Biographie

Slezak, Leo

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Opernsänger, Schauspieler, Schriftsteller
* 18. August 1873 in Mährisch-Schönberg
† 1. Juni 1946 in Rottach-Egern/Oberbayern

Eines seiner Sämtlichen Werke hat Leo Slezak mit Mein Lebensmärchen übertitelt, und einem Märchen ähnlich ist die Biographie Slezaks in der Tat. Sein Vater zog nach dem Niedergang seiner Mühle in die Stadt Brünn. Nach einem Versuch als Gärtner machte Slezak eine Lehre als Schlosser. (Kein Siegfried vor ihm konnte in der gleichnamigen Wagner-Oper den Hammer beim Schmiedelied so fachkundig schwingen.) Hätte der junge Slezak sich nicht von einem Choristen für die Brünner Oper gewinnen lassen und wäre er nicht als Statist und später als Aushilfschorist auf die Bühne gelangt, die Welt hätte eine der schönsten Tenorstimmen gar nicht kennengelernt. So aber hörte ihn ein damals bekannter Bariton, Adolf Robinson, der in Brünn gastierte, und bot ihm an, seine Stimme auszubilden. Aus dem musikalischen Anfängen wurde durch geduldiges Studium, das bei der musikalischen Elementarbildung, dem Notenlesen anfangen mußte, ein eminent musikalischer und dramatisch überzeugender Sänger, der sein Publikum als Wagner-Sänger, als Lohengrin, Stolzing und vor allem als Tannhäuser, genauso beeindruckte wie in Opern Meyerbeers, Goldmarks, Rossinis (Wilhelm Tell) und nicht zuletzt als Verdis Othello. Auch als Liedersänger setzte er Maßstäbe.

Slezak debütierte 1896 in Brünn als Lohengrin, zwei Jahre später engagierte ihn bereits die Berliner Hofoper. Da er sich an diesem Haus aber nicht wohl fühlte, faßte er 1901 den klugen Entschluß, nach Breslau zu gehen, um dort in der Provinz die Rollen singen zu können, die ihm in Berlin verwehrt blieben, und sich so die Repertoiresicherheit zu erwerben, die ihn im weiteren Verlauf seiner Karriere auszeichnete. In Brünn hatte er die österreichische Schauspielerin Elsa Wertheim kennen und lieben gelernt. Mit ihr führte er bis zu ihrem Tod, 1944, eine glückliche Ehe. Sie gab dem körperlich so gigantisch Aussehenden –  er war über 1,90 Meter groß -, sehr sensiblen Künstler den nötigen Rückhalt.

1901 gastierte Slezak erstmals an der Wiener Hofoper. Gustav Mahler, der die Hofoper zu einem Inbegriff der Ensemblekunst gemacht hatte, war von seinen Antrittspartien: dem Arnold in Wilhelm Tell (Rossini), dem Radames in Aida (Verdi) und dem Stolzing so begeistert, daß er ihn sofort engagierte. Bis 1934 war Slezak einer der gefeiertsten Stars der Hof- und späteren Staatsoper, und er war so weise, schon vor seinem Abtreten als Opernsänger an einer neuen Karriere zu arbeiten und den Ort seiner größten Triumphe zu einem Zeitpunkt zu verlassen, in dem sein Abschied bedauert und nicht herbeigesehnt wurde. Auch an anderen europäischen Opernhäusern von Rang und der Metropolitan Opera von New York feierte er große Erfolge. Sein Othello konnte sich an der „Met“ durchaus mit dem Francesco Tamagnos messen, der diese schwierige Rolle in der Uraufführung am 5. Februar 1887 in der Mailänder Scala gesungen hatte. In den zwanziger Jahren wechselte Slezak nach und nach das musikalische Betätigungsfeld, Alfred in der Fledermaus von Johann Strauß und besonders Offenbachs Blaubart sind hier zu nennen. Danach machte Slezak eine dritte Karriere als Komiker im deutschen Tonfilm.

Was war das Besondere an Slezak, warum ist er es wert, daß wir uns an ihn erinnern? Slezak war eine originelle Persönlichkeit, die man erleben mußte. Und glücklicherweise hat nicht nur die Schallplatte seine Stimme und der Tonfilm seine Erscheinung festgehalten; wir haben auch seine Erinnerungen und die vielen Anekdoten von Freunden, Bewunderern und Theaterleuten. Aus all dem können wir schließen: Slezak war gleich beeindruckend als Künstler wie als Mensch –  sein Humor, seine lustigen Streiche, denen viele seiner Kollegen und Kolleginnen zum Opfer fielen, sind berühmt. Wenn er einst im ersten Akt des Lohengrin den Schwan verpaßte, der den Titelhelden auf die Bühne zu bringen hat, und darauf mit der Frage reagiert haben soll: „Wann geht hier der nächste Schwan?“, ist das nur ein Beispiel für seinen schlagfertigen Humor. Das bevorzugte Opfer seiner Scherze in Wien, Erik Schmedes, der konkurrierende Heldentenor, mag diese freilich weniger komisch gefunden haben. Slezak verband Humor mit Lebensklugheit, die ihn die Schwierigkeiten seines Lebensweges überstehen half. Seinem Lehrer Adolf Robinson, dem er in seinen Sämtlichen Werken ein Denkmal setzte, war er dankbar für dessen schonungslose Kritik, die ihn davor bewahrt habe, ein „verblödeter Provinzherrgott“ zu werden.

Warum kann ein Musikredakteur wie Helmut Reinold geradezu emphatisch in einem Rundfunkporträt über Slezak sagen „mehr Slezak, möchte man wünschen“? Das liegt zum einen an den besonderen menschlichen Qualitäten des Tenors aus Böhmen, zum anderen aber an seiner Intelligenz, mit der er sich Rollen aneignete. Für ihn gilt ganz sicher nicht das böse Urteil: „dumm, dümmer, Tenor!“ Slezak entwickelte seine Rollengestaltung weniger mit dem Intellekt als „aus dem Bauch“. Seine Bühnenpartner bekamen das manchmal, wie ein Kritiker seines New Yorker Othellos schreibt, recht handgreiflich zu spüren. Eben an diesem Othello wird aber auch die stimmliche Spannbreite Slezaks gerühmt, sein mezza voce, seine Art, seine Mittel auch bei höchster Anspannung zurückzunehmen. Wer sich von der Stimme Slezaks eine authentische Vorstellung verschaffen will, sollte seine Aufnahmen von vor dem Ersten Weltkrieg hören. Jens Malte Fischer sagt in seinem Buch Große Stimmen hierzu, Slezak habe, „die wahrscheinlich prachtvollste jugendliche Heldentenorstimme unseres Jahrhunderts“ gehabt, und sogar der stets kritische Jürgen Kesting nennt Slezaks Stimme „außerordentlich“.

Slezak verbrachte seine letzten Jahre in seinem Domizil in Rottach-Egern am Tegernsee. Sie wurden durch die Zumutung der nationalsozialistischen Machthaber überschattet, sich von seiner Frau, die jüdischer Herkunft war, zu trennen. Ihr hat er entschieden widerstanden.

Lit.: Leo Slezak: „Meine sämtlichen Werke“, „Der Wortbruch“ und „Rückfall“ als einbändige Ausgabe unter dem Titel: „Lachen mit Slezak“ bei Rowohlt erschienen. Jens Malte Fischer: „Große Stimmen“, Stuttgart/Weimar 1993. –  Jürgen Kesting: „Die großen Sänger“.

Bild: Slezak, Anfang der 30er Jahre in Wien; Süddeutscher Verlag München.

  Matthias Otten