Wie selten eine andere der deutschen Kulturlandschaften hat Schlesien eine Dialektdichtung aufzuweisen, die im Laufe der Jahrhunderte zu einer unvergleichlichen Vielfalt gelangte. Das umfangreichste Werk in schlesischer Mundart ist Ernst Schenke zu verdanken, der es darin zu einer Meisterschaft brachte, die weit über das Übliche hinausreicht, weil er nicht nur mit bloß Witzhaften belustigen wollte, sondern im Heiteren wie im Besinnlichen den schlesischen Menschen und das schlesische Land in ihrem Wesen kenntlich machte.
Die von Hermann Stehr und anderen bestätigte Fabulierlust der Schlesier mag in dem am Fuße des Eulengebirges geborenen Ernst Schenke schon beizeiten wirksam geworden sein, so daß er bereits mit vierzehn Jahren sein erstes Mundartgedicht schrieb. Danach sah er sich immer wieder dazu veranlaßt zur Feder zu greifen, und so wurden auch seine Gedichte und Geschichten in Kalendern und Zeitschriften veröffentlicht. Anfang der zwanziger Jahre erschienen als erste schmale Bändchen Lacha und Treiba und Drinne und Draußa. Schenke schrieb im Gebirgsschlesisch des Nimptscher Landes. Seine wohl zum "klassischen Schlesisch" zählenden Gedichte wie Doas Karassell, De Huxt eim Aprille, Doas Kließlalied und Schlesischer Winter weisen ihn als Dichter mit einer großen Sprachkraft aus, der die Worte wohl zu wählen weiß. Gerade die Mundart duldet keine falschen Töne. Schlesien und seine Menschen wurden in allem, was er auch zu sagen hatte und was ihn unablässig zum Schreiben veranlaßte, unvergleichlich gegenwärtig. Ob er nun in seinem Rübezoahl an das Riesengebirge und den alten Berggeist erinnerte oder an die Oder in Uff derr Uder bien iech derrheeme. Nicht anders, wenn er im Schlesischen Winter das Dasein in der kalten Jahreszeit beschrieb.
Viele Jahre war Ernst Schenke als Schriftleiter der Schlesischen Landeszeitung in Breslau tätig, bis er sich in Schieferstein am Zobten als freischaffender Schriftsteller niederließ. Der Intendant des Breslauer Rundfunks, Friedrich Bischoff, regte ihn dazu an, Kantaten wie Das schlesische Jahr oder Schlesischer Frühling, den Altweibersommer und Die Kantate von der schlesischen Dorfnacht zu schreiben. In seinen Beschreibungen seines Landes und seiner Menschen ließ er so etwas wie ein Schlesisches Himmelreich erstehen, und es ist darin nichts, was unausgesprochen bliebe. Vertonungen seiner lyrischen Werke stammen von Karl Sczuka, Werner Gneist und Gerd Münzberg. Sie beweisen einmal mehr, wie gerade Mundart sich als Dichtung auszuweisen vermag und somit dem Hochdeutschen in nichts nachsteht.
Auch im Dramatischen war Ernst Schenke begabt. Das beweisen die Einakter Zwölf kurze Stückla und eine Anzahl von Laienspielen, wie Die Huxt ei derr Hilbigmühle, und die vielen Hörspiele, die einstmals der Breslauer Rundfunk sendete. Nicht unerwähnt sollten jene Werke bleiben, die sich mit dem Geschehen um Weihnachten befassen, wie Ein alter Schäfer erzählt die Weihnachtsgeschichte, Maxlas Weihnachtsbrief oder Gesunde Feiertage.
Nach seiner Vertreibung fand Ernst Schenke zunächst in Freudenberg im Kreis Siegen in Westfalen eine bescheidene Bleibe und war danach bis zu seinem Lebensende in Recklinghausen wohnhaft, wo er noch anläßlich seines 85. Geburtstages, wenn auch gesundheitlich bereits sehr geschwächt, die Glückwünsche und Ehrungen nicht nur seiner Schlesier entgegennehmen konnte.
Da Mundartgedichte- und Geschichten ihr Publikum am besten bei Vorträgen erreichen, so kam es auch immer auf gute Interpreten an, und die fanden sich überall unter den Schlesiern. Zu den hervorragenden müssen wir zunächst allen voran den durch seine jahrzehntelange Volkstumsarbeit um Schlesien besonders verdienten Professor Dr. Wilhelm Menzel nennen und dann Paul Heinke, Viktor Tietze, Ernst Kalleè, Karl Friebe, Ernst Hettler, und von der jüngeren Generation Hans-Dieter Schultz, Erhard Fuchs, Werner Maywald und Erle Bach.
An Würdigungen des Werkes von Ernst Schenke hat es nie gefehlt. Hier sei die von Wilhelm Menzel angeführt: "Welch eine Fülle, welcher Reichtum schlesischer Dichtung! In ihr offenbart sich die ganze Wesensart des Schlesiers, vor allem seine Gemütstiefe, die ihn befähigt, mehr oder weniger bewußt ein Leben zu leben aus den großen Bindungen an Gott und Natur, an Heimat und Volk. Es ist eine poetische Volkskunde, die Schenke mit seinen Dichtungen bietet. Im Grunde aber ist es mehr als das: Die Geschichte und Geschichten sind gestaltete Sprache und in ihr wohnt als gesprochenes Wort eine wirkende Kraft, die neues Leben schafft und dieses auch erhält."
Lit.: Arno Lubos: Die schlesische Dichtung im 20. Jahrhundert, München 1961. – Wilhelm Menzel: Mundart und Mundartdichtung in Schlesien, 1975.