Der als Sohn eines Landrichters geborene Walther Nernst erhielt erste Anregungen durch seinen Chemielehrer am Gymnasium in Graudenz. Die Ferien verbrachte der Junge, dessen Mutter bald nach seiner Geburt gestorben war, bei Onkel und Tante Nerger mit deren fünf Töchtern auf dem Gut Engelsberg.
Das Studium der Physik führte ihn nach Zürich, Berlin, Graz und Würzburg, wo er die Forschungsinhalte und -methoden berühmter Gelehrter kennenlernte. In Graz hatte Boltzmann den älteren Albert von Ettingshausen mit Nernst zusammengeführt und ihnen einen Forschungsauftrag über galvanomagnetische Effekte erteilt. Die beiden nach Ettingshausen (1886) und Nernst (1887) benannten Effekte baute Nernst in Würzburg in einer Dissertation aus. Mit Nernst war auch der Schwede Arrhenius nach Würzburg gekommen, dessen Ideen jedoch weder Nernst noch der Institutsleiter Kohlrausch fassen konnten. 1889 formulierte Nernst eine Theorie der galvanischen Stromerzeugung, nach der den Ionen im Metall ein elektrolytischer Lösungsdruck zugeschrieben wird. Gelegentlich eines Vortrages in Würzburg verpflichtete der berühmte Chemiker Wilhelm Ostwald Nernst und Arrhenius, dessen Genialität Ostwald gleich erkannte, als Assistenten an die Universität Leipzig. Dort wandte sich Nernst der Elektrochemie zu. Ostwald gelang es auch, Nernst die wegweisenden Gedanken Arrhenius‘ nahezubringen.
1891 erhielt Nernst einen Ruf als Ordinarius für physikalische Chemie nach Göttingen. Hier heiratete Nernst eine sehr reiche und hübsche Professorentochter, kaufte ein Hotel, das er aber nicht selbst betrieb, pachtete eine Jagd und wandte sich der Thermodynamik zu. Im Jahr 1905 trat Nernst die Stelle eines Direktors des II. Chemischen Instituts in Berlin (Bunsenstraße) an, das dann in Physikalisch-chemisches Institut umbenannt wurde. Während einer Vorlesung soll dort 1906 Nernst jener Einfall gekommen sein, der als „Nernstsches Theorem“ die klassische Thermodynamik erweiterte und 1920 mit dem Chemie-Nobelpreis gewürdigt wurde.
In diesen Jahren kaufte Nernst 60 km vor Berlin das Rittergut Rietz, auf dem er und seine Freunde bis zum Kriegsausbruch rauschende Feste feierten. Dann zog auch Nernst begeistert in den Weltkrieg: Zuerst diente er als Aktiver, dann wurde er mit chemischen Arbeiten für den Generalstab betraut, während die berüchtigte Herstellung vonGiftgas Haber leitete.
Nach dem Krieg drohte Nernst die Aburteilung als Kriegsverbrecher, so daß er ein Jahr lang in Schweden und in der Schweiz weilte. Wieder in Berlin, suchte er eine Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und industrieller Vermarktung zu institutionalisieren. Er nahm 1922 das Amt des Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin an. Doch da die Umorientierung der Wissenschaft nicht sofort gelang, ging er 1924 zurück an die Universität; er wurde Leiter des Physikalischen Instituts. Wohl um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen (unter seinen Schwiegersöhnen waren Juden), zog sich Nernst 1933 auf das mittlerweile gekaufte Gut Zibelle in der Lausitz zurück. Dort starb er 1941.
Nernsts Wirksamkeit ist durch sen Aufschwung der industiellen Nutzung der Naturwissenschaften in den Gründerjahren nach 1870/71 (Errichtung von BASF, Hoechst, Bayer) bestimmt. In der Naturwissenschaft etablierte sich die von t’Hoff, Ostwald und Arrhenius begründete physikalische Chemie, die Elektrik und Wärmelehre auf die Chemie überträgt und durch Nernst mitgeformt wurde.
Nernsts erster großer Wurf, die Theorie der galvanischen Elemente, ist in der 1889 fertiggestellten Habilitationsschrift Die elektromotorische Wirksamkeit der Ionen niedergelegt. Arbeiten zur elektrolytischen Leistung bei hohen Temperaturen führten Nernst 1897 zur Möglichkeit, Licht im lufterfüllten Raum ohne Vakuum (wie in den Edisonschen Glühlampen) zu erzeugen: Ein „Nernststift“ aus Zirkonoxid leitet bei indirekter Erwärmung den Strom und beginnt fast weiß zu strahlen.
Mit seinem bedeutendsten Beitrag für die Wissenschaft, dem Nernstschen Theorem, werden die zwei Sätze von der Unmöglichkeit des Perpetuum mobile erster und zweiter Art ergänzt. In der Formulierung von Planck, der Nernsts Beobachtung bald theoretisch begründete, lautet der Satz: Die Entropie aller flüssigen und festen Stoffe nimmt im absoluten Nullpunkt (der Temperatur) den Wert 0 an. Die „Entropie“ eine von Clausius eingeführte Größe, bezeichnet ein Maß für verbrauchte Wärme, die „verloren“ wird, wenn in einer Wärmekraftmaschine Wärme in mechanische Energie umgewandelt wird. Nernst hat wesentlichen Anteil daran, daß die Chemie von einer empirischen Kunst in eine rechnende Wissenschaft überging undGroßproduktionen chemischer Erzeugnisse möglich wurden.
Nernst war eine originelle Persönlichkeit, von der nach Aussage Einsteins kein anderer Mensch einen Teil besitzt. Der temperamentvolle, kleine, eifernde und doch liebenswürdige Mann, dem schon früh die Haare ausfielen, besaß ein kindliches Selbstwertgefühl. Er war begeisterter Automobilist (er besaß 18 Automobile) und wohnte in mondänen Häusern, frönte zeitlebens der Jagd (um nicht durch Pirschen Zeit zu verlieren, verlegte er sich auf das Abschießen von Hasen und Flugwild) und machte aus seinem Sinn fürs Geschäft keinen Hehl; Edison gegenüber prahlte er geradezu mit seiner Geschäftstüchtigkeit. Seinen „Stift“ verkaufte er der AEG um 1 Million Mark, weniger Erfolg hatte er mit dem elektrischen Klavier.
Neben seinen eigentlichen wissenschaftlichen Leistungen hat sich Nernst durch die Organisation der wöchentlichen Berliner Kolloquien in seinem Institut verdient gemacht. Auf jenem Forum diskutierten nur solche Teilnehmer, die es nicht mehr nötig hatten, sich durch Auffälligkeiten einen Namen zu machen; allein das fachliche Problem stand zur Debatte. Nernst hatte Solvay, der durch das Herstellungsverfahren für Soda sehr reich geworden war, angeregt, jene internationalen Solvay-Kongresse ab 1911 durchzuführen, die Spitzenphysiker über Nationengrenzen hinweg zusammenführten.
Die Asche Nernsts ruht an der Seite Max Plancks und Max von Laues in Göttingen.
Lit.: Harig, Gerhard: Von Adam Riese bis Max Planck. Leipzig 1962. – Mendelssohn, Kurt: Walther Nernst und seine Zeit. Weinheim 1976.
Werke: Nernst, Walther und Schoenflies, Arthur: Einführung in die mathematische Behandlung der Naturwissenschaften. München, Berlin 1895.
Bild: Aus Gerhard Harig (wie oben).