Bernhard Pawelcik war ein eindrucksvoller Mann, relativ klein an Wuchs und stark in der Stimme, die einen tragenden ostpreußischen Klang mit einem leisen rollenden „r“ verband. Er war Jurist und brachte eine reiche Verwaltungspraxis in sein Marienburger Amt ein. Diese Stellung trat er im Jahre 1917 als Magistratsassessor an und stieg bereits im Herbst 1918 zum 2. Bürgermeister der Nogatstadt auf. Er bewährte sich sehr deutlich in den Schlussjahren des Ersten Weltkriegs in der städtischen Verwaltung, die besonders durch die katastrophale Versorgungslage über die Maßen herausgefordert war. Marienburg hatte eine starke Garnison mit vielen Soldatenfamilien und eine erhebliche Arbeiterschaft in den Bahnbetrieben, der Zucker- und Malzfabrik, den fleischverarbeitenden Handwerksgeschäften und den städtischen Versorgungsbetrieben, die neben den sonstig Beschäftigten täglich satt werden mussten. Diese Anspannung äußerte sich in den revolutionären Novembertagen 1918 in einer Anzahl von Rebellionen und Plünderungen, die nur langsam überwunden werden konnten. In diese Situation strömte dann nach dem Waffenstillstand und den Versailler Friedensbedingungen eine große Anzahl von Menschen hinein, die Polen verlassen mussten und nach Marienburg übersiedelten. Insbesondere die aussichtslose Wohnungslage verschärfte die zugespitzte Lage.
In diesen verunsichernden Verhältnissen scheint Pawelcik einen kühlen und klaren Kopf behalten zu haben. Ihm gelangen beruhigende Bemühungen und verwaltungsgeleitete Lösungen, so dass er bereits 1919 nach einstimmiger Wahl die Nachfolge seines erkrankten Vorgängers übernehmen konnte. Die demokratische Wahl eines Bürgermeisters war für die Zeitgenossen etwas ganz Neues, eine Frucht der Weimarer Verfassung. Dass der Neuling dieses überragende Ergebnis erzielen konnte, zeichnete ihn aus und gab ihm großen Schwung für seine Aufgabe.
Pawelcik besaß die Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen und mit ihnen zu kooperieren. Er übernahm gerne Verantwortung und Leitungsaufgaben, denen er seinen Stempel aufdrückte. Er übersah eine Situation sehr rasch und fand darin seinen Platz. Ein besonderes Geschick muss er darin gehabt haben, schon bestehende Ideen aufzugreifen und mit seinen Vorstellungen zu verbinden. Er verwandte sich lebhaft für den seit 1911 bestehenden städtischen Verkehrsverein und machte ihn persönlich zum Mittelpunkt aller Förderungsmaßnahmen. Ihn muss das heute so selbstverständlich gewordene Phänomen des Marketings außerordentlich gereizt haben, denn wenn man alle seine Ambitionen für Marienburg auf einen Nenner bringen möchte, so ergibt sich im Rückblick: er machte Marienburg zu „seiner“ Stadt und förderte sie zielbewusst in viele Richtungen hinein. Darin war er höchst modern!
Zum Beispiel: sehr früh – am 1. Januar 1919 – wurde er in die Schützengilde aufgenommen, kam sofort in den Vorstand und wurde später Gildepräsident. Diese Karriere war für eine so traditionsgeprägte Stadt wie Marienburg mehr als nur bemerkenswert, führte sich doch diese Vereinigung auf den legendären Hochmeister des Deutschen Ordens Winrich von Kniprode (um 1310-1382) zurück und öffnete sich für gewöhnlich gegenüber Fremden nicht sehr schnell. Er wurde ebenso zügig stellvertretender Vorsitzender der Marienburger Landwirtschaftsschule und übernahm als 1. Bürgermeister das Amt des Geschäftsführers des 1921 ins Leben gerufenen „Marienburgbundes“. Überall dort, wo sich tragende städtische Kräfte für „seine“ Stadt einsetzten, fädelte er sich ein und prägte die gestaltenden Ideen.
Am deutlichsten wurden diese Bemühungen sichtbar, wo es um die Produktion von „Werbeträgern“ ging. Er mochte gerne literarisch tätig sein und hat über die Jahre bis 1933 hin eine Fülle von Veröffentlichungen über Marienburg herausgebracht. Ganz besonders eifrig begleitete er schriftliche Erzeugnisse über Marienburg mit einfühlsamen Vorworten. Er war davon überzeugt, dass sich eine Kommune intensiv um ihr Erscheinungsbild zu kümmern habe, nicht allein im Bau- und Verkehrswesen, bei allen Formen der Verschönerung und Fortentwicklung, sondern auf dem Felde der literarischen Selbstdarstellung. Er wusste bereits, wie wichtig darin die Ausstattung mit Bildmaterial zu „Buche schlagen“ sollte. Deswegen gründete er eine städtische Bildstelle mit Foto- und Klischeesammlungen. Er edierte zwei Marienburger Adressbücher (für 1922 und 1928/29) und gab in der Pressestelle der Stadt bereits Prospekte aus, die man heute „Flyer“ nennt.
Von ganz besonderer Bedeutung waren zwei Ausgaben der kommunalen Rechenschaftsberichte, über die man – präzise und profiliert – die Entwicklung Marienburgs nach 1918/19 verfolgen konnte. Die meisten Texte dafür hat er auf der Grundlage der Informationen aus seinen Verwaltungsämtern selbst verfasst. Der erste Band erschien für die Jahre 1918-1923 mit dem bezeichnenden Motto Suprema lex civitatis salus (Das höchste Gesetz gilt dem Wohlergehen der Stadt), der zweite Band 1930 für die Jahre 1924-1928. Diese Editionen waren sein ganzer Stolz.
Zwei seiner beruflichen Leistungen müssen in ein ganz besonderes Licht gerückt werden. Die erste bestand darin, für Marienburg ein neues Verwaltungszentrum zu errichten, das sogenannte „Neue Rathaus“ auf dem hohen Ufer der Nogat gegenüber dem Landratsamt am Danziger Platz. Da die Aufgaben der Stadt nach 1920 – nicht zuletzt durch die Eingemeindungen von Willenberg und Tessensdorf – stark gestiegen waren, wurde eine Konzentrierung der über das Stadtgebiet verteilten Ämter erforderlich. Pawelcik gelang mit Hilfe von Mitteln „aus dem Reich“ die Verwirklichung des sogenannten „Grenzland-Rathauses“, das eine Baulücke schloss und den Willen zur Weiterentwicklung der Stadt ausdrückte. Das Gebäude wurde zwischen 1928 und 1930 in einem zeitgemäßen Backstein-Stil errichtet, der zu den markanten ordenszeitlichen Zeugnissen der Altstadt sehr gut passte und vor allem eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen schuf.
Die zweite hervorragende Wirkung des Bürgermeisters lag darin, dass es ihm gelang, den Namen seiner Stadt tatsächlich in die Welt hinauszutragen. Denn er rief die Gründung einer Serie von Freilichtspielen ins Leben, die alljährlich vor der Kulisse des Alten Rathauses und vor der Südfassade der Burg zwischen 1928 und 1937 stattfanden. Sie zogen als Großereignisse ins Bewusstsein der Marienburger Bevölkerung ein und fanden einen weiten Anklang darüber hinaus. Mit dem Marienburg-Bund, der hinter den Spielen stand, wurden vor allem Kongresse ausgerichtet, deren Ziel es war, die Geschichte und Eigenart des Ordenslandes und seiner Bevölkerung zu verbreiten und so das Deutschtum im Osten zu stärken.
Bernhard Pawelcik war ein ausgeprägt konservativer Mann. Er gehörte der Deutschen Volkspartei Gustav Stresemanns an, wie er selbst bezeugt hat. Er hat sich darin parteipolitisch nicht betätigt, mit einer Ausnahme: er ließ sich bei den Wahlen zum Provinzial-Landtag von Ostpreußen am 12. März 1933 als deren Spitzenkandidaten aufstellen. Das machte ihn den Nationalsozialisten verdächtig, die diesen Wahlkampf als offene Absage an die NSDAP werteten. Sie drängten ihn nach dem 6. Juni 1933 aus dem Amt als Marienburger Bürgermeister. Seine Familie und er siedelten daraufhin nach Königsberg über, wo er seit dem 1. Januar 1934 als Rechtsanwalt arbeitete. Wenig später erhielt er eine Anstellung als Regierungsrat im neu gegründeten Gemeindeprüfungsamt. Mit dieser Behörde hat er selbst die nationalsozialistischen Dienststellen auf ihre verwaltungsmäßigen und finanziellen Tätigkeiten hin überprüft.
Im März 1945 gelang Pawelcik mit seiner Frau Helene die Flucht von Pillau über die Ostsee in die Stadt Schleswig. Seit März leitete er dort die Preisprüfungsstelle bei der Schleswig-Holsteinischen Provinzialregierung; er setzte also seine Königsberger Tätigkeit fort. Die englische Besatzungsbehörde entfernte ihn zunächst aus dem Dienst, berief ihn aber bald wieder ins Amt. Darin wurde er 1945 pensioniert. Danach nahm er noch einmal eine umfangreiche Tätigkeit auf, die kurz nach dem Ende des Krieges von besonderer Bedeutung für die gesamte Bevölkerung war: er wechselte in das Landesverwaltungsgericht, wo man ihm die Funktion eines „Öffentlichen Anklägers“ übertrug. In diesem Amt wickelte er 20.000 Entnazifizierungsverfahren ab, „ohne jede Beschwerde“, wie er selbst festgestellt hat.
Im Zweiten Weltkrieg verlor das Ehepaar seine beiden Söhne, die beiden Töchter überlebten und waren verheiratet. Seine Frau Helene Krantz engagierte sich in der Arbeit des Roten Kreuzes und in der Kindergartenarbeit Marienburgs und rief ein Kinderferienheim („Helenenheim“) ins Leben, das viel Segen stiftete.
Nach der Flucht durchlebte er von Schleswig aus noch eine höchst aktive Phase, in der er für seine altpreußischen Landsleute eintrat. Ganz besonders setzte er sich für die Marienburger Stadtbevölkerung ein und erweiterte diese Zuwendung – gemeinsam mit dem ehemaligen Marienburger Landrat Georg Rebehn (1886-1964) – auf die gesamte Kreiseinwohnerschaft. Er hielt viele Reden und forderte darin unzweideutig: „Gebt uns unsere Heimat wieder!“ Er verfasste das Geleitwort für den ersten Marienburger Rundbrief – dem Vorläufer der späteren „Marienburger Zeitung“ (September 1947). Er eröffnete das erste Exemplar der Zeitschrift „Der Westpreuße“ wie ebenso die erste Ausgabe des „Westpreußen-Jahrbuchs“ (1950) mit einem Aufsatz über „Die Marienburg-Festspiele“. Wie selbstverständlich repräsentierte er auf den Treffen der vertriebenen Westpreußen die Vertretung der demokratischen Eliten aus der Zeit vor 1933 und erhob seine Stimme für Gerechtigkeit und Hilfen zum Neuanfang in fremder Umgebung.
Bernhard Pawelcik wurde am 7. März 1880 in Sensburg (Ostpr.) geboren und starb am 17. April 1970 in Delmenhorst. Sein Abitur machte er 1899 in Allenstein; er studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Königsberg und München. Die Referendarstationen durchlief er in Darkehmen, Memel, Insterburg, Königsberg und Kassel. Diese vielen Plätze zeigen seine Beweglichkeit und Neugier. Das zweite Staatsexamen legte er in Berlin ab, seine ersten beruflichen Stationen vor Marienburg waren Tilsit, Memel, Landsberg Kr. Preuß. Eylau, Wehlau und Königsberg.
Im Jahre 1952 siedelte das Ehepaar Pawelcik nach Mainz über, 12 Jahre später nach Delmenhorst. Dort starb am 20. Juni 1965 seine Frau Helene. Fünf Jahre lebte Bernhard Pawelcik noch in der Familie einer seiner Töchter.
Er war ein besonderer, charaktervoller Mann, ausgestattet mit tragfähigen Gestaltungsideen, dazu mit der Gabe versehen, diese auch in weiten Teilen durchzusetzen. Der Stadt Marienburg hat er in schweren Zeiten seine ganze Tatkraft gewidmet. Das haben ihm seine Zeitgenossen mit großem Dank anerkannt. Er sollte nicht vergessen werden!
Nachweise: Dieser Aufsatz beruht auf dem Beitrag des Autors, den er 2015 der „Altpreußischen Biographie“ (hrsg. im Auftrage der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung) S. 2173-2175 beigesteuert hat.
Bilder: Porträt Bernhard Pawelcik um 1925, Wikipedia gemeinfrei; Ehepaar Pawelcik mit Gästen 1959, Privatarchiv des Autors.
Rainer Zacharias