Biographie

Heistermann von Ziehlberg, Gustav

Herkunft: Posener Land
Beruf: Generalleutnant
* 10. Dezember 1898 in Hohensalza/Posen
† 2. Februar 1945 in Berlin

Gustav Heisterman von Ziehlberg wurde als Sohn eines aktiven Offiziers geboren. Seine Mutter war die Tochter des Geheimen Kommerzienrats Gustav Goecke in Essen. Ziehlberg besuchte ab 1908 die Gymnasien in Braunsberg und Königsberg i. Pr., wurde Ostern 1911 Kadett in Köslin, erhielt Anfang August 1914 auf der Hauptkadettenanstalt Lichterfelde bei Berlin das Zeugnis der Reife zum Fähnrich und wurde anschließend dem Grenadier-Regiment König Friedrich Wilhelm IV. (1. Pommersches) Nr. 2 in Stettin überwiesen, bei dem sein Vater als Bataillonskommandeur Ende August 1914 den Soldatentod fand. Im Alter von 16 Jahren zur Feldtruppe an der Ostfront versetzt, zum Leutnant befördert und mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, erlebte Ziehlberg den Ersten Weltkrieg bis März 1918 auf dem östlichen Kriegsschauplatz und an der rumänischen Front als stellvertretender Kompanieführer und Bataillonsadjutant und anschließend an der Westfront. Nach Einsätzen im Grenzschutz Ost und Verwendung im Übergangsheer wurde Ziehlberg in das 5. (Preußische) Infanterieregiment des Reichsheeres übernommen. Nach im Truppendienst verbrachten Jahren und der Beendigung der Führergehilfenausbildung – zu den 15 „Schülern“ seines Jahrgangs gehörten die späteren Generale Heusinger, Speidel und Winter – wurde Ziehlberg Anfang 1931 in das Reichswehrministerium versetzt. Schon während der Ausbildung zum Führerstabsoffizier vom Chef des Truppenamts, General Adam, als „Beachtlich“ qualifiziert, wurde ihm 1933 bescheinigt, daß er die Aufgaben des Quartiermeisterdienstes „beherrscht und sein Wissen auf diesem Gebiet anderen in anregender Form zu übermitteln versteht“. Nach zweijähriger Verwendung als Kompaniechef in Landsberg a. d. Warthe (1934-36) wurde Ziehlberg in die Zentralabteilung des Generalstabes des Heeres versetzt.

In dieser für die Organisation und die personelle Stellenbesetzung des Generalstabsdienstes im Heer zuständigen Abteilung verbrachte Ziehlberg über sechs Jahre, hatte unter den Abteilungschefs Hoßbach und von der Chevallerie hervorragenden Einblick in die Entwicklung und in den von den Generalen Beck und Halder geführten Kampf um die Stellung des von ihnen nacheinander geleiteten Generalstabs des Heeres innerhalb der Spitzengliederung der Wehrmacht, um wenige Monate nach Kriegsbeginn für drei Jahre als ihr verantwortlicher Leiter zu fungieren. Wie aus dem Kriegstagebuch Halders hervorgeht, hat Ziehlberg fast täglich mit dem Generalstabschef in engstem Kontakt gestanden und ihn in allen Fragen der ständig in Bewegung befindlichen Personalbesetzung und -führung des Generalstabes und seiner Nachwuchsförderung beraten und die danach getroffenen Entscheidungen in die Tat umgesetzt. Zu Ziehlbergs Aufgaben gehörte auch die Erkundung und Einrichtung des Hauptquartiers entsprechend den auf die Leitung der Operationen zukommenden Aufgaben.

Mit Halders Ausscheiden Ende September 1942 übertrug Hitler die Bearbeitung der Generalstabspersonalien dem seinemChefadjutanten neu unterstellten Heerespersonalamt. Ziehlberg sorgte mit Argumenten aus seinem Erfahrungsschatz dafür, daß der Chef des Generalstabs des Heeres auch weiterhin an denpersonellen Entscheidungen innerhalb des Generalstabs beteiligt blieb – sofern Hitler nicht selbstherrlich eingriff.

Von Halder als „kluger, umsichtiger, vielseitiger Generalstabsoffizier mit klarem sicherem Urteil über Menschen und Dinge“ und als „Frohnatur, die dem Leben die guten Seiten abzugewinnen weiß“, beurteilt und bereits im Mai 1942 „zum Divisions-Kmdr.“ geeignet befunden, von Zeitzler, dem nunmehrigen Generalstabschef des Heeres, als „guter Abteilungs-Chef“ bezeichnet, meldete sich Ziehlberg am 24. Januar 1943 beim Kommandeur der 12. Infanterie-Division, General Freiherr von Lützow, als neuer Kommandeur des Grenadierregiments 48. Mit diesem Regiment nahm er an den mit der Räumung des Demjansk-Kessels verbundenen Kämpfen und an Unternehmungen gegen im rückwärtigen Frontgebiet operierende Partisanenverbände teil und wurde drei Monate später von seinem Divisionskommandeur als „klarer, vorausdenkender Kopf“ und als „situationssicher“ empfohlen.

Nach seiner Beauftragung mit der Führung der zum Küstenschutz vor der Scheldemündung eingesetzten 65. Infanterie-Division und ihrer bald darauf erfolgenden Verlegung in das französische Flandern entschied die Unsicherheit der Lage in Italien nach dem Sturz Mussolinis darüber, daß die Division nicht, wie ursprünglich vorgesehen, der Ostfront zugeführt wurde, sondern in Italien zum Einsatz kam und nach der Verwendung im Küstenschutz an der Adria und bei La Spezia am 10. Oktober 1943 in den Raum Chieti verlegt wurde, um einerseits den Küstenschutz zwischen Ortona und Pescara zu übernehmen und andererseits nördlich des Sangro eine Verteidigungslinie zwischen dem Maiella-Gebirge und der adriatischen Küste zu errichten. Nachdem die Engländer von Süden her bis zum Sangro vorgerückt waren, gelang der 17. Indischen Brigade (Gurkhos) in der Nacht zum 28. November 1943 nach reichlicher Artillerievorbereitung ein tiefer Einbruch in die Divisionsfront und die Einnahme von Mozzagrogna. Ein von der örtlichen Führung gegen Mittag angesetzter Gegenangriff mißlang. Empört über das Generalkommando, das ihm die Schuld zu geben schien, fuhr Ziehlberg im Gefühl, zum Sündenbock gestempelt und noch am Abend als Divisionskommandeur abgelöst zu werden, in den Abschnitt des Kampfgeschehens. Auf der Fahrt dorthin geriet sein Fahrzeug in einen Bombenteppich, der zu schweren Verlusten mit Toten und Verwundeten führte.Ziehlberg mußte anschließend der linke Arm amputiert werden.

Nach seiner Genesung wurde Ziehlberg am 28. April 1944 zum Kommandeur der 28. Jägerdivision ernannt, die im Begriff war, aus dem Raum nördlich Pustoschka in den Raum zwischen Lemberg und Kowel verlegt zu werden, wo die Oberste Führung eine sowjetische Großoffensive erwartete, ohne die Warnungen des Oberkommandos der Heeresgruppe Mitte zu beachten, das auf Grund seiner Feindfeststellungen fest mit einer Großoffensive gegen seine von Reserven fast entblößte Front rechnete. Als diese dann tatsächlich in diesem Abschnitt erfolgte und den Zusammenbruch der Front zwischen Bobruisk und Witebsk zur Folge hatte, wurde die 28. Jägerdivision in den Raum Baranowitsche verlegt, um dort am Aufbau einer neuen Front mitzuwirken und in den damit verbundenen Rückzugskämpfen den Zusammenhalt der Front zu wahren. Was in dieser Zeit von der Führung und der Truppe an Führungskunst und Einsatzbereitschaft gefordert und geleistet wurde, kann nur noch erahnt werden, da die Kriegstagebücher aus dieser Zeit nicht mehr in das Heeresarchiv in Potsdam gelangten oder dort im April 1945 durch einen Bombenangriff vernichtet wurden. Ziehlberg gelang es, mit seiner Division aus dem Kessel bei Slonim auszubrechen. Offenbar für diese Tat wurde ihm am 27. Juli 1944 das Ritterkreuz verliehen.

Das am 20. Juli fehlgeschlagene Attentat im Führerhauptquartier hatte für die damals auf Bialystok zurückgehende 28. Jägerdivision unvorhersehbare Folgen. Bei ihr suchte General Henning von Tresckow, einer der führenden Männer des Widerstandes, am 21. Juli den Tod, nachdem er von Ziehlberg die Begleitung von Major i. G. Kuhn, dem ersten Generalstabsoffizier der Division, zur Fahrt in die gefährdeten Teile des Divisionsabschnitts erbeten hatte. Wenige Stunden später kehrte Kuhn mit dem toten Chef des Generalstabes der 2. Armee zurück und berichtete, daß der General in einen Überfall durch Partisanen geraten sei. Sechs Tage später – die Division hatte in nächtlichen Eilmärschen westlich Bialystok eine neue Hauptkampflinie zu erreichen – erhielt Ziehlberg einen Befehl, der ihn und die anwesenden Offiziere wie „ein Schlag von kaum vorstellbarer psychologischer Wirkung“ traf. Er sollte – in dieser Lage – seinen engsten Führungsgehilfen, also Kuhn, verhaften und unter Begleitung nach Berlin überführen lassen. Ziehlberg, im Umgang mit Personalentscheidungen für Generalstabsoffiziere wie kaum ein Zweiter vertraut, ließ Kuhn kommen und konfrontierte ihn mit dem Inhalt des Haftbefehls. Auf Befragen gab Kuhn, der in seiner früheren Tätigkeit in der Organisationsabteilung des Generalstabes mit Vorbereitungen für ein Attentat gegen Hitler befaßt war, an, daß er mit dem Attentat des 20. Juli nichts zu tun habe, aber vermute, „daß seine private Verbindung zur Familie Stauffenberg der Grund zur Verhaftung sei“. Daraufhin befahl Ziehlberg, er habe sich nach der Übergabe seiner Geschäfte zum neuen Divisionsgefechtsstand zu begeben, von wo ihn der Divisionsadjutant nach Berlin begleiten werde. Nach der Übergabe der Geschäfte und Verabschiedung von seinem Vertreter nutzte Kuhn seine Kenntnis von einer Lücke zwischen den Jägerregimentern 49 und 83, um – wie es in der Geschichte des Jäger-Regiments 49 (6. Teil, S. 42) heißt – den Tod zu suchen. „Ohne irgendwelche Unterlagen seines Tätigkeitsbereichs tritt er, nur mit Pistole bewaffnet, den Russen entgegen. Was er erhofft, gelingt ihm jedoch nicht. Verwundet wird er gefangen genommen.“ Ziehlberg ließ nach Erhalt der Nachricht vom Verschwinden Kuhns sofort die Lücke schließen, doch die Sowjets reagierten nicht. Offensichtlich hatte Kuhn nichts verraten.

Dennoch hatte der Abgang Kuhns für Ziehlberg schlimme Folgen. Im September 1944 mußte er sich vor dem Reichskriegsgericht verantworten und wurde von diesem wegen „fahrlässigem Ungehorsam“ zu sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die jedoch „zwecks Bewährung“ in der alten Dienststelle ausgesetzt werden sollte. Doch als Ziehlberg im Oktober 1944 die Führung eines Armeekorps in Ostpreußen übernehmen sollte, wurde er noch einmal vor das Reichskriegsgericht zitiert. Die dazu befohlenen Zeugen aus dem Divisionsstab der 28. Jägerdivision, Major i. G. von Löbbecke und Hauptmann Graf Stolberg, fanden ihren Kommandeur dort als Angeklagten vor, „seiner Uniform und Ehrenzeichen entkleidet“, der „wie ein Verbrecher vor Gericht erscheinen mußte“. „Lähmendes Entsetzen“ packte die beiden Offiziere, als der vorsitzende Generalrichter – einer Weisung „von oben“ entsprechend – die Todesstrafe verkündete und ihr General sie „stehend und in absoluter Gefaßtheit“ entgegennahm. Hitlers Haß gegenüber dem Generalstab traf nun in aller Härte nicht zuletzt den Mann, der unter Beck und Halder dafür gesorgt hatte, daß selbständig denkende Köpfe in die Schlüsselstellungen des Generalstabes gelangten. Ziehlberg wurde in Berlin-Spandau erschossen.

Quellen: Bundesarchiv-Militärarchiv: Pers 6/615; RH 2/238; RHD 18/15, Teil I; RH 26-12/75; RH 26-65/16 u. 20. – Generaloberst Halder, Kriegstagebuch. Bearb. von Hans-Adolf Jacobsen. Bd. I-III Stuttgart 1963. – Die Träger des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes 1939-1945. Hg. von Walther-Peer Fellgiebel. Bad Nauheim 1986.

Lit.: Döring von Gottberg: Das Grenadier-Regiment König Friedrich Wilhelm IV. (1. Pommersches) Nr. 2 im Weltkriege. Berlin 1928. – Hansgeorg Model: Der deutsche Generalstabsoffizier. Seine Auswahl und Ausbildung in Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr. Frankfurt am Main 1968. – Heinz Michaelis: Das Infanterie-Regiment 48. Weg und Schicksal eines Truppenteils in den Jahren 1934-1945. Berlin 1984. – Wilhelm Velten: Vom Kugelbaum zur Handgranate. Der Weg der 65. Infanterie-Division. Neckargemünd 1974. – Geschichte Jäger-Regiment 49, 6. Teil 1944. Hrsg. vom Traditionsverband Jäger-Regiment 49. Hannover o. J. – Bernhard Kranz: Geschichte der Hirschberger Jäger 1920 bis 1945. Lemgo 1975. – Dietrich Graf zu Stolberg-Wernigerode: In memoriam Generalleutnant von Ziehlberg – * 10.12.1898, † 2.2.1945. Ranstadt/Obb. 1974. – Bodo Scheurig: Henning von Tresckow. Eine Biographie. Oldenburg 1973. – Hans Speidel: Aus unserer Zeit. Erinnerungen Frankfurt/M. 1977. – Peter Hoffmann: Widerstand. Staatsstreich. Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler. 3. Aufl. München 1979

 

  Friedrich-Christian Stahl