Der internationale Kulturgüterschutz

Staats- und Völkerrechtliche Fachtagung, Stuttgart-Hohenheim 2. – 4. November 2005

Der internationale Kulturgüterschutz – Seine Bedeutung für die Zeugnisse deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa 60 Jahre nach Kriegsende, Flucht und Vertreibung

Wiss. Leitung: Prof. Dr. Gilbert H. Gornig
Redaktion: Dr. Ernst Gierlich

Kunstwerke, Gegenstände der Wissenschaft, der Kultur und der Religion haben für das Selbstverständnis und die Identität von Nationen und Volksgruppen gerade in der heutigen Zeit immer weiter fortschreitender Globalisierungen eminente Bedeutung. Zugleich wird ihnen aber seit dem 19. Jahrhundert attestiert, dass sie letztlich Frucht des Schaffens der Menschheit im Ganzen und daher eher gemeinsames Erbe aller seien und nicht das Eigentum eines bestimmten Volkes. Dem Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen widmete sich die diesjährige staats- und völkerrechtliche Fachtagung der Kulturstiftung der Vertriebenen, die in Verbindung Studiengruppe Politik und Völkerrecht vom 2. bis 4. November 2005 im Stuttgarter Christkönigshaus stattfand, und unter dem Thema „Der internationale Kulturgüterschutz – Seine Bedeutung für die Zeugnisse deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa 60 Jahre nach Kriegsende, Flucht und Vertreibung“ stand.

Staats- und Völkerrechtler aus Deutschland, Rußland, Polen, Rumänien und Ungarn, darunter zahlreiche junge Wissenschaftler sowie erfahrene Praktiker, erörterten auf der maßgeblich vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien geförderten Veranstaltung die verschiedenen staats- und völkerrechtlichen Aspekte des internationalen Kulturgüterschutzes in Krieg und Frieden vor dem Hintergrund der durch den Zweiten Weltkrieg, Flucht und Vertreibungen entstandenen Situation in Ost- und Ostmitteleuropa. Erst in der Folge der politischen Wende seit 1989 und der fortschreitenden Annäherung zwischen Deutschland und seinen ost- und südosteuropäischen Partnern wurde das Ausmaß der weiterhin offenen Fragen deutlich. Zwar haben die letzten 15 Jahre hier in mancher Hinsicht zu Klärungen, zur Rückführung oder sonstigen einvernehmlichen Lösungen geführt; wie zahlreiche Referate aufzeigten, bestehen aber noch zahlreiche Streitpunkte und ungelöste Konflikte über Eigentum, Zuordnung und möglicherweise Herausgabe von Kulturgütern.

In seinem Einleitungsreferat gab der wissenschaftliche Leiter der Veranstaltung, Prof. Dr. Gilbert H. Gornig (Marburg) einen Überblick über die Regelungsbereiche, Zuordnungsfragen und Rechtsgrundlagen des internationalen Kulturgüterschutzes und ging dabei insbesondere auf die Problematik der Vielgestaltigkeit und Unsicherheit des Kulturgutbegriffs ein. Zuvor hatte er einer traurigen Pflicht entsprochen und Werk wie Persönlichkeit des langjährigen Mitglieds der Forschungsgruppe Prof. Dr. Dieter Blumenwitz (Würzburg) gewürdigt, der im April des Jahres nach kurzer schwerer Krankheit verstorben war. Gornig erinnerte insbesondere an dessen Beschäftigung mit dem Schicksal Deutschlands als Ganzen und der Gebiete östlich von Oder und Neiße sowie mit den Fragen der Enteignung und Entschädigung der Vertriebenen, aber auch an Blumenwitz’ Mut und Standfestigkeit, dies selbst in schwierigen Zeiten zu vertreten.

Im Anschluß daran stellte Dr. Tobias Irmscher (Würzburg) die kriegsvölkerrechtlichen Regeln zum Schutz von Kulturgütern gegen Zerstörung und gegen Wegnahme dar. Trotz vereinzelter früher Ansätze namentlich in der für den Zweiten Weltkrieg, Flucht und Vertreibung einzig maßgeblichen Haager Landkriegsordnung, gelten weitergehende Schutzvorschriften erst seit der UNESCO-Konvention von 1954. Die Diskussion verdeutlichte, daß die entsprechende Ausbildung der Streitkräfte eine wesentliche Voraussetzung für die Beachtung dieser Schutzvorschriften ist. Ioana Rusu (Hermannstadt/ Sibiu, Rumänien) behandelte den Schutz von Kulturgütern im Falle von Bevölkerungsaustausch und Vertreibung, wobei sie insbesondere auf die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen, Fragen der entschädigungslosen Enteignung sowie die Problematik der Staatensukzession in bezug auf Kulturgüter einging und mögliche Rückgabeansprüche erörterte.

Auch die beiden folgenden Referate waren noch einer allgemeinen Thematik gewidmet: Prof. Dr. Hans-Detlef Horn (Marburg) sprach über „Kulturgüterschutz als Staatsaufgabe“ – einer bislang wenig beachteten und behandelten Fragestellung, die er insbesondere in Hinblick auf das deutsche Kulturgut im Ausland darstellte. Nach den völker- und den staatsrechtlichen Ausführungen bot Prof. Dr. Frank Fechner (Ilmenau) Einblicke in die europarechtlichen Bestimmungen zum Kulturgüterschutz. Auch wenn die Kompetenzen der EG/EU im Kulturbereich noch immer und aus gutem Grund beschränkt sind, sind Kulturgüter doch auch Handelswaren, wobei übergeordnete Interessen hier Ausfuhrbeschränkungen zu rechtfertigen vermögen. Fechner stellte aber vor allem auch die Sekundärrechtsakte der EG vor, die u.a. die Ausfuhr von Kulturgütern aus dem Gemeinschaftsgebiet oder die Rückgabe unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter betreffen.

Der zweite Teil der von etwa 80 Teilnehmern besuchten Tagung war eher praktischen Fragestellungen und der konkreten Rechtslage in einzelnen osteuropäischen Ländern gewidmet. Zunächst berichtete Dr. Susanne Schoen (Bonn) vom für Schutz, Erhaltung und Rückführung von Kulturgut zuständigen Referat der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien in Bonn über Einzelfälle von Kulturgütern, die in der Folge des Zweiten Weltkriegs nach Rußland verbracht worden waren, und nunmehr Gegenstand von zähen bilateralen Verhandlungen geworden waren. Vermutungen der Bundesregierung zufolge lagern noch immer mehr als eine Million Kunstwerke, mindestens 4,6 Mio. Bücher und etwa drei Kilometer Archivgut in russischen Depots. Insbesondere das 1998 im Widerspruch zu völkerrechtlichen Verträgen von der russischen Duma verabschiedete Beutekunstgesetz hat allerdings weitgehend zu einer Verhärtung der Situation geführt, lediglich bezüglich privat geplünderter Objekte besteht noch Verhandlungsspielraum auf russischer Seite. Schoen stellte neben anderen den Fall des Rubens-Gemäldes „Tarquinius und Lucretia“, das nach verschlungenen Wegen noch immer seiner Rückgabe aus Rußland harrt. Daneben sind natürlich auch Erfolge zu verzeichnen, wie z.B. die Rückgabe eines Großteils der Fenster der Marienkirche in Frankfurt/Oder. Im Anschluß daran stellte Oxana Vivitskaya (Rostow a. Don/ Rußland) die gesetzlichen Regelungen und behördlichen Arrangements zum Kulturgüterschutz in Rußland dar, wobei sie detailliert die verfassungsrechtlichen Grundlagen, zivil- und strafrechtlichen Schutzbestimmungen und internationale Verpflichtungen Rußlands, insbesondere im Kontext der Partnerschaft mit der EU, erläuterte. Den Widerspruch zwischen der Rückgabeverpflichtung in den deutsch-russischen Verträgen von 1990/1992 und dem Beutekunstgesetz vermochte auch sie freilich nicht aufzulösen.

Auf die offenen Fragen hinsichtlich der Kulturgüter im deutsch-polnischen Verhältnis, d.h. auf „Völkerrechtliche Aspekte der Rückführung kriegsbedingt verlagerten Kulturguts“ ging anschließend Günter Rauer, Vortragender Legationsrat im Auswärtigen Amt (Berlin), ein. Schwerpunkte seiner Darstellung waren zum einen Möglichkeiten und Grenzen der sog. kompensatorischen Restitution (restitution in kind), also des Schadensersatzes für die Zerstörung von Kulturgütern durch Überlassung anderer Kulturgüter des Verursacherstaates. Deutlich wurde allerdings, daß dies eine (friedens-)vertragliche Regelung voraussetzt. Zum anderen behandelte Rauer unter Auswertung der Staatenpraxis die Zuordnung von Kulturgütern und Archivalien im Zusammenhang mit Staatensukzessionen, die mit Bevölkerungsverschiebungen einhergehen. Beendet wurde der zweite Tag mit teilweise sehr persönlichen Ausführungen von Prof. Dr. Andrzej Januszajtis, dem früher Stadtdirektor von Danzig/Gdańsk, in denen dieser ganz praktisch über den Wiederaufbau Danzigs berichtete und dessen Beispielsfunktion für einen gemeinsamen, europäischen Ansatz des Kulturgüterschutzes vermittelte.

Den Schutz von Kulturgütern in Rumänien stellte Dr. Monika Vlad (Hermannstadt/ Sibiu, Rumänien) dar. Ihre Ausführungen konzentrierten sich auf drei aktuelle Fragen, namentlich das Problem des 1917 unter ungeklärten Umständen nach Moskau verbrachten rumänischen Goldschatzes, den Verlust zweier Skulpturen des bedeutenden rumänischen Bildhauers Constantin Brâncuşi sowie den besorgniserregenden, sich stetig verschlechternden Zustand der sächsischen Kirchenburgen in Siebenbürgen, der in erster Linie auf den Exodus der Siebenbürger Sachsen und die mangelnden Finanzmittel zurückzuführen ist. Sie ging aber auch auf das neue, 2004 verabschiedete Gesetz zum Schutz beweglicher Kulturgüter ein, das eine Harmonisierung mit den EU-Standards bedeutete.

Ebenso wie in Rumänien galt es auch für Ungarn seit der politischen Wende, im Rahmen der Anpassung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse an die (west-)europäischen Standards seine Gesetzgebung im Bereich des Kulturgüterschutzes der der Europäischen Union zu harmonisieren. Dass dies trotz mancher Hindernisse und Rückschläge im Wesentlichen als gelungen betrachtet werden kann, machte der Beitrag von Dr. Elisabeth Sándor-Szalay (Fünfkirchen/ Pécs) deutlich. Die rege Diskussion in Ungarn, ob es sinnvoller sei, den Kulturgüterschutz in einem einzelnen, übergreifenden Gesetz festzuschreiben oder dies in unterschiedlichen, dem Charakter des jeweiligen Kulturguts entsprechenden Gesetz zu tun, weist in ihrer Bedeutung über die spezifisch ungarischen Verhältnisse hinaus.

Mit der von Hans-Günther Parplies (Bonn) geleiteten Abschlußdiskussion, ob und inwieweit der völkerrechtliche Kulturgüterschutz ein wirksames Instrument der grenzübergreifenden Sicherung des europäischen Kulturerbes sein könne, wurde der Bogen wieder geschlossen. Die Tagung hatte, wie hierbei Prof. Fechner und Dr. Siegrid Krülle, Aidlingen, hervorhoben, die ganze Komplexität des Kulturgüterschutzes deutlich gemacht. Ebenso vielfältig wie die verschiedenen Auffassungen darüber, was als schützenswertes Kulturgut gelten könne, sind auch die jeweils verfolgten Lösungswege. Insbesondere stellt sich die Frage, in wie fern der Staat als völkerrechtliches Subjekt Verantwortung trägt bzw. was er überhaupt zu leisten vermag. Dies zeigt sich nicht zuletzt, wie Parplies abschließend hervorhob, im Hinblick auf die Kulturgüter des historischen deutschen Ostens, deren Schutz nicht allein durch rechtliche Regelungen gewährleistet werden kann, sondern vor allem durch ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihren Wert, das es sowohl bei den vertriebenen Deutschen und ihren Nachkommen als auch bei den heute in diesen Gebieten lebenden Menschen zu pflegen bzw. erst zu schaffen gilt.

Gleichwohl machten insbesondere die Beiträge der Tagung über die praktischen Probleme und nationalen Aspekte in den einzelnen Staaten deutlich, von welch großer Bedeutung der internationale Kulturgüterschutz auch und gerade in der Zeit eines immer weiter zusammenwachsenden Europas ist. Die Tagung, die von einer von Christine Czaja zusammengestellten Buchausstellung zum Thema „60 Jahre Flucht und Vertreibung, 55 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ und der anschließenden Besichtigung der mit der Charta verbundenen historischen Stätten in Stuttgart ergänzt wurde, zeigte aber einmal mehr, daß auch und gerade insoweit die im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg erlittenen Verluste und Schäden bis heute deutlich spürbar sind und einer angemessenen Aufarbeitung harren.

Bericht von Dr. Tobias Irmscher

Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen dankt als Förderer dieser Tagung der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien