Emmerich Rath wurde am 5. November 1883 in Prag geboren. Er war das zweite Kind seiner deutschsprachigen Eltern Josef und Franziska, geborene Vaner. 1887 übersiedelte die Familie nach Braunau in Nordböhmen. Dort boten sich dem jungen Emmerich zahlreiche Gelegenheiten zu sportlichen Aktivitäten. Im Alter von zehn Jahren brachte er sich in den Bergen der Sudeten selbst das Skilaufen bei, womit er zu einem der Wegbereiter dieses Sports in Böhmen wurde. 1898 zog Rath wieder nach Prag, um dort eine Ausbildung zum Handlungsgehilfen in einer Eisenwarenhandlung zu absolvieren. Die nächsten Jahre lebte er in Deutschland, vorwiegend in Berlin, wo er am 24. Juni 1912 Franziska Kraus heiratete.
Beginnend mit seiner Berliner Zeit entfaltete Emmerich Rath ein umfangreiches Spektrum an sportlichen Aktivitäten. Die Liste der von ihm ausgeübten Sportarten umfasste unter anderem Bergsteigen, Bobfahren, Boxen, Eishockey, Eisschnelllauf, Feldhockey, Fußball, Gehen, Gepäckmarsch, Hochsprung, Kanu- und Kajakfahrern, Kugelstoßen, Lang- und Mittelstreckenlauf, Marathon, Nordische Kombination, Querfeldeinlauf, Radfahren, Ringen, Rudern, Rugby, Schwimmen, Skilanglauf, Tennis und Weitsprung. Viele dieser Sportarten betrieb Rath auf internationalem Niveau; im Laufe seines Lebens gewann er über fünfhundert sportliche Wettbewerbe in den verschiedensten Disziplinen. Zu seinen größten Erfolgen zählten die Böhmische Meisterschaft im Skilanglauf über fünf Kilometer (1907), die Deutsche Meisterschaft im Schwergewichts-Boxen (1912), die Europameisterschaft im Feldhockey (1914, mit der böhmischen Mannschaft) sowie mehrere Meisterschaften im Gepäckmarsch über fünfzig Kilometer mit dreißig Kilogramm Gepäck. Zweimal nahm Rath für Österreich-Ungarn an Olympischen Spielen teil: 1908 in London im Gehen über zehn Meilen und im Marathonlauf (wobei er einen österreichischen Landesrekord aufstellte) sowie 1912 in Stockholm im Querfeldeinlauf und erneut im Marathon.
Eine derart vielseitige sportliche Laufbahn wäre schon eine Generation später nicht mehr denkbar gewesen. Rath profitierte davon, dass viele der von ihm ausgeübten Sportarten zu seiner Zeit noch am Anfang ihrer Entwicklung standen, wodurch es ihm möglich wurde, zeitweise an die Weltspitze unterschiedlichster Disziplinen vorzustoßen. Aus ethischen und gesundheitlichen Gründen war Rath bereits im Alter von sechzehn Jahren zum Vegetarier geworden. Seinen Vegetarismus hob er nach jedem Wettkampferfolg besonders hervor, wobei auch sein athletischer Körperbau – er stand Modell für frühe Publikationen über Bodybuilding – in diesem Zusammenhang großes Aufsehen erregte. Rath wurde dadurch zu einem über die Grenzen Österreich-Ungarns und Deutschlands hinaus bekannten Proponenten der Vegetarier-Bewegung.
Nach seinem Militärdienst im Ersten Weltkrieg kehrte Emmerich Rath zusammen mit seiner Frau nach Prag zurück. Dort eröffnete er 1929 ein eigenes Sportgeschäft, „Sport Rath“, das sich bald zu einem der führenden Sportausrüster der Stadt entwickelte. Mit dem Beginn der deutschen Besatzung und der Errichtung des „Protektorates Böhmen und Mähren“ im März 1939 begann für Rath ein gefahrvoller Lebensabschnitt. Als Gegner des Nationalsozialismus lehnte er die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft konsequent ab. Dieses Verhalten brachte zahlreiche persönliche Nachteile mit sich; unter anderem wurde Rath mehrmals von der Prager Gestapo verhört und festgehalten. Gegen Ende des Krieges gaben Emmerich und Franziska Rath einem deutschen Juden namens Boris Effenberger Zuflucht im Warenlager ihres Sportgeschäfts – eine Handlung, die im Falle ihrer Entdeckung unweigerlich mit dem Tod bestraft worden wäre. Nach Kriegsende unterstützte Rath Effenberger bei dessen Emigration nach Schweden.
Da Emmerich Rath 1939 gegen die deutsche Staatsbürgerschaft optiert hatte, war er von der Vertreibung der Deutschen aus Böhmen ab 1945 nicht betroffen. Ein sorgenfreies Leben sollte ihm jedoch auch unter den neuen Machthabern nicht beschieden sein. Rath war ein Bewunderer der naturverbundenen Lebensweise der nordamerikanischen Ureinwohner und Anhänger des „Tramping“, einer aus den USA stammenden Naturfreunde-Bewegung. In den Schaufenstern seines Ladens hatte er amerikanische Pfadfinder-Abzeichen und indianische Bekleidung ausgestellt. Nach der Machtübernahme der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei im Februar 1948 wurde ihm dies zum Verhängnis: Rath wurde enteignet und wegen „westlicher Propaganda“ und „moralischer Gefährdung der Jugend“ zu einem Jahr Haft verurteilt. Zu dieser Zeit starb auch seine Frau Franziska. Nach der Haftentlassung erhielt er vom Staat lediglich eine Mindestrente, so dass er mit über 65 Jahren noch auf Erwerbstätigkeiten als Straßenkehrer und Hilfsarbeiter angewiesen war. Rath blieb jedoch auch in dieser Lebensphase weiterhin sportlich aktiv. Erst nach einem Autounfall im Alter von 77 Jahren verlor er seine Arbeitsfähigkeit. Er kehrte nach Braunau – nunmehr Broumov – zurück, wo er für einige Zeit bei einem Verwandten wohnte. Schließlich wurde er obdachlos und lebte auf der Straße, bis ihn die Polizei zwangsweise in ein Altersheim einwies. Bald darauf, am 21. Dezember 1962, verstarb Emmerich Rath im Alter von 79 Jahren.
Nicht zuletzt seine Verfemung durch das nationalsozialistische wie das kommunistische Regime hatte dazu beigetragen, dass er schon bald in vollständige Vergessenheit geriet. In Deutschland ist Raths Name heute so gut wie unbekannt. Auch in der Tschechischen Republik wurde erst anlässlich seines 120. Geburtstages wieder verstärkt an ihn erinnert. Im November 2003 wurde auf private Initiative hin eine Gedenktafel an Raths langjährigem Wohnhaus in Broumov angebracht. Ein Jahr darauf verlieh ihm das Nationale Olympische Komitee der Tschechischen Republik posthum einen „Fairplay-Preis“. Die Prager Passage, in der sich sein Sportgeschäft befunden hatte, ist nach Emmerich Rath „Rathova Paśaž“ („Rath-Passage“) benannt.
Werke: Der Gepäckmarsch über 50 Kilometer und warum ich siegte. Berlin 1906. – Mit Heinrich Otto: Der Gehsport. Training, Technik und Taktik des Schnell-, Gepäck- und Dauergehens. Leipzig und Zürich 1922.
Lit.: Jürgen Kollosche, Emmerich Rath, ein deutscher Athlet unter Tschechen, in: DGLD-Bulletin 36 (2003), S. 6. – Ivan Makásek Hiawatha, Poselství Svatojánských proudů. Příspĕvek k rané historii skautingu, vodáctví a trampingu středních Čech, Praha 2001. – Jan Štastný, Vegetarian sportsman Emerich Rath. 120th anniversary of a forgotten hero (https://www.ivu.org/history/europe20a/rath.html, 11. März 2013).
Bild: Album representantů všech oborů veřejného života Česko-Slovenského, hlavní redaktor prof. Fr. Sekanina, vydalo Umělecké nakladatelství Josef Zeibrdlich, Praha I., Bílkova 17, 1927.
Mathias Heider