Zeithistorische Fachtagung, Köln,
Maternushaus, 15./16. Oktober 2018
Wiss. Leitung: Prof. Dr. Karl-Joseph Hummel, Meckenheim
Dem Widerstand in Schlesien und dem Sudetenland ein Gesicht geben
Das von Dr. Bernd Fabritius, dem Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, an die Tagungsleitung übersandte Grußwort darf eingangs nicht fehlen: „Die Vertriebenen und ihre Verbände haben stets betont, dass ihr grenzüberschreitender Einsatz für Verständigung auf dem Fundament von Wahrheit und Gerechtigkeit fußt. Wissenschaftliche Tagungen, wie die der Kulturstiftung der deutschen Heimatvertriebenen zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Schlesien und im Sudetenland, festigen dieses Fundament – und zeigen, wie wichtig die Arbeit unserer Institutionen nach wie vor ist. Je weiter voran die Geschichte schreitet, desto notwendiger wird es, wahrheitsgemäß daran zu erinnern und einseitige Vorurteile aufzubrechen. Dazu leistet die Kulturstiftung einen wesentlichen Beitrag, indem sie deutlich herausstellt, dass selbstverständlich auch in Schlesien und im Sudetenland Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet wurde und diesem Widerstand Gesichter gibt.“
Erster Teil einer Trilogie zum Widerstand im Osten
„Das Wichtigste ist der Mut!“ Diesen bekannten Ausspruch des ehemaligen Kölner Oberbürgermeisters, Nazi-Gegners und späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer stellte Christine Czaja, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kulturstiftung, der Tagung als Motto voran. Die älteste Tochter des früheren Stuttgarter Bundestagsabgeordneten und langjährigen BdV-Präsidenten Dr. Herbert Czaja konnte zahlreiche Teilnehmer mit „historischem Weitblick“ begrüßen, darunter den Ehrenvorsitzenden der Kulturstiftung Hans-Günther Parplies und deren Geschäftsführer Dr. Ernst Gierlich. Czaja beklagte die seit dem Jahr 2000 unter der rot-grünen Bundesregierung eingestellte institutionelle Förderung für die Kulturstiftung. Alle 17 Hauptamtlichen mussten deshalb entlassen und das große Bonner Büro aufgegeben werden. Nur Gierlich blieb, arbeitete viele Monate ehrenamtlich weiter und versieht bis heute mit aufs Äußerste gekürzten Mitteln ein keineswegs geschrumpftes Aufgabenspektrum, das vormals ein vielköpfiges Team wahrnahm. Wegen der verspäteten Verabschiedung des Bundeshaushalts brachte er zuletzt das Kunststück fertig, zwei Tagungen innerhalb von jeweils zwei Wochen vorzubereiten. Dafür sprach ihm Czaja Dank und Lob aus. Begrüßen konnte sie u. a. auch Prälat Prof. Dr. Helmut Moll, den Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für das Martyrologium des 20. Jahrhunderts, sowie den Apostolischen Visitator em. Dr. Joachim Giela, der sowohl Vorsitzender des Schlesischen Priesterwerks wie auch des dortigen West-Ost-Forums ist. Besonders freute sich Christine Czaja, dass etliche Angehörige der Familien Matuschka und Pant anwesend waren. Schließlich merkte sie an, dass sowohl für die Deutschen in Mitteldeutschland als auch in der Tschechoslowakei und in Polen bis 1990 keine Möglichkeit bestand, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu erforschen. Offiziell gab es dort nur denjenigen von kommunistischer Seite. Bezeichnend sei es, dass in Tschechien erst am 24. August 2005 ein Beschluss formuliert wurde, nach dem auch bei deutschen Landsleuten Opposition und Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime existiert hatten. Für Herbert Czaja ebenso wie für viele Studenten in Krakau sei Eduard Pant moralisches Vorbild der Auflehnung und politischer Lehrmeister gewesen. Ganz im Sinne dieses väterlichen Vermächtnisses hat die Tochter nun diese Tagung angeregt und als Netzwerkerin möglich gemacht. Nach ihrem Vorschlag sollen zwei weitere derartige Tagungen folgen: 2019 zu exemplarischen Nazi-Kontrahenten in Ost- und Westpreußen sowie in Pommern und Posen, 2020 zu solchen bei deutschen Volksgruppen in Südosteuropa.
Widerstand als Thema der Forschung in der Bundesrepublik und der DDR
Der evangelische Gemeindepfarrer und Kirchenhistoriker Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt aus Berlin zeigte das sich wandelnde Selbstbild der evangelischen Kirche in Deutschland in ihrem Verhalten gegenüber dem Nationalsozialismus. Im April 1955 wurde vom Rat der EKD eine „Kirchenkampfkommission“ gegründet, in der alle konkurrierenden erinnerungspolitischen Fraktionen vertreten waren. Ihre Arbeit zielte zunächst auf Dokumentation, zu diesem Zweck sollten Quellen in Privatbesitz erschlossen, Zeitzeugen-Interviews geführt, eine Bibliografie aus zeitgenössischem Schrifttum und Sekundärliteratur erstellt und entsprechende Aktivitäten auch auf landeskirchlicher und regionaler Ebene initiiert werden. In der ersten Phase dieser kirchlichen Zeitgeschichte von Mitte der 40-er bis Ende der 60-er Jahre, die erst in zweiter Linie auf analytische Studien angelegt war, wurden Teile des Protestantismus mit breiten Konsenszonen zum Nationalsozialismus ausgeblendet. Indem der Bezug zu den Zeitzeugen auch das Arbeitskonzept der Kommission beherrschte, erinnerte sich die Erlebnisgeneration und rechtfertigte ihr Handeln rückblickend. Der Bedarf an moralischer Orientierung und zur Abwehr der Kollektivschuldthese machte die Publikationen dieser Phase stark normativ, ließ kaum differenzierende Zwischentöne zu. Im Unterschied zur katholischen Kirche, die schon früh Allgemeinhistoriker einband, war die Arbeit der Kirchenkampfkommission bis in die 70-er Jahre hinein von einem spezifisch kirchengeschichtlichen Ansatz dominiert. Erst Ende der 60-er Jahre erfolgte eine Neuorientierung. Die Kommission wurde umbenannt in „Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte“. Der Tübinger Kirchenhistoriker Klaus Scholder arbeitete an einer Gesamtdarstellung des Kirchenkampfes im 3. Reich unter Berücksichtigung beider christlichen Kirchen und erhellender Rückkoppelung an die Weimarer Republik. Sein Standardwerk durchbrach erstmals die Schallmauer zwischen kircheninterner und allgemeiner Geschichte. Die neuen Forschungsperspektiven auch etwa bei den Historikern John S. Conway und Kurt Mayer seien, so Hutter-Wolandt, einzuordnen in die allgemeinen Vertiefungen bei der Auseinandersetzung mit dem NS-Staat. Ein behutsam durchgeführter Generationenwechsel in der Arbeitsgemeinschaft trug ebenfalls zur Modernisierung in Profil und Arbeitsweise ihrer zweiten Phase bei. Neu war die Ausweitung des Forschungsgegenstands, eine die Konfessionen und die NS-Zeit übergreifende Perspektive. Der heilsgeschichtliche Ansatz der Kirchenhistoriker schien nicht mehr vereinbar mit dem sozialgeschichtlichen der Allgemeinhistoriker. Erst ab 1985, nach dem Tod des charismatischen Scholder, begann die evangelische Kirchengeschichtsschreibung unter Konflikten und Abspaltungen ihr eigenes methodisches Vorgehen und ihre Zielsetzung zu reflektieren. Die deutsche Wiedervereinigung eröffnete neben dem neuen Forschungsfeld der zweiten deutschen Diktatur und dem des Diktaturvergleichs auch eine gesamtdeutsche Kirchengeschichtsschreibung. Die Forschung verabschiedete sich vom heroischen „Kirchenkampf“ als Epochenbegriff. Der neue sozialhistorische Ansatz fokussierte nicht mehr das Handeln von herausragenden Einzelpersönlichkeiten, sondern verlangte die Analyse des protestantischen Milieus, das insgesamt gesehen weniger als Nährboden für Widerstand, sondern vielmehr als eine Haupteinbruchstelle der Ideen von 1933 in die Gesellschaft gelten musste, dies ungleich stärker, als es in katholischen Milieus der Fall war. In den 90-er Jahren setzte sich eine neue Protestantismusgeschichte durch, die Theologie und Kirchengeschichte mit sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen verband. Auch die Frage, wie sich Protestanten gegenüber der rassistischen Verfolgungspolitik des NS-Regimes verhalten haben, und das Thema der Zwangsarbeit entwickelten nach der Wende neue Dynamik und brachten neue Wertungen. Die dabei entstandenen Debatten trugen dazu bei, das Selbstbild des Widerstandes oder doch zumindest der geschützten Insel, das kirchliche Einrichtungen lange Zeit gepflegt hatten, in Frage zu stellen. Eine Internet-Ausstellung mit dem Titel „Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus“, die frühere Deutungskategorien reflektiert und die eigene Tätigkeit historisiert, spiegelt auch die Auseinandersetzung über unterschiedliche Widerstandsbegriffe und die Frage, was als christlicher Widerstand gelten kann.
Ein zu wenig gewürdigter oberschlesischer Oppositioneller
Dr. Pia Nordblom, die an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz lehrt, beschäftigte sich – eine Woche vor seinem 80. Todestag – mit Eduard Pant, einem ostoberschlesischen Politiker in Polen und Gegner des Nationalsozialismus. Erst mit der Wende 1989, als in Polen die Rekonstruktion von Regionalbewusstsein einsetzte, wurde das Wirken des lange vergessenen Pant in dem Theaterstück „Senator“ von Stanislaw Bieniasz (Premiere 2008 in Königshütte) und einer Ausstellung in Gleiwitz 2009 gewürdigt. Demgegenüber fehlt bis heute jeglicher Hinweis auf Pant in der virtuellen hall of fame, dem biographischen Portal des Widerstandes auf der Homepage der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Aber Pant könnte zum Lehrstück für Schüler in beiden Ländern werden, so Nordblom, wenn das gemeinsame deutsch-polnische Geschichtsbuch „Europa – unsere Geschichte“ erscheint. Pant war zeitlebens zutiefst im Katholizismus verwurzelt, wurde zunächst Gymnasiallehrer in Bielitz, kehrte schwer verletzt aus dem Ersten Weltkrieg zurück und wurde polnischer Staatsbürger, als die Stadt am nordwestlichen Zipfel Österreichs an Polen fiel. Pant betätigte sich kommunalpolitisch, gewerkschaftlich und journalistisch. Seine kompromisslose Haltung gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung hatte zur Folge, dass er als Führungspersönlichkeit des deutschen katholischen Lagers konsequent entmachtet wurde. Damit begann der zweite Teil seiner Vita, in dem er sich in der Ära Dollfuß dem NS-Goliath als Journalist entgegenstellte. Am 4. Februar 1934 erschien die erste Nummer der Wochenzeitung „Der Deutsche in Polen“ (DiP), die mit Hilfe zahlreicher bekannter Emigranten zum Sprachrohr selbstbewusster christlicher Laien wurde, Orientierung gab bei der Bewertung des Nationalsozialismus und zum entschiedenen Auftreten der Amtskirche gegen ihn ermutigen wollte. Dementsprechend wurden die Übergriffe und Gewaltexzesse gegen Juden im Reich kritisiert. Von Wien aus versuchte Pant zusammen mit Paul Schiemann, eine unabhängige Minderheitenbewegung zu etablieren. Der Anschluss Österreichs im März und der Tod Pants im Herbst 1938 beendeten diese Bemühungen. Die Opposition des DiP speiste sich nicht aus der Erfahrung von Stalingrad, die Reichspogromnacht hat Pant nicht mehr erlebt. Dennoch ging es seiner Zeitung um die Widerherstellung von Recht und Ordnung auf der Basis christlicher Kultur. „Die Rückbesinnung auf die ‚Würde der gottgeschaffenen, unsterblichen Menschenseele und ihre sittliche Selbstbestimmung’ und das Bekenntnis zum christlichen, freiheitlichen, föderalen Rechtsstaat ohne hegemoniale Aspirationen waren gleichsam das Credo des DiP für die Zeit nach Hitler“, sagte Nordblom. Die Frage, ob der Begriff „Widerstand“ angemessen sei für das Wirken Pants, beantwortete sie eindeutig positiv. Die Zivilcourage Pants und seines Kreises verdiene besondere Anerkennung. Ihr Handeln zeige nämlich, „dass es innerhalb der Minderheit Alternativen zu Gleichschaltung, Anpassung und Handlangerschaft für den Nationalsozialismus gegeben hat“. Unter hohem persönlichem Risiko habe Pant sich den Anforderungen der Opportunität entzogen. Dass der Kern seiner Mitarbeiter beim Ausbruch des Krieges geflüchtet ist und Nachforschungen der NS-Schergen ausgesetzt war, zum Teil ihr Mitwirken am DiP mit Gefängnis und Tod bezahlt hat, zeige deutlich, wie sehr die Nationalsozialisten diesen Kreis als ihren Herrschaftsanspruch unterminierenden Gegner wahrnahmen. Für ungewöhnlich und seiner Zeit weit vorausgreifend hielt Nordblom Pants Modell für das Zusammenleben von unterschiedlichen Nationalitäten in einem Staat. Er gestand einerseits der Minderheit Kulturautonomie und Gleichberechtigung zu, verlangte andererseits ihre unbedingte Loyalität in gegenseitiger Toleranz und Respekt. Diese Ideen, die Pant zu einem Mittler zwischen Deutschen und Polen werden ließen, seien nach wie vor aktuell.
Wderstand in Oberschlesien
Konrad Glombik, Professor für Moraltheologie und Spiritualität an der Universität Oppeln, begann seinen Vortrag mit allgemeinen Einführungsgedanken zum Widerstand in Oberschlesien und stellte dann zwei Persönlichkeiten des dortigen Widerstands dar. Über den Widerstand in Polen und speziell in Oberschlesien zu sprechen, sei eine komplizierte Sache, weil dazu einerseits nicht nachgeforscht wurde und in der polnischen Geschichtsschreibung die Ansicht vorherrsche, dass jegliche Hitler-Gegnerschaft automatisch mit einer patriotischen pro-polnischen Einstellung einhergehe. Die Skala der Widerstandsformen reichte von der inneren Emigration bis zu Attentatsplänen auf Hitler. Noch komplizierter wurde die Lage in Schlesien durch ethnische Mischung und Präsenz deutscher wie polnischer Konspirationsorganisationen, Widerstands- und Partisanengruppen, von denen leider keine erfolgreich war. Als bekannteste deutsche Widerstandsgruppe in Schlesien wird in einer polnischen Publikation von 2012 der Kreisauer Kreis gewürdigt. Auch wenn es in Oberschlesien keine bedeutende deutsche Widerstandsbewegung gegen Hitler gab, waren es doch mehrere Personen, überwiegend katholische Geistliche, die gegen das Nazi-Regime auftraten und deshalb schikaniert, verhaftet und ermordet wurden. Verzeichnet sind sie im „Deutschen Martyrologium des 20. Jahrhunderts“, herausgegeben von Prälat Moll. Glombik skizzierte den Lebenslauf zweier entschiedener Nazi-Gegenspieler, die in mittelbarer Nähe zum Kreisauer Kreis standen, deren Leben und Wirken mit einer gewissen Tragik verbunden sei, die aber in der polnischen Historiografie kaum beachtet oder als Nazi-Gegner bekannt wurden: Graf Michael von Matuschka und Prälat Carl Ulitzka. Der 1888 in Schweidnitz geborene und aus einer alten katholischen Adelsfamilie stammende Matuschka wurde nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 aus seinem Amt als Landrat entlassen und in den Ruhestand versetzt. Als Beamter unter dem Nazi-Regime hatte er immer wieder zwischen Staatsräson und Hochverrat abwägen und entscheiden müssen und so viel Unrecht verhüten oder abschwächen können. Später setzte er sich für die Wiederherstellung normaler deutsch-polnischer Beziehungen ein, hinterließ aber nur wenige Spuren in der historischen Überlieferung. Im September 1944 wurde er im Gefängnis Berlin-Plötzensee erhängt, obwohl er aus seiner religiösen Überzeugung heraus eine Beendigung der Hitler-Herrschaft durch Gewaltanwendung abgelehnt hatte und kein aktiver Verschwörer gewesen war. Aber seine umfangreiche Korrespondenz mit Männern des Widerstands, besonders mit Fritz-Dietlof von der Schulenburg, wurde ihm als Mitwisser des Anschlags zum Verhängnis. Von den Verschwörern sei er gern als künftiger Regierungspräsident in Schlesien gesehen worden. Der 1873 im oberschlesischen Jernau geborene Carl Ulitzka engagierte sich nach dem Ersten Weltkrieg für den Verbleib Oberschlesiens im Deutschen Reich. In einer Veröffentlichung an die christlichen Mütter beklagte er die „Verweltlichung des ganzen Lebens“ und das herrschende „neuzeitliche Heidentum“. Trotz Verbots engagierte er sich für die polnische Sprache und Tradition in Oberschlesien. Am 11. Juli 1939 wurde er als „scharfer Gegner der NSDAP“ und „Anhänger des Polentums“ aus seiner Heimat verbannt. Er lebte zurückgezogen als Hausgeistlicher im St.-Antonius-Krankenhaus in Berlin-Karlshorst. Am 28. Oktober 1944 wurde er von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und zunächst in ein Berliner Polizeigefängnis eingeliefert, wo er drei Wochen zubrachte, bevor er als so genannter Schutzhäftling im Zuge einer „vorbeugenden Maßnahme“ in das Konzentrationslager Dachau geschafft wurde, um dort vier Monate festgehalten zu werden. Ulitzka gehörte nicht zum Widerstandszirkel um Moltke und Stauffenberg, war auch nicht für eine politische Funktion nach einem gelungenen Staatsstreich vorgesehen, hat aber von den Umsturzplänen gewusst und sie für sich behalten. Ausschlaggebender Grund seiner Inhaftierung war wohl nicht seine strikte Ablehnung der Nazi-Herrschaft, sondern die mutmaßliche Zugehörigkeit zum organisierten Widerstand. Nach dem Krieg verweigerten die polnischen Behörden ihm, die seelsorgliche Tätigkeit in seiner Pfarrei St. Nikolaus in Ratibor-Altendorf fortzusetzen. Unter Morddrohungen musste er ein zweites Mal seine Heimat verlassen. Matuschka wie auch Ulitzka seien „edle Gestalten der deutschen und oberschlesischen Geschichte“, resümierte Glombik und warb dafür, dass nicht wenige andere Personen und eine breite Schicht der Bevölkerung in Oberschlesien, die gegen das NS-Regime auftraten, in ihrer Haltung und ihren Beweggründen Gegenstand weiterer Forschung und Studien werden sollten.
Widerstand in Niederschlesien
Das Referat von Prof. Dr. Günter Brakelmann von der Ruhr-Universität Bochum musste krankheitshalber unter Abänderung des Themas verlesen werden. Im Mittelpunkt stand jetzt das Christentum als „Grundlage für die sittliche und religiöse Erneuerung des Volkes“. Als Ergebnis dreijähriger intensiver Diskussionen untereinander und zahlreicher Konsultationen von befreundeten Fachleuten auf den verschiedensten Gebieten, festgehalten in sodann gemeinsam beschlossenen Papieren, einigten sich die Mitglieder des Kreisauer Kreises am 9. August 1943 auf abschließende „Grundsätze für die Neuordnung“ für die Zeit nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. Ihr Ziel war nicht eine Wiederherstellung von Ordnungen und Zuständen früherer Epochen, vielmehr ging es um einen umfassenden Neuaufbruch von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft nach den Erfahrungen im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und vor allem in der NS-Zeit. Es ging um eine andere Ära, um die Überwindung von Grundirrtümern oder Verfehlungen einer religiösen und geistigen Entwicklung seit der Reformation. Sie hatte die Saat für die Katastrophe abgegeben. Eine Bewusstseinsrevolution müsse erfolgen, beginnend mit einer radikal-schöpferischen Neubesinnung auf den christlichen Glauben mit der ihm implizierten Anthropologie und Ethik. In der alternativen Welt solle es weder Militarismus oder Totalitarismus noch Rassismus oder völkisch-nationalistischen Imperialismus geben. Der Aufbau eines anderen Deutschlands müsse verschränkt werden mit einer Neuorientierung der Gewissen. Die Kreisauer hätten immer zugleich die europäische Völker- und Staatenwelt mit gesehen und allen Europäern vier Bauelemente für ein humanes Gemeinwesen empfohlen: die christliche Religion, die humanistische Bildung, die sozialistische Gesinnung und die historische Bindung. Die Anerkennung der unverletzlichen Würde der menschlichen Person sollte die alles andere bestimmende Grundnorm sein, aus der sich wichtige Zielbestimmungen ableiten lassen: Glaubens- und Gewissensfreiheit, Rechtsgleichheit, Sozialpflichtigkeit, Solidarität, verantwortliche Mitwirkung in allen Lebensbereichen, Einübung des Prinzips und der Praxis von Partizipationen an allen zu gestaltenden Lebensprozessen. Diesen Aufgaben entsprächen die beiden Rechte auf Arbeit und Eigentum. Arbeit müsse so gestaltet werden, dass sie die persönliche Verantwortungsfreudigkeit fördert. Nach dem gleichen Prinzip verantwortlicher Teilhabe sollte nicht nur der mündige Staatsbürger, sondern auch der mitbestimmende Wirtschaftbürger agieren. Die verbindende Klammer zwischen Katholiken, Protestanten und Sozialisten im Kreisauer Kreis war die Rückbesinnung auf die kirchliche Naturrechtslehre. So konnten sich nicht nur der Protestant Helmuth James Graf von Moltke und der Katholik Pater Alfred Delp SJ untereinander, sondern beide auch mit den Wirtschaftsfachleuten der Kreisauer Carl-Dietrich von Trotha, Horst von Einsiedel und Otto von der Gablentz sowie Günter Schmölders auf einen dritten Weg jenseits von Kapitalismus und Marxismus einigen. Die Polarität von personaler Freiheit und solidarischer Verantwortung war ökumenischer und freiheitlich-sozialistischer Konsens im Kreisauer Freundeskreis. In kritischer Beerbung der besten Traditionen sollten ein neues Staatswesen und ein neues Gesellschaftssystem geschaffen werden. Eine europäische Ordnung mit Staatscharakter sollte die friedliche Entfaltung nationaler Kulturformen als Bereicherung für alle ermöglichen und zugleich der Konfrontation zwischen den Mächten des Ostens und des Westens eine eigenständige soziale, wirtschaftliche und politische Option entgegensetzen. Die Kreisauer haben, schloss Brakelmann, den großen weltanschaulichen und ordnungspolitischen Kompromiss mit vorbereitet, wie er in der Verfassung der BRD 1949 Ereignis werden sollte. Ihre Thesen zur Neuordnung seien eine „nichtrevolutionäre Revolution“.
“Aus schwerer Zeit”
Eine Konzertsoirée mit Werken „Aus schwerer Zeit“ für Violoncello und Klavier sowie Klavierstücke boten Helmut Scheunchen (Violoncello) und Günter Schmidt (Klavier), Angehörige des „Malinconia-Ensembles Stuttgart“. Trotz der kammermusikalischen Besetzung wurde ein vielseitiges, exquisites Programm mit Kompositionen aus der Zeit zwischen 1933 bis 1945 vorgestellt von Komponisten aus den untergegangenen deutschen Kulturlandschaften im Osten: den baltischen Landen, aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland. Sie gehören weitgehend einer Generation von verschollenen Tonsetzern des 20. Jahrhunderts an, die sich aus der Spätromantik zur Moderne entwickelten, sich durch eine große stilistische Vielseitigkeit auszeichnen und wohl nur dem Spezialisten bekannt sind, dem Konzertbesucher jedoch selbst heute noch ein tiefes Hörerlebnis ermöglichen. „Ein paar Takte Musik spiegeln die Zeit unmittelbarer wider, oft auch deutlicher als viele Seiten historischer Abhandlungen. So manche Komposition entstand unter existenziell schwierigsten Verhältnissen, in Gefechtspausen, in Lagern und Gefängnissen, im Luftschutzkeller, beim Ausführen geistesferner Befehle, in Krankheit und Verwundung, aber auch bei verschlossenen Gardinen im eigenen Refugium geistiger Freiheit als Widerstand zu Aufmärschen und Propaganda der Straße und der Politik.“ So beschreibt es eindringlich das Programmheft, in dem Kurzviten der Komponisten (Hans Georg Burghardt aus Breslau, Heinz Tiessen aus Königsberg, Heinrich Simbriger aus Außig, Gerhard Strecke aus Oberglogau/Oberschlesien, Edmund Nick aus Reichenberg/Böhmen, Walter Freymann aus Riga und Alois Heiduczek aus Deutsch-Piekar/Oberschlesien) und der Ausführenden zu finden sind. Zwischen den Stücken lasen Christine Maria Czaja und Ernst Gierlich erschütternde Zeitzeugnisse: den letzten Brief Helmuth James Graf von Moltkes aus dem Gefängnis vom 10. Januar 1945, mit gefesselten Händen geschriebene Kassiber aus dem Gefängnis von P. Alfred Delp SJ aus den Jahren 1944 und 1945 und eine Passage aus den Erinnerungen des Komponisten Burghardt.
Widerstand aus christlicher Überzeugung
Den zweiten Tag eröffnete der wissenschaftliche Leiter der Tagung Prof. Dr. Karl-Joseph Hummel aus Meckenheim mit einer „Skizze“ zum Leben und Wirken von Paulus van Husen, einem auch dem Publikum Unbekannten aus dem Kreisauer Kreis. Hummel stellte sein Leben „vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland“ dar. Van Husen wurde 1891 im westfälischen Horst geboren, stammte aus einer Arztfamilie und war Teilnehmer des Ersten Weltkriegs. Nach seinem Abitur in Münster studierte und promovierte er in Rechts- und Staatswissenschaften. Wesentlich geprägt wurde er durch seinen Aufenthalt in Oberschlesien, wo er in Oppeln 1920 das Amt des Regierungsassessors antrat. Massiv war er in den Abstimmungskampf um die Teilung Oberschlesiens einbezogen, kämpfte für die Wahrung der Minderheitenrechte der deutschen Bevölkerung und den Ausgleich zwischen Deutschen und Polen. Er unterstützte die Politik der 1921 gegründeten Katholischen Volkspartei (KVP) und vor allem Eduard Pant, mit dessen politischen Zielen er weitgehend übereinstimmte. In seinem Amtsvorgänger Hans Lukaschek fand er in dieser Phase einen lebenslangen Freund, dem er in beruflichen Positionen mehrfach nachfolgte. Beide verband ihre Opposition gegen den Nationalsozialismus, die sie auch ihre Ämter kostete. In einer politischen Beurteilung wurde van Husen damals prophezeit, dass ihm der bedingungslose Einsatz für den Nationalsozialismus aus seiner katholischen Gebundenheit heraus stets unmöglich sein würde. Van Husen wurde 1934 als Richter ans preußische Oberverwaltungsgericht nach Berlin versetzt, wo er 1935 in Grunewald ein Haus baute, um seiner verwitweten Mutter und der Schwester mit ihren sechs Kindern ein Heim zu geben. Im Mai 1940 im Range eines Rittmeisters der Reserve zur Wehrmacht eingezogen, brachten die vielfältigen Kontakte zu anderen Dienststellen ihn mit Regimegegnern wie Helmuth James Graf von Moltke in Kontakt, der van Husen in den Kreisauer Kreis einführte. Van Husen nahm als juristischer Berater der Verschwörer eine zwar unspektakuläre, aber gewichtige Funktion ein. Er befasste sich vor allem mit Fragen des Minderheitenschutzes, der Rechtsstaatlichkeit, des Neuaufbaus der Justiz in einem zu gründenden Staat, der Gerichtsverfassung und des Rechtsschutzes durch unabhängige Verwaltungsgerichte. Mit seinen unter Pseudonym veröffentlichten Abhandlungen hat er einen erheblichen Anteil an den Grundsatzdokumenten des Kreisauer Kreises. In der vorgesehenen Übergangsregierung war van Husen als Staatssekretär im Reichsinnenministerium eingeplant. Auch als Kurier etwa zu Bischof von Galen in Münster und den Münchener Jesuiten war der Jurist unentbehrlich für die Umstürzler. Wiederholt konnten sie van Husens Grunewalder Haus für konspirative Treffen nutzen. Mit dem geplanten Mordanschlag auf Hitler tat sich van Husen aus seiner christlichen Überzeugung heraus schwer, sah aber im vertrauensvollen Kontakt mit Moltke, Wartenburg und Stauffenberg die Unumgänglichkeit eines Attentats ein und wurde so vom Mitwisser zum Anstifter. Im Gegensatz zu einigen durch Henkershand umgekommenen Kreisauer Freunden hatte van Husen das lebensrettende Glück, dass sein Prozess durch den Tod Freislers verzögert und abgespalten wurde. Er wurde am 19. April 1945 zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe verurteilt, die aber unvollstreckt blieb. Bald nach seiner Entlassung aus der Haft war er an der Gründung der CDU beteiligt. 1945 zunächst Berater bei der Zivilverwaltung der amerikanischen Militäradministration in Cottbus, beeinflusste er den Aufbau einer Verfassungsgerichtsbarkeit beträchtlich. Adenauers wiederholtes Angebot, Staatssekretär in der Bundeskanzlei zu werden, schlug er aus, weil er unbedingt Präsident des Verwaltungsgerichtshofs in Münster und des Verfassungsgerichtshof von NRW werden wollte, was er auch verwirklichte, indem er diesen Institutionen eine unabhängige Stellung als dritte Gewalt zu verschaffen trachtete und auch in diesen Funktionen seinen religiösen Überzeugungen öffentlich Ausdruck verlieh. Noch höhere Positionen, die er anstrebte, blieben ihm versagt. Aus Enttäuschung über die mangelhafte Verwirklichung der Ideen des Kreisauer Kreises zogen sich nach 1945 nicht nur van Husen und Lukaschek, sondern auch Otto Heinrich von der Gablentz, Eduard Steltzer und Hans Peters, vorübergehend auch Eugen Gerstenmaier aus dem politischen Tagesgeschäft zurück. Für Paulus van Husen erhielt alles Recht wie auch alle sonstigen Werte Inhalt und Sinn nur durch die Bezogenheit auf Gott. Er wies immer wieder auf ungelöste Grundprobleme hin wie das Verhältnis von Recht und Macht und den Machtmissbrauch, den er in der Parlamentarischen Demokratie am besten gebändigt sah. Van Husen starb 1971 mit 80 Jahren in Münster. Für nächstes Jahr kündigte Prof. Hummel schließlich eine lesbare Kurzfassung der Lebenserinnerungen van Husens an, nachdem eine umfangreiche Fassung schon greifbar ist.
Der polnische Diskurs zum Widerstand
Univ.-Prof. Dr. habil. Aleksandra Chylewska-Tölle von der Adam-Mickiewicz-Universität Posen/Poznań bot eine zusammenfassende Darstellung der Entwicklung des polnischen Diskurses zum deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus seit 1945. In diesem Diskurs seien unterschiedliche Instrumentalisierungsmanöver festzustellen, so dass je nach dem gewünschten Zweck andere Begriffe verwendet werden. Außer von „Widerstand“ werde in breiter oder ideologisch verengter Definition auch von „Opposition“, „Missbilligung“, „Konspiration“, „Verschwörung“, „Revolte“ bzw. „Komplott“, „Putsch“ oder auch „Widerstandsbewegung“ gesprochen. Anfangs billigten polnische Historiker nur den Aktivitäten von kommunistischen Gruppierungen und ihren Verbündeten die Ehre des Widerstands zu, während sie die Haltung der katholischen Kirche im Dritten Reich eher als „vorsichtige Missbilligung“ verstanden. Das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde als „erfolgloses Unternehmen der imperialistischen Klassenherrschaft“ bezeichnet. In dieser Zeit habe die antideutsche Rhetorik die Anliegen der polnischen Machthaber bei der Legitimierung der sog. „Wiedergewonnenen Gebiete“ unterstützt. Auch angesichts eines zu geringen Wissens sei diese Problematik pauschalisierend dargestellt worden. In den 1960-er Jahren waren die polnischen Bischöfe wohl die ersten, die öffentlich auch die deutschen nicht kommunistischen Widerstandskämpfer erwähnt haben. Erst die Lektüre von Anna Morawskas Werk über Dietrich Bonhoeffer (1970), das auch auf das damals fehlende Verständnis für das Leben in einer totalitären Diktatur eingeht, wurde für polnische oppositionelle Eliten zum Ausgangspunkt einer lang anhaltenden Debatte, in deren Gefolge ein höheres Reflexionsniveau die Betrachtungen auszeichnete. Seit den 1970-er Jahren konnten zudem in Polen die Abhandlungen ost- und vorzugsweise westdeutscher Historiker zum Thema erscheinen. Einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des polnischen Diskurses habe auch die 1972 gegründete deutsch-polnische Schulbuchkommission geleistet, in deren Rahmen das teils kontroverse Projekt „Deutsch-Polnisches Geschichtsbuch“ erwähnenswert ist. Das Ende des kommunistischen Systems habe, so Chylewska-Tölle, zu einem tendenziellen wissenschaftlichen Desinteresse am Widerstand von kommunistischen Gruppierungen geführt. Liberal-demokratische Strömungen gegen die NS-Herrschaft erfuhren deutlich mehr Aufmerksamkeit. Mit dem Fortschritt der Forschungen werde immer mehr die Komplexität der Motivationen und des Verhaltens im Nazi-Regime deutlich. Den polnischen Intellektuellen, die sich bis 1989 in der Opposition gegen das kommunistische Regime befanden, waren die unterschiedlichen Dilemmata einzelner Kirchenmitglieder nicht fremd, daher widmeten sie sich mit Interesse dem Schicksal ihrer Glaubensbrüder aus der Zeit des Dritten Reiches. Die Lektüre von Bonhoeffers Werk wurde als Beitrag zur Aufnahme eines Dialogs zwischen den sog. laizistischen Linken und antikommunistisch geprägten Kreisen der katholischen Intellektuellen empfohlen. Geforscht wird in Polen nach wie vor zur Problematik der Widerständler aus den Kreisen der sog. „konservativen Revolution“, deren antislawische Haltung kritisiert wird. Stauffenberg habe nicht den Völkermord beenden, sondern lediglich Deutschland vor einer totalen Niederlage retten wollen, so die Reaktionen auf einen Vergleich des polnischen Staatspräsidenten Komorowski zwischen dem Attentat auf Hitler und dem Warschauer Aufstand. Weitgehend unumstritten bleiben in polnischer Forschung und Öffentlichkeit die Aktivitäten der Widerständler aus dem Kreisauer Kreis. Eine angemessene Würdigung erwachse in Polen vor allem aus dem Umstand, dass dieser eine enge Verbindung von Kirche, Christentum und Staat postulierte. Durchgehend positiv werde auch die „Weiße Rose“ wahrgenommen. Jedoch sei die Erinnerung an den deutschen Widerstand auch heute noch vielen Polen ein Dorn im Auge, wodurch das Thema leicht von der Politik instrumentalisiert werden kann, so geschehen 2007 durch Premierminister Jarosław Kaczyński, der in Reaktion auf eine vermeintliche Gestaltung der deutsche Geschichtspolitik mit Hilfe von Filmproduktionen wie „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ (2005) oder „Operation Walküre“ (2007) über eine „rachitische Verschwörung“ und die „breite Masse der Mitläufer“ polemisierte. Bei den heftigen Debatten um das in Deutschland geplante „Zentrum gegen Vertreibungen“ sei der deutsche Widerstand weitgehend in Frage gestellt worden. Angesichts der polnischen Sensibilität gegenüber diesem Thema liege noch eine lange Diskussion vor uns, die aber, so bleibe zu hoffen, „in Zukunft wieder mehr auf Forschungsergebnissen basiert und eher zu einem Abbau denn zur Verschärfung von Spannungen zwischen den polnischen und deutschen Nachbarn beitragen wird“.
Vormalige Oppositionelle in der Nachkriegszeit
Der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Rainer Bendel vom Institut für Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa in Tübingen sprach „Zum Beitrag katholischer Vertriebener zur Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland“ und konzentrierte sich dabei auf zwei paradigmatische Personen: Hans Schütz und Herbert Czaja. Die Notlage der unmittelbaren Nachkriegszeit mit zehn Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen, die sich ökonomisch, sozial, emotional und mental entwurzelt sahen, habe eine ungeahnte Spontaneität im Bereich der Ideen und Konzepte hervorgebracht, aber zugleich eine tiefgehende Angst vor Radikalisierung und Revolution evoziert. Die wesentlich von Vertriebenen wahrgenommene, ausgebaute und ausgestaltete Sozialpolitik sei jedoch in der BRD der zweiten Hälfte der 40-er und den 50-er Jahren zu einem Not wendenden Ordnungsfaktor geworden, sie rückte aus einer Randlage in das Zentrum des Wirtschafts- und Gesellschaftsprozesses und beschleunigte den volkswirtschaftlichen Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft, indem sie sich von ihrer Fixierung auf die Arbeiterpolitik löste. Der 1901 in Nordböhmen geborene Hans Schütz, von 1935 bis 1938 Abgeordneter der „Deutschen Christlichsozialen Volkspartei“ im Prager Parlament, lasse sich zwar schwer zu Widerständlern oder Oppositionellen rechnen, gerade aus seiner Geisteshaltung heraus werde aber ein umfassender Impuls für eine neue Ordnung sichtbar, in der die Vertriebenen zu Bausteinen eines prosperierenden Landes wurden. Die von ihm 1946 mitbegründete Ackermann-Gemeinde verdankt ihm ihre Ausrichtung auf die Versöhnungsarbeit mit dem tschechischen Volk genauso wie ihre feste Verwurzelung in der Kirche. Seit 1947 war Schütz einer der wichtigsten Vorkämpfer der Idee des Lastenausgleichs und hatte entscheidenden Anteil an dessen gesetzlicher Realisierung, die dann eine stabilisierende und pazifizierende Wirkung entfaltete. In einem ersten Schritt war damit der Weg der Vermögensrestitution umgangen. Dass man auch in den Folgejahren nicht auf die Umstrukturierung der Besitzstände zurückgreifen musste, sei der Dynamik des wirtschaftlichen Wachstums zu verdanken und öffnete für den Lastenausgleich neue Verteilungsspielräume wie Kriegsschadenrente, Wohnraumhilfe, Hausratentschädigung, Familienausgleich, Kinderzulagen, Betriebsverfassung: alles Initiativen, die von Schütz eingebracht wurden. Für das Zustandekommen des bayerischen Flüchtlingsgesetzes 1947 leistete er einen wesentlichen Beitrag. Es war die Grundlage für die weitere politische, soziale, wirtschaftliche und rechtliche Eingliederung der Vertriebenen und mündete im Bundesvertriebenengesetz. Für Schütz ebenso wie für Czaja waren der soziale Wohnungsbau der Kirchen und öffentlichen Hand, der Weg zur Eigentumsbildung und zur Sicherung des Familienlebens sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Vertriebene wichtige Anliegen. Auch Herbert Czaja habe eine zentrale Stellung und großen Einfluss auf die politische Gestaltung der Nachkriegszeit gehabt. Herbert Czaja sei nicht nur in der Flüchtlings- und Kriegsgeschädigtenfürsorge, durch seinen persönlichen karitativen Einsatz bei unterschiedlichsten Notlagen, nicht nur für die Bereitstellung von Infrastruktur im kulturellen und ideellen Bereich zunächst in Stuttgart und Umgebung von Bedeutung, sondern später auch als Mitgestalter der sozialpolitischen Gesetzgebung im Bundestag auf der Grundlage der katholischen Sozial- und Naturrechtslehre. Czaja war Mitbegründer der Ackermann-Gemeinde in der Diözese Rottenburg, über deren Leitungsgremium kam er zum Hufnagel-Kreis, wo grundsätzliche Fragen der Sozialpflichtigkeit von Eigentum zur Überlebenssicherung diskutiert und ins Lastenausgleichsgesetz getragen wurden. Die rechtliche Gleichbehandlung der Vertriebenen wurde als notwendige Grundlage für die Gleichbehandlung auch in sozialpolitischer Hinsicht gefordert und im bayerischen Flüchtlingsgesetz realisiert, 1951 auch auf Bundesebene. Ein ganzes Spektrum von sozialpolitischen Maßnahmen bis hin zur Arbeitslosenversicherung sei von Bundespolitikern wie Schütz und Czaja entwickelt und über die Parteigrenzen und Ausschüsse hinweg kommuniziert worden. Wie sie waren auch viele andere Vertriebenenpolitiker der CDU und CSU aktive Mitglieder der Christlichen Volkspartei, die später von den Nationalsozialisten verboten wurde. Obgleich aber die Sozialpolitik als wichtiger Integrationsfaktor und erstrangiges Steuerungsmittel gesellschaftlicher Stabilität und Veränderung außer Frage stehe, sei – gab Bendel zu bedenken – der beträchtliche Beitrag der Vertriebenen und vor allem der katholischen Sozialpolitiker aus ihren Reihen zu diesem Thema bislang kaum gewürdigt worden, nicht einmal in der mit erheblichen Steuermitteln finanzierten 12-bändigen „Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945“.
Widerstand im Sudetenland
Dr. Otfried Pustejovsky aus Waakirchen (Mitglied der Ackermann-Gemeinde), der letzte der Referenten, sprach zum „christlich, humanistisch und politisch motivierten Widerstand in den böhmischen Ländern. So gut recherchiert der Historiker Manfred Flügge in seinem Doku-Drama „Stadt ohne Seele“ die Vorgeschichte und Folgen des so genannten „Anschlusses“ Österreichs an Nazi-Deutschland mit ihrer innerhalb kürzester Zeit erfolgenden Radikalisierung zeige, so vollständig fehle dort etwas Entscheidendes: die Herausbildung eines starken Widerstandes. Der Burgtheater-Schauspieler Fritz Lehmann, der Klarinettist Friedrich Wildgans und der Löschmeister Adolf Kubitzka gehörten einer Wiener Widerstandsgruppe an, die sich um den Augustiner-Chorherrn in Klosterneuburg Roman Karl Scholz gebildet hatte. Scholz hatte sich anfangs dem Nationalsozialismus zugewandt, bis er 1936 nach dem Besuch des Reichsparteitages in Nürnberg dessen wahre Absichten erkannte und im Herbst 1938 mit Viktor Reimann die erste Widerstandsgruppe in Österreich gründete. Der Name der Gruppe war zunächst „Deutsche Freiheitsbewegung“, nach Ausbruch des Krieges 1939 wurde sie umbenannt in „Österreichische Freiheitsbewegung“. Die Gruppe wurde von dem eingeschleusten Schauspiel-Kollegen Otto Hartmann denunziert. Es gab daraufhin Dutzende Verhaftungen und zehn Hinrichtungen. Auch Scholz wurde nach Jahren im Gefängnis am 10. Mai 1944 wegen Hochverrats auf dem Schafott hingerichtet. Selbst im Jahr 2018 sei diese Widerstandsgruppe, so Pustejovsky, immer noch nicht im gesellschaftlichen Bewusstsein, ja nicht einmal in dem der Wissenschaft angekommen. Eine erste Publikation des Kommunisten Leopold Grünwald war zuvor untergegangen, dann folgte 50 Jahre „Beschweigen“, nur ein paar kleinere Arbeiten zum Thema erschienen. Nach dem Jahr 2000 wurden seitens des bayerischen Schirmherrn zwar große Versprechungen gemacht, aber zur Erforschung des Widerstands sei nichts geschehen. In Tschechien dagegen erschien im Jahr 2000 als pädagogischer Türöffner der Comic „Auch sie waren dagegen“, der u. a. die Heldentat eines HJ-Jungen darstellte, der 1945 die Sprengung des Elbe-Staudamms in Außig verhindern half. Darüber hinaus initiierte die tschechische Regierung 2005 mit 12 Mio. Kronen und einem Dutzend tschechischer Historiker eine Dokumentation, um das Schicksal der vergessenen antifaschistischen Helden (deutscher Herkunft) darzustellen, allerdings eben nur derjenigen aus sozialdemokratischen und kommunistischen Kreisen. 2008 wurde das Projekt auf einer Konferenz in Außig auch in deutscher Sprache vorgestellt. Pustejovsky wurde damals auf Grund seines Einwands, dass es über die christliche Komponente des Widerstands keine einzige Gesamtdarstellung weder auf Tschechisch noch auf Deutsch gebe, von der Ackermann-Gemeinde gebeten, sich des Themas anzunehmen. Innerhalb eines Jahres versuchte er dann ansatzweise, die wichtigsten Protagonisten des sudetendeutschen Widerstands ins Bewusstsein zu rufen, darunter den Germanisten und Historiker Lanzendörfer, dessen Leben mit 37 Jahren im KZ endete; Eduard Schlusche, der die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ druckte und im Reich verbreitete, nach Auschwitz deportiert wurde und Anfang 1945 aus unbekannter Ursache auf einem Schiff verschwand; Hanns Georg Heintschel-Heinegg, der nach Verlegung in verschiedene Lager und Gefängnisse im Februar 1944 zum Tode verurteilt und am 5. Dezember 1944 durch das Fallbeil hingerichtet wurde. Diese jungen, alle unter 30-jährigen Leute hätten, so der Referent, bereits vor Beginn des Krieges konkrete Vorstellungen gehabt, dass Deutschland ihn nicht gewinnen könne, dass danach eine Neuordnung Europas erforderlich werde. Da die Gruppe ihre Gedanken zu Papier brachte, konnte die Gestapo diese zur Grundlage des Prozesses vor dem Volksgerichtshof in Wien machen. Zwar nicht auf gleicher Ebene wie der Kreisauer Kreis, aber aus allen Schichten und in kleineren Gruppen habe es über die Gesamtfläche der böhmischen Länder Widerständler gegeben, die klar den Handlungsbedarf erkannten und häufig bereit waren, ihr Leben einzusetzen. So wurden im Bereich der Leitstelle Troppau fast 2.000 Personen verhaftet, eine ähnliche Zahl in Königgrätz, vor allem aus Kreisen der Sozialdemokraten und Kommunisten, woraufhin eine große Fluchtwelle einsetzte. Pustejovsky beschloss seinen Vortrag mit der Forderung, sich des Themas „Widerstand“ unter Heranziehung tschechischer, leider bis heute nicht ins Deutsche übersetzter Universitätsarbeiten anzunehmen. Seine Kraft als Einzelner reiche nicht aus, um auch nur die Quellen zu prüfen. Die von der tschechischen Bischofskonferenz bezahlte Wanderausstellung „Zeugen der Menschlichkeit“ weise auf das politisch-geistige Klima hin. Es sei aber notwendig, bei diesem scheinbaren Randgebiet gegen das Mauern der sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich zu einem Durchbruch zu kommen. Prälat Helmut Moll wandte sich gegen Pustejovskys Behauptung, dass einige der genannten Widerständler völlig unbekannt seien. Josef Tippelt, Eduard Schlusche, Karl Roman Scholz und der Musiker Schramel seien bereits seit der ersten Auflage des „Deutschen Martyrologiums“ erarbeitet. Das Werk habe sich 8.000-fach verkauft und sei zudem ins Italienische übersetzt worden. Auch Heintschel-Heinegg habe seit der 6. Auflage mit einem vollständigen Lebensbild Aufnahme gefunden, darüber hinaus weitere Sudetendeutsche. Pustejovsky gab Moll völlig Recht, merkte aber an, dass diese Viten in einem relativ geschlossenen Kreis der katholischen Publizistik hervorgetreten seien, er wolle sie aber in einem allgemeinen deutschen Geschichtsbild verankert wissen.
Widerstand als Gewissensentscheidung
Indem Prof. Karl-Joseph Hummel die Tagungsergebnisse zusammenfasste, wies er auf die Parallelität von Verführung und Gewalt hin. Die Zeitgenossen hätten nicht wissen können, wie lange das „Tausendjährige Reich“ dauern würde, aber trotzdem Überlegungen angestellt, wie eine rechte Ordnung danach aussehen sollte. Widerstand in Deutschland habe sich nicht als Bewegung, sondern als individuelle Entscheidung erwiesen. Die katholische Kirche als Institution habe vernünftigerweise nicht Widerstand leisten können, sie musste aber ihre Mitglieder in die Lage versetzen, selbst zu entscheiden. Es bleibe ein Unterschied, ob jemand unvorsichtigerweise oder in verantworteter Absicht in die Mühlen des Terrors geraten ist. Drei Phasen bei der Verarbeitung des Widerstands seien zu trennen: die Selbstbeurteilung durch Zeitgenossen, die Beurteilung durch die Erlebnisgeneration und diejenige durch die Forschung. Das suboptimale Image der Widerstandskämpfer hänge auch mit der Gewissenserforschung der Überlebenden zusammen, die sich nach 1945 fragen mussten, ob sie sich in richtiger Weise gegen den Nationalsozialismus eingesetzt hatten. Auch die Märtyrer trügen bis heute die Frage an die Nachfahren heran, was sie aus deren teuer bezahltem Vermächtnis gemacht haben. Hummel dankte den Teilnehmern, durch sie habe die Tagung eine besondere Qualität gewonnen. Christine Czaja dankte er für ihr beharrliches Arbeiten an der Entstehung dieser Tagungsreihe. Dr. Ernst Gierlich unterstrich diesen Dank mit Blumen.
Bericht über die Tagung auf polnisch
Grußwort der Stellv. Vorstandsvorsitzenden der Kulturstiftung, Christine Czaja