Im Anschluss an die Grundschul- und Gymnasialausbildung studierte der Sohn eines Gymnasiallehrers seit 1876 an den Universitäten Göttingen, Leipzig, Berlin und Straßburg klassische und germanische Philologie. Maßgebenden Einfluss hatte auf ihn der seit 1858 in Berlin wirkende Germanist Karl Müllenhoff (1818-1884), zumal dessen auch heute noch gültigeDeutsche Altertumskunde (5. Bde., 1870-1900), durch die er Neues insofern schuf, als er die germanische Sprachgeschichte mit den ergrabenen Funden bzw. mit der Archäologie verband. Angeregt für die Vorgeschichte wurde Kossinna durch den gebürtigen Breslauer Otto Tischler (1843-1891), seit 1869 Bibliothekar der Physikalisch-ökonomischen Gesellschaft in Königsberg (Ostpr.), der als Privatgelehrter zahlreiche Ausgrabungen in Ostpreußen durchführte,„aus denen er eine Gliederung der vorrömischen Eisenzeit sowie eine Chronologie der römischen Kaiserzeit induzierte.“ Zunächst jedoch sollte Kossinnas Laufbahn einen anderen Weg als den des Siedlungsarchäologen nehmen. Nachdem er 1881 in Straßburg promoviert worden war, schlug er die Bibliothekslaufbahn ein. 1887 wurde er Kustos an der Universitätsbibliothek Bonn, 1892 an der Kgl. Bibliothek zu Berlin. 1902 erhielt er einen an die Germanistik angeschlossenen außerordentlichen Lehrstuhl an der Berliner Universität, 1909 gründete er die „Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte“. Kossinnas Bedeutung basiert nicht zuletzt auf der Gründung der ZeitschriftMannus (1909), deren Herausgeber er wurde, sowie der Mannus-Bibliothek (1910). In ihr erschienen bis 1945 insgesamt 73 Bände zur Vorgeschichte. Bedeutung erlangte er darüber hinaus als Bearbeiter zahlreicher Einzelfunde in Museen und bei Privatleuten in den nord- und mitteldeutschen Räumen. Aufgrund der durch ihn entwickelten siedlungsgeschichtlichen Methode „zur Umschreibung stammesgeschichtlicher Kulturkreise“ erfuhr die europäische Vorgeschichtsforschung wesentliche Impulse.
Zu Kossinnas Schülern von Rang gehörten Ernst Wahle, Martin Jahn, Ernst Sprockhoff, Walter Matthes, Herbert Kühn, dieSpanier Bosch-Gimpera und Castillo Juritta sowie der Pole Kostrzewski. Wiewohl Kossinnas siedlungsgeschichtliche Methode einer stammesgeschichtlichen Kulturkreislehre als bahnbrechend gilt und bedeutenden Einfluss auf die Vorgeschichtsforschung des In- und Auslandes hatte, so bleibt doch festzustellen, dass „sein geistiger Umkreis … nicht weit überschauend(war); sein nationaler Fanatismus(setzte)ihm feste Grenzen“ (H. Kühn).
Werke:Die Herkunft der Germanen (1911). – Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft (1912; 8. Aufl. 1941). – Die Indogermanen (1921). – Ursprung und Verbreitung der Germanen in vor- und frühgeschichtlicher Zeit (1926; 2. Aufl. 1934). – Germanische Kultur im 1. Jahrtausend n.Chr. (1932).
Lit.:Martin Jahn, in: Nachrichtenblatt für deutsche Vorzeit 7,12 (Nachruf, 1931). – Rudolf Stampfuss, Gustav Kossinna (1935). – Herbert Kühn, Geschichte der Vorgeschichtsforschung (1976), S. 337-341 u.ö.