Das Wirken des großen deutschen Slawisten fällt in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am 16.1.1883 in Königsberg geboren, begann er nach Abschluß des Gymnasiums in seiner Vaterstadt zunächst ein Studium der Theologie, wandte sich aber bald den neueren Sprachen zu, wobei die Nachbarn seiner ostpreußischen Heimat, Balten und Slaven, die Richtung seiner Studien mitbestimmt haben dürften, die ihn über Freiburg i. Br. und Berlin zurück nach Königsberg führten, wo er mit einer Dissertation über „Germanische Lautgesetze in ihrem sprachgeschichtlichen Verhältnis“ (1906) promovierte. Mit der 1907 in Göttingen erfolgten Habilitation über „Die altpreußischen Sprachdenkmäler“ (1910) erschloß sich die akademische Lehrbefähigung für Indogermanische Sprachwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der baltischen und slavischen Sprachen. Im Alter von 27 Jahren erhielt Trautmann einen Ruf als außerordentlicher Professor an die Deutsche Universität in Prag, 1921 erfolgte die Berufung auf das neu gegründete slavistische Ordinariat in Königsberg, 1925 folgte er Max Vasmer auf den ehemaligen Leskienschen Lehrstuhl in Leipzig, den er über zwanzig Jahre innehatte. 1948 übernahm er den nach dem Kriege neu eingerichteten slavischen Lehrstuhl an der Universität Jena.
Bereits während seiner Lehr- und Forschungstätigkeit an der Königsberger Universität hat Trautmann das „Baltisch-slavische Wörterbuch“ (1923) erarbeitet, das als seine beste und originellste Leistung gewürdigt worden ist. Es wurde 1973 nachgedruckt. Sprachvergleichende Schulung, vorsichtig abwägendes Urteil, philologische Akribie sind die hervorstechenden Eigenschaften von Trautmanns sprachwissenschaftlichem Werk. Sie verbanden sich bei ihm mit Weitblick und der Fähigkeit, Wesentliches aus der Fülle der Erscheinungen herauszugreifen. In einer zusammen mit Heinrich Felix Schmid Programmschrift „Wesen und Aufgabe der deutschen Slavistik“ versuchte er den Standort und die besonderen Aufgaben der deutschen Slavistik zu bestimmen, die er in einer Vermittlerrolle zwischen den Kulturen von Deutschen und Slaven sah. Das beinhaltete für Trautmann ebenso Leistungen, die der Slavist durch Quellenaufbereitung für Nachbardisziplinen zu erbringen hatte, wie auch die Notwendigkeit, Wege des Zugangs zur geistigen Kultur der slavischen Völker zu schaffen, bis hin zur kritischen Überwachung von Übersetzunsaktivitäten auf dem Gebiet der schöngeistigen Literatur. Früchte dieser Überlegungen waren Trautmanns ortsnamenskundliche Arbeiten wie „Die Elb- und Ostseeslavischen Ortsnamen“ (2 Bde. 1928-1949) und „Die slavischen Ortsnamen Mecklenburgs und Holsteins“ (1950) als Grundlagenforschung zur deutsch-slavischen Wechselseitigkeit in siedlungsgeschichtlicher Sicht. Als Phillologe fühlte sich Trautmann dem Wort und dem Wortkunstwerk gleichermaßen verpflichtet. Unter diesem Aspekt ist im Rahmen der Vermittlung geistiger Kultur seine Arbeit über die russische Bylinendichtung („Die Volksdichtung der Großrussen. Bd. l: Das Heldenlied [die Bylina]“, 1935) zu sehen, die neben einer Untersuchung von Form und Inhalt auch die besten Bylinen-Texte in Übersetzung (zum Teil auch in Versform) bot. Hierher gehört seine kommentierte Übersetzung der „Altrussischen Nestorchronik“ (1931), aber auch seine Abhandlung „Zu Form und Gehalt der Novellen Turgenjews“ (1942) und seine eigenen Übersetzungen von Tschechow, Turgenjew, Gogol u. a. m.
Die großen Aufgaben, vor die Trautmann die deutsche Slavistik in seiner Programmschrift gestellt hatte, in der er seiner Disziplin eine der modernen Romanistik und Anglistik ebenbürtige Position zugeteilt wissen wollte, erforderten eine beachtliche Förderung des slawistischen Nachwuchses und eine Vermehrung des Lehrangebots an den Universitäten. Trautmann verschloß sich nicht der Notwendigkeit, an der Bereitstellung von Hochschullehrmaterialien in Form vielfältiger Handreichungen für den auszubildenden Slavisten mitzuwirken. Sein 1948 erschienenes Handbuch „Die slavischen Völker und Sprachen“ hat Generationen von Slavisten in ihr Studienfach eingeführt. Es spiegelt die ganze Breite, in der Trautmann sein Fach verstand, aber auch den Takt, die Behutsamkeit und Souveränität, mit der er komplizierte nationale Probleme zu behandeln wußte.
„Abseits vom politischen Tageskampf, den überzeitlichen Problemen der geistigen Kultur hingegeben“ (Wesen und Aufgaben, S. 11) wollte Trautmann die Vermittlerrolle der deutschen Slavistik sehen. Als nach dem Kriege von seinen Jenenser Studenten die Räume für das zu gründende Slavische Seminar an jener Stelle, an der einst Schiller seine Antrittsvorlesung gehalten hatte, von Trümmerbergen freigeräumt worden waren, versprach Trautmann, diesen Ort zu einer Stätte slavistischer Forschung und Lehre in dem von ihm verstandenen völkerverbindenden Sinne aufzubauen. Es liegt eine persönliche Tragik im Schicksal dieses Gelehrten, daß gerade zu jenem Zeitpunkt, als die Slavistik in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands eine machtvolle Förderung durch die sowjetische Militäradministration erfuhr, eben die von Trautmann postulierte, im geistig-kulturellen Bereich liegende Aufgabe von tagespolitischen Zielen überlagert zu werden drohte. Von Enttäuschungen und Aufregungen im Lehramt gesundheitlich zerrüttet, zog er sich nach wenigen Semestern zurück und starb am 4. Oktober 1951. Für diejenigen jungen Menschen aber, die die Ausstrahlung dieser Gelehrtenpersönlichkeit in jenen unruhigen Nachkriegsjahren in Jena noch erleben durften, wurden seine Vorlesungen und Seminare zu einem eindrucksvollen und anspornenden wissenschaftlichen Erlebnis.
Lit.: R. Olesch und H. Schroeder, Schriftenverzeichnis von Reinhold Trautmann, in: Zeitschrift für slavische Philologie 22 (1954) S. 5-11; F.-W. Neumann, Ergänzungen zum Schriftenverzeichnis von Reinhold Trautmann, ebd. S. 394; D. Arndt, Reinhold Trautmann und die deutsche Slavistik. Diss. Masch. Jena 1973.