Biographie

Nick, Edmund

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Komponist, Musikkritiker
* 22. September 1891 in Reichenberg/Böhmen
† 11. April 1974 in Geretsried/Bayern

Unsere schnellebige Zeit verschont auch die Komponisten des leichteren Genres nicht: gestern noch bekannt und beliebt, heute schon fast vergessen: Für den Sturz aus dem Strahlenglanz der Popularität ins Dunkel der Vergessenheit genügt die Zeitspanne etwa einer Generation. In den 1930er Jahren war Edmund Nick als Komponist musikalischer Lustspiele und Operetten bekannt, ja sogar populär, denn eines seiner Bühnenwerke – „Das kleine Hofkonzert“ – wurde verfilmt und damit einem Millionenpublikum präsentiert. Heute indessen besteht nach niveauvoller Unterhaltungsmusik traditionellen Stils offenbar kaum noch Bedarf – nur ältere Hörer werden ihn wohl noch kennen.

Edmund Nick, 1891 in Reichenberg/Böhmen geboren, erlernte zunächst in guter bürgerlicher Tradition einen „anständigen“, d. h. sicheren Beruf und kam erst auf Umwegen zur Musik. Der Kaufmannssohn schien eine juristische Karriere anzusteuern, promovierte 1918 in Graz zum Dr. jur., war nach der Rückkehr aus dem Krieg zwei Monate Rechtspraktikant in Reichenberg – und hing die Juristerei an den Nagel, um sich fortan ganz der Musik zu widmen: zunächst als Klavierbegleiter und Musikkritiker in Breslau, bald aber auch als Kapellmeister und Bühnenkomponist in Berlin.

1924 suchte der im Auf- und Ausbau befindliche Sender Breslau einen Redakteur für sein Musikprogramm. Man fragte Nick, doch der lehnte ab – durchaus verständlich, denn der Rundfunk steckte noch in den Kinderschuhen, und Nick hatte Vorbehalte gegen die Verbreitung von Wort und Musik durch den Äther. Aber er ließ sich überreden, 14 Tage „auf Probe“ zu kommen – und blieb 9 Jahre.

Sein Aufgabengebiet ging über das eines normalen Musikredakteurs weit hinaus: Er organisierte und engagierte, er dirigierte und komponierte, er erteilte Kompositionsaufträge und bereitete seine schlesischen Hörer durch einführende Kommentare auf die Sendung der brandneuen Werke vor. Sein Lebensweg schien vorgezeichnet und festgelegt. Aber „die glücklichen Tage“ – um es mit dem Titel eines seiner musikalischen Lustspiele zu sagen – gingen für ihn wie für Tausende anderer 1933 zu Ende: Die Nazis sorgten für seine Entfernung aus dem Dienst, denn Nick war mit einer Frau jüdischer Abstammung verheiratet.

Nach der Entlassung konnte Nick in Breslau nicht bleiben, doch Freunde in Berlin verhalfen ihm zur Position des musikalischen Leiters an Werner Fincks berühmt-berüchtigtem Kabarett „Die Katakombe“, an dem auch Erich Kästner mitwirkte, dessen Texte Nick gern und oft vertont hat. Doch kritischer Geist und Widerspruch waren in einer Diktatur unerwünscht: Die „Katakombe“ wurde geschlossen, und auch das neugegründete Kabarett „Der Tatzelwurm“ war den Machthabern ein Dorn im Auge – auch der „Tatzelwurm“ wurde alsbald rigoros zertreten. Nick hielt es danach für angebracht, aus Berlin zu ,verschwinden‘. Er reiste zu Verwandten in die Slowakei und komponierte dort das musikalische Lustspiel „Das kleine Hofkonzert“, dessen Melodien ältere Leser vielleicht noch im Ohr haben. „Das kleine Hofkonzert“ von 1935 war das Erfolgswerk Nicks – es ging in den dreißiger Jahren über fast alle deutschen Bühnen.

Auch das Berliner Staatstheater unter Gustav Gründgens hatte es zur Aufführung angenommen. Käthe Dorsch war die attraktive Hauptdarstellerin, und sie beanspruchte für sich das Recht, von Nick ein neues Lied zu verlangen – selbstverständlich einen „Ohrwurm“, einen richtigen Schlager. Keine leichte Aufgabe. Und wieviel Geistesgegenwart zu ihrer Lösung notwendig war, möge Nick nun selbst schildern: „Als ich“, schrieb er später rückblickend, „das Lied im Staatstheater vorspielte, machten alle lange Gesichter. Zu schwer, zu konzertant, das merkt sich ja kein Mensch! Das kann ja niemand nachpfeifen. ,Ein Schund!‘, sagte die Dorsch. Ich komponierte es gleich noch einmal, ganz anders. Käthe Dorsch kam sofort zu mir. Als sie es gehört hatte, erklärte sie mich für geisteskrank und tobte und weinte: In 8 Tagen sei die Premiere, und sie hätte noch kein Lied, denn sowas, wie diesen neuen Mist … In meiner Verzweiflung spielte ich ihr meine erste Fassung vor und beteuerte, es wäre die dritte. Die Dorsch horchte auf: Noch einmal, ja! Noch einmal! Jetzt fiel sie mir um den Hals, riß die Noten an sich und jauchzte damit ins Theater. Sie sang es dort fast 150mal.“

Doch kehren wir nach der Zitierung der amüsanten, von Nick pointensicher und brillant erzählten Episode wieder in die rauhe Wirklichkeit jener Jahre zurück: Das „Tausendjährige Reich“ ging nach 12 Jahren im dröhnenden Donner der Geschütze unter. Nick hatte seine gesamte Habe und darüber hinaus zahllose Notenmanuskripte verloren. Nach der Flucht bzw. Vertreibung, fand er sich 1945 in München wieder. Man begann wieder bei Null, wollte Fuß fassen, suchte eine Anstellung. Er hatte Glück: durch Erich Kästner bekam er eine Stelle als Feuilleton-Redakteur, und da Erich der gleichen Redaktion angehörte wie Edmund, stand die Gründung eines neuen Kabaretts ins Haus: 1946 öffnete die Münchner „Schaubude“ ihre Tore. Dort hielt es Nick freilich nicht allzu lange. Nacheinander war er Chansonbegleiter und Musikkritiker, dann Chefdirigent der Bayerischen Staatsoperette am Gärtnerplatz, schließlich Professor an der Musikhochschule in München. Endlich kam die ,richtige‘ Berufung – vom Funk: Der Nordwestdeutsche Rundfunk bot ihm die Leitung seiner Hauptabteilung Musik in Köln an, und am Kölner Sender – später zum „Westdeutschen Rundfunk“ verselbständigt – blieb er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1956. Wollte man nur eine Tatsache aus dieser Zeit herausheben, muß es die Gründung der „Capella Coloniensis“, eines Orchesters für Alte Musik, sein – mit ihr hat er sich gewissermaßen ein Denkmal gesetzt.

Bedeutung und Umfang seiner Aktivitäten – auch noch nach der Pensionierung – lassen sich im Rahmen dieses kleinen Beitrages nicht im einzelnen umreißen. Und Entsprechendes gilt auch für sein kompositorisches Schaffen. In dessen Zentrum steht die Operette und das musikalische Lustspiel; hinzu kommen zahlreiche Bühnen- und Filmmusiken und noch mehr Lieder und Chansons. Zwar hat Nick gelegentlich auch dem seriösen Genre Tribut gezollt – etwa mit Klavier-Variationen über das Deutschlandlied oder dem Streichquartett „Musica serena“ –, aber der weit überwiegende Teil seines Gesamtwerkes ist dem Bereich niveauvoller Unterhaltungsmusik zuzuordnen. Für dergleichen besteht heute offenbar kaum noch eine Nachfrage. Doch zumindest als Musikschriftsteller ist er noch präsent: u. a. durch seine Bücher über Paul Lincke und über die Wiener Walzer- und Operettenkomponisten – und nicht zuletzt durch nicht weniger als 35 Beiträge zur oft zitierten Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“, kurz MGG genannt.