Dürande (1836) oder die Befreiungskriege von 1813/15 in Das Wiedersehen(postum 1865). Politische Satiren auf die Juli-Revolution von 1830 und das Hambacher Fest (im Mai 1832) bieten Auch ich war in Arkadien! (postum 1866) bzw. Libertas und ihre Freier (postum 1864) vor der Kulisse der revolutionären Ereignisse von 1848. Auch Eichendorffs erster Erzähltext, das 1808 entstandene Märchen Die Zauberei im Herbste erschien erst postum 1906.

Beinahe im Gegensatz zu seinen zeitkritischen Erzählungen liegt Eichendorffs berühmtester Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts(1826) eine fast eskapistische Tendenz zugrunde: Die nach dem Vorbild der mittelalterlichen Troubadoure gestaltete Hauptfigur, ein junger Musikant, flüchtet geradezu vor der Enge der bürgerlichen Welt und den ‚Philistern‘ gen Süden. In dem aus der Ich-Perspektive und rückblickend erzählten Taugenichts finden sich einige der populärsten, am Volkslied orientierten Gedichte wieDer frohe Wandersmann, das mit den beiden programmatischen Verszeilen beginnt: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen / Den schickt er in die weite Welt“. Das märchenhafte Gottvertrauen, das darin zum Ausdruck kommt und auf das sich der Sänger hier verlässt, zahlt sich auch für den namenlos bleibenden Taugenichts, einem wahren ‚Hans im Glück‘, aus. Denn dieser wird, schon bald nachdem er die väterliche Mühle verlassen hat, als Gärtnerbursche eingestellt und kurz darauf als Zolleinnehmer, bevor er sich auf die Reise über Wien nach Italien bis nach Rom begibt. Schließlich, nach einigen Verwicklungen und Verwechslungen, erhält er dasjenige Mädchen, in das er sich am Beginn seiner Wanderung verliebt, aber dann aus den Augen verloren hat, zur Frau – und als Mitgift noch ein Schloss samt Gärten und Weinbergen.

1837 erschien thematisch in sieben Teile geordnet die erste Sammlung von Eichendorffs Gedichten, von denen viele bereits in seinen Erzählungen und Romanen eingelegt waren. Zu ihrer Populärität trugen nicht zuletzt zahllose Vertonungen durch Johannes Brahms, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Hugo Wolf u.v.a. bei, wie etwa die Mondnacht(„Es war, als hätt der Himmel / Die Erde still geküsst“) oder die Wünschelrute, eines der schönsten romantischen Gedichte, das die Macht der Poesie beschwört:„Schläft ein Lied in allen Dingen, / die da träumen fort und fort, / und die Welt hebt an zu klingen, / triffst du nur das Zauberwort.“

Nachdem Eichendorff 1844 pensioniert worden war, zog er mit seiner Frau zu seiner Tochter Therese und deren Mann, einem preußischen Offizier nach Danzig, ab 1847 dann nach Berlin. In dieser Zeit widmete sich Eichendorff vorwiegend historischen Abhandlungen, wie in Die Wiederherstellung des Schlosses der deutschen Ordensritter zu Marienburg (1844), oder stellte literaturgeschichtliche Studien an,Der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts in seinem Verhältnis zum Christentum (1851), Zur Geschichte des Dramas(1854) sowie die Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands (1857). Außerdem übersetzte er Geistliche Schauspiele (1846) des spanischen Dichters Calderón (1600-1681).

Die in seinem letzten Lebensjahrzehnt entstandenen, vom Katholizismus durchdrungenen Epen Julian (1852), Robert und Guiscard (1855) undLucius (1857) blieben unbeachtet. Von Eichendorffs Versuch, eine Autobiographie zu verfassen, sind nur Fragmente überliefert, wie Der Adel und die Revolution oder Halle und Heidelberg aus seinem letzten Lebensjahr.

1855 hatte sich Eichendorff im schlesischen Neiße niedergelassen, wo er ein Jahr nach seiner Frau am 26. November 1857 starb und vier Tage später, am 30. November, neben seiner Frau auf dem St. Jerusalem Friedhof begraben wurde.

Werke: Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff. Historisch-kritische Ausgabe, begründet von Wilhelm Kosch und August Sauer, Regensburg 1908 ff.; fortgesetzt von Hermann Kunisch [1962 ff.] und Helmut Koopmann [1978], Regensburg 1970 ff.; Stuttgart, Berlin, Köln u. Mainz 1975 ff.; Tübingen 1996 ff. – Werke in sechs Bänden, hrsg. von Wolfgang Frühwald, Brigitte Schillbach und Hartwig Schultz, Frankfurt/M. 1987 ff. – Joseph von Eichendorff, Ahnung und Gegenwart. Ein Roman, hrsg. von Gerhart Hoffmeister, Stuttgart 1994 u.ö. (RUB). – Joseph von Eichendorff, Gedichte, hrsg. von Peter Horst Neumann in Zusammenarbeit mit Andreas Lorenczuk, Stuttgart 1997 u.ö. (RUB). – Joseph von Eichendorff, Sämtliche Erzählungen, hrsg. von Hartwig Schultz, Stuttgart 1990 u.ö. (RUB).

Lit.: Helmut Bernsmeier, Joseph von Eichendorff, Stuttgart 2000. – Hermann Korte, Joseph von Eichendorff, Reinbek bei Hamburg 2000. – Günther Schiwy, Eichendorff. Der Dichter in seiner Zeit. Eine Biographie, München (2000) 2., durchgesehene Auflage 2007.

Bild: Kulturstiftung.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_von_Eichendorff

Jürgen Nelles