Backsteinleuchten an der Ostsee

Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung
„Backsteinarchitektur im Ostseeraum –
Neue Perspektiven der Forschung“

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stmarien02Der Raumeindruck der westlichen Vorhalle der Stralsunder St. Marienkirche ist stets überwältigend. Jedem Eintretenden zieht es den Blick sofort hoch zu den von großen Fenstern hell erleuchteten gotischen Gewölben, welche die schmale Halle in schwindelerregender Höhe überspannen.

 

 

stmarien04Senkt man den Blick wieder nach unten, so stößt man dort zurzeit auf zu Dreiecksstelen zusammengestellte Tafeln, deren blaue Grundfarbe sich von dem warmen Rot der aus dem blassen Putz hervorbrechenden Backsteine effektvoll abhebt: Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen präsentiert in St. Marien im April und Mai 2015 ihre Ausstellung „Backsteinarchitektur im Ostseeraum – Neue Perspektiven der Forschung“. Dass St. Marien, selbst herausragendes Beispiel dieser Architekturform, als erste Station der 36 großformatigen Tafeln der Ausstellung gewonnen werden konnte, erscheint als wahrer Glücksfall.

stmarien03Zeugnisse sakraler und profaner Backsteinarchitektur prägen bis heute die Landschaften der südlichen Ostsee in besonderem Maße – von Lübeck über die mecklenburgische, pommersche, west- und ostpreußische Küste und ihrem Hinterland bis weit hinauf ins Baltikum, aber auch in Dänemark und Schweden. Ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts errichtete man in der Region, der es an geeigneten Natursteinen mangelte, monumentale Bauten aus rot bis gelb gebrannten Kunststein, perfektionierte man diese Technik bei der Errichtung künstlerisch ambitionierter Kathedralen, Kloster-, Stifts- und Pfarrkirchen, aber auch Burgen, Wehranlagen und Bürgerhäusern. Man schuf damit eine Tradition, die bis ins 19. und 20. Jahrhundert fortdauerte und immer noch nachwirkt.

Dr. Barbara D. Loeffke, Lüneburg, eröffnete als Vorstandmitglied der Kulturstiftung die Ausstellung
Dr. Barbara D. Loeffke, eröffnete als Vorstandsmitglied der Kulturstiftung die Ausstellung

Die Backsteinlandschaft des südlichen Ostseeraums als hochrangige europäische Kulturlandschaft ist dabei heute keineswegs nur touristischer Anziehungspunkt für Besucher aus aller Welt, vielmehr auch wesentlicher Bestandteil der gemeinsamen kulturellen Identität der Bewohner. Spätestens seit der Wende von 1989/90 macht ihre wissenschaftliche Erforschung so auch nicht mehr an den neuzeitlichen nationalen Grenzen halt, sondern erweist sich als ein intensives völkerverbindendes Bemühen von Kunsthistorikern, Bauforschern und Historikern. Gerade letzterer Aspekt ist für die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, die sich der Pflege und Weiterentwicklung des Kulturerbes des historischen deutschen Ostens verschrieben hat, wesentlicher Beweggrund für die seit Jahren betriebene Beschäftigung mit dieser Thematik in Form international besetzter Symposien und entsprechender Publikationen. Ergänzt wird dies nun aktuell durch die Ausstellung, die einen Einblick in die aktuelle Forschung zur Backsteinarchitektur in Deutschland, Polen und weiteren Ländern bieten soll.

Prof. Dr. Christofer Herrmann
Prof. Dr. Christofer Herrmann

Erarbeitet wurde die Ausstellung unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Christofer Herrmann, Danzig, und Prof. Dr. Matthias Müller, Mainz.

Neben grundlegenden Informationen zu Technologie wird dabei exemplarisch das ganze Spektrum der sakralen und profanen Bauten vorgeführt, werden Fragen der Bauorganisation und -finanzierung sowie der Innenausstattung, nicht zuletzt auch die Problematik der denkmalpflegerischen Behandlung und der heutigen touristischen oder kulturellen Nutzung behandelt.

Dr. Tilo Schöfbeck
Dr. Tilo Schöfbeck

Bei einer Eröffnungsveranstaltung in St. Marien am 10. April gaben der Bauforscher Dr. Tilo Schöfbeck, Schwerin, und der Kunsthistoriker Prof. Dr. Herrmann Einblicke in ihre aktuelle Arbeit, beleuchteten sie die mittelalterliche Backsteinarchitektur aus gänzlich unterschiedlichen Winkeln, zum einen anhand von Materialanalysen, zum anderen anhand der Auseinandersetzung mit den überlieferten Schriftquellen. Zwar entzauberten sie dabei in der Kunstwissenschaft verbreitete Mythen, wie etwa die des roten Backsteins als königlich-imperiales Symbol, doch vertieften sie bei den Zuhörern das Verständnis für die historische Einordnung der Bauten, deren besonderer ästhetischer Reiz sich nicht zuletzt, wie bei der Eröffnung, von der tiefstehenden Sonne angestrahlt entfaltet.

Dr. Burkhard Kunkel, Beauftragter der Hansestadt Stralsund für Kunst und Kulturbesitz, vermittelte St. Marien als AusstellungsortDr. Burkhard Kunkel, Beauftragter der Hansestadt Stralsund für Kunst und Kulturbesitz, vermittelte St. Marien als Ausstellungsort
Dr. Burkhard Kunkel, Beauftragter der Hansestadt Stralsund für Kunst- und Kulturbesitz

Die Ausstellung wird an weiteren ausgewählten Orten in Deutschland und in einer polnischsprachigen Version unter dem Titel „Architektura ceglana na pobrżezu Bałtyku – Nowe perspektywy badań“ in Polen präsentiert werden.

Nächste Station ist von Anfang Juni bis Ende August 2015 das Kulturzentrum Ostpreußen im Deutschordensschloss des fränkischen Ellingen. https://www.kulturzentrum-ostpreussen.de/events.php

Eine Broschüre mit den Ausstellungstafeln zum Preis von 4,80 € sowie ein reich bebilderter Katalog mit acht ergänzenden Aufsätzen zum Preis von 24,95 € sind an den Ausstellungsorten, also etwa in St. Marien Stralsund, im Buchhandel oder direkt über die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn, erhältlich.

Westbau mit Turm von St. Marien, Stralsund
Westbau mit Turm von St. Marien, Stralsund