Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Südosteuropa: Persönlichkeiten, Konzepte und Schicksale
Zeithistorische Fachtagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen am 10. und 11. Oktober 2020 im Haus der Donauschwaben in Sindelfingen
Im Rahmen der auf drei Veranstaltungen ausgelegten Reihe zeitgeschichtlicher Fachtagungen der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus in den historischen deutschen Ostprovinzen und Siedlungsgebieten wurde das Thema im Jahr 2020 für Südosteuropa untersucht, besonders bei den deutschen Volksgruppen in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn, nachdem es – gefördert vom Bundesministerium des Innern – zwei Jahre zuvor bereits für Schlesien und das Sudetenland sowie im Vorjahr für Ostpreußen, Westpreußen und Pommern behandelt worden war.
Die stellvertretende Vorsitzende der Kulturstiftung Christine Czaja (* 1949 Stuttgart) bezeichnete in ihrem Grußwort das Haus der Donauschwaben als den richtigen Ort für diese Tagung. Sie war es, die Idee und Anstoß zu dieser Tagungsreihe gegeben und den ersten Teil der Trilogie in Köln mit konzipiert und geleitet hatte. Sie hieß alle Anwesenden, auch die Zugeschalteten, sowie die Referenten, Hauptamtlichen aus Bonn und Berlin willkommen, dankte den Helferinnen im Hause und bedauerte im Namen des ganzen Vorstands, dass wegen der Corona-Pandemie nicht so viele Teilnehmer dabei sein konnten wie bei den letzten Tagungen der Widerstandstrilogie 2018 und 2019. Besonders begrüßte sie Raimund Haser, den Hausherrn, der das Ehrenamt des Vorsitzenden des Vereins Haus der Donauschwaben von Innenminister Heribert Rech übernommen hatte und gleichzeitig Landtagsabgeordneter von Baden-Württemberg, Sprecher für die Belange der Vertriebenen und Aussiedler in der dortigen CDU-Fraktion sowie Mitglied des Präsidiums des Bundesverbandes der deutschen Vertriebenen ist. Als persönlichen Dank für seinen Einsatz überreichte sie Haser das „Opus magnum“ ihres Vaters – „Marginalien zu 50 Jahren Ostpolitik“ –, das Herbert Czaja vor seinem Tod im Jahr 1997 noch vollenden konnte. Der Erlös aus dem Verkauf dieses Buches spendete Familie Czaja der Kulturstiftung, die große finanzielle Probleme hatte während der Sperrung der institutionellen Mittel in der Zeit der rot-grünen Regierungskoalition. „Sie finden darin“, betonte Christine Czaja, „zahlreiche Argumente für den § 96 Bundesvertriebenengesetz und Hilfen zur Integration unserer Aussiedler und für grenzüberschreitende Maßnahmen nach Ost- und Südosteuropa.“ Die Rednerin nützte die Gelegenheit, um die Verdienste des früheren Geschäftsführers der Kulturstiftung Dr. Ernst Gierlich zu würdigen, der während fast zwei Jahrzehnten die Kulturstiftung am Leben hielt, indem er alle ihre Aufgabenbereiche allein versah. Seit Mai 2020 ist er im Ruhestand, dient jedoch weiterhin ohne Gehalt den Zwecken dieser unentbehrlichen, seither finanziell wieder besser ausgestatteten Kulturzentrale.
Hausherr Raimund Haser (* 1975 Wangen/Allg.) bedankte sich bei Christine Czaja und Stefan Teppert als Initiatoren und Gestaltern der Tagung sowie bei Sekretärin Bettina Schröck, Bibliothekarin Sylvia Herrmann und Hausmeister-Familie Cibić für ihre unentbehrlichen Beiträge. Der Grund, warum er heute hier stehe, sei sein 1943 in Surtschin bei Belgrad geborener Vater. Nach Anfängen als Betriebswirt, Journalist und Verleger habe ihn die Beschäftigung mit der donauschwäbischen Geschichte nicht mehr losgelassen. Als Nachfolger von Innenminister Heribert Rech im Amt des Vorsitzenden des Vereins Haus der Donauschwaben habe er erkannt, dass dieses Haus entsprechend den veränderten Perspektiven und Bedürfnissen der nicht vertriebenen jüngeren Generationen in seiner inneren Ausrichtung architektonisch wie auch konzeptionell modernisiert werden muss, um zwar weiterhin seinem Auftrag, die Geschichte zu erforschen und zu vermitteln sowie Verständigung mit den einstigen Nachbarvölkern zu suchen, entsprechen zu können, es werde also immer das Haus der Donauschwaben bleiben, jedoch würden im 21. Jahrhundert Heimatortsgruppen seine Möglichkeiten nicht mehr ausschöpfen, sondern es werde als ein Haus der Begegnung mit zukunftsorientiertem Blick auf Osteuropa weiterleben, als ein Zentrum der Kooperation mit Schulen und anderen Einrichtungen im In- und Ausland und so die Wirkungsfelder der übrigen donauschwäbischen Institutionen im Lande ergänzen. Im Herbst 2021 sollen die vom Innenministerium des Landes in Höhe von 650.000 Euro übernommenen Sanierungsarbeiten mit Planungsbüro in Sindelfingen beginnen. Haser zeigte sich schließlich offen für Anregungen und Mitarbeit nahezu jeder Art.
Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der Kulturstiftung Thomas Konhäuser (* 1969 Bamberg) war live zugeschaltet, weil Berlin, wo die Kulturstiftung eine ihrer Niederlassungen hat, als Hotspot galt. Er dankte allen an Vorbereitung und Durchführung der Tagung Beteiligten und würdigte die finanzielle Unterstützung durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, die seit einem Jahr neues wissenschaftliches Personal (er nannte Namen und Aufgabenbereiche seiner Mitarbeiter) und eine gestärkte Stellung der Kulturstiftung ermöglicht. Der Tagung wünschte er einen guten Verlauf und anregende Diskussionen, nicht ohne auf die Einhaltung der Corona-Hygieneauflagen zu dringen.
Das Grußwort von Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch (* 1938 Filipowa) wurde von Ines Szuck (* 1980 Temeswar) verlesen. Die diplomierte Designerin und Journalistin ist Brauchtumsbeauftragte in der Landsmannschaft der Banater Schwaben Baden-Württemberg und seit November 2019 Referentin für Kommunikation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Zollitsch konnte wegen einer lange geplanten Reise nicht selbst kommen. Sein Grußwort begann mit einem Beispiel dafür, wie der katholische Klerus in Filipowa zu Hitler und dem Zweiten Weltkrieg stand. Am Sonntag nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen habe Kaplan Franz Eisele die Predigt im Gottesdienst gehalten, in der er Werden und Untergang der großen Reiche vor Augen führte und schließlich mit Blick auf den Überfall Hitlers auf Polen mit der Frage endete: Wohin wird dies führen? Zollitsch zeigte sich dankbar dafür, dass Boris Mašić in Apatin das Erbe von Pfarrer Adam Berenz nicht nur bewahrt, sondern auch lebendig erhält. Mit seiner Zeitung „Die Donau“ hatte Berenz gegen nationalistische und nationalsozialistische Ideen gekämpft, sich für die verbindenden und gemeinsam tragenden christlichen Werte eingesetzt und weite katholische Bevölkerungskreise unter den Deutschen Jugoslawiens erreicht. Zollitsch dankte der Kulturstiftung, ihrer stellvertretenden Vorsitzenden Christine Czaja-Grüninger und Stefan Teppert für die Ermöglichung dieser Tagung, in der nun auch der jahrzehntelang weitgehend fehlende Blick auf oppositionelle Bewegungen gegen die braune Ideologie im Südosten Europas gerichtet werde. Es geisterten leider viele einseitige Pauschalurteile auch durch Veröffentlichungen. Dies sei nicht nur in serbischen oder ungarischen Publikationen der Fall, sondern auch in deutschen. Er habe es bis heute in lebendiger Erinnerung: Wenn 1945 einer im Todeslager Gakowa in Jugoslawien darauf hinwies, dass er alles andere als ein Sympathisant Hitlers gewesen sei, habe die Antwort gelautet: „Sve Švaba – die Schwaben sind alle gleich.“ Zollitsch wünschte daher der Tagung „einen nachhaltigen Impuls zu einer differenzierten Sicht und Beurteilung und damit zur Gerechtigkeit“.
Als Tagungsleiter begrüßte Stefan Teppert (*1956 Entre Rios/Bras.) Referenten und Gäste in Präsenz wie auch am Bildschirm. Man könne Frau Christine Czaja dankbar sein, dass von ihr nicht nur die Idee für diese Trilogie ausging, sondern dass sie sich zudem als Stellvertretende Vorsitzende im Vorstand der Kulturstiftung und als Netzwerkerin für ihre Verwirklichung einsetzte. Dieses Engagement komme bei der ältesten Tochter des früheren Stuttgarter Bundestagsabgeordneten und langjährigen BdV-Präsidenten Dr. Herbert Czaja nicht von ungefähr. Für ihren Vater ebenso wie für viele seiner Mitstudenten in Krakau war Senator Dr. Eduard Pant moralisches Vorbild der Auflehnung und politischer Lehrmeister gewesen. Pant hatte schärfsten geistigen Widerstand gegen das erstarkende Hitler-Regime geleistet und sich offen dazu bekannt. Ganz im Sinne dieses väterlichen Vermächtnisses habe die Tochter diese sehr notwendige Tagungsreihe angeregt. Für Teppert fand diese Tagung auf vertrautem Terrain statt, im Haus der Donauschwaben hatte er schon viele Tagungen und kulturelle Veranstaltungen organisiert, vor allem in seiner Zeit als hauptamtlicher Kulturreferent der Landsmannschaft der Donauschwaben aus Jugoslawien 1988 – 1999, „bis die damalige rot-grüne Bundesregierung meinte, die Förderung der kulturellen Breitenarbeit in den Vertriebenenverbänden habe sich plötzlich erledigt und könne nahezu vollständig zusammen mit den bezahlten Stellen gestrichen werden“. Nach einem Blick auf Entstehung und Geschichte des „Weltheimathauses“ der Donauschwaben mit den Patenschaften des Landes und der Stadt Sindelfingen nannte er das „Donauschwäbische Martyrologium“ (Patrimonium Verlag 2016, 22018, 793 S.) als Grundstein der Beschäftigung mit Opposition und Widerstand gegen den Hitler-Faschismus und Kommunismus aus donauschwäbischen, vor allem geistlichen Kreisen.
Teppert stellte dann den siebenbürgischen Schriftsteller Hans Bergel (* 1925 Rosenau/ Siebenbürgen) vor, der ursprünglich mit seinen 95 Jahren im Haus der Donauschwaben über seine Verachtung des Hitler-Faschismus und seine Rebellion gegen dessen Rassentheorie erzählen wollte, darüber, welche Wende sein Leben als Konsequenz daraus nahm, indem Zwist bei Tischgesprächen in seiner Familie entstand und der 16-Jährige von der Schule flog. „Wir hätten einen echten Zeitzeugen der Widersetzlichkeit vor uns gehabt, eine absolute Rarität nach all der Zeit. Aber leider ist Herr Bergel aus heiterem Himmel so krank geworden, dass er die zentrale Fertigkeit seines Lebens einbüßte, nämlich schreiben zu können. Er musste absagen, konnte mir aber doch zwei einschlägige Texte heraussuchen und schicken.“ Der Romancier, Erzähler, Lyriker, Übersetzer und Journalist Bergel (45 Buchveröffentlichungen) ist ein europäisch, trans- und multinational denkender und doch unangepasster Schriftsteller und zugleich ein renommierter literarischer Vertreter Südosteuropas, der das vielschichtige Kolorit dieses Raumes, die deutsch-rumänische Exil-Literatur in führender Position vertritt und die kenntnisreichsten Beiträge über den kommunistischen Terror in Rumänien lieferte. Er war von 1949 bis 1956 als Leistungssportler Mitglied in der rumänischen Ski-Nationalmannschaft. Im stalinistischen Rumänien war er wiederholt aus politischen Gründen inhaftiert und in Lagern eingesperrt. Mit seinen Interviews in Radio Free Europe hatte er den Menschen in Rumänien Mut zugesprochen. 1964 wurde er im Zuge allgemeiner Begnadigung aus der Haft entlassen und 1968 politisch rehabilitiert. Seither lebt er in Deutschland, wurde aber auch hier vom rumänischen Geheimdienst Securitate als angeblicher Staatsfeind beschattet. Zahlreiche Ehrungen erreichten ihn zu seinem 95. Geburtstag.
Ines Szuck las die genannten Texte von Hans Bergel, zuerst eine Passage (S. 526 – 530) aus dem im Jahr 2006 erschienenen Siebenbürgen-Epos Die Wiederkehr der Wölfe, nicht nur ein Heimat-, Bildungs- und Familien-, überdies ein europäischer Zeitroman. Geschildert wird in dieser Szene der propagandistische Auftritt eines Reichjugendredners vor 300 Schülern in der Aula des Honterus-Gymnasiums in Kronstadt. Die schnittige und schnieke Erscheinung des geschulten Rhetors mit dem „Seherblick des Gesalbten“, der „voll der Arroganz und Nächstenverachtung“ über die Anwesenden hinweg „ins zeitlos Heroische“ blickt, die arische Rasse preist, indem er andere verhöhnt, wird vom Ich-Erzähler im Miterleben der Szenerie sarkastisch entlarvt und ins Groteske entzerrt. Der entrüstete 16-jährige Gymnasiast (Bergel autobiografisch) meldet sich um der Redlichkeit willen aufsässig zu Wort, geht ans Rednerpult und spricht laut in die Menge hinein: „Ich lasse mich, meine Freunde und Vorfahren von diesem Wahnsinnigen nicht länger beleidigen.“ Den konsternierten Raum kann er verlassen, wird aber später aus der Hitlerjugend geworfen und seiner Schule verwiesen. – In seinem Artikel Fünfzig Jahre seit dem Tod des Journalisten Dr. Fritz Klein, der am 15.12.1986 in der Siebenbürgischen Zeitung erschien, stellt Bergel das Leben seines siebenbürgischen Landsmanns dar, der ein Freund und Berater Gustav Stresemanns war, ja als künftiger Reichsaußenminister gehandelt wurde. Unter dem Titel „Bruderkampf“ veröffentlichte Klein in der DAZ im Mai 1933, vier Monate nach der Machtübernahme der Nazis, einen Leitartikel, in dem er Hitlers spätere Österreich-Politik bis in die Einzelheiten voraussagte. Hitler bekam daraufhin einen Wutanfall, brüllte und tobte und suchte den Verfasser unschädlich zu machen. Klein ging nach Danzig und schrieb dort weiterhin unbeugsam regimekritisch. Hitler persönlich soll den Befehl zu seiner Beseitigung gegeben haben. Als eines der ersten Opfer des Nationalsozialismus starb Fritz Klein am 8. Mai 1936 bei einem Reitunfall, in Wirklichkeit an Gift im Morgenkaffee.
Thomas Dapper (* 1969 Stuttgart), politisch engagierter Autor und Filmemacher aus Köln, war Gründungsmitglied der Grünen Jugend (damals Grün-Alternative Jugend) in Baden-Württemberg. Seit 2000 beschäftigt er sich intensiv mit dem Linksextremismus, seit 2002 darüber hinaus mit seinen Wurzeln im Banat, deshalb auch mit dem Schicksal seiner Angehörigen. Er referierte über die Fragestellungen zu Deutschen bei Titos Partisanen unter den spezifischen Umständen im besetzten Vielvölkerstaat Jugoslawien. Zur Versachlichung des Themas definierte er zunächst die politischen Fachbegriffe. Dass Deutsche aus der Wehrmacht, aber auch Donauschwaben zu Titos Partisanen übergelaufen sind und bei ihnen gegen die deutschen Besatzer gekämpft haben, ist ein selten bearbeitetes Thema. Es trage gerade deshalb dazu bei, das allzu gängige Bild von der Begeisterung sämtlicher Donauschwaben für Hitler und den Nationalsozialismus kritisch zu hinterfragen. Die Beschäftigung mit donauschwäbischen Partisanen gebe den Blick frei auf eine kaum bekannte Meinungspluralität bei den Jugoslawiendeutschen. Die Anzahl der Deutschen bei Titos Partisanen wird aufgrund der äußerst schwierigen Quellenlage auf etwa 2.000 Personen beziffert. Die Quellenlage ist aus folgenden Gründen schwierig: Viele Partisanen waren nur unter ihrem Vornamen bekannt, sind früh gefallen, andere verwendeten Decknamen, brauchbare Dokumente wurden teilweise verbrannt – absichtlich oder unabsichtlich –, etwa bei Kampfhandlungen, Rückzug und Desertion. Der Referent wies schließlich auf ein hochwirksames Dilemma hin: Wer in Jugoslawien in den Jahren 1941 – 45 Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisten wollte, gleichzeitig aber für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintrat, habe realpolitisch unter den Bedingungen des Krieges jenseits der beiden Totalitarismen Nationalsozialismus und Kommunismus keine militärisch wirksame Option vorgefunden. Einzig die Frage nach dem Umgang mit den Menschenrechten der jeweiligen Feinde, so Dapper abschließend, könne heute Kriterium für Schlussfolgerungen sein.
Helmut Staudt aus Gaiberg, evang. Pfarrer der badischen Landeskirche i. R (* 1940 Torschau/Jug.), berichtete von fünf Gebieten im Südosten Europas, wobei er die Spuren der verantwortlichen Bischöfe und Bekenner der evangelischen Kirchen während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgte: bei den Lutheranern in der Slowakei, in der Batschka und Kroatien, den Lutheranern und Reformierten Ungarns und bei den Siebenbürger Sachsen. Uns Heutige erstaunt allein schon die Tatsache, dass es Opposition aus den evangelischen Kirchen des Balkans gab, so unerforscht und wenig publik ist das Thema in diesem Raum.
In der evangelisch-lutherischen Kirche Jugoslawiens hatte der erste und einzige Bischof der Donauschwaben, Philipp Popp, zunächst viel Beistand des Außenamtes des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes erfahren, musste aber bald erkennen, dass der große Bruder aus Berlin, Auslandsbischof Theodor Heckel, Vorgaben machte und Folgsamkeit erwartete: kein Kontakt zur Ökumene oder zur „bekennenden Kirche“ Niemöllers. Dennoch wagte Popp es, Juden aufzunehmen und ihnen weiterzuhelfen, akzeptierte keine Änderung der Kirchenordnung hin zu einer nationalistischen Kirche mit Führerprinzip und Arier-Paragraph. Angesichts starken Einflusses des Kulturbundes und drohender Gleichschaltung der Jugend verhielt er sich wie die meisten Pfarrer dieser Diasporakirche in einer stillen, aber hartnäckigen Opposition. Kaum anders war das anfangs beim lutherischen Dekan von Budapest, Ludwig Wolf alias Layos Ordass. Er, der Jahre zuvor in Schweden studiert hatte, erkannte die übergriffigen Ansprüche des Schwäbisch-deutschen Kulturbundes und nahm offen dagegen Stellung. Seine Verbindung zum Schwedischen Gesandten und die Kontakte zu Kardinal Seredi führten im Juli 1944 zum Stopp der Juden-Deportation und zusammen mit dem spät angereisten schwedischen Diplomaten Raul Wallenberg zu einer großen Rettungsaktion von Juden mittels Schutzbriefen, schnell angefertigten Pässen und Schutzzonen innerhalb Budapests. Ordass wurde ein Jahr später zum Bischof der luth. Kirche Ungarns gewählt und 1947 zu einem der Präsidenten des Luth. Weltbundes, aber von den Kommunisten hart verfolgt, zu Gefängnis verurteilt, zu Hausarrest begnadigt und mundtot gemacht. Eigenständig denkende Bischöfe duldeten weder Nazis noch Kommunisten.
Eine Soirée mit Werken von Komponisten aus Südosteuropa für Sopran und Klavier ließ den Abend des ersten Tages genüsslich ausklingen. Die Sängerin, Gesangspädagogin und Komponistin Lydia Zborschil (* 1967 Dillenburg) wurde am Flügel von der Kirchenmusikerin und Musikpädagogin Hildegund Treiber (* 1959 Stuttgart) begleitet. Passend zur Thematik der Tagung hatten die Musikerinnen einige teils vergessene Werke ausgewählt. In einem ersten Liederblock kam der 1830 in Ungarn als Sohn eines jüdischen Kantors geborene Carl Goldmark mit vier Liedern zur Geltung. Von der 1885 in Budapest geborenen und in
Slawonien aufgewachsenen Rilke-Freundin Dora Pejajacsevich, die das Orchesterlied in die kroatische Musik eingeführt und die erste moderne Symphonie in der kroatischen Musik komponiert hat, erklangen sechs Walzer. Von dem reichsdeutschen Komponisten Richard Strauß, der in vielen seiner Werke auf osteuropäische Dichter, in erster Linie auf Nikolaus Lenau zurückgriff, kamen drei Lieder zur Aufführung. Der zweite Teil des Abends gehörte der Welt der Operette. Es erklangen Melodien von Franz Lehar, Nico Dostal und Carl Zeller.
Wilhelmine Schnichels (* 1951 Wildthurn), die Vorsitzende der Donauschwäbischen Kulturstiftung in München, deren Magisterarbeit im Fach Politikwissenschaft die Flucht und Vertreibung der Donauschwaben aus der Batschka und die Probleme ihrer Integration zum Thema hatte, befasste sich in ihrem Vortrag mit dem „Kampf katholischer Donauschwaben gegen zwei Totalitarismen“. Im Abwehrkampf gegen die „Erneuerer“ im Schwäbisch-deutschen Kulturbund, die im Namen einer willkürlich propagierten „Volksgemeinschaft“ einen unerträglichen Gesinnungsterror ausübten, wurden in der Batschka katholische Männer- und Frauengruppen, die „Christusjugend“, der „Marienbund“ und die „Jungschar“ gegründet, Zeitungen und Zeitschriften wie der „Jugendruf“ herausgegeben, Schulungsmaterial verteilt, Schulungskurse und Lehrgänge abgehalten. Unter den Donauschwaben war der Apatiner Pfarrvikar Adam Berenz schon ab 1935 als Schriftleiter seines Wochenblatts „Die Donau“ die herausragende Figur des antifaschistischen Widerstands. Er war der theologisch-politische Wortführer im Kampf zwischen nationaler und religiöser Erneuerung der Deutschen in Jugoslawien und später in Ungarn. Unerschrocken versuchte er, den seichten Phrasendreschereien der „Strebergestalten“ und verzerrten Begriffen seiner Gegner sachliche Erläuterungen, echte Tugenden, die Grundsätze der Demokratie und allgemeinen Menschenrechte, christliche Ideale entgegenzuhalten. Er kämpfte nicht nur gegen die nationalsozialistischen Einflüsse, deren neuheidnische Ideologie und Rassenwahn, sondern auch gegen die Erneuererbewegung und den Kommunismus sowie nach dem Zweiten Weltkrieg gegen das Bestreben Titos, die Donauschwaben kollektiv haftbar zu machen, sie als die 5. Kolonne abzustempeln und mit den Reichsdeutschen gleichzusetzen. Berenz wurde sowohl von den Nationalsozialisten als auch von den Partisanen verfolgt und dazu noch von den „Erneuerern“ als Volksverräter beschimpft.
Der aus Weißkirchen/Bela Crkva im jugoslawischen Banat gebürtige (* 1933) Zeitzeuge Helmut Erwert, Historiker und stellv. Vorsitzender der HOG Weißkirchen, formulierte das Thema seines Vortrags „Kollektive Vereinnahmung und Zumutbarkeit von Widerstand – Zeitgeschichtlich belegte Szenen aus dem autobiographischen Roman ‚Elli oder Die versprengte Zeit’“. In seinen Ausführungen forderte der Referent bei der Aufarbeitung der Geschichte nicht allein Rückschau auf friedliche Zeiten und Familienforschung zu betreiben, sondern für die schwierigen Zeiten ab 1941 eine umfassende, neutrale, historisch-wissenschaftliche Darstellung und eine konkrete Feldforschung mit einer Geschichtsperspektive auch von unten der Öffentlichkeit zu präsentieren, damit die vielen einseitigen Publikationen, die ein schiefes Bild der „Donauschwaben“ in alle Welt hinaustragen, zurechtgerückt würden. Die Frage „Widerstand gegen den NS-Staat“ als Untersuchungsgegenstand sei im Bewusstsein der volksdeutschen Bevölkerung jener Erlebnisgeneration weitgehend „Neuland“, betonte Erwert. Viele von ihnen seien noch gefangen in ihrer aufwühlenden Erlebnisepoche nach 1944, in der sie drei oder mehr Jahre Arbeits- und Todeslager hinter sich gebracht hatten. Manche hätten eher die Gegenfrage gestellt: Wieso sollten wir Widerstand geleistet haben gegen das deutsche Militär, das uns in den Tagen des Putsches 1941 aus tödlicher Bedrohung befreite? Die meisten hätten das Deutsche Reich in mythischer Verklärung als ihr „deutsches Mutterland“ gesehen. Dabei sei freilich nicht zu leugnen, dass eine große Anzahl von ihnen damals und heute nicht begriffen, vielleicht auch nicht begreifen konnten, wofür sie sich in der Tiefendimension der Ereignisse damals begeisterten. Mit Zitaten aus seinem Roman weckte der Referent ein tieferes Verständnis für die häufig unzumutbaren Entscheidungszwänge seiner Landsleute, die – trotz eines meist friedlichen multiethnischen Zusammenlebens – beeinträchtigt wurden durch den mehrfach erzwungenen Wechsel der Staatszugehörigkeit, der Amtssprache und die wiederkehrende Bedrohung ihrer kulturellen Identität. Eindringlich schilderte Erwert durch Zitate gegen Schluss seines Romans, warum bei einigem Unmut gegen das neue Regime und doch geduldigem Ertragen der Zustände ein bewaffneter Widerstand gegen die deutsche Besatzung außerhalb jedes Gedankenhorizonts der überwiegenden Mehrheit der volksdeutschen Männer in der Kleinstadt Weißkirchen war.
Dr. Kathi Gajdos-Frank (* 1975 Budapest) war aus Budapest zugeschaltet, weil sie aus der ungarischen Hauptstadt, einem Corona-Risikogebiet, nicht anreisen durfte. Sie ist ungarndeutscher Abstammung, studierte Germanistik an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest und promovierte anschließend an der dortigen deutschsprachigen Andrássy-Gyula-Universität. Ihr Forschungsthema ist die deutsche Minderheit in Ost- und Mitteleuropa im 20. Jahrhundert mit Fokus auf ihr Schicksal in Ungarn in den ersten elf Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit 2011 leitet sie das Jakob-Bleyer-Heimatmuseum in Budaörs, das unter den besten sechs Museen Ungarns rangiert, ist ungarndeutsche Abgeordnete in der Deutschen Selbstverwaltung, gehört seit 2014 dem Vorstand der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen an und ist seit 2019 Mitglied des Stiftungsrates der Deutschen Schule Budapest. Für ihren Vortrag hatte sie im historischen Archiv der ungarischen Staatssicherheitsdienste in Budapest nach den Hauptmerkmalen der Politik der deutschen und ungarischen Behörden gegenüber den Ungarndeutschen geforscht. Sie fragte nach dem Schicksal der Ungarndeutschen zwischen 1920 und 1945, zunächst mit ihren Dilemmata nach Trianon, dann im zweiten Teil nach ihrem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Durch die Analyse von Fallstudien kam sie zu dem Ergebnis, dass sich die meisten der zwangsrekrutierten Ungarndeutschen gegen den Nationalsozialismus zu wehren versuchten, indem sie beispielsweise Mitglieder der „Treuebewegung“ in Bonnhard wurden, wo sich assimilationsbereite Deutsche sammelten, die sich unter anderen mit Kardinal József Mindszenty gegen den deutschnationalen Volksbund wandten. Die Gestapo verhaftete 1944 die Gegner des Volksbundes, auch mehrere Mitglieder der „Treuebewegung“ waren darunter. Viele der nicht verhafteten Mitglieder wurden nach dem Krieg zu den „Vaterlandsverrätern“ gezählt und ebenfalls entrechtet, enteignet und vertrieben. Die in Ungarn verbliebenen Gegner hat das kommunistische Regime später als Feinde der neuen Ordnung betrachtet, meist wurden sie vom ungarischen Staatssicherheitsdienst interniert. Der Widerstand bei den Ungarndeutschen, so das Fazit der Referentin, hatte kein „Gesicht“, keine konkrete Form, erwies sich eher als individuelle Entscheidung. Diejenigen jedoch, die offenkundig gegen den Nationalsozialismus auftraten, wurden auch verhaftet.
Das aus Filipowa in der Batschka stammende Ehepaar Agnes (* 1943) und Adam (* 1937) Kupferschmidt ergänzte sich dabei, ein Bild der enormen Spannungen zwischen den Anhängern des vom nationalsozialistischen Gedankengut infiltrierten Kulturbundes (die sog. „Weißen“) und der Mehrheit des katholisch-konservativen Lagers (die sog. „Schwarzen“) in ihrer Heimatgemeinde zu zeichnen. Die Gegensätze prallten nach der Eroberung Jugoslawiens durch die deutsche Wehrmacht und dem Anschluss der Batschka an Ungarn aufeinander, vor allem als im Frühjahr 1942, im März 1943 und im März 1944 drei offizielle Musterungsaktionen für die Waffen-SS durchgeführt wurden. Als Reaktion auf ihren geringen Erfolg entbrannte ein erbitterter Kampf zwischen den beiden Lagern. Die Angehörigen des Kulturbundes griffen zur Gewalt, um die Menschen auf ihre Seite zu zwingen. Wer nicht kooperierte, wurde als Volksverräter beschimpft. Auf der einen Seite widersetzten sich die Musterungskandidaten und desertierten, die meisten konnten sich verstecken, bis das deutsche Militär am 16. Oktober 1944 über die Donau zurückwich. Auf der anderen Seite gab es eine Hetzkampagne gegen die Verweigerer, Suchaktionen, Verhaftungen und Zwangsaushebungen mit Verhöhnungen, Rohheiten und öffentlichen Misshandlungen. Bei diesen Aktionen wurden auch Frauen, wenn die Männer nicht angetroffen wurden, verhaftet und im Gemeindehaus eingesperrt. Nach dem Einmarsch der Roten Armee und der Tito-Partisanen wurden die nicht Geflüchteten enteignet und interniert, 212 Männer und Jugendliche wurden am 25. November 1944 aus dem Ort getrieben, gefoltert und ermordet. Viele der Opfer hatten sich zuvor der Zwangsrekrutierung entzogen und standen in Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, was die neuen kommunistischen Potentaten jedoch nicht kümmerte.
Zu den von den Weißen Misshandelten gehörte auch Gregor Eichinger, der Großvater von Agnes Kupferschmidt. Sie berichtete über das Schicksal dieses Mannes und las einige Passagen aus den erschütternden Aufzeichnungen seiner Erlebnisse jener Jahre, die er vor seinem Tod 1968 festhielt. Eichinger war Vorsitzender der ungarischen Bauernpartei und schon deshalb politischer Widersacher der neuen Machthaber, zumal die ungarische Gendarmerie der Bevölkerung einen gewissen Schutz vor Übergriffen der gewaltbereiten, in der Kreisstadt Hodschag stationierten Nazis bot, jedoch machtlos war bei politisch motivierten Verhaftungen der Gestapo. Schon mit der Übernahme der Gemeindeverwaltung durch den Kulturbund 1939 befand sich Filipowa bis Herbst 1944 fest in der Hand der Nazis, schreibt Eichinger. Der Konflikt habe in Filipowa heftiger als in anderen Orten gewütet, weil die Gemeinde rein katholisch war. Eichinger schildert dann, wie er am 20. März 1944 von von über 40 uniformierten Angehörigen der „Sportmannschaft” angeblich auf Befehl des Führers verhaftet und niedergeprügelt wurde, dabei zeitweise mit schweren Verletzungen und hohem Blutverlust bewusstlos war und in einen Schweinestall gezerrt wurde, wo bereits zwei andere Misshandelte lagen. Die ungarische Bauernpartei sollte so vernichtet werden, um den Eintritt der Schwarzen in die SS zu erzwingen. Nachdem der Stuhlrichter in Hodschag von diesen Ereignissen unterrichtet war, kamen sofort 40 ungarische Gendarmen nach Filipowa, um die Gefangenen zu befreien und ärztlich versorgen zu lassen. Eichinger wurde danach abermals von Nazi-Sympathisanten verhaftet, der Gestapo in Sombor übergeben und mit zwei anderen deutschen Vorsitzenden der ungarischen Regierungspartei als Volksverräter angeklagt. Ungarische Gendarmen behielten den Wagen der Gestapo mit den Gefangenen auf seinem Weg zum Kriegsgericht in Szeged im Auge, ihnen verdankten sie ihr Leben.
Am Ende dankte Tagungsleiter Stefan Teppert den Teilnehmern, auch denjenigen, die per Echtzeitübertragung dabei waren, für ihr Interesse und wünschte ihnen, wie er selbst neue Erkenntnisse gewonnen zu haben. Wörtlich sagte er zurückblickend auf die Tagungstrilogie: „Einige Fragen sind beantwortet, viele andere jedoch offen geblieben oder neu aufgeworfen worden. Sollte es uns gelungen sein, die Forschung zum Thema dieser Tagungsreihe zu intensivieren, den einen oder anderen Historiker zu ermuntern, sich des längst nicht ausgeschöpften Themas anzunehmen, hätten wir viel erreicht. Die Referenten haben in mancherlei Aspekten wissenschaftliches Neuland betreten. Tagungsbände sollen ihre Ergebnisse zugänglich und nachvollziehbar machen. Doch unsere Wissenslücken über den Widerstand in all seinen Formen und Facetten sind gewiss immer noch größer als die gesicherten Erkenntnisse, die wir uns mit allen drei Tagungen erarbeiten konnten. Auch nach über sieben Jahrzehnten, die uns mittlerweile von jener Bedrängnis und Gewissensnot trennen, die vielfach Auflehnung und Verweigerung, Opposition und aktiven Widerstand hervorriefen, auch nach so langer Zeit ist es nicht zu spät, sich damit zu beschäftigen und Licht ins Dunkel zu bringen, schon deshalb, weil wir beim Differenzieren unseres Geschichtsbildes Mut und Standhaftigkeit dieser Menschen respektieren und ehren lernen, aber auch deshalb, weil ihre Haltung alles andere als ein Schandfleck für uns ist. Sie können uns vielmehr Vorbild sein für Zivilcourage und tapferes Festhalten an eigenen Überzeugungen, für die unerschrockene Verteidigung der Menschenwürde in den Anfechtungen der Gegenwart.”
Die Tagung kann in mehreren thematischen Abschnitten auf dem Youtube-Kanal der Kulturtstiftung unter https://bit.ly/kulturstiftungvideo abgerufen werden.
spt
(Bilder: E. Gierlich, wenn nicht anders angegeben)