„Territoriale Souveränität“ und „Gebietshoheit“ – Grundlagen der Sicherung des gefährdeten Friedens im östlichen Europa und in der Welt

Staats- und völkerrechtliche Fachtagung, Königswinter 17./18. Oktober 2014

Internationale Fachtagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Zusammenarbeit mit der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht

Wiss. Leitung: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Gilbert H. Gornig, Marburg
Prof. Dr. Hans-Detlef Horn, Marburg

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Prof. Dr. Gilbert H. Gornig

Als im vergangenen Jahr das Programm der diesjährigen internationalen Fachtagung der Kulturstiftung der Vertriebenen und der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht konzipiert wurde, konnte noch niemand ahnen, von welch unerwarteter Aktualität angesichts der vielfachen internationalen Krisen und Kriege, etwa in der Ukraine und in Israel/Palästina, die recht abstrakt anmutende Thematik „Territoriale Souveränität und Gebietshoheit“ sein werde. Die beiden staatsrechtlichen Begriffe sind vergleichbar „Eigentum und Besitz“ im Zivilrecht: In der Regel hat ein Staat, der die territoriale Souveränität innehat, auch die Gebietshoheit. Es aber auch möglich und sogar vielfache Praxis, dass fremder Staat dort rechtmäßig oder auch rechtswidrig Hoheitsrechte ausübt. Nicht zuletzt geht es bei den diesbezüglichen aktuellen Konfliktfällen um den Widerstreit des Selbstbestimmungsrechts der Völker und des Anspruchs der Staaten auf territoriale Integrität.

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Prof. Dr. Hans-Detlef Horn

Bei der Tagung in Königswinter am Rhein am 17./18. Oktober präsentierten unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Gilbert H. Gornig und Prof. Dr. Hans-Detlef Horn, beide Universität Marburg, vor allem Nachwuchswissenschaftler den ca. 80 Teilnehmern Fallbeispiele aus Mittel- und Osteuropa, aus dem nahen und dem fernen Osten. Einer einleitenden Begriffsbestimmung durch Prof. Gornig folgten dabei zunächst von Prof. Horn vorgetragene Gedanken zur Verbindung von Staat und Staatsgebiet. Letzteres ist neben Staatsvolk und Staatsgewalt unstreitige Voraussetzung für einen Staat. Staatenübergreifende Systeme, widersprechen dem nicht. Das Territorium als Faktor der politischen Identitätsbildung ist indes, so Prof. Horn, fragil und abhängig von vielfältigen historischen Kausalitäten, vor allem aber Frucht von Rechtssetzungen. Daher seine zentrale These: Nicht der Staat und seine Grenzen formen den staatlichen Rechtsraum, sondern das Recht formt den Staat und seine Grenzen.

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Blick auf die Tagungsteilnehmer

 

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Dr. David Bergius

Wie sich dies konkret bei der Übertragung der deutschen Ostgebiete an Polen und die Sowjetunion gestaltete, zeichnete Dr. David Bergius nach. Der sowjetischen Herrschaft über die deutschen Ostgebiete im Jahre 1945 folgte zunächst die Unterstellung unter polnische und sowjetische Verwaltung. Mit dem 2+4-Vertrag von 1990 und den folgenden deutsch-polnischen Verträgen, dem Grenzvertrag und dem Nachbarschaftsvertrag, ging schließlich die 45 Jahre währende Diskussion über den Status der deutschen Ostgebiete zu Ende. Hatten die Ostverträge Anfang der 1970er Jahre die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland noch gespalten, so stieß der 2+4-Vertrag auf weit weniger Ablehnung, waren die Ostgebiete doch inzwischen schrittweise aus dem allgemeinen Bewusstsein gedrängt worden. Es stellt sich, so Bergius, die Frage, ob dieser Prozess ein Modell für aktuelle Vorgänge sein kann. Positiv zu werten ist der friedliche Verlauf, negativ jedoch, dass die von der Machtpolitik geschaffenen Fakten anerkannt wurden, was aktuellen Krisenherden nicht unbedingt zu wünschen ist.

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Dr. Adrianna Michel

Die gegenwärtige Krise in der Ukraine beleuchtete aus völkerrechtlicher Perspektive Dr. Adrianna Michel. Die Ereignisse machen ihr zufolge deutlich, dass das Völkerrecht vor einem schwierigen Problem steht, wenn die Inhaber von territoriale Souveränität und Gebietshoheit auseinander fallen. Die engen Voraussetzungen unter denen ein auf im Selbstbestimmungsrecht der Völker begründetes Sezessionsrecht, etwa nach Menschenrechtsverletzungen, gewährt wird, liegen im Falle der Ost-Ukraine und der Krim nicht vor. Die Besetzung und Eingliederung letzterer durch Russland sind gar als Annexion zu werten. Wegen der normativen Kraft des Faktischen verlangt aber das Völkerrecht, dass sich die Staatengemeinschaft einem solchen völkerrechtswidrig herbeigeführten Gebietsübergang mit langem Atem entgegenstellt.

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Falk Hartmann

Wie es mit der Frage der Selbstbestimmung der Völker im Krisenherd Nordkaukasus bestellt sei, suchte Falk Hartmann zu ergründen. Hier sind die sehr unterschiedlichen politischen, kulturellen und religiösen Hintergründe der Beteiligten, der nordkaukasischen Bergvölker und Russlands, zu beachten, wobei die Konflikte der Völker mit Russland z.T. bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Den Unabhängigkeitsbestrebungen der Völker, die sich, vielfach nach Vertreibungen und Wiederansiedlungen auf fremdem Gebiet, auf ihr Selbstbestimmungsrecht berufen, steht das Interesse Russlands an seiner staatlichen Integrität gegenüber. Dieses ist, so Hartmann, indes grundsätzlich nicht zu beanstanden. Wenn auch die russische Vorgehensweise oft als völkerrechtswidrig erscheint, so gibt es doch kein begründetes Recht der einzelnen Kaukasusvölker auf Sezession von der Russischen Föderation, nicht einmal auf Autonomie.

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Dr. Aldona Szczeponek und Podium

Wer Träger der territorialen Souveränität und der Gebietshoheit in Israel und Palästina ist, untersuchte Dr. Aldona Szczeponek. Für die heutige Situation in Israel und den palästinensischen Gebieten sind demnach die Osloer Verträge von 1995 maßgeblich, nach denen in Gazastreifen und im Westjordanland Selbstverwaltungszonen eingerichtet wurden. Liegen territoriale Souveränität und Gebietshoheit auf dem Gebiet Israels klar bei diesem Staat, so erscheint es angesichts der weitreichenden Kompetenzen Israels als Besatzungsmacht fraglich, ob die palästinensischen Autonomiegebiete als Staat gelten können. Zwar ist das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes unbestritten, wurde ein Staat Palästina 1988 von der PLO ausgerufen, doch hat dieser nach wie vor keine vollständige Verfügungsgewalt über sein Gebiet. Israel wird aus nachvollziehbaren Gründen der Selbstverteidigung nicht auf sein Besatzungsrecht verzichten, auch wenn dies nicht völkerrechtskonform ist.

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Prof. Dr. Hans-Detlef Horn, Prof. Dr. Dr. h.c. Gilbert H. Gornig, Hans-Günther Parplies
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Dr. Hilde Farthofer

Auch der Konflikt zwischen den türkisch und den griechisch geprägten Teilen Zyperns schwelt, wie im Falle Israels und der palästinensischen Gebiete, seit vielen Jahrzehnten und kann als Erbe des Kolonialzeitalters gelten. Dr. Hilde Farthofer führte hierzu aus, dass im Jahre 2004 das griechische Süd-Zypern Teil Mitglied der Europäischen Union wurde, nachdem sich im türkischen Nord-Zypern die Bevölkerung in einem Referendum gegen eine Föderation mit dem Süden ausgesprach. Nord-Zypern, das sich schon 1983 als unabhängig erklärt hatte, wird die Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft verweigert – ob zu Recht, erscheint Farthofer fraglich. Sollte Nord-Zypern, das heute ethnisch fast homogen ist, als eigenes Volk gewertet werden können, so ist dieses grundsätzlich berechtigt, sein Selbstbestimmungsrecht zu beanspruchen. Von der Staatengemeinschaft hätten dabei, wie auch etwa im Fall des Kosovo, frühere Menschenrechtsverletzungen berücksichtigt werden müssen.

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Dr. Li Li

Aus unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Blickwinkeln betrachteten die beiden jungen Chinesinnen Dr. Li Li, Nanjing (Volksrepublik China) und Wen-Chin Chen, Kaohsiung (Taiwan) die Beziehungen zwischen ihren beiden Ländern. Dr. Li Li beschrieb die Entwicklung der Beziehungen von 1949 bis heute als eine solche von totaler militärischer Konfrontation hin zum friedlichen Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“. Beide Staaten gehen ihr zufolge vom sog. „Ein-China-Prinzip“ aus, auch wenn sie dieses unterschiedlich interpretieren. Ziel ist aus Sicht der Volksrepublik, deren Regierung die einzig legitime und vom Großteil der Staatengemeinschaft anerkannte Chinas bildet, die Wiedervereinigung beider Teile, wobei Taiwan, wie heute schon Hong-Kong und Macao, eine spezielle Verwaltungszone mit eigener politischer und gesellschaftlicher Struktur bilden soll. Bei der Taiwanfrage geht es somit nicht um ein Souveränitätsproblem, sondern lediglich um die Regierungsform vor der Vereinigung. Trotz der politischen Spaltung versteht sich, so Dr. Li, die Bevölkerung auf beiden Seiten der Taiwan-Straße als über 5000 Jahre gewachsene Einheit.

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Wen-Chin Chen

Dem widersprach vehement Wen-Chin Chen als Vertreterin einer jungen Generation von Taiwanern, die keine emotionale Bindung mehr zum chinesischen Festland aufweist und daher, wie auch die Mehrheit der Bevölkerung der Insel, für die Eigenstaatlichkeit Taiwans eintritt. Für Chen können die aktuelle Proteste in Hong-Kong gegen die Einschränkung der gewährten Wahlfreiheit als warnendes Beispiel für ein Taiwan im Rahmen eines „Ein China, zwei Systeme“ gelten. Zwangsläufig würden die demokratischen Freiheiten starken Einschränkungen durch Peking unterworfen sein. Eine tragfähige völkerrechtliche Begründung für die Zugehörigkeit Taiwans zum Staatsgebiet der Volksrepublik China gibt es ihr zufolge nicht, vielmehr muss Taiwan als De-facto-Staat gelten, dessen Unabhängigkeit als neue „Republik Taiwan“ unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu erklären ist.

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Podium: Prof. Dr. Dr. h.c. Gilbert H. Gornig, Hans-Günther Parplies, Dr. Li Li, Wen-Chin Chen, Prof. Dr. Hans-Detlef Horn
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Friedemann Larsen

Abschließend behandelte Friedemann Larsen die Frage, wie ein Staat mit seiner unbestrittenen Gebietshoheit umgehe, am Beispiel der im vergangenen August in Deutschland öffentlich abgehaltenen Wahlen zum türkischen Staatspräsidenten. Tangierte die Wahl, zu 2,4 Mio. Auslandstürken aufgerufen waren, die deutsche Gebietshoheit? Zwar sind dergleichen Wahlen, meist weniger von den Medien wahrgenommen, ständige Praxis als Ausnahmeregelung, doch haben sie nicht ein solches Ausmaß und werden sie innerhalb der Konsulate abgehalten. Larsen kam zum Ergebnis, dass durch die Wahlen, die als integrale Bestandteile der Ausübung hoheitlicher Staatsgewalt zu werten sind, zwar keine handfesten zwischenstaatlichen Machtfragen berührt wurden, in solchen Fällen jedoch die Kontrolle des Regierungshandelns durch das Parlament wünschenswert gewesen wäre.

Als Ausblick stellte Tagungsleiter Prof. Horn die Frage, ob der völkerrechtliche Grundsatz der Gleichheit aller Staaten, auf dem das Prinzip der territorialen Souveränität beruht, die politische Wirklichkeit noch genügend abbildet. Nicht alle Staaten erscheinen eben als gleich souverän: Große beherrschen Kleine. Es gilt daher darüber nachzudenken, ob das Völkerrecht als Rechtsordnung gleicher souveräner Staaten über sich eine Ebene findet, die nicht auf Einzelstaaten fixiert ist, sondern übergeordnete Staatenräume berücksichtigt. Schließlich ereignen sich Konfliktlinien zunehmend in solchen Räumen, wie etwa die aktuelle Putin-Doktrin des Anspruchs Russlands auf Beeinflussung des politischen Schicksals der ehemaligen Staaten der Sowjetunion zeigt.

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Hans-Günther Parplies

Die Tagung behandelte die komplizierte Thematik nicht nur in ihren grundlegenden Aspekten, sondern war mit den vielen brennend aktuellen Fallbeispielen, wie Hans-Günther Parplies, der Vorsitzende der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen resümierte, nahe am Weltgeschehen, voll am Puls der Zeit, was die Arbeit der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht ohnehin seit Jahrzehnten auszeichnet.

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Leiter und Vortragende der Tagung