Biographie

Hegemann, Emil

Herkunft: Posener Land
Beruf: Evangelischer Pastor, politischer Aktivist
* 20. Februar 1864 in Trlong/ Prov. Posen
† 23. November 1946 in Biere bei Magdeburg

Vor allem in der Zeit des Kulturkampfes seit den 1870er Jahren entwickelten sich viele Priester zu politischen Aktivisten. Dabei ging es nicht nur um den Einsatz für die Rechte der Kirche, sondern auch um soziale und nationale Belange für die jeweilige Volksgruppe. Diese sog. Gruppe der Politkleriker bezog sich nicht allein auf den im Kulturkampf bedrängten katholischen Glauben, sondern auch auf die zur vom Staat und der Nation (das II. Deutsche Reich) privilegierten Protestanten. In Preußen war der König zugleich kirchliches Oberhaupt der Unierten Kirche (Union von Lutheranern und Calvinisten). Zu diesen in der Kaiserzeit politisierten evangelischen Politklerikern zählte auch Emil Hegemann, der am Ende des Ersten Weltkriegs in der Zeit des Großpolnischen Aufstands und der Wiedererstehung der Polnischen Nation mit seiner zum Freistaat ausgerufenen Kirchengemeinde Schwenten Bekanntheit erlangte.

Die Familie Hegemann stammte aus Westfalen, ehe sie sich im Posener Land niederließ. Die Familie Hegemann war evangelisch. Emil Gustav Hegemann wurde am 20.2.1864 in Trlong (Trląg), im Kreis Mogilno der damaligen preußischen Provinz Posen geboren. Bei der Volkszählung im Jahr 1905 zählte das kleine Dorf entlang des Ostufers des Pakosch-Sees 454 Einwohner in 35 Häusern. Im Norden des Dorfes lag die Dorfschule, im Süden die alte katholische Pfarrkirche und weit außerhalb des Dorfes der Friedhof.

Über seine Herkunft notierte Emil Hegemann in seinem Lebenslauf, daß er geboren wurde „als Sohn des am 23. Januar 66 verstorbenen Grundbesitzers Ludwig Hegemann und seiner Ehefrau [Florentine] geborene Klettke“. Emil schreibt nichts Näheres über das Schicksal seiner Mutter.

Die heilige Taufe empfing ich in der evangelischen Kirche zu Mogilno am 8. März 64.

Emil wuchs in einer polnisch geprägten Umgebung auf, denn nur 34 Personen werden 1905 als deutschsprachig und evangelisch im Gemeindeverzeichnis erwähnt. Unter den Katholiken waren nur drei Deutschsprachige. Es ist daher kein Wunder, daß Hegemann sich später rühmte, sehr gut polnisch gesprochen zu haben, so daß man ihm nicht einmal anmerkte, daß er Deutscher war.

Das Dorf Trlong wird 1249 erstmals urkundlich als Besitz eines Gnesener Domherren und Kruschwitzer Archidiakons erwähnt. Seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert ist das Gut mit dem Dorf im Besitz adeliger Grundherren aus der großen Adelssippe der Topór. Im 19. Jahrhundert erwarb die Familie Lange das Gut. Zur Zeit Emil war Friedrich Lange (Güterverzeichnis 1859) Eigentümer des Gutes, dem sein Sohn Eduard Lange (1839-1895) nachfolgte. Um 1900 wurde das Gut in „Seehorst“ umbenannt.

Emil Hegemann besuchte von 1870 bis 1877 die Dorfschule, „darauf die Elementarschule zu Wreschen ein halbes Jahr, wo ich eine verheiratete Schwester hatte“, notierte er. Die Schwester Emilie Louise (1853-1878) war seit 1876 [ev. Kirche Dombrowo, pl. Dąbrowa, Heiratseintrag Nr. 10/1876] mit Otto Ferdinand Karth (*1849) verheiratet. Bereits kurz nach der Eheschließung starb sie und Emils Schwager heiratete kurz darauf [ev. Kirche Dombrowo, Heiratseintrag Nr. 10/1879] deren jüngere Schwester Ida Hegemann (*1855).

Nach dem Tod der Schwester wechselte Emil von Wreschen (Września) im Oktober 1877 an das Gymnasium in Inowrazlaw (Inowrocław, 1904 umbenannt in Hohensalza), wo er im Februar 1888 die Abiturprüfung ablegte.

In seinem späteren Wirkungsort Schwenten erzählte man sich, er habe Jura studieren wollen, um in den preußischen Staatsdienst zu gehen, sei aber damit gescheitert und habe sich dann zum Hilfsprediger ausbilden lassen. Er selbst schreibt „Schon von Jugend an hatte ich den Wunsch gehabt, dereinst Theologie zu studieren, namentlich beeinflußt durch den Religionsunterricht auf dem Gymnasium und den Konfirmandenunterricht des bereits verstorbenen Herrn Superintendenten Schoenfelde.“ Er meinte den aus Böhmen stammenden Pastor Adolf Schönfeld (1815-1884), der seit 1854 Pastor und Superintendent in Inowrazlaw gewesen ist.

Im April 88 ging ich zur Universität nach Greifswald und hörte… Vorlesungen über Exegese, Kirchengeschichte und Philosophie durch vier Semester.

Im April 1890 wechselte er für drei Semester an die Universität nach Breslau (Wrocław), wo er besonders Dogmatik und praktische Theologie studierte. „Die größte Anziehungskraft übte auf mich der Unterricht im Missionsseminar“. In diesem Arbeitsbereich, der Inneren Mission, nahm er später auch seine erste Tätigkeit auf.

Seine erste theologische Prüfung legte Emil Hegemann vom 29.3. bis 1.4.1892 in Posen ab. Daran schloß sich vom 25.4. bis 2.6.1892 ein pädagogischer Kurs im Schullehrerseminar in Koschmin (Koźmin) an, gefolgt von einem nur achtwöchigen Militärdienst in Inowrazlaw im Juni/Juli 1892. Er ging vermutlich als Offiziersanwärter ab.

Seit August 1892 arbeitete er als Hilfsprediger, Lehrer der Diakonissen und Hausvater der epileptischen Abteilung im Deutschen Samariten Ordens-Stift im schlesischen Kraschnitz (Krośnice, Kreis Militsch). Seine zweite theologische Prüfung legte Hegemann am 17.10.1893 in Posen und wurde am 1.7.1894 durch den Generalsuperintendenten Johannes Hesekiel (1835-1918) in Posen ordiniert.

Von Kraschnitz aus wurde Emil Hegemann in den Kreis Bomst, in die seit Anfang des Jahrhunderts bestehende Kirchengemeinde Schwenten (Świętno), versetzt. Der seit 32 Jahren hier tätige Pastor Edmund Langheinrich (1819-1896) bedurfte der Unterstützung.

Nachdem sich Hegemann als Hilfsprediger bewährt hatte, wurde ihm die Pfarrstelle Schwenten am 1.10.1894 übertragen, die er vierzig Jahre inne haben sollte.

Hier heiratete er und bekam mit seiner namentlich nicht genannten Frau zwei Töchter: Dr. med. Emilie Johanna Hegemann-Wandrey (1896-1977), die in der Weimarer Republik eine der ersten an der Charité ausgebildeten Ärztinnen wurde, und Marga Borho. Seine Frau soll früh gestorben sein.

Über seine frühen Jahre ist nichts Nennenswertes bekannt geworden. Zu seinem Pfarrbezirk gehörten einige Dörfer, die kurz vor 1800 in den Besitz der Oranier gekommen waren, die hier vor allem hessische Kolonisten ansiedelten. Die Dörfer im Norden und Osten waren polnisch-katholisch geprägt, im Süden lagen altansässige deutsch katholische Dörfer und im Westen hinter dem großen Forst befand sich die schlesische Grenze mit ebenfalls deutschen evangelischen Ortschaften.

In Schwenten boten sich nicht viele Möglichkeiten sich zu profilieren. Die große Zeit für Hegemann kam mit dem Ende des 1. Weltkriegs. Als Dorfgeistlicher gehörte Hegemann zu den Honoratioren im Dorf, zumal er sehr belesen war und sich auch schon dadurch von den übrigen Bewohnern unterschied. Er heiratete und bekam zwei Töchter.

Am 11.11.1918 endete der 1. Weltkrieg mit dem Waffenstillstandsvertrag mit den Entente-Mächten und in Deutschland brach die Revolution aus. Überall im Lande waren revolutionäre Umtriebe spürbar, das hatte seine Auswirkungen bis ins kleinste Dorf. In Hegemanns Augen war es nicht die Revolution, sondern der Bolschewismus, der von Deutschland Besitz ergriff. Er sorgte dafür, daß die „Bolschewisten“ hier keinen Erfolg haben würden und ließ sich selbst in einer tumultartigen Versammlung am 14.11.1918 in den Schwentener Arbeiter- Bauern- und Soldatenrat wählen. Mit ihm wurden sein späterer Mitstreiter Oberförster Karl Teske (*1864) als oberster Soldatenrat gewählt.

Der übergeordnete Soldatenrat in der Kreisstadt Wollstein (Wolsztyn) versuchte sie daraufhin abzusetzen. Als Ende Dezember 1918 der Großpolnische Aufstand in Posen ausbrach, griff er Anfang Januar auch auf Wollstein zu und die polnischen Insurgenten nahmen nicht nur Wollstein ein, sondern auch Schwentens Nachbarorte Obra (Nordwesten), Kiebel (Nordosten) bis nach Mauche (Südosten). Damit war die Gefahr groß, daß auch Schwenten und seine Nachbarorte eingenommen werden konnten.

Hegemann suchte vergeblich Hilfe im Generalkommando in Glogau. Auf dem Heimweg kam ihm die Idee, Schwenten zu einem neutralen Staat zu machen, berichtete er in seinen Erinnerungen. Er berief sich dabei auf die 14 Punkte des US-Präsidenten W. Wilson und „das Volk von Schwenten“ rief unter seiner Führung am 5.1.1919 in der Dorfversammlung im Gasthaus Wolff einen Freistaat aus.

Präsident und Außenminister wurde Pastor Emil Hegemann, der Gemeindevorsteher Heinrich Drescher (*1870) Innenminister und der Oberförster Karl Teske, Hauptmann d. R., Kriegsminister. Sofort wurde eine Miliz aufgestellt, die Schwenten vor Übergriffen bewahre sollte. Am folgenden Tag begaben sich Delegationen in die polnischen Nachbardörfer Kiebel und Obra, um Nichtangriffspakte mit den örtlichen polnischen Kommandanten auszuhandeln. Und erstaunlicherweise hat es funktioniert. Auf diese Weise gelang es Hegemann die Zeit zu überbrücken, bis der deutsche Grenzschutz sich aufgebaut hatte und im benachbarten schlesischen Dorf Kolzig (Kolsko) etablierte.

Der Mitte Februar 1919 erfolgte Gegenschlag bei Bomst und Unruhstadt ließ natürlich Schwenten vollkommen außen vor – dazu waren die tief im Wald liegenden Dörfer des Kirchspiels, Schwenten, Ruden und Kreutz, zu unbedeutend.

Als sich die Lage verfestigt hatte und der Versailler Friedensvertrag bereits bekannt geworden war, gaben die Schwentener am 10.8.1919 ihre Neutralität und damit ihre Freistaatlichkeit auf.

Am 9.6.1920 traf die Entente-Grenzkommission in Schwenten ein, um den exakten Grenzverlauf festzulegen, und bestimmte, daß das gesamte Kirchspiel bei Deutschland bleiben konnte.

Der „Husarenstreich der Weltgeschichte“ wie ein Propagandist diese Episode 1940 nannte, hatte noch ein langes Nachspiel. Hegemann war – wie viele seiner Generation – kaisertreu und konnte mir der Weimarer Republik wenig anfangen, zumal er den Frieden von Versailles ebenfalls als einen Schandfrieden empfand.

Ende der 20er Jahre entdeckte man offenbar in Berlin den „Freistaat Schwenten“ als sehr nützlichen Fall für die nationalsozialistische Propaganda, was dazu führte, daß Hegemann sich stets ins beste Licht setzte und über die Ereignisse von 1919 berichtete.

Der älteste Hinweis auf eine Berichterstattung über den Freistaat als Heldenstaat in der regionalen Presse stammt vom 12.1.1929: „218 Tage Freistaat Schwenten“ (nachgedruckt im Heimatgruß der Meseritzer, Nr. 95, S. 7 ff.). Mit der „Machtergreifung der Nationalsozialisten“ begann die große Heldenverehrung. Viele politische Größen besuchten Schwenten und ihren „PG Hegemann“: 15.3.1934 Besuch des Oberpräsidenten der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen, Wilhelm Kube (1887-1943) – mit 1.500 Besuchern in dem 725 Einwohner zählenden Dorf. Ihm folgten weitere NS-Größen: 24.5.1934 Reichsinnenminister Dr. Wilhelm Frick (1877-1946), Reichsarbeitsminister Dr. Robert Ley (1890-1945) und Reichsschulungsleiters Alfred Rosenberg (1893-1946) am 7.10.1937.

Letzterer Besuch endete in einem Desaster, denn die beiden Männer konnte es überhaupt nicht miteinander – denn Hegemann war Pastor, Christ und kein Rassist und Ideologe.

Seit jener Zeit, vor allem mit Beginn des 2. Weltkriegs endeten die großen Pilgermärsche von Hitlerjungen und BdM-Mädchen samt Lehrern und anderen Verehrern nach Schwenten.

Auch um Hegemann wurde es nun ruhiger. Er war bereits am 31.3.1934 in den Ruhestand getreten, spielte aber weiterhin im Dorf eine führende Rolle, zumal seine Nachfolger Alkoholprobleme hatten, bzw. zu jung waren, um sich gegen den machtbewußten „Platzhirsch“ durchsetzen zu können.

Im Januar 1945 endete Hegemanns Zeit in Schwenten. Auch er mußte vor der Roten Armee gen Westen fliehen. Inzwischen 80 Jahre alt, mußte er mit der Familie seiner Tochter, Dr. med. Emilie Johanna Hegemann-Wandrey (1896-1977), die in Schwenten als Landärztin arbeitete, fliehen. Sie fanden in Biere, Kreis Schönebeck, südlich von Magdeburg, Aufnahme. Hier starb Emil Hegemann am 23.11.1946 in Biere (Kr. Schönebeck), südlich von Magdeburg, an einer Lungenentzündung.

Lit.: Vermerkt im: Atlas zur Universalgeschichte von List/Oldenburg, Paul List Verlag, München 1979. – Personalakte im Staatsarchiv Breslau. – Gustav Fimmel, Schwenten und seine Geschichte, Jahrbuch Weichsel-Warthe 1990, S. 92-95. – Paul Geisler, Aus der Geschichte der Republik Schwenten, in: Heimatkalender für den Kreis Bomst, Jg. 1940, Hauptlehrer in Schwenten. – Emil Hegemann, Der Freistaat Schwenten, oder Deutsche Not und Treue in der Grenzmark Posen, Prenzlau 1938. – Emilie Johanna Hegemann-Wandrey, Lieb Vaterland magst ruhig sein! Ein beherztes Schelmenspiel in deutscher Notzeit, Schwenten, 1933, 34 S. – Martin Sprungala, Der Großpolnische Aufstand im südlichen Kreis Bomst aus „katholischer Sicht“, in: Beiträge zur ostdeutschen Kirchengeschichte (BOKG), Folge 6, Münster 2004, S. 152-161. – Ders., Der „Freistaat Schwenten“, Wahrheit oder Propaganda, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe 2009, S. 150-159. – Werner Steinberg, Husarenstreich der Weltgeschichte. Leipzig 1940 (Roman über den Freistaat Schwenten).

Bild: Autor.

Martin Sprungala