Vorstandsvorsitzender Dr. Ernst Gierlich: Bundestagswahl entscheidet auch über Zäsur hinsichtlich der Belange der nach §96 tätigen Einrichtungen und der deutschen Minderheiten – Dank an Unionsparteien für deren konkrete und ausführliche Aussagen im Wahlprogramm!

Am 23. Februar 2025 finden die Wahlen zum Deutschen Bundestag statt. Ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien der Mitte zeigt, welchen Stellenwert diese dem Kulturparagrafen 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) beimessen, der übrigens Teil des deutsch-deutschen Einigungsvertrages von 1990 ist, was seine herausragende Bedeutung eindrucksvoll unterstreicht.

Lassen Sie mich einige Gedanken voranstellen: Die Einrichtungen der nach dem Kulturparagrafen 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) tätigen Einrichtungen der eigenständigen Kulturarbeit, darunter auch die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung, stehen für eine gelebte Erinnerungskultur in Geiste der Völkerverständigung und des europäischen Integrationsgedankens.

Mit ihrer Arbeit zur Pflege des deutschen kulturellen Erbes tragen unsere Einrichtungen nicht nur die Erinnerung an die Herkunftsregionen der deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in die Gesellschaft, sondern sie tragen auch nachhaltig dazu bei, wachzurütteln, dass Flucht und Vertreibung, nationalsozialistischer menschenverachtender Terror, darunter jegliche Art von Antisemitismus, in Deutschland und Europa keinen Platz mehr haben dürfen. Heimatvertriebene und Spätaussiedler sind tragende Säulen zur Erfüllung des §96 BVFG und zusammen mit den deutschen Minderheiten im östlichen Europa sind sie Brückenbauer im Geiste eines gemeinsamen Europas und befördern friedensstiftend eine gute und vertrauensvolle Nachbarschaftspolitik.

Umso mehr ist zu bedauern, dass im Zuge der Neukonzipierung des §96 BVFG ab dem Jahr 2000 unter der damals neu gewählten Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder es zu einem radikalen Rückgang der finanziellen Förderung der Vertriebenenorganisationen kam – u.a. wurde auch die institutionelle Förderung der Kulturstiftung komplett eingestellt und 15 Mitarbeiter mussten entlassen werden.

Und nach dem Regierungswechsel 2021 gab es in dieser Legislaturperiode unter der Ampelregierung erneut eklatante Haushaltskürzungen im Etat der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), u.a. allein des Titels zur „Förderung kultureller Maßnahmen im Rahmen des §96 Bundesvertriebenengesetz und kulturelles Eigenleben fremder Volksgruppen“, um mehrere Millionen Euro seit Regierungsantritt. Dies lässt mehr als vermuten, welchen Stellenwert §96 BVFG seitens der bisherigen Bundesregierung beigemessen wurde, bedenkt man, dass der Haushalt der BKM im Gegensatz zu anderen Bundesministerien in den letzten Jahren nicht gekürzt, sondern in manchen Jahr sogar noch erhöht wurde.

In diesem Zusammenhang sei auf die Bundesratsinitiative des Freistaates Bayern „Vertriebene und Aussiedler als Brückenbauer ins östliche Europa stärken“ verwiesen, in der der Freistaat Bayern unter Ministerpräsident und CSU-Parteivorsitzenden Markus Söder zurecht darauf hinweist, dass es wieder einer kontinuierlichen und verlässlichen Finanzierung der Kulturarbeit im Rahmen von § 96 BVFG bedarf. Unter anderem weist die Bundesratsinitiative auch explizit darauf hin, dass es wichtig ist, dass die Bundesregierung die Förderung des Projekts „Stärkung der Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG tätigen Einrichtungen durch die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen“ fortsetzt. Unser eingereichter Projektantrag „Kulturerbe in die Gesellschaft tragen – Kulturelle Brücken ins östliche Europa schlagen“ führt entsprechend die bisherige erfolgreiche Arbeit fort und fördert damit gleichzeitig die Brückenbaufunktion von Aussiedlern, Spätaussiedlern und Vertriebenen ins östliche Europa.

Der Haushalt 2025 der Ampelregierung, der aufgrund des Bruchs der Regierung nicht verabschiedet wurde, hätte erneut Kürzungen der finanziellen Förderung für die Einrichtungen der eigenständigen Kulturarbeit bedeutet, und auch eine Fortführung der projektbezogenen finanziellen Förderung der Kulturstiftung ab dem Jahr 2025, die im Jahr 2020 von der damaligen unionsgeführten Bundesregierung beschlossen wurde, wäre in den Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses trotz der Bundesratsinitiative des Freistaates Bayern, in der der Bund zur Fortsetzung der Förderung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen aufgefordert wurde, sowie großer Fürsprache seitens aller Landesbeauftragter, Vertreter der Vertriebenenorganisationen und zahlreicher Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur, von den Ampelparteien wohl überhaupt nicht erst auf die Tagesordnung gesetzt worden.

In diesem Zusammenhang danke ich sehr dem Einsatz der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unter dem Vorsitz von Christoph de Vries MdB, und der gesamten Unionsfraktion, die ihr Möglichstes gaben, um als Opposition entschieden für die Belange der Vertriebenenverbände und auch für eine Förderung der Kulturstiftung einzutreten, wenngleich man aufgrund der Mehrheitsverhältnisse  im Deutschen Bundestag verständlicher Weise keine zwingend erforderliche Zäsur der Mittelverteilung  in der zuständigen Behörde der BKM unter Staatsministerin Claudia Roth erwirken konnte.

Es ist bedauerlich, dass auch der Kuratoriumsvorsitzenden der Kulturstiftung Rita Hagl-Kehl MdB, Angehörige der SPD-Fraktion, im Hinblick auf den Stellenwert unserer Einrichtungen, auch im Hinblick auf deren friedensstiftende grenzüberschreitende Arbeit, seitens der Regierungsparteien im Haushaltsauschuss kein Gehör geschenkt wurde, nicht zuletzt auch, um eine Einstellung der finanziellen Förderung der Kulturstiftung abzuwenden.

In den nach §96 BVFG tätigen Einrichtungen der eigenständigen Kulturarbeit und in den Einrichtungen der deutschen Minderheiten im östlichen Europa wird unschätzbare Arbeit geleistet. Ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien der Mitte legt Zeugnis davon ab, welche Parteien dies würdigen und wer fest an der Seite der Vertriebenenorganisationen und der Pflege des deutschen kulturellen Erbes im östlichen Europa steht.

In den Wahlprogrammen von Bündnis 90 / Die Grünen und der FDP sind keinerlei Aussagen im Zusammenhang mit den deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern zu finden, und auch die deutschen Minderheiten im östlichen Europa werden an keiner Stelle erwähnt.

Im Wahlprogramm der SPD wird in einem Absatz hierauf verwiesen: „Das kulturelle und geschichtliche Erbe der Heimatvertriebenen, (Spät-)Aussiedler und der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa und den GUS-Staaten sowie die Erinnerungskultur an die Geschichte von Flucht, Vertreibung und Deportation wollen wir fördern und erhalten und als Teil der gesamtdeutschen Geschichte begreifen. Das kulturelle und geschichtliche Erbe der nationalen Minderheiten wollen wir fördern.“

Nur im Wahlprogramm der Unionsparteien wird ausführlich und konkret auf die Anliegen der deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler und die deutschen Minderheiten eingegangen, was Zeugnis davon ablegt, welch unverändert hohen Stellenwert doch seitens der Unionsparteien der Pflege und dem Erhalt des deutschen kulturellen Erbes und unseren Anliegen beigemessen wird. Dort steht geschrieben:

  • „Kulturelles Erbe der Heimatvertriebenen und Aussiedler pflegen. Es ist ein selbstverständlicher und wertvoller Teil unserer Identität. Das deutsche Kulturerbe im östlichen Europa entfaltet an vielen Orten eine verbindende Kraft. Wir verankern es zusammen mit den Vertriebenen und ihren Verbänden als festen Bestandteil der deutschen Kulturnation und Teil der europäischen Identität.
  • Erinnerung an Flucht und Vertreibung stärken. Wir stärken die Bundesförderung nach dem Kulturparagrafen des Bundesvertriebenengesetzes. Wir machen die Umbenennung des bisherigen ‚Bundesinstituts für die Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa‘ rückgängig und überführen die Bundesanstalt für ihren Kernauftrag der Beratung und Unterstützung der Bundesregierung gemäß §96 BVFG nach Berlin. Die unselbständige Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung machen wir selbständig und bringen eine Neugestaltung der Dauerausstellung voran.
  • Vertriebene und Aussiedler würdigen. In unserer historischen Verantwortung treten wir für die Angehörigen der Heimatvertriebenen, Aussiedler, Spätaussiedler und deutschen Minderheiten ein. Ihre Aufbauleistung und Brückenfunktion sind konstitutiv für das Selbstverständnis unserer Nation.
  • Alles unter einem Dach. Wir führen die Zuständigkeiten für Heimatvertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler sowie deutsche Minderheiten wieder im Bundesinnenministerium zusammen und stärken das Amt des Beauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Wir fördern weiter die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen.
  • Das Tor für Spätaussiedler nach Deutschland offenhalten. Wir stärken sie in ihrer Selbstidentifikation als Deutsche. Wir stehen weiterhin für die gesetzlich garantierte Aufnahme deutscher Spätaussiedler ein und richten die gesetzlichen Vorgaben noch stärker an der Lebenswirklichkeit der Menschen in den Herkunftsgebieten aus. Wir ermöglichen den Zuzug der nach dem 1. Januar 1993 geborenen Angehörigen.
  • Fremdrentengesetz reformieren. Wir beseitigen das Problem rentenrechtlicher Benachteiligungen und fremdverschuldeter Altersarmut bei Aussiedlern und Spätaussiedlern.
  • Kultur als Brücke in Europa und der Welt. Die Europäische Union ist auf einer gemeinsamen Kultur gegründet. Kultur baut Brücken, auch dies ist eine Lehre der deutschen Geschichte. Internationale Kooperationen zur Kulturförderung werden wir deshalb weiter unterstützen.“

Der Blick in die Wahlprogramme zeigt, dass die Bundestagswahl für die nach §96 BVFG tätigen Einrichtungen der eigenständigen Kulturarbeit eine Richtungswahl ist. Ihr Ausgang und eine daraufhin zu bildende Koalition wird darüber entscheiden, ob es zu einer zwingend erforderlichen Zäsur im Hinblick auf die künftige finanzielle Förderung unserer aller Arbeit kommt. Und auch für uns als Kulturstiftung wird der Ausgang der Bundestagswahlen darüber entscheiden, ob wir unsere 50-jährige Arbeit einstellen müssen, oder wir als einzige landsmannschaftlich übergreifend und deutschlandweit sowie grenzüberschreitend tätige Kulturstiftung der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler auf Ebene der Zivilgesellschaft fortbestehen können. Dafür, dass die finanzielle Förderung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen fortgeführt wird, hat uns allein die Unionsfraktion ihre volle Unterstützung zugesagt.

Der unterschiedliche Einsatz der Regierungs- und der der Oppositionsparteien in der vergangenen Legislaturperiode und die Wahlprogramme zeigen, wer Anwalt der Belange der Vertriebenenorganisationen und deren Kultureinrichtungen ist und welcher Partei man am 23. Februar vor diesem Hintergrund sein Vertrauen mit seiner Stimme schenken sollte!