Bedrängtes Christentum in Tschechien

Diözesantagung der Ackermann-Gemeinde in der Diözese Rottenburg-Stuttgart am 14. Oktober 2023 in Schwäbisch Gmünd

Gerald Warmuth, Pfarrer sudetendeutscher Herkunft in Frickenhausen, begrüßte die Teilnehmer im Hotel Fortuna und umriss einleitend die Konturen der Situation des Christentums in Tschechien unter den Nazis und ab 1948, als die Kommunisten begannen, sich als direkte Feinde der katholischen Kirche zu präsentieren. Während die neuen Herrscher die evangelische Kirche wegen des emanzipatorischen Kampfes der Hussiten im 15. Jahrhundert weniger streng behandelten, wollten sie die katholische Kirche kollabieren lassen, etwa indem sie die theologische Fakultät der Katholiken von Prag nach Leitmeritz umsiedelten und sie so zu einem Priesterseminar degradierten oder in den 50er Jahren die Orden schlossen und Schwestern in die Rolle von Krankenschwestern zwangen. Die völlige Zerstörung der katholischen Kirche in Tschechien gelang jedoch allein schon wegen ihrer internationalen Verbindungen nicht. Auch die Verbannung vieler Priester in vergessene Dörfer beraubte sie zwar der gewohnten Wege der Kommunikation, aber halboffiziell und im geheimen Modus funktionierte sie weiterhin. Zum Ende der 50er und Beginn der 60er Jahre wurde der staatliche Umgang mit der Kirche zwar etwas lockerer, doch blieb sie unter strenger Aufsicht. Die Geheimpolizei war raffiniert und ständig präsent, hörte Predigten mit, baute Drohszenarien auf, und hatte sich ein Hirte mit zu großer Offenheit hervorgetan, wurde er zur Einvernahme gebeten, versetzt oder auf andere Weise entsorgt. Erst Ende der 80er Jahre sei das korrupte System am Ende seiner Kraft angelangt. Zu gegensätzlich seien die Systeme in Ost und West gewesen, um durch Dialog versöhnt oder geheilt werden zu können.

Erstmals in deutscher Sprache analysierte und beschrieb der Osteuropa-Historiker Dr. Otfried Pustejovsky auf der Grundlage archivalischer Zeugnisse sowie vieler tschechischer und slowakischer Detailstudien den von Moskau vorgegebenen Plan zur Atheisierung Europas am Beispiel der Tschechoslowakei von 1948 bis 1998 in seinem voriges Jahr erschienenen Buch „Geheimkirche“. Die Diözesantagung sollte nun Pustejovskys Überblick exemplifizieren und konkretisieren. Diese Rolle übernahm die an der südböhmischen Universität České Budějovice lehrende und arbeitende Theologin Dr. Lucie Kolarová (* 1970) durch erinnernde Rückblicke und Einordnungen. Die Wissenschaftlerin hat sich neben zahlreichen fundamentaltheologischen Themen mit dem „homo historicus“ und dem „homo religiosus“ bei dem belgischen Ordenspriester und röm.-kath. Theologen Edward Schillebeeckx (1941–2009) beschäftigt.

Sie referierte in exzellentem, vom Vater gelernten Deutsch zur Situation der Kirchengemeinden sowie der Christinnen und Christen in der Zeit der Verfolgung und des Umbruchs. Aufgewachsen ist sie in einem Pfarrhaus im südböhmischen Kirchschlag (Světlík), wohin ihr Vater als Priester und Problemfall für Kirche und Staat strafversetzt worden war und 40 Jahre lang blieb, ein atypischer Fall, weil er und seine Familie nicht in der Geheimkirche organisiert waren. Er war ein exotischer Priester, verheiratet und offiziell nicht anerkannt, aber jeder wusste das und akzeptierte ihn und seine 15 Gemeindemitglieder, selbst das Regime sah in seinem Wirken keine Bedrohung, ließ aber über die Gottesdienste hinaus keine Gemeinschaftsbildung zu und sah es wohl auch nicht gern, dass der in kein Schema passende Seelsorger Heimwehtourismus als legitim betrachtete. Nach einigen Jahren bekam er aber ein weiteres, nicht an der Grenze liegendes Dorf als Parochie hinzu, was für ihn heilsam war, aber nichts an der finanziell prekären Situation verbesserte. Tochter Lucie spielte während der Messen die Orgel, sie schätzte die exklusive Stellung, litt aber auch unter Kontaktverboten. Ohne Aufnahmeprüfung konnte sie das Gymnasium besuchen, es mit Bestnoten abschließen und studieren.

Nach der Wende ab 1991 hatte Pfarrer Kolarová das Recht, Religionsunterricht zu erteilen und sprach die Menschen mit Erneuerungen und dramatisch erzählten biblischen Geschichten intensiv an. Zwar drängte die Kirche ihn nicht, sich zu laizisieren, wollte aber keinen Präzedenzfall zulassen und entließ den verheirateten Priester.

Zwischen offizieller und geheimer Kirche habe es Verdächtigungen und Animositäten gegeben, so die Referentin, aber auf beiden Seiten auch viele interessante Figuren. Wenngleich in der tschechischen Kirche, abgesehen von vorsichtigen Anpassungen, seit der Wende keine großen Innovationen eingetreten sind und die Kirchgänger nur zwischen 5 und 10 % der Bevölkerung ausmachen, sei die tschechische Kirche doch offener als die polnische und slowakische. Kolarová machte dennoch bestehende Probleme wie den Konservatismus an der wieder eingegliederten Prager Fakultät, das Fehlen von engagierten Laien, die Auflösung von Pfarreien in Grenznähe, den zunehmenden Abstand zwischen Stadt und Land durch die Schaffung größerer Seelsorgeeinheiten sowie das Zurückweichen der Ökumene vor fundamentalistischen Strömungen namhaft.

Den authentischen Glauben und die kommunikative Art ihres Vaters, der in Leitmeritz Neuscholastik studiert hatte und vom Zweiten vatikanischen Konzil begeistert war, hatten auch Nichtgläubige im Dorf geschätzt. Tochter Lucie trägt dieses Erbe weiter. Obwohl die von den Deutschen verlassenen Dörfer durch eine sozial problematische tschechische Bevölkerung mit niedrigem Bildungsstand und hoher Kriminalitätsrate neu besiedelt wurden, hätten sich die Unterschiede im Lauf der letzten 30 Jahre durch Zirkulation eingeebnet. Selbst in nicht touristischen Gebieten sei viel renoviert und verschönert worden, so dass die Theologin Lucie Kolarová weiterhin gern dort lebt.

Am Nachmittag berichtete Hermann Lüffe, der aus dem Rottenburger Diözesanverband im Bundesvorstand der Ackermann-Gemeinde mitarbeitet, über die Schwerpunktsetzungen der aktuellen Arbeit und die Überlegungen und Perspektiven künftiger Vorhaben. Zunächst sprach er die angespannte Personalsituation in der Bundesgeschäftsstelle an. Sie werde derzeit durch einen Prozess der Organisationsberatung verbessert. Das Sozialwerk der Ackermann-Gemeinde löse sich nicht auf, sondern werde nur in den Mantel der AG überführt. Bei der Bundesvorstandssitzung in zwei Wochen, so Lüffe, dessen Tochter Johanna Bundessprecherin der „Jungen Aktion“ ist, werde es um die Frage gehen, wie das Format der Zukunft und die Stellung der AG in den einzelnen Diözesen aussehen soll, wobei aber deren Strukturen schon wegen der Fördertöpfe erhalten bleiben müssten. Für die Schlagkraft der AG sollten alle Synergien genutzt werden. Weil die Durchlässigkeit und Anbindung einzelner Gruppierungen manchmal zu schwach seien, wäre es geboten, Zuordnungen sinnvoll zu gestalten. Ohne das zentrale Element der Begegnungen – selbstverständlich auch und vor allem mit den östlichen Nachbarn – könnte sich die AG gleich selbst abschaffen. Von dieser obersten Zielsetzung hänge auch die Gestaltung der Strukturen ab. Man müsse Bewährtes wie etwa den Schüleraustausch mit Brünn oder das deutsch-tschechische Feriencamp „Plasto Fantasto“ für Kinder und Jugendliche als Zubringerveranstaltung beibehalten, aber auch aufbrechen, ideenreich und engagiert auf dem Weg bleiben.

Stefan P. Teppert