Biographie

Grimm, Julius Otto

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Komponist, Dirigent
* 6. März 1827 in Pernau/Livland
† 7. Dezember 1903 in Münster/Westfalen

Früh verwaist, wuchs Julius Otto Grimm bei einer Tante auf. Seine Eltern, Krons-Apotheker Otto Grimm und Rosine Amalie geb. Reddelin, verstarben bereits 1831. Von seiner Cousine Wilhelmine Grimm erhielt er den ersten Klavierunterricht. Nach der Gymnasialzeit in Pernau studierte er seit 1844 an der Universität Dorpat Philologie und Philosophie und war dort Schüler von Universitätsmusikdirektor Friedrich Brenner. Nach dem Staatsexamen 1848 übernahm er eine Hauslehrerstelle in St. Petersburg in der Familie des Kommerzienrates Tunder, welcher ihm dann auf Fürsprache Adolph Henselts 1851 ein Studium am Leipziger Konservatorium ermöglichte. Dort war er Schüler von Julius Rietz, Ignaz Moscheles, Ferdinand David, Moritz Hauptmann und Niels Gade. Nach Ende des Studiums 1852 blieb er noch ein Jahr in Leipzig, wo er 1853 Freundschaft mit Johannes Brahms schloß, der zeitweise bei ihm wohnte. Brahms und Grimm gingen im selben Jahr nach Hannover, dort mit Joseph Joachim und Franz Wüllner verkehrend. Auch die von Grimm bereits 1844 in Dorpat gemachte Bekanntschaft mit dem Ehepaar Schumann vertiefte sich zu freundschaftlichem Verkehr. Mit Brahms ging er 1854 nach Düsseldorf, tätigen Beistand leistend, als sich das tragische Ende Robert Schumanns abzeichnete. Seit 1855 war er in Göttingen als Musiklehrer und Chordirigent tätig. Dort verheiratete er sich 1858 mit der Pianistin Philippine Ritmüller, der Tochter eines Klavier-Fabrikanten. In Göttingen gehörte zu seinen Schülern der als Bach-Forscher bekannt gewordene Philipp Spitta. 1860 ging Grimm als Dirigent des Musikvereins nach Münster/Westfalen.

Er leitete dann mehrere Chöre und war zeitweise Lektor für Musik-Theorie sowie Gesanglehrer an der Universität Münster. Während seiner dortigen, über vierzig Jahre dauernden Tätigkeit, brachte er das Musikleben Münsters auf eine beachtliche Höhe. Er führte in zahllosen Orchester- Chor- und Kammerkonzerten über 1.500 Werke vom 17. Jahrhundert bis zur zeitgenössischen Musik auf. Bemerkenswert waren seine Aufführungen der Werke J. S. Bachs und G. F. Händels, welche das katholische Münster zu einer hervorragenden Pflegestätte evangelischer Kirchenmusik werden ließen. Das bedeutendste Konzertereignis für die ganze Region war das jährlich abgehaltene, zweitägige Cäcilien-Fest, das Grimm ins Leben gerufen hatte. Er konnte häufig berühmte Solisten für seine Konzerte gewinnen, aus dem Freundeskreis Brahms, Joseph Joachim und Frau Amalie, Clara Schumann, Raimund von Zur Mühlen, Julius Stockhausen, Georg Henschel, auch Hans v. Bülow, Eugen d’Albert u.a. wären zu nennen. Besonders setzte er sich für die Werke von Brahms und Schumann ein. Zwar hatte Grimm 1860 auch jenes Manifest unterschrieben, das sich gegen die Neudeutschen richtete, doch hatte er gleichwohl immer wieder auch Werke von Wagner und Liszt aufgeführt. Zahlreiche Ehrungen wurden ihm zuteil: 1878 Kgl. Musikdirektor, 1885 Professor und Dr. h.c. der Universitäten Münster und Breslau (wie Johannes Brahms), Mitgliedschaft der Berliner Akademie u.a.

Im Umkreis der schöpferischen Musiker von Brahms nimmt Grimm, der von Brahms scherzhaft „Isegrimm“ und „Ise“ genannt wurde, als einer der treuesten Freunde eine wichtige Stellung ein. Zum 21. Geburtstag von Brahms 1854 komponierte Grimm eine humoristische Brahmanen-Polka. Ein beredtes Zeugnis ist der Briefwechsel, der bis zum Tod von Brahms 1897 nahezu 45 Jahre umfaßt. Grimms kompositorisches Werk ist, wohl durch Selbstkritik und zu große berufliche Beanspruchung, nicht allzu umfangreich. Ein Meisterwerk ist die von Schumannschem Geist getragene Violinsonate op. 14, aber auch einige poetische Klavierstücke, die auf späte Brahms-Klaviermusik zugehen sowie die Orchester-Suiten in Kanon-Form als besondere Auseinandersetzung mit barocken Formen, sind bemerkenswert. Die Suite Nr. 2 op. 16 widmete er Brahms und Brahms hatte ihm die Balladen op. 10 für Klavier zugeeignet. Noch zu nennen ist das Liedschaffen, besonders die qualitätvollen, volksliedhaften vierstimmigen Quickborn-Lieder.

Werke: Sinfonie d-moll, 3 Orchester-Suiten, Klavierstücke, Lieder, Chorwerke, Gelegenheitswerke f. Orchester.

Lit.: Div. Musiklexika; Brahms-Literatur; J. O. Grimm: Erinnerungen aus meinem Musikerleben, in: 29. Jahresber. d. Westfälischen Provinzialvereins 1900/01. – J. Brahms im Briefwechsel mit J. O. Grimm, hrsg. von Richard Barth, Berlin 2. Aufl. 1912 (J. Brahms, Briefwechsel Bd. IV), ND Tutzing 1974. – Oscar Bolck: Symphonie in d-moll von J. O. Grimm, in: Mus. Wochenblatt 1874, Nr. 1 S. 3ff. – Hans Schmidt: Nekrolog in Ill. Beil. d. Rigaschen Rundschau 1904 S. 97f. – Carl Hunnius: J. O. Grimm – Ein Künstlerleben und -schaffen, in: Heimatstimmen, ein balt. Jahrbuch, Bd. 2 1906, S. 249ff. – Franz Ludwig: J. O. Grimm. Ein Beitrag z. Geschichte der musikalischen Spätromantik, Bielefeld/Leipzig 1925. – P. Winter: J. O. Grimm, in. Westfälische Lebensbilder I, Münster 1930. – Harry Anderson: J. O. Grimm, in: Jahrbuch d. balt. Deutschtums 1963, S. 72ff. – H. Wagener in: Rheinische Musiker V, Köln 1967 S. 59ff. – H. Scheunchen: Lexikon deutschbaltischer Musik, Wedemark-Elze 2002 mit Werkverzeichnis und weiterer Literatur.

Bild: Daheim Nr. 23, 4.3.1899, Kapitel Hausmusik

Helmut Scheunchen