Biographie

Meisner, Joachim Kardinal

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Katholischer Erzbischof und Kardinal
* 25. Dezember 1933 in Breslau

Joachim Meisner wurde 1933 im Breslauer Stadtteil Lissa (poln. Leśnica) geboren und wuchs mit seinen drei Brüdern in einem stark katholisch geprägten Umfeld auf. Der Heimatbezug blieb bei ihm bis in seine Kölner Jahre hinein intensiv und vielfach auch Interesse leitend, so wie er sich stets eine Affinität  zu dem ostdeutschen und ost(mittel)europäischen Katholizismus bewahrte. Diese hat auch seine Spiritualität (Mariendevotion) und sein Denken beeinflusst (starke Förderung der Heiligsprechung von Edith Stein), sogar bis in seine konkrete Reisetätigkeit, bis in Personal- und wirtschaftliche Fragen hinein. Bis heute pflegt er intensive Kontakte nach Polen.

Im Jahr 1945 starb sein Vater, und die übrige Familie musste die Heimat verlassen. Sie siedelte sich in Körner bei Mühlhausen (Thüringen) an. Nach der Schulzeit absolvierte er zunächst eine Lehre als Bankkaufmann, trat 1951 ins Seminar für Spätberufene Norbertinum in Magdeburg ein und studierte ab 1956 kath. Theologie und Philosophie in Erfurt und Neuzelle. Am 8. April 1962 wurde er vom Fuldaer Weihbischof mit Sitz in Erfurt zum Diakon geweiht und am 22. Dezember desselben Jahres dort zum Priester. Bis 1966 schloss sich seine Kaplanszeit in Heiligenstadt (St. Ägidien) und Erfurt (Hl. Kreuz) an, bis er das Amt als Rektor des Caritas-Verbandes übernahm. Daneben dozierte er am Seminar für Kindergartenerzieherinnen und wirkte als Spiritual für alle Mitarbeiter der caritativen Institutionen. Bis 1969 bereitete er in Erfurt seine kirchenhistorische Dissertation vor („Nachreformatorische katholische Frömmigkeitsformen in Erfurt“), mit der er über die Gregoriana in Rom zum Dr. theol. promoviert wurde. 1973 wurde das Bischöfliche Amt Erfurt-Meinigen aus den in der DDR gelegenen Bistumsteilen von Fulda und Würzburg gebildet. Zu diesem Amt gehörte das traditionell katholisch geprägte Eichsfeld innerhalb einer protestantischen und zunehmend atheistisch geprägten ostdeutschen Glaubenslandschaft; dort fand Meisner ein ähnlich intensives katholisches Gemeindeleben vor, wie er es aus Schlesien kannte. Für dieses Bischöfliche Amt wurde er am 17. März 1975 zum Weihbischof bestellt und genau zwei Monate später konsekriert und zum Bischofsvikar (Region Erfurt) für die Referate Ordensfragen, Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste berufen. Als Weihbischof in Erfurt übernahm er in der 1975 errichteten Berliner Ordinarienkonferenz die Aufgaben Kirchliche Hilfskräfte/Kirchliche Dienste und das Amt eines Mentors für die Arbeitsgemeinschaft der Seelsorgereferenten. 1977 reiste er als Vertreter der Berliner Bischofskonferenz (seit 1976) zur 4. Römischen Bischofssynode, wo er mit dem Krakauer Kardinal Karol Wojtyła zusammentraf. Beide hatten sich bereits 1975 in Erfurt kennengelernt. Die Begegnung entwickelte sich zu einer festen, vertrauensvollen und kirchenpolitisch bedeutsamen Freundschaft, die lebenslang hielt. Der nunmehr zum Papst gewählte Wojtyła ernannte Meisner am 22. April 1980 zum Bischof von Berlin – aufgrund der deutschen Teilung eines der kirchenpolitisch sensibelsten und kompliziertesten deutschen Diözesen. Als Berliner Oberhirte leitete er von 1982 bis 1989 die Berliner Bischofskonferenz und wurde am 2. Februar 1983 durch den Papst zum Kardinalpriester (röm. Titelkirche S. Pudenziana) ernannt, wodurch er in der Römischen Kurie bald zu einem einflussreichen Kirchenmann wurde: 1983 Mitglied der Kongregationen für Bildungswesen und Sakramente; 1984 Kommission/Rat Justitia et Pax; 1989 Rat für das Studium der organisatorischen und wirtschaftlichen Fragen des Hl. Stuhls; 1991 Kongregation für den Klerus, Präfektur für die wirtschaftlichen Fragen des Apostolischen Stuhls; 1993 Rat für die Kultur; 1995 Kongregation für die Bischöfe; 1999 Präsidium der Römischen Bischofssynode für Europa.

In Berlin führte er den kirchenpolitischen Kurs seines Vorgängers Alfred Bengsch fort, der eine formale Loyalität zum sozialistischen Staat bei klarer Abgrenzung zu dessen geistigen Grundlagen und Abstinenz von tagespolitischen Fragen praktizierte. Meisner gehörte aber bereits einer jüngeren Generation an, die in der DDR aufgewachsen war und in den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der sechziger und siebziger Jahre eine Öffnung kirchlicher Positionen in Richtung auf die Gesellschaft hin befürwortete. Das wurde in seiner Ansprache auf dem Katholikentreffen in Dresden 1987 deutlich greifbar. Eine solche Kurskorrektur brachte sowohl neue Kompromisse gegenüber dem Staat als auch Spannungen zu den politischen Machthabern hervor (1983 Friedenshirtenbrief der DDR-Bischöfe; Vorwürfe gegen die staatliche Wehrerziehung).

Auf ausdrücklichen Wunsch von Johannes Paul II. wurde Meisner am 20. Dezember 1988 zum Erzbischof von Köln ernannt, nachdem ein längeres Tauziehen zwischen Rom und dem Kölner Domkapitel vorausgegangen war (6 Ja-Stimmen bei 10 Enthaltungen in dem von den beiden zuständigen Ministerpräsidenten eingeforderten 3. Wahlgang). Mit Meisner hatte der Papst einen treuen, konservativen und wirtschaftskompetenten Vertrauensmann in Köln installiert, der nun eine der größten und finanzkräftigsten Diözesen Europas leitete. Schon vor Meisners Amtseinführung am 12. Februar 1989 erhob sich bei etlichen Theologen und Laien Unmut über das Besetzungsverfahren, das über Jahre hinweg eine spürbare Hypothek für Meisners Akzeptanz und Wirken in der Rheinschiene bedeutete. Bis zuletzt ließen sich auch die Mentalitätsunterschiede zwischen dem DDR-sozialisierten Oberhirten und dem rheinischen Katholizismus nicht überbrücken.

Meisner ist auch am Rhein ein Freund von klaren Worten und Richtung weisenden Entscheidungen, die immer wieder zu Dissonanzen und sogar Protestbewegungen innerhalb des rheinischen Katholizismus führten. Er vertrat standfest auch unbequeme kirchliche Positionen und machte aus seinem engen Rombezug keinen Hehl: In Köln suchte und fand der neue Oberhirte bis zuletzt deutliche und bisweilen scharfe Worte und Vergleiche, wenn es um die bedingungslose Verteidigung des katholischen Familienbildes, der Sexualmoral und um den Schutz des Lebens ging. Mit seiner Kritik konnte er sogar offen hochrangige Politiker herausfordern und zur Polarisierung beitragen. (2005: Parallele zwischen Schwangerschaftsabbruch und Holocaust; 2007: Forderung an die CDU, auf das „C“ zu verzichten). Manche Äußerungen musste er öffentlich zurücknehmen oder später klarstellen. Kenntnisreich förderte Meisner stark die kirchliche Kunst am Rhein, beispielsweise mit dem 2007 eröffneten neuen Erzbischöflichen Diözesanmuseum, das als hochmoderner Museumsneubau sehr viel Lob erntete. Immer wieder sprach sich der Kardinal vom unaufgebbaren Zusammenhang von Gottesverehrung und Kunst, von Kultur und Kult aus. Künstlerisch vertrat er klare persönliche Präferenzen und Positionen, womit er am Rhein immer wieder für Schlagzeilen sorgte. So wirkte sich etwa seine persönliche Haltung gegenüber dem neu gestalteten Richter-Fenster des Kölner Doms (südl. Querhaus) polarisierend im medialen Diskurs aus (2007). Interkonfessionell und -religiös fand er versöhnliche Töne, indem er zwar christliche Positionen klar benannte, aber beispielsweise Verständnis für den Bau einer Großmoschee in Köln-Ehrenfeld aufbrachte. Behutsam, aber konsequent baute er das Erzbistum Köln den neuen pastoralen Erfordernissen entsprechend um (Verwaltung, Pfarrzusammenlegungen etc.) und sorgte auch über sein rheinisches Bistum hinaus für die Solidität bzw. Sanierung kirchlicher Haushalte (Berlin 2004 etc.). Wie seine Vorgänger stützte er sich u.a. auch auf konservative Gruppierungen in der Kirche und förderte entsprechende neue Bewegungen. Sein freundschaftliches Vertrauensverhältnis zu Johannes Paul II. und seinem Nachfolger Benedikt XVI. sowie seine Mitgliedschaft in wichtigen römischen Kongregationen ermöglichten ihm großen Einfluss auf die Bischofsernennungen in Deutschland, insbesondere in Bayern, wo das entsprechende Konkordat (1924) das freie Ernennungsrecht der Oberhirten durch den Hl. Stuhl vorsieht.

Sein Herz gehört nach wie vor Ost- und Südeuropa, für das er 2013 die Kardinal-Meisner-Stiftung ins Leben rief, die die Priesterausbildung in jener Region unterstützen soll. Schon in Berlin hatte er zahlreiche Priester aus Ostmitteleuropa im Geheimen geweiht. Mit der Annahme von Meisners Rücktrittsgesuch durch den Papst am 28. Februar 2014 trat der Kölner Oberhirte nach 25 bewegten und wechselvollen Dienstjahren am Rhein in den Ruhestand. Seine Emeritierung bedeutete eine deutliche Zäsur für die Kirche in Deutschland.

Lit.: Werke von und über Joachim Meisner in der Deutschen Digitalen Bibliothek (entity 118851985). Ferner: G. Hartmann, Der Bischof. Seine Wahl und Ernennung, Graz 1990, 124-160. – H. Mynarek, Erster Diener seiner Heiligkeit, Köln 1991 (kritisch). – U. Helbach, Meisner, in: E. Gatz (Hrsg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945-2001, Berlin 2002, 295-297. – J. Meisner, Er war mein Freund. Ein Zeugnis aus der Nähe, Augsburg 2007.

Bild: Presseamt des Erzbistums Köln.

Stefan Samerski