Biographie

Gramann, Hartmann

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Arzt
* 11. Januar 1606 in Stadtilm/Thüringen
† 1. Januar 1658 in Moskau (Reval?)

Aus einer Medizinerfamilie stammend ergriff Hartmann Gramann das Studium in Leipzig, Jena und Wittenberg und praktizierte dann als Arzt in Halle, bevor er 1633 zum Medicus der holstein-gottorfschen Gesandtschaftsreise nach Moskau und Persien bestellt wurde. Auf dieser Reise, über die der Sekretär Adam Olearius in der berühmten und in mehreren Auflagen erschienenen Reisebeschreibung (1647) ausführlich berichtet hat, sollten die Gesandten, der Kaufmann Otto Brüggemann aus Hamburg und der Licentiat der Rechte Philipp Crusius, im Auftrag des Herzogs Friedrich III. zu Gottorf eine neue Handelsverbindung zu Persien über Rußland erschließen. Deshalb wurde zunächst auf der ersten, im Spätherbst 1633 in Gottorf begonnenen Reise der Moskauer Zar aufgesucht. Mit dem Schiff erreichte man von Travemünde aus am 14. November des Jahres Riga, wo vier Wochen auf Frost und Schneefall gewartet werden mußte, um per Schlitten über Wolmar und Dorpat nach Narva reisen zu können, das die Legation am 3. Januar 1634 erreichte. Von hier wurde ein Teil des Gefolges, darunter der Dichter Paul Fleming, der als Hofjunker und Truchseß an der Reise teilnahm, nach Novgorod vorausgeschickt, während die Gesandten in Narva verweilten, um mit einer schwedischen Gesandtschaft unter dem Revaler Gouverneur Philipp von Scheiding Gespräche zu führen. Da die Nahrungsmittel in Narva knapp wurden, mußte man zeitweilig sogar nach Reval ausweichen, wo die Gesandten gastlich aufgenommen wurden. Am 28. Juli 1634 traf die holstein-gottorfsche Gesandtschaft in Novgorod endlich wieder zusammen. 17 Tage darauf wurde Moskau erreicht. Insgesamt über vier Monate zog sich der Aufenthalt mit diplomatischen Gesprächen und gesellschaftlichen Ereignissen hin. Der Zar verlangte jedoch weitere Dokumente, die erst von Gottorf besorgt werden mußten, so daß die Reisegruppe zunächst am 10. Januar 1635 nach Reval zurückkehrte und hier den größten Teil des Gefolges unterbrachte, während die Gesandten am Ende des Monats mit zehn Personen zum herzoglichen Hof in Gottorf aufbrachen, um die erforderlichen Unterlagen zu holen.

Gramann, der auf der Reise zu einem engen Vertrauten Flemings geworden war, blieb zunächst in Reval. Bereits im Januar erschien eine gedruckte Sammelschrift mit Trauergedichten von Gesandtschaftsteilnehmern zum Tod der Revaler Kaufmannsfrau Elisabeth Paulsen, geb. Müller. Nach Crusius und Olearius tritt hier Gramann mit vier lateinischen Distichen als dritter Beiträger vor dem Freund Fleming auf, welcher nicht nur die abschließende deutsche Ode liefert, sondern auch die von Gramann unterzeichneten Verse gedichtet hat. So eng die Freundschaft zwischen den beiden auch gewesen sein mag, hat Gramann sich offensichtlich nicht von Flemings überragender Dichtkunst anstecken lassen. Umgekehrt ist Flemings Hinwendung zum Arztberuf im wesentlichen auf den Einfluß Gramanns zurückzuführen. In Reval bildeten die beiden mit dem PoesieProfessor Timotheus Polus ein lustiges Kleeblatt, das sich oft dem feuchtfröhlichen Treiben hingab. So heißt es in Flemings Namenstagsgedicht auf Polus: „Recht so/ Polus/ ruffe laut. Her die Hand/ dieweil ich trincke. […] Grahman wird nicht ferne seyn/ Grahman vnser dritter trewer/ Der jhm vmb das Schorsteinfewer Wol läßt schmecken deinen Wein.“ Am 8. April 1635 feierten die Freunde in Reval den Namenstag Gramanns. Seinen eigentlich am 11. Januar zu begehenden Geburtstag holte man zugleich nach, da er so kurz nach der Ankunft in der Stadt kaum gefeiert werden konnte.

Die zu diesem Anlaß in Reval gedruckte Sammelschrift „Glückwünschungen Auff fröliche Geburt vnd Namenstage“ mit Gedichten „von seinen guten Freunden“ umfaßt vier deutsche Gedichte, die jedoch bis auf eine holprige AlexandrinerElegie sämtlich von Fleming gedichtet wurden, der sich hinter den verschiedenen Namen, Initialen und Pseudonymen der Freunde verbirgt. In einem Gedicht wird in Anspielung auf seinen Nachnamen gefragt, warum er denn ,Graumann‘ heiße, obwohl er doch schwarze Haare habe. Als Lösung wird vorgeschlagen, daß er mit seiner Medizin die Leute vor Krankheit und Tod bewahre und grau, d. h. alt werden lasse. Der Beginn eines anderen Gedichts „ISt schon nichts nicht mehr zu finden/ Darmit wir Euch können binden/ […]“ deutet bereits den bevorstehenden Abschied an. Der Arzt verließ die Gesandtschaft Ende Mai von Reval aus und kehrte nach Deutschland zurück, um den medizinischen Doktorgrad zu erwerben, denn er trug sich anscheinend schon zu dieser Zeit mit dem Vorhaben, als Leibarzt des Zaren in russische Dienste zu treten.

Der Abschied aus Reval wurde dann begleitet von lateinischen Propemptica (Reisegeleit-Gedichten) der Professoren und Lehrer des Gymnasiums, die im Druck der Revaler Offizin erschienen. Am 19. April, dem Sonntag Jubilate, verfaßte Timotheus Polus sein Gedicht, daneben sind der Rektor Heinrich Vulpius, der Rhetorik-Professor Heinrich Arninck, der Griechisch-Professor Reiner Brockmann und der Lehrer Alhard Böndel vertreten. Ein großes deutsches Propempticum von 146 Alexandrinern veröffentlichte Paul Fleming auf diesen Abschied. Es wurde dem Druckbild zufolge vermutlich nicht in Reval gedruckt; Gramann hat es wohl handschriftlich mitgenommen und in deutschen Landen in Druck gegeben, wie auch Flemings Vers „Diß nimb mit auff den Weg/ vnd zeig’ es deinen Freunden/ […]“ nahelegt. Eingeleitet von lateinischen Widmungsversen, die in Reval am 21. Mai – also zwei Tage nach dem Gedicht von Polus – unterzeichnet sind, enthält das deutsche Gedicht im Lob des Adressaten zugleich reiche Informationen: Hier werden die Herkunft aus einer alten Medizinerfamilie und die Studienorte genannt. Beschrieben wird die paracelsische Krankheitslehre und Arzneiphilosophie, der Gramann (wie auch Fleming) anhängt; erwähnt sind die kurze Tätigkeit in Halle und der bisherige Reiseverlauf einschließlich der großen Anerkennung als Arzt auf der Reise durch gelungene Heilungen und der zukünftigen Anstellung: „Der Zar/ der grosse Herr/ der Reussen Selbsterhalter/ Vertrawt sein edles Häupt noch deinem jungen Alter.“

Gramann gelang es anscheinend nicht, in der kurzen Zeit den Doktortitel zu erwerben, wird er doch von Olearius in der Liste der Teilnehmer der sogenannten zweiten Gesandtschaft (16361639) und auf dem Porträt von 1647 ohne Titel geführt. Am 22. Oktober 1635 brach er mit den Gesandten von Hamburg aus per Schiff zur neuen Reise auf, allerdings verzögerte sich die Ankunft in Reval durch schwere Unwetter und einen Schiffbruch vor der Insel Hochland (Suursaari) im finnischen Meerbusen, bei dem der Arzt den Sekretär Olearius gerade noch an der Kleidung aus den Fluten ziehen und retten konnte. In Reval wurde die Rettung mit einem festlichen Aktus im Gymnasium begangen, wähnte man die Menschen doch bereits tot und das gesamte Vorhaben erledigt. Die besorgten Papiere waren jedoch verdorben und mußten neu aus Gottorf geholt werden. Gramann blieb nun in Reval und konnte hier am 11. Januar 1636 seinen Geburtstag feiern, der unter dem besonderen Zeichen der Errettung stand, wie aus Flemings neuerlichem Gedicht hervorgeht.

Am 2. März brach die Gesandtschaft wieder nach Moskau auf, wo neue Verhandlungen die Weiterreise nach Persien über drei Monate verzögerten. Anfang August 1637 war endlich das Ziel Isfahan erreicht. Gramann wurde auch hier als Arzt größte Anerkennung zuteil, zudem fertigte er auf der Reise Zeichnungen an, die später als Vorlage für Abbildungen in der Reisebeschreibung von Olearius dienten. Nach einem Aufenthalt von fast fünf Monaten wurde die Rückreise angetreten; erst im April 1639 traf Gramann mit der Gesandtschaft wieder in Reval ein. Hier heiratete er am 27. Juni Elisabeth Fonne, die Tochter eines Ratsherrn, wozu Fleming mit einer deutschen Ode gratulierte. Während die übrige Gesandtschaft nach dreimonatigem Aufenthalt in Reval die Heimreise antrat und am 1. August 1639 in Gottorf eintraf, bereitete Gramann seine Übersiedlung nach Moskau vor, das er am 31. August zusammen mit seiner Ehefrau und sechs Dienstboten erreichte. Als Leibarzt des Zaren Michail Fedorowitsch (15761645) und dessen Sohnes und Nachfolgers Alexei Michailowitsch (16291676) arbeitete Gramann nun für ein Gehalt von jährlich 220 Rubel und zusätzlich monatlich 60 Rubel nebst weiteren Sonderzuwendungen (für Aderlässe, zur Hausrenovierung usw.). 1647 bat er schriftlich um Entlassung seines fünfjährigen (!) Sohnes Johann Hartmann und sicheres Geleit, damit dieser sein Studium im Ausland aufnehmen könne. Da dieser 1651 in Dorpat immatrikuliert wurde, ist zu vermuten, daß er zunächst in Livland die Schule besuchte oder durch Hauslehrer unterrichtet wurde. Er promovierte schließlich 1668 in Jena zum Doktor der Medizin, kehrte jedoch nicht nach Rußland zurück. Ein weiteres Schreiben des Vaters aus unbekannter Zeit – spätestens jedoch vom Frühjahr 1653 – erbittet die Erlaubnis für seine Gattin und seine Schwägerin, mit den Kindern nach Reval reisen zu dürfen, um den schwer erkrankten Schwiegervater Johann Fonne († 13. April 1653) zu besuchen. 1656 verstarb Elisabeth Gramann und hinterließ neben dem erwähnten Sohn Johann Hartmann (*1642) noch die Kinder Sebald Constans (*1651), Maria-Elisabeth und Susanna-Magdalena, die der Witwer nach Reval schickte, da er sich außerstande sah, sie in Moskau erziehen zu lassen. Zumindest in diesen letzten Jahren bewohnte Gramann einen Hof in der Ausländervorstadt. Bald darauf starb er. In einer Moskauer Aktennotiz vom 24. März 1658 findet sich die Einstellung der monatlichen Bezahlung an ihn, da er verstorben sei. Seit 1656 beherrschte der Nordische Krieg das Verhältnis zwischen Rußland und dem schwedischen Livland. Ob Gramann bereits aus dem Dienst ausgeschieden und zur Familie nach Reval gereist war, ist nicht bekannt. Dort herrschte bis in diese Tage die Pest. In Reval wurde auch am 18. September 1659 der Nachlaß inventarisiert, der beträchtliche Reichtümer enthielt. Sein Porträt mit Versen des Revaler Gymnasialrektors Heinrich Vulpius ist in der Erstausgabe der Reisebeschreibung von Olearius (1647) enthalten. Sein Stammbuch mit 55 Einträgen aus den Jahren 16261647 befindet sich heute in Moskau.

Lit.: Jöcher II (1750) Sp. 1119. – August Hirsch (Hrsg.), Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, 2. Aufl., durchgesehen und ergänzt von W. Haberling, F. Hübotter, H. Vierordt, Bd. IVI, Berlin (u. a.) 192935, hier Bd. II (1930) S. 828. – G. Adelheim, Revaler Ahnentafeln, Tallinn 1935, S. 319. – J. N. Schtschapow, Albom Gartmana Gramana. (Rukopis is sobranija A.S. Norowa) [Das Stammbuch Hartman Gramanns. (Handschrift aus der Sammlung A. S. Norows)], in: Zapiski Otdela Rukopisej 17 (1955), S. 84–98. – Heinz von zur Mühlen, Besitz und Bildung im Spiegel Revaler Testamente und Nachlässe aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Reval und die baltischen Länder. Festschrift für Hellmuth Weiss zum 80. Geburtstag. Im Auftrage der Baltischen Historischen Kommission und des Johann-Gottfried-Herder-Instituts hrsg. von J. von Hehn und C. J. Kenéz, Marburg/Lahn 1980, S. 263–280. – H. Entner, Paul Fleming. Ein deutscher Dichter im Dreißigjährigen Krieg, Leipzig 1989 (= Reclams UniversalBibliothek; 1316), S. 385–389. – Ernst Gierlich: Reval 1621 bis 1645, Bonn 1991, S. 375. – S. Dumschat: Hartmann Gramann. Ein deutscher Arzt im Baltikum und im Moskauer Rußland des 17. Jahrhunderts, in: O. Pelc/G. Pickhan (Hrsg.), Zwischen Lübeck und Novgorod. Wirtschaft, Politik und Kultur im Ostseeraum vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Norbert Angermann zum 60. Geburtstag, Lüneburg 1996, S. 281303. – Martin Klöker, Literarisches Leben in Reval in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (16001657). Teil III, Tübingen 2005 (= Frühe Neuzeit; 112) S. 675676 u.ö.

Bild: Privatarchiv des Autors.

Martin Klöker