Vor 400 Jahren starb mit Johann Wigand der letzte– evangelisch-lutherische – Bischof des Preußenlandes. Geboren wurde er 1523 zu Mansfeld, so daß er mit dem Reformator Martin Luther eine gemeinsame Heimat hatte. Seit 1538 war er an der Universität Wittenberg eingeschrieben und hörte neben anderen bei Luther und Melanchthon. 1541 übernahm er ein Lehramt an der Schule zu St. Lorenz in Nürnberg, wo er dem Nürnberger Reformator Andreas Osiander begegnete. 1544 kehrte er nach Wittenberg zurück, dort bestand er im folgenden Jahr das Magisterexamen. Der Ausbruch des schmalkaldischen Krieges zwischen den evangelischen Fürsten und dem Kaiser veranlaßte Wigand, in seine mansfeldische Heimat zurückzugehen, wo er als Pfarrer und Lehrer wirkte.
1553 wurde er als Pfarrer der Kirche St. Ulrich und als Stadtsuperintendent nach Magdeburg berufen. Neben der Gemeindearbeit beteiligte er sich an den theologischen Auseinandersetzungen dieser Zeit. Er war Mitunterzeichner eines Gutachtens der Magdeburger Theologen gegen die osiandristische Lehre im Herzogtum Preußen, seiner späteren Wirkungsstätte. Er setzte sich mit einem Katechismus der Jesuiten auseinander und diskutierte um das rechte Abendmahlsverständnis. Neben Matthias Flacius, gen. Illyricus, entwickelte er sich zu einem der führenden Gnesiolutheraner, d.h. gehörte er zu den Theologen, die Luthers Lehren streng gegen abweichende Formulierungen seitens Melanchthons und seiner Schüler, den „Philippisten“, erst recht jedoch gegen reformierte (calvinistische) und römisch-katholische Theologen verteidigten. Wigand wurde außerdem in diesen Jahren von Flacius zum Mitarbeiter und Fortsetzer des großen Werkes evangelischer Kirchengeschichtsschreibung, der Magdeburger Centurien, gewonnen.
1560 wurde Wigand als Professor der Theologie nach Jena berufen, an die junge Universität des ernestinischen Sachsens. Doch schon im folgenden Jahr wurden er und seine Kollegen entlassen, da ihr Auftreten allzu heftig war. Obwohl sein Studienfreund Tilemann Heshusius zu dieser Zeit Superintendent in Magdeburg war, ließ sich eine Wiederanstellung nicht erreichen, so daß er 1562 einem Ruf als Superintendent nach Wismar folgte. Hier kämpfte er für Durchsetzung und Anwendung einer Kirchenordnung und erhielt 1563 in Rostock die theologische Doktorwürde. Literarisch sind für Wigands mecklenburgische Jahre Fortschritte bei den Magdeburger Centurien (bis zum 13. Jahrhundert) festzuhalten, ferner exegetische und kontroverstheologische Veröffentlichungen zu nennen. So setzte er sich für Benedikt Morgenstern ein, der dennoch 1567 als theologischer Eiferer in Thorn entlassen wurde. Ein Regentenwechsel führte 1568 zu einer erneuten Berufung nach Jena. Neben der Universitätsprofessur hatte Wigand auch das Amt des Superintendenten zu versehen. Bemerkenswert ist die von ihm 1569/70 in Thüringen durchgeführte Kirchen- und Schulvisitation. In diese Zeit fiel das nicht mehr heilbare Zerwürfnis zwischen ihm und Heshusius sowie Flacius wegen der Erbsündenlehre des letzteren. Dem „philippistisch“ gesonnenen kursächsischen Hof galten Wigand und Heshusius als die Hauptstörenfriede des kirchlichen Friedens, so daß sie sofort entlassen wurden, als Kursachsen 1573 die Vormundschaft für die ernestinischen Lande übernahm. Beide gingen nach Braunschweig, wo Martin Chemnitz als Superintendent wirkte. Heshusius wurde 1573 zum Bischof von Samland berufen, Wigand konnte bald danach eine Theologieprofessur an der Universität Königsberg antreten. Diese Berufungen haben die preußischen Stände gegen die Universität beim jungen Herzog Albrecht Friedrich erreichen können. Als ein Jahr später der pomesanische Bischof Georg Venediger starb, wurde Wigand sein Nachfolger; die feierliche Einführung nahm Heshusius am 2. Mai 1575 im Königsberger Dom vor.
Nach den jahrzehntelangen osiandristischen Streitigkeiten schienen die besten Voraussetzungen gegeben zu sein, daß eine Zeit kirchlichen Friedens im Herzogtum Preußen einziehen konnte. Doch trog zunächst die Hoffnung, weil aus letztlich ungeklärten Ursachen sich die beiden bisher befreundeten Theologen entzweiten. Einig waren sich Wigand und Heshusius, daß die Meinung der Wittenberger Theologen abzulehnen sei, die im Anschluß an Melanchthon auch dem Willen des Menschen eine Heilsbedeutung zuerkennen wollten („Synergismus“) und sich damit heimlich den Reformierten näherten („Kryptocalvinismus“). In einer 1574 gedruckten Streitschrift verstieg sich jedoch Heshusius zu einer christologischen Aussage, die lebhaften Widerspruch hervorrief. Er behauptet nämlich, daß Christus nicht als Mensch konkret, sonden daß auch seine Menschheit abstrakt als allmächtig und allwissend zu verehren sei. Wigand dürfte es persönlich unangenehm gewesen sein, sich hierzuöffentlich äußern zu sollen. Als schließlicham 16. Januar 1577 eine Synode Heshusius aufforderte, jene Aussage zurückzunehmen, weigerte er sich. Er griff sogar die Pastorenschaft an, und wurde daraufhin seines Amtes enthoben und musste im Juli 1577 Preußen verlassen.
Als Wigands erste Schrift zu dieser theologischen Streitfrage schien, war die kirchenpolitische Entscheidung gegen Heshusius gerade gefallen. Markgraf Georg Friedrich, der die Regentschaft für seinen geistesschwachen Vetter Albrecht Friedrich übernommen hatte, versuchte den Streit durch ein auswärtiges Gutachten zu steuern. Die Gelegenheit schien günstig, da die führenden deutschen lutherischen Theologen seit einiger Zeit darüber berieten, welche Bekenntnisschriften als die für alle Kirchen verbindlichen zu einem Konkordienbuch zusammengefaßt werden sollten. Diese Theologen belasteten jedoch in ihrer Stellungnahme 1578 Wigand wegen seiner allzu langen Zurückhaltung, wegen des weiteren Verfahrens und empfahlen seine Absetzung. Stattdessen sollte ein aus Theologen und Juristen bestehendes Konsistorium die Kirche leiten. Dem widersetzten sich jedoch die preußischen Stände, so daß Wigand im Amt blieb und außerdem weiterhin das verwaiste Bistum Samland mit zu versorgen hatte. Wigand selbst veröffentlichte 1578 eine kommentierte Auswahledition zu diesem theologischen Streit.
Die Annahme der Konkordienformel vollzog sich in Preußen 1578/79 ohne größere Schwierigkeiten. Nach dem Vorbild anderer Territorien empfahl Wigand, die Formel von allen Pfarrern Herzogtums unterschreiben zu lassen. Dennoch ließ das auswärtige Gutachten zum Heshusius-Streit keine Ruhe einkehren, weil es Verdächtigungen gegen Wigand verbreitet hatte. Als die Obeerräte die Einführung der Konkordienformel mit der Abschaffung Bischofsamtes verbinden wollten, protestierten Wigands Anhänger unter den Pfarrern. Nachdem Konrad Schlüsselburg deshalb das Land hatte verlassen müssen, konnte der Regent nur mit letztem Einsatz die streitenden Parteien im Jahre 1581 versöhnen.Wiegand wurde in seinen Ämtern bestätigt. Die Streitigkeiten haben fast übersehen lassen, daß daneben auch praktische Arbeit geleistet wurde. Wigand führte die von seinemVorgänger geplanten Visitationen im Bistum Pomesanien durch, und zwar gerade in den Jahren bis 1581. 1585 wurde erneut, und zwar in beiden Bistümern visitiert. Bei den erhaltenen Protokollen überwiegen die Angaben darüber, was noch zu tun sei, um ein christliches Leben in den Gemeinden zu ermöglichen. Die Angaben zum Glaubensleben lassen erkennen, daß es durchaus noch Überbleibsel aus vorchristlicher Zeit gab. Auch die höheren Schulen in Saalfeld, Tilsit und Lyck sollten durch diese Maßnahmen in ihren Anfängen gefördert werden.
Wigand setzte in Preußen auch seine Schriftstellerei fort. Von den kirchengeschichtlichen Arbeiten sind erneut die Magdeburger Centurien hervorzuheben, die er für das 14.-16. Jahrhundert fast vollendete, sowie eine Geschichte des Augsburgischen Bekenntnisses. Ein von ihm verfaßtes Lehrbuch wurde in Preußen fast 100 Jahre benutzt. Ganz außerhalb seines Berufes lagen botanische Studien, die er in seiner Mansfelder Pfarramtszeit begonnen hatte und in Preußen fortsetzte; einiges wurde nach seinem Tode veröffentlicht.
Als Johann Wigand im Alter von 64 Jahren starb, kämpften die Stände vergeblich um eine Wiederbesetzung beider Bistümer. Jede Seite behauptete, ihr Weg wäre der bessere, um mögliche gegenreformatorische Ansinnen des polnischen Lehnsherrn abwehren zu können. Wigand steht damit am Ende der Zeit, in der eine reformatorische Landeskirche sich in ihrer Leitung noch einer mittelalterlichen Form bediente. Erst nach Wigands Tod setzte sich auch im Herzogtum Preußen die Landesherrschaft als sog. „Notbischof“ durch. Theologisch war Wigand ein führender Angehöriger der Frühorthodoxie, die unter zunehmendem äußeren Druck eine politische Notwendigkeit darin sah, die „reine“ Lehre strenger zu formulieren. In Wigands Lebenslauf zeigt sich dabei einmal mehr die enge Verbindung zwischen Preußen und der Mitte Deutschlands.