Biographie

Körber, Gustav Wilhelm

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Gymasiallehrer, Botaniker
* 10. Januar 1817 in Hirschberg/ Schlesien
† 27. Juli 1887 in Breslau

Gustav Wilhelm Körber entstammt einer Lehrerfamilie und wurde am 10. Januar 1817 im schlesischen Hirschberg [heute Jelenia Góra] geboren. Sein Vater, den er bereits 1827 verlor, war Gymnasialdirektor, und er selbst absolvierte das Gymnasium seiner Geburtsstadt. Danach begann er 1835 in Breslau das Studium der Naturwissenschaften und setzte es ab 1838 in Berlin fort. Hier wurde er 1839 mit einer in Latein verfassten Arbeit De gonidiis lichenum (d.h. über Flechtenalgen) zum Dr. phil. promoviert. Unter seinen Lehrern nennt er u.a. in Breslau die Botaniker Heinrich Robert Göppert (1800-1884) und Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck (1776-1858), der seit 1818 auch gewählter Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina war, sowie den Botaniker Franz Ju­lius Ferdinand Meyen (1804-1840) und den Chemiker Eilhard Mitscherlich (1794-1863) in Berlin. 1840 erfolgte das Examen pro facultate docendi und Körber wirkte als Kandidat am Magdalenaeum in Breslau und kurzzeitig in Hirschberg. Ab 1842 wurde er als Lehrer und später als Oberlehrer am Elisa­bethgymnasium in Breslau tätig. Gleichzeitig habilitierte er sich 1846 an der Universität Breslau und wurde deren Privatdozent. Aber erst 1873 wurde er außerordentlicher Professor der Universität Breslau, wo er bis an sein Lebensende Vorlesungen über Kryptogamenkunde (d.h. niedere Pflanzen und Pilze), Darwinismus und Schopenhauers Philosophie hielt. Körber verstarb nach kurzer Krankheit am 27. Juli 1885 in Breslau, als sein Eintritt in den Ruhestand unmittelbar bevorstand.

Dass Gustav Wilhelm Körber noch heute bekannt ist und in zahlreiche biografische Standardwerke sowohl in deutscher wie auch in polnischer Sprache einging, ist den Arbeiten auf seinem botanischen Spezialgebiet der Lichenologie zu verdanken. Die Lichenologie oder Flechtenkunde beschäftigt sich mit jenen Pilzen, die mit Grünalgen oder Cyanobakterien (früher als Blaualgen bezeichnet) in dauerhafter Symbiose zusammenleben und dabei Strukturen bilden, die die Verwandtschaft mit Pilzen nicht ohne weiteres erkennen lassen und dadurch zu Körbers Zeit als eigene große Gruppe der sogenannten niederen Pflanzen (oder Kryptogamen) neben Algen, Moosen, Farnen und Pilzen aufgefasst wurden. Körber machte schon als Schüler in Hirschberg erste Bekanntschaft mit den Flechten, da er vom dort lebenden Major im Ruhestand Julius von Flotow (1788-1856), der sich auch speziell mit Flechten befasste, in die Botanik eingeführt wurde. Körber publizierte nun während seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer in Breslau neben einigen Zeitschriftenaufsätzen zunächst 1846 einen Grundriss der Kryptogamenkunde als selbständiges Buch. Diesem folgte 1854/55 ein Werk unter dem lateinischen Titel, aber außer in den Diagnosen in deutscher Sprache, Systema Lichenum Germaniae, das ihn in Fachkreisen und weit darüber hinaus als einen der führenden Flechtenforscher seiner Zeit bekannt machte. Das Buch stellt praktisch eine Flechtenflora Deutschlands dar. Körber erhielt daraufhin viele Pflanzenbelege zur Bestimmung und zahlreiche ergänzende Informationen, die er dann 1859-1865 in einem weiteren Band, der in fünf Lieferungen erschien, unter dem Titel Parerga Lichenologica zusammenfasste. Diese beiden Werke bildeten für die nächsten Jahrzehnte die wichtigste Grundlage für die Bestimmung von Flechten in Zentraleuropa und müssen noch heute in Spezialfragen konsultiert werden. Der Erfolg dieser Werke liegt nicht zuletzt darin, dass Körber konsequent mikroskopische Merkmale, wie beispielsweise Form, Größe oder Farbe der Sporen des Pilzes zur Unterscheidung von Arten und Gattungen nutzte. Diese Methode wurde gleichzeitig auch von mehreren italienischen Flechtenforschern, insbesondere von Abramo Massalongo (1824-1860) angewandt, weshalb man auch von der italienisch-schlesischen Schule der Flechtensystematik sprach. Diese Einteilung, die zur Beschreibung zahlreicher neuer Gattungen und Arten führte, wurde von anderen Spezialisten zunächst abgelehnt oder bekämpft, setzte sich aber langfristig durch und gilt in wesentlichen Teilen noch heute, wo sie besonders durch molekularbiologische Methoden ergänzt und weitergeführt wird.

Bereits 1851 wurde Körbers wissenschaftlichen Verdienste durch die Aufnahme in die Leopoldina unter der Matrikelnummer 1621 mit dem Cognomen (Beinamen) Hornschuch gewürdigt. Dieser Beiname bezog sich auf den im Vorjahr verstorbenen Botaniker und Naturphilosoph Christian Friedrich Hornschuch (1793-1850), der auch als Rektor der Universität Rostock gewirkt hatte.

Körber war seit 1871 auch ehrenamtlicher Konservator der Herbarien der Schlesischen Gesellschaft für Vaterländische Kultur, der er seit 1843 angehörte. Dabei bereicherte er das Herbar durch seine eigenen Sammlungen erheblich und berichtete auch regelmäßig in Aufsätzen über die Entwicklung der Herbarien. Körber wurde auch zum korrespondierenden Mitglied der Königlich Bayerischen Botanischen Gesellschaft in Regensburg gewählt.

Er gab weiterhin eine Sammlung von 420 Flechtenbelegen mit gedruckten Etiketten (ein sogenanntes Exsikkatenwerk) heraus, deren Belege heute in vielen Herbarien zu finden sind.

Außer seinen speziell den Flechten gewidmeten Arbeiten verfasste Körber 1851 auch Grundzüge einer allgemeinen Naturgeschichte in Buchform und kleinere Aufsätze zu naturgeschichtlichen Themen, beispielsweise über Zoologie bei Aristoteles. Bemerkenswert ist ferner, dass er auch Gedichte schrieb, die nicht nur im Freundeskreis vorgetragen wurden sondern auch im Druck erschienen sein sollen, derzeit aber nicht nachweisbar sind.

Körbers Hauptwerke waren für die Entwicklung der Flechtensystematik in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Fortschritt. Die hohe Anerkennung unter den Fachkollegen zeigt sich nicht zuletzt in zahlreichen Eponymen, also Gattungen und Arten, die von anderen Wissenschaftlern nach ihm benannt wurden, beispielsweise die Gattungen Koerberia Massalongo (1854), Koerberiella B. Stein (1879) und über ein Duzend nach ihm benannten Arten.

Nicht akzeptieren wollte Körber jedoch die seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts durch Simon Schwendener (1829-1919) erkannte Dualnatur der Flechten als Symbiosen aus Pilzen und Algen. So verfasste er sogar eine Streitschrift gegen die Schwendener-Bornet’sche Flechtentheorie.

Körber war auch lokalpolitisch und in der Freimaurerei aktiv und galt in den fünfziger Jahren als Kopf der Reformer. Später wurde er in den siebziger Jahren zu einem führenden Breslauer Nationalliberalen und zum Obermeister der Hochgradloge.

Gustav Wilhelm Körber war verheiratet und hatte auch mindestens eine Tochter, wie aus einer gedruckten Todesanzeige im Archiv der Leopoldina hervorgeht.

Werke (Auswahl): De gonidiis lichenum, Berolini 1839 [= Dissertation]. – Lichenographiae germanicae specimen, parmeliacearum familiam continens: commentatio botanica … Breslau 1846 [= Habilitation]. – Grundzüge einer allgemeinen Naturgeschichte. Ein methodischer Leitfaden zum encyklopädischen Unterricht und als Einleitung in speciellere Studien, Breslau: A. Gesohorsky 1851. – Systema lichenum Germaniae, Die Flechten Deutschlands …, Breslau: Trewendt & Granier 1854/55. – Parerga lichenologica. Ergänzungen zum Systema lichenum Germaniae, Breslau: E. Trewendt 1859-65. – Zur Abwehr der Schwendener-Bornet’schen Flechtentheorie, Breslau: J. U. Kern 1874.

Lit.: F. Cohn, Botanische Section der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur zu Breslau, in: Botanisches Centralblatt 24 (1885), S. 283-284. – [A.] Schimmelpfennig, Nekrologe, in: Jahresberichte der Schlesischen Gesellschaft für Vaterländische Cultur 63 (1885), S. 421-444. – Grummann, V.J., Biographisch-Bibliogra­phi­sches Handbuch der Lichenologie, Lehre: J. Cramer 1974 – F.A. Stafleu/ R.S., Cowan Taxonomic literature 2 1979. – S.-L. Hoffman, Die Politik der Geselligkeit: Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft 1840-1918, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. – J.P. Frahm/ J. Eggers, Lexikon deutschsprachiger Bryologen, Norderstedt 2001. – M. Pater, Historia Uniwersytetu Wrocławskiego do roku 1918, Wrocław 1997. – Centrum Dziedzictwa Przyrody Górnego Śląska, Materiały opracowania 3 (2000) S. 94-95. – Katowice–Kärnefelt et al., Lichenology in Germany: past, present and future, in: Schlechtendalia 23 (2012). – H. Hertel, Gattungseponyme bei Flechten und lichenikolen Pilzen (Bibl. Lichenol. 107), Stuttgart: J. Cramer in Gebr. Borntraeger 2012.

Bild: Archiv der Deutschen Nationalakademie Leopoldina in Halle/ S.N

Peter Scholz