Die Herkunft der jüdischen Familie Rosenberg ist nicht näher erforscht. Leos Vater Michael Rosenberg († 1907) war Inhaber einer Zigarrenfabrikation in der Posener Kreisstadt Fraustadt (Wschowa). Eine Filiale gab es offenbar in dem Dorf Altkloster (Kaszczor) im benachbarten Kreis Bomst (Babimost). Diese musste 1914 ihren Betrieb einstellen, da die Arbeitskräfte im Krieg anderweitig eingesetzt werden mussten und die Herstellung von Tabak erheblich zugunsten von Nahrungsmitteln eingeschränkt wurde. Nach 1919 wurde Altkloster zudem polnisch, somit endete die dortige Fabrikation im Jahr 1914. Über das Schicksal der Fraustädter Fabrikation ist leider auch nichts bekannt.
Michael Rosenberg war mit Emma Lichtenberg verheiratet. Sie stammte aus dem ostpreußischen Gumbinnen. Am 7.1.1879 wurde Leo Rosenberg in Fraustadt geboren. Zu jener Zeit bestand die jüdische Gemeinde in Fraustadt noch vollständig und hatte mit Elkana (um 1857) und M. Groß (bis um 1900) sogar noch einen eigenen Rabbiner, den sie sich dank der noch ausreichenden Größe der Gemeinde und deren Wohlstand leisten konnte. Nach 1900 wurde sie zu klein, um sich noch einen Rabbiner leisten zu können und daher musste man seither ins benachbarte schlesische Glogau (Głogów) oder nach Lissa (Leszno) zum Rabbi gehen. Die Fraustädter Synagoge bestand noch bis 1938, aber hier waren seither nur noch Kantoren und Schächter beschäftigt.
Leo dürfte die jüdische Elementarschule besucht haben, um dann auf das Fraustädter Gymnasium zu wechseln, wo er bereits zu Ostern 1896 im Alter von 17 Jahren das Abitur ablegte. Er war ein sehr begabter Schüler und hatte eine Klasse überspringen können.
Dank der guten finanziellen Situation der Familie und der Unterstützung durch den Vater konnte Rosenberg ein Jurastudium an der Universität Freiburg im Breisgau beginnen. Im Wintersemester 1896/97 ging er nach München, wo er Vorlesungen bei Lothar v. Seuffert (1843-1920) hörte. 1897/1898 wechselte er dann nach Breslau und bereits am 10.6.1899 legte er seine erste juristische Staatsprüfung mit Erfolg ab, am 17.6.1899 das Examen Rigorosum.
Auch im Studium erfüllte Rosenberg die hohen in ihn gesetzten Erwartungen und wurde von seinen Dozenten gefördert. Am 7.12.1900 – kaum volljährig – promovierte er bei Otto Fischer (1853-1929) in Breslau mit seiner Dissertation Die Beweislast nach der Zivilprozeßordnung und dem Bürgerlichen Gesetzbuche mit magna cum laude.
Bereits mit 20 Jahren hat er seine Referendararbeit Verzug des Gläubigers abgeschlossen und sie wurde sogar für würdig befunden, veröffentlicht zu werden. Nach der dreijährigen Referendarzeit in Posen bestand er am 19.3.1904 das Assessorexamen in Berlin.
Durch Vermittlung eines Freundes fand er nun eine Anstellung als Vertreter des Rechtsanwalts Justizrat Dr. h.c. Julius Horber, für den er am Reichsgericht tätig wurde.
Im September desselben Jahres (1904) entschloss er sich, nachdem er noch ein Semester Rechtsgeschichte in Berlin studiert hatte, zur Laufbahn eines Hochschullehrers. Von 1904 bis 1905 begann er ein Gaststudium der Rechtsgeschichte an der Berliner Universität. Am 6.4.1905 wechselte Rosenberg dann an die Universität Göttingen, wo er vermutlich ohne Betreuung an seiner Habilitation Die Stellvertretung im Prozeß arbeitete, die am 22.1.1906 angenommen wurde. Seither arbeitete er hier als Privatdozent.
Am 21.6.1907 verstarb sein Vater, aber zu diesem Zeitpunkt war er schon als Hochschullehrer etabliert. Zwei Jahre später konvertierte er und ließ sich evangelisch taufen, was seiner Laufbahn sehr zuträglich war. Sein ursprünglich auf ein Jahr befristeter Lehrauftrag für Bürgerliches Recht und das Zivilprozeßrecht wurde nun unbefristet verlängert. Seit dem Sommersemester 1906 trat er die Nachfolge des aus Breslau stammenden Julius (v.) Gierke (1875-1960) als Privatdozent für das Reichsversicherungsrecht an. Im Jahr 1911 erhielt er den Lehrauftrag für soziales Recht, insbesondere das Arbeiterversicherungsrecht.
Mit 30 Jahren gründete Rosenberg eine Familie und heiratete am 4.8.1909 Elisabeth Dingler († 1935), mit der er zwei Söhne und zwei Töchter hatte.
In Göttingen schuf sich Rosenberg einen guten Ruf, so dass ihm 1912 die Gießener Universität eine außerordentliche Professur anbot, die er am 23.3.1912 annahm. Ab dem 1. April unterrichtete er hier Zivilprozessrecht, römisches und bürgerliches Recht. Am 26.7.1916 wurde ihm der Lehrstuhl als ordentlicher Professor für Zivilrecht und öffentliches Recht in Gießen angeboten, das er ab dem Wintersemester unterrichtete.
Seine Arbeit wurde begleitet durch eine Vielzahl an Publikationen, u. a. das Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts. In den Jahren 1927 und 1928 war er Rektor seiner Fakultät.
Als im Jahr 1932 Prof. Schmidt (1862-1944) in Leipzig in den Ruhestand ging, bot man Rosenberg die Nachfolge an, die er am 8. April mit Wirkung zum 1. Oktober übernahm.
Seine Tätigkeit in Leipzig sollte nur kurze Zeit dauern. Die politischen Unruhen in Deutschland verbunden mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten trafen auch den konvertierten Juden Rosenberg. Am 29.3.1934 wurde er aus rassischen Gründen zwangsweise in den Ruhestand versetzt und wenige Tage später am 5.4.1934 aus dem Hochschuldienst entlassen. Sein Gehalt erhielt er noch bis Ende Juli.
Es waren junge deutsche Juristen, die sich dem Nationalsozialismus verschrieben hatten, die gegen die „jüdischen Wissenschaftler“ vorgingen. Maßgeblich an der Abberufung Rosenbergs beteiligt war der Leipziger Heinrich Lange (1900-1977). Einige Jahre später wurde Georg Dahm (1904-1963), einer der exponiertesten Vertreter der nationalsozialistischen Strafrechtslehre, Nachfolger auf dem Lehrstuhl Rosenbergs.
Da Rosenberg nur eine kleine Pension erhielt arbeitete er bis 1936 als Mitarbeiter bei einem Rechtsanwalt am Reichsgericht. Seither fand er keine Arbeit mehr und lebte von seiner Pension und dem Verkauf von Wertpapieren, die er in den früheren Jahren angespart hatte. Ende 1943 wurden auch diese Ruhestandsgelder gänzlich eingestellt.
Rosenbergs Frau kaufte sich 1938 ein Haus in Ranzenried, Gemeinde Stiefenhofen im Allgäu, wo sie seither lebten. Ihr Haus in Markkleeberg, südlich von Leipzig, verkauften sie.
Auch nach dem Krieg änderte sich seine Situation nur langsam. In jahrelangen schwierigen Rechtsstreitigkeiten kämpfte er um seine Rehabilitierung und um eine Entschädigung. Bereits am 1.4.1946 erhielt Rosenberg als kommissarischer Vertreter einen Lehrauftrag an der Universität München.
Erst nach der Gründung der Bundesrepublik wurde er am 6.9.1951 Inhaber des Lehrstuhls für bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht an der Universität München. Bereits ein halbes Jahr später wurde er zum 1.4.1952 emeritiert. Bis 1955 hielt er jedoch noch Vorlesungen.
Dank der Entschädigungen konnte er sich auch privat verbessern und baute sich ein Haus in Harlaching.
In seinen letzten Lebensjahren erhielt er die Anerkennung und Rehabilitation, die er verdient hatte. 1954 nahm ihn die Bayerische Akademie der Wissenschaften als Mitglied auf und 1959 wurde er Ehrensenator der Universität Gießen. 1959 verlieh ihm die Universität München den Ehrendoktortitel Dr. h.c., 1963 die Universität Innsbruck.
Leo Rosenberg starb am 18.12.1963 in München im Alter von 84 Jahren.
Lit.: Würdigung NJW 1959, 27 (Schwab Karl Heinz), Festheft der Zeitschrift für Zivilprozeß, Kürschner 1961, Catalogus professorum Gottingensium. – Hubert Koufen/Martin Sprungala, Die tragische Geschichte der Fraustädter jüdischen Gemeinde, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe 2015, Wiesbaden 2014, S. 137-147. – Bruno Rimmelspacher, Rosenberg, Leo, in: Neue Deutsche Biographie 22, 2005, S. 64. – Karl Heinz Schwab, Juristen im Portrait, München 1988, S. 650. – Ders., Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, herausgegeben von Helmut Heinrichs, München 1993, S. 667.
Bild: Universität Leipzig.
Martin Sprungala