Biographie

Wilhelm II.

Beruf: Deutscher Kaiser, König von Preußen
* 27. Januar 1859 in Berlin
† 4. Juni 1941 in Doorn/Niederlande

Der am 4. Juni 1941, kurz vor Beginn des Rußlandfeldzuges, im 83. Lebensjahr verstorbene Kaiser wurde im Park von Doorn, seinem niederländischen Exil-Schloß vorläufig beigesetzt. Die deutsche Wehrmacht, die die Niederlande besetzt hielt, gestaltete die schlichte Feier mit dem einem Generalfeldmarschall zustehenden Zeremoniell. Der fromme Christ Wilhelm II. hatte die Bibelsprüche selbst ausgesucht und sich Hitlerfahnen verbeten. Der Preuße verbot die Beisetzung in Deutschland, solange Hitler herrschte. Vielleicht kann sein Sarg in absehbarer Zeit in den wiederaufgebauten Berliner Dom überführt werden, wo er zwischen seinen beiden Gemahlinnen Kaiserin Auguste Viktoria (1858-1921) und Kaiserin Hermine (1887-1947) ruhen wollte.

Wilhelm II. ist der am meisten umstrittene und kritisierte Hohenzoller. Das geht so weit, daß ihm von britischer Seite persönlich die Auslösung des Ersten Weltkrieges vorgeworfen und in ihm ein unmittelbarer Voräufer Hitlers gesehen wird. Dabei war er 1913 bei seinem 25jährigen Regierungsjubiläum als Friedenswahrer und Symbol des modernen und doch traditionsbewußten Reiches in allen politischen Lagern gefeiert worden. Nach seiner Thronbesteigung im Alter von 29 Jahren ergaben sich bald Konflikte mit Reichskanzler Fürst Bismarck. Nach der verlorenen Reichstagswahl 1890 wollte Bismarck das allgemeine demokratische Wahlrecht (das Reich von 1871 war die erste Großmacht, die darüber verfügte) außer Kraft setzen und die Sozialdemokraten gewaltsam unterdrücken. Dem verweigerte sich der Monarch, um freilich bald selbst in eine Kampfposition gegen die Sozialdemokratie einzutreten. Die Entlassung der verschiedenen Kanzler erfolgte immer dann, wenn sie den Rückhalt im Parlament verloren hatten. Mehr als Wilhelm II. selbst bewußt war, befand sich Deutschland im Übergang zum parlamentarischen Staat. – Nach Bismarcks – in der Form unerfreulichen – Entlassung konnte die Sozialgesetzgebung fortgeführt werden, die Deutschland für alle Welt vorbildlich machte. Das Sozialistengesetz lief aus. – Anfänglich wollte der Kaiser den Rückversicherungsvertrag mit Rußland verlängern, beugte sich aber dann den konstitutionell Verantwortlichen, die nicht an dessen Wert glaubten. Die russisch-französische Allianz sowie später die Annäherung Englands an die beiden Mächte war unvermeidbar.

Die ausgedehnte Reisetätigkeit des Kaisers machte den Deutschen ihren Herrscher und das junge Reich bekannt und sollte im Ausland für Deutschland werben. Seine zahlreichen Reden bezeugen Mangel an Fingerspitzengefühl, gründlicher Überlegung und Selbstkontrolle. Aber vergleichbare Staatsmänner und Monarchen redeten ähnlich. In ganz Europa gab es damals „ein überhebliches Zutrauen zur eigenen Gestaltungskraft“ (A. Ritthaler).

Unter Wilhelm II. wurde das Reich zu einer Weltmacht unter anderen Weltmächten. Für Großmächte war in der Zeit des Imperialismus eine große Flotte unverzichtbar. Der Kaiserlichen Marine galt seine Liebe und sein technisches Verständnis. Leider schadete die politische Blindheit des Staatssekretärs Tirpitz, den der Kaiser stützte, der deutschen Außenpolitik. – In den verschiedenen höchst friedensbedrohenden außenpolitischen Krisen hat sich der Kaiser stets gegen den Krieg ausgesprochen. Insbesondere nach der Schwächung Rußlands durch die Revolution von 1905 ließ er günstige Gelegenheiten vorübergehen, ja dachte sogar an ein Bündnis mit Rußland (Absprachen von Björkoe). Die deutsche Halbhegemonie auf dem Festland verhinderte die Einsicht in die Schwäche der eigenen Basis, wenn man vom Weltmaßstab ausging.

Der Kaiser kannte die preußischen Ostprovinzen. Die Gründung der Technischen Hochschulen in Danzig und Breslau ging wesentlich auf ihn zurück. Um das Deutschtum in Posen zu stärken, ließ er im neuromanischen Stil von Franz Schwechten das Posener Kaiserschloß erbauen, das er auch zeitweilig bewohnte. – Am Frischen Haff zwischen Elbing und Frauenburg erwarb er das Gut Cadinen als Privatbesitz, die überzeugende Neuanlage des Dorfes bewundern die Besucher noch heute. – Sein künstlerisches Interesse galt bis zum Tode den meisterhaften Erzeugnissen der Cadiner Majolikafabrik. Jedes Jahr kam er auch zur Jagd nach Rominten in Ostpreußen, nicht ohne regelmäßig das nahegelegene, von ihm gestiftete Johanniterkrankenhaus Szittkehmen aufzusuchen. – Nach den Zerstörungen 1914/15 engagierte er sich lebhaft beim Aufbau der ostpreußischen Dörfer und Städte. – Unzählige offizielle und private Gelegenheiten benutzte er, um Preußen und Deutschland, selbst in Kleinstädten und auf dem Lande, zu repräsentieren.

Die Gründung der „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“, nach 1945 auf alliierten Befehl in Max-Planck-Gesellschaft umbenannt, ging auf ihn zurück (1911). Der Krieg 1914 war kein deutscher „Griff nach der Weltmacht“, Deutschland und sein Kaiser sind weder alleinschuldig, noch mit größerer Schuld als die anderen Mächte belastet, aber mitschuldig. Nach Prestigeverlusten und in Überschätzung der eigenen Macht war er nicht bereit nachzugeben und hat nach dem Mord von Sarajewo Österreich zu harter Haltung ermuntert. – Wilhelm II., der – trotz aller kriegerischen Worte und Gesten – ein Friedensfürst sein wollte, war gescheitert.

Zwar gelang ihm nach dem Kriegsausbruch der Ausgleich mit den Sozialdemokraten („Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch deutsche“, Rede vom Schloßbalkon, und Händedruck mit der Fraktionsspitze nach der Thronrede), sonst hielt sich aber der Oberste Kriegsherr allzu stark zurück. Es zeigte sich, daß er, der auch im Frieden die Politik nicht wirklich gelenkt hatte, sondern nur den Verantwortlichen gefolgt war, sich jetzt ähnlich verhielt. Die dringende Notwendigkeit des Übergangs zur parlamentarischen Monarchie wurde von ihm verkannt, bis es mit der Reform vom Oktober 1918 zu spätwar.

Als der Reichskanzler am 9. November 1918 eigenmächtig den Thronverzicht des Kaisers bekanntgab, als in Berlin die Republik ausgerufen wurde und insbesondere als Hindenburg und Groener dem Kaiser jede Unterstützung verweigerten, blieb dem Monarchen nichts anderes übrig, als in die neutralen Niederlande abzufahren. Königin Wilhelmina hatte ihm offensichtlich bereits Anfang November die Möglichkeit dafür eröffnet. Der Kaiser wollte Deutschland einen Bürgerkrieg um seine Person und die Krone ersparen. Er hoffte, wie die durch Wilsons Propaganda verführten Demonstranten vom November 1918, die ihn deshalb fallen ließen, Deutschland werde ohne ihn einen günstigeren Frieden erlangen. Ein letztes energisches Aufbäumen unterblieb. Die allgemeine Erschöpfung hatte auch den Kaiser zermürbt. Sein königlicher Opfergang, der also keineswegs eine Flucht war, wurde nur von wenigen verstanden.

Kaiser Wilhelm H. hat sein länger als 22 Jahre dauerndes Exil würdig bestanden. Die Hoffnung auf eine erneute Thronbesteigung gab er nicht auf und warb dafür. Königin Wilhelmina verweigerte seine Auslieferung, so daß es nicht zum geplanten Kriegsverbrecherprozeß kam. Den Nationalsozialismus lehnte er entschieden ab. Kaiser Wilhelm II. steht am Ende der tausendjährigen Reihe deutscher Könige und Kaiser. In der „Urkatastrophe unseres Jahrhunderts“ zerbrach die Monarchie im deutschen Sprachgebiet, die noch wesentliche Aufgaben zu erfüllen gehabt hätte.

Werke: Kaiser Wilhelm II.: Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878-1918, Leipzig und Berlin 1922. – Ders.: Meine Vorfahren, Berlin 1929.

Lit.: Johann Anton de Jonge: Wilhelm II. Köln 1988. – Anton Ritthaler: Kaiser Wilhelm II. Herrscher in einer Zeitenwende. Köln 1958. – Ders.: Die Hohenzollern. Moers 1979. – John Röhl: Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik. München 1987. – Wolfang Stribrny: Der Weg der Hohenzollern. Limburg/Lahn 1981. – Herzogin Viktoria Luise: Im Glanz der Krone. Göttingen/Hannover 1967. – Wilhelm Schüssler: Kaiser Wilhelm II. Schicksal und Schuld, (Persönlichkeiten und Gesch., Bd. 26/27). Göttingen (u.a.) 1962.

Bild: Electro-Photographische Gesellschaft Otto Gerlach, Berlin, um 1895 (Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin).