Der jähe, tragische Tod am Nachmittag 31. Juli 1969 beendete eine kurze, strahlende Showkarriere, die freilich nie ohne Brüche verlief. Ihr Wagen überfuhr gegen 15 Uhr an diesem heißen Tag in Tellingstedt zwei Vorwarn- und zwei Stopschilder und raste frontal in einen Lastwagen. Doris Nefedov stirbt noch am Unfallort, ihre Mutter Wally wenig später. Der Sohn Alexander, von ihr Sascha genannt, überlebt, in Kissen gebettet, mit leichten Schürfwunden. Bis heute bleiben Unklarheiten, Ungereimtheiten, Spekulationen, die sich um diesen unfassbar frühen Tod ranken. Wie dem auch sei: mit ihrem Tod wird die Sängerin Alexandra zur Legende, deren Nachleben und Strahlkraft bis heute anhält.
Geboren wurde sie in Heydekrug (heute Śilute), der östlichsten Stadt des Deutschen Reichs, unweit des Kurischen Haffs. Die Familie muss im Oktober 1944 Richtung Westen fliehen, ihre eigentliche Kindheit verbringt sie in Kiel. Frühe und vielfältige künstlerische Neigungen werden berichtet: Gesang, Tanz, sie hat auch gemalt und Gedichte geschrieben. Ihr Vater war ein virtuoser Querflötenspieler, doch ehrgeizig betreibt vor allem die Mutter Wally die Karriereambitionen der Tochter. Die bricht das Gymnasium noch vor dem Abitur ab („für mich einfach verlorene Zeit“, sagt sie später), – ist sie sich doch völlig sicher, dass nur ein künstlerischer Beruf in Frage komme. Kurze Zeit besucht sie eine Grafikschule, geht nach Hamburg, nimmt wechselnde Jobs an. Vor allem tingelt sie mit der Gitarre durch Hamburger Kneipen und Clubs. Die knapp 20-Jährige ist, wie man auf Bildern sehen kann, eine außergewöhnliche, dunkel faszinierende Schönheit. Sie wirkt souverän, präsent, witzig, mit untergründiger Melancholie. 1962 gewinnt sie die Miss Germany-Wahl, keine Allerweltserscheinung, intelligent und doch gekonnt auf der Klaviatur der Naivität spielend, wenn sie in einem Fernsehinterview davon träumt, Chansonsängerin zu werden, französische Lieder und Lieder vom Balkan zu singen, aber auch davon, einen jungen Löwen aufzuziehen.
1962 geht sie die Ehe mit dem viel älteren Russen Nikolai Nefedov ein, dem Vater ihres 1963 geborenen Sohnes. Es ist eine Kindheitsneigung der an der Grenze zum slavischen Kulturraum Geborenen, die sie zu russischer Lyrik und Volksliedern zieht und auch vorübergehend an diesen Mann bindet: „Ich glaubte damals, es sei Liebe“. Für die Ehe ist sie nicht gemacht, zumindest seinerzeit nicht. Man lebt sich auseinander, die Scheidung folgt 1964. Sie nimmt in diesem selben Herbst eine Schauspielausbildung bei dem einstigen UFA-Star Margot Höpfner (1912-2000) in Hamburg auf, die sie zunächst hart an die Kandare nimmt, aber rasch das überragende Talent – die Improvisationsbegabung und vor allem die Kraft der Stimme – erkennt, und zur mütterlichen Freundin und Mentorin wird. Im Herbst 1965 kommt es zu ersten kleineren öffentlichen Engagements, so spielt sie in Neumünster in John Carlinos Einakter Käfige.
In diese Zeit fällt ihre Entdeckung, anachronistisch schön, jedenfalls aus dem Rückblick der Zeiten monotoner Casting-Bands betrachtet: Der damals namhafte Musikproduzent Fred Weyrich wird durch seinen Freund Semrau, in dessen Verlag die junge Dame kurzzeitig als Mädchen für alles gejobbt hatte, auf sie aufmerksam. Ihre ersten Probeaufnahmen, die sich auch erhalten haben, beeindruckten damals Produzent und Tonmeister – und sie bestechen noch heute. Ein weites souveränes Chansonrepertoire in verschiedenen Sprachen, interpretatorisch differenziert mit dem noch ungeschliffenen tiefen Timbre und dem Melos gesungen, das bald unverwechselbar sein sollte. Besonders fasziniert noch heute das Chanson Je t’attends (Ich erwarte dich) von Charles Azanavour. Alexandra kannte es damals nicht, sie musste es vom Blatt singen, doch die Aufnahme hält stand, auch gegenüber dem Original und sie zeigt, welches Potential sie gehabt hätte, wenn sie es, je befreit von den Schranken der damaligen Schlagerbranche, unverkürzt hätte zeigen können.
Weyrich bringt ihre Karriere in Schwung: durch einen sofort einschlagenden Auftritt vor Plattenhändlern und Journalisten in Husum. Im Sommer 1967 erscheint ihre erste Single, mit dem Hit Zigeunerjunge, den sie später als ihr liebstes Lied bezeichnet. Das Plattencover zeigt sie noch mit Mädchencharme und schulterlangem Haar. Ihr eleganter femininer Look wird erst später geboren. Eine Russlandtournee bis nach Eriwan im Mai 1967 mit der Hazy-Osterwald-Combo ging der Plattenveröffentlichung noch voraus. Sie war emphatisch enthusiastisch, im Land der Kindheitsträume zu sein. Eine Liebesbeziehung mit einem jungen georgischen Musiker Juri datiert in diese kurzen Wochen.
Alexandra hat ihr kurzes intensives Leben hindurch immer intensiv selbst geschrieben und komponiert – eines ihrer schönsten, leider selten aufgelegten Lieder Am großen Strom entsteht in Russland, die Melodie gemeinsam mit Juri Armirchanjan.
Im Jahr 1967 nimmt ihre Bekanntheit neue Dimensionen an: der erste Fernsehauftritt in der Gilbert-Bécaud-Show, ein fulminanter Auftritt im Vorprogramm eines Konzerts des bereits hochberühmten Salvatore Adamo machen sie für damalige Verhältnisse zum Star. Zu Adamo muss sich eine subtile Seelenverwandtschaft entwickelt haben. Es ist mehr als eine Legende, dass Alexandra bis zu ihrem Tod eine seiner Locken aufbewahrte.
Der Wechsel des Managements zu dem Journalisten Hans R. Beierlein, der binnen weniger Jahre zu einem der erfolgreichsten Manager des Showbusiness der Bundesrepublik avanciert ist, kommt wie das meiste in Alexandras Biographie, plötzlich zustande, in Gang gebracht durch die Faszinationskraft ihrer Person. Beierlein erinnerte sich später: „Sie hatte eine sehr erotische und zugreifende Art. Sie sagte kokett: ‚Und wie hat es dem Herrn Beierlein gefallen?‘ Ich antwortete ihr nur kurz mit einer Gegenfrage: ‚Mädchen warum sind Sie eigentlich sind Sie eigentlich so unbefriedigt. Sie haben einen miserablen Liebhaber‘.“ Seltsamer Beginn nicht nur von Zusammenarbeit, sondern auch einer leidenschaftlichen Affäre. Alexandra muss ihm wundervolle Briefe geschrieben haben. Zudem hält sie sich nun immer öfter in München auf. Beruflich wird sie von Beierlein in eine andere Liga katapultiert. Er treibt sie aber auch an, in ein Terminstakkato, das sie bis an den Rand ihrer Kräfte und darüber hinaus bringen sollte. Zu der Show-Elite in Deutschland zählt sie nun, mit bemerkenswerten Erfolgen im Ausland, namentlich in Frankreich. Ihre Ambitionen reichen weiter, in Richtung auf eine internationale Karriere. Sie ist ganz sie selbst – an Juliette Greco oder Hildegard Knef nimmt sie aber Maß. Aufnahmen und Phasen enger Zusammenarbeit mit Udo Jürgens gehören zu den Sternstunden der jungen Laufbahn. Mit ihm zusammen schreibt sie das Chanson Illusionen. Doch sie gerät auch unter Druck: Der nächste große Hit wird erwartet – und bleibt aus. Das wundervolle Lied Mein Freund, der Baum wird erst nach ihrem Tod zum einschlagenden Erfolg, lange vor allgemeinem Ökologiebewusstsein besingt es die Natur und ihre unwiederbringliche Zerstörung. Sie widersetzt sich, mal melancholisch, mal nicht frei von Arroganz, dem gängigen Schlagergeschmack. Die Folklorewellen langweilen sie, obwohl sie kommerzielle Erfolge bringen. Eine selbstbestimmte Künstlerin, mit scharfer Urteilsfähigkeit und wenig Neigung zum Kompromiss wird sichtbar. Auch politisch ist sie nicht indifferent. Unter Protest reist sie vom Musikfestival in Karlsbad ab, als die Sowjetarmee 1968 den Prager Frühling niederschlägt. Russland als Seelenland beschwört sie in ihren Interviews und denkt doch die verheerende Politik mit. Der Spätsommer 1968 bringt zehn erfüllte, beschwingte Tage in Brasilien, wo sie an einem Schlagerfestival teilnimmt, eine kurze intensive Liaison mit dem namhaften Carlos Jobim (1927-1994) eingeht, der nicht nur Sänger und Komponist war, sondern als politischer Künstler ihren Blick auf das soziale Elend schärfte.
Ihre letzten Lebensmonate sind verdüstert. Letztes über die Gründe wird sich wohl nie mehr aufklären lassen. Sie spricht viel über den Tod, ist unruhig. Nachts alleine in Hotelzimmern übernachten zu müssen, wird ihr zunehmend zur Horrorvorstellung. Bis heute werden Spekulationen angestellt: gab es Verstrickungen bis in Geheimdienst- und KGB-Kreise? Die Beziehung zu Beierlein kühlt sich ab. Die Zusammenarbeit wird angespannt. Alexandra hat andere Vorstellungen von ihren Schwerpunkten, Fernsehen, Film; sie fühlt sich durch zu viele verhetzte Auftritte verbraucht und möchte zu dem väterlichen Weyrich zurück, Beierlein möchte ihren Markennamen vom Ausland her aufbauen und sie für ein halbes Jahr nach New York schicken.
Zu diesem Ränkespiel kommt die Beziehung mit dem mysteriösen Kanadier Pierre Lafaire, mit dem sie zu Ostern 1969 die Verlobung eingeht. Seine Spur verliert sich nach ihrem Tod im Nichts, sie ist aber bis heute ein Dreh- und Angelpunkt aller Verschwörungstheorien. Alexandra erhielt wenige Wochen vor ihrem Tod von einer Detektei die für sie schockierende Auskunft, Lafaire sei Heiratsschwindler und Bigamist. Zusammenbrüche im Februar und eine hoch riskante Abtreibung trüben das Jahr 1969 weiter. Sie ist misstrauisch geworden, gehetzt.
Einfach muss der Umgang mit ihr nie gewesen sein. Jetzt werden ihre Launen und Ausbrüche notorisch. Beruflich ist ihre Zukunft gesichert: sehr schnell hat sie für damalige Zeit sehr viel Geld verdient, eine große repräsentative Wohnung in Nymphenburg, glänzende, wenn auch nicht gesicherte Karriereaussichten. Dennoch: zum Zeitpunkt ihres Todes überwiegen die Schulden vor dem Vermögen.
Eine Verwandte erinnert sich, dass Alexandra in jenem Sommer 1969 zu ihr gesagt habe: „Ich habe den Ruhm …, aber ich habe doch was falsch gemacht … Wenn du wüßtest wie es in meiner Seele aussieht. Ich lebe zwischen Leben und Tod, jeden Tag“.
Zu Exaltationen, himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt –, dürfte sie immer geneigt haben. Nun war es anders. Sie setzt am 26. Juli 1969 ihr Testament auf und bricht mit Mutter und Sohn zur Ferienreise nach Sylt auf. Nachtzug nach Hamburg, mit Autobahntransfer, dann nach Terminen in der Stadt die Autofahrt bis Niebüll. So war es geplant, in Tellingstedt ereilt sie der Tod.
Die Potentiale der Sängerin Alexandra reichen weit über das hinaus, was sie realisieren konnte. Auch das Œuvre der Texterin und Komponistin ist Fragment. Sie hätte nicht nur ein „weiblicher Udo Jürgens“ werden können, sondern – zumindest – eine deutsche Juliette Greco. Wie wäre es gekommen? Von der Sängerin bleibt die Stimme: jenes hellwache und zugleich tief melancholische Timbre, von weit herkommend, nie heimisch in der Showszene der 1960er Jahre.
Immer wiederholt sich die Erfahrung, dass, wer sie zum ersten Mal hört, ohne irgend von ihr etwas zu wissen, gebannt ist, getroffen.
Dahinter spinnt sich die Legende in den Bildern weiter: eine faszinierende Schönheit, zeitlos, Person und Legende nicht mehr voneinander zu trennen. Sie zieht nach wie vor in ihren Bann. Marc Boettchers brilliantes Fernsehportrait wurde von mehr als 12 Millionen Zuschauern gesehen.
Lit.: Marc Boettcher, Alexandra. Die Legende einer Sängerin. Zweite Auflage Hamburg 2004 (mit zahlreichem Bildmaterial, einer umfassenden Diskographie).
Bild: Besitz des Verfassers.
Harald Seubert