Biographie

La Trobe, Johann Friedrich de

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Komponist
* 30. Mai 1769 in Chelsea/England
† 19. Dezember 1845 in Dorpat/Estland

Johann Friedrich de La Trobe stammte väterlicherseits aus einem gräflichen provencalischen Geschlecht. Nach dem Tod des Vaters, der Superintendent der herrnhutischen Gemeinen in England gewesen war, kam er 1782 zur weiteren Erziehung zu den Herrnhutern nach Niesky und Barby. Dort erhielt er auch eine gründliche musikalische Ausbildung, so bei Johann Gambold, dem er seine erste gedruckte Komposition,Zwölf Variationen für Klavier (Breitkopf Leipzig 1793) widmete. Angemerkt sei, daß sein Bruder Christian Ignatius, der Londoner Freund Haydns, der auch komponiert hat, ebenfalls in Niesky zur Schule ging und dort auch einige Zeit Lehrer war. Infolge eines Konflikts verließ Johann Friedrich die Herrnhuter und studierte in Jena Medizin. Dort freundete er sich mit Novalis an, und so war er wiederholt Gast bei den Hardenbergs in Weißenfels. In näheren Umgang kam er mit mehreren deutschbaltischen Studenten, genannt seien die Mediziner Ludwig Reinhold von Stegemann und Gabriel Schleusner, der als Publizist bekannt gewordene Ludwig Lindner, der Historiker August Chr. Lehrberg sowie die Brüder Poelchau, Georg, der als Musikaliensammler in die Musikgeschichte eingegangen ist, und August, welcher sich 1792 erschoß. Auf dessen Tod verfaßte La Trobe eine 4stimmige Trauerkantate. Bei Musizierabenden im Hause des Jenaer Justizrates Gottlieb Hufeland lernte er Goethe kennen. Goethe fand Gefallen an dem jungen La Trobe und lud ihn nach Weimar ein, wo sich dann auch ein gemeinsamer Theaterbesuch ergab.

Nach dem hervorragend absolvierten Examen 1793 mußte sich La Trobe nach einer Stelle umsehen. Freund Lehrberg vermittelte ihm eine Hauslehrerstelle auf Heimthal in Livland. Auf dem Weg dorthin machte er im Herbst 1793 in Berlin die Bekanntschaft von Karl Friedrich Fasch und schloß Freundschaft mit Karl Friedrich Zelter. Auch hielt er sich in Riga auf, wo er sich mit dem Maler-Dichter Karl Gotthard Graß anfreundete, in dessen Kreis er eingeführt wurde; genannt seien der Dichter Samuel Andreae, der Publizist Garlieb Merkel, der spätere russische Leibarzt Dr. Beck und der spätere Dorpater Professor Johann Wilhelm Krause. Von Heimthal kehrte er im Winter 1794 zur Promotion, abermals über Berlin, nach Jena zurück. In Berlin wohnte er bei Zelter; er machte die Bekanntschaft von Johann Friedrich Reichardt und von Rahel Levin, die von La Trobe schwärmerisch berichtete. Bei Musizierabenden im Hufelandschen Hause traf er wieder Goethe. Er trug dort Zeltersche Kompositionen vor, die Goethes Aufmerksamkeit erregten, und so wurde La Trobe zum Vermittler der Freundschaft zwischen Goethe und Zelter. Ende 1795 kehrte er nach Livland zurück, eine Niederlassung als Arzt konnte er jedoch wegen der im russischen Reich geltenden Bestimmungen nicht erhalten.

So übernahm La Trobe eine Hauslehrerstelle in Neu-Oberphalen bei der Familie Karl Magnus von Lilienfeld. Hier war die Musik in besonderem Maße heimisch; Frau Hedwig Charlotte geb. von Krüdener hatte in Dresden Gesang studiert und auch die Kinder entwickelten musikalisches Talent, so daß jene Jahre bis 1807 eine fruchtbare Zeit kompositorischen Schaffens wurde. Es entstanden in größerer Zahl Lieder, Klavier- und Kammermusik. 1807 war La Trobe Offizier der Landmiliz in Livland. Er pachtete im selben Jahr ein Gut, was mit der Übernahme der Ämter eines Kirchenvorstehers und eines Kirchspielrichters verbunden war. In diesen Jahren entstanden mehrere Chorwerke, die zum Teil auch eine Drucklegung erfuhren, wie Sei Canzoni per 3 e 4 voci con pianoforte, die bei Dittmar in St. Petersburg erschienen. 1820 heiratete er die 20jährige Alwine von Stackelberg, die Tochter seiner langjährigen Freundin Sophie: "So bin ich ein unaussprechlich glücklicher Mensch geworden, und will sehen, es zu bleiben". Vier Kinder entsprossen der Ehe. Gab es auch wirtschaftliche Sorgen, so stand La Trobe doch auf der Höhe seines Lebensglücks, das sich auch in seinem kompositorischen Schaffen äußerte. Vorwiegend Lieder nach zeitgenössischen Dichtern spiegelten die Poesie dieser Jahre wieder. Künstlerisch anregend wurde ihm die nähere Bekanntschaft mit dem Maler Timoleon von Neff und mit dem Dichter-Komponisten August Heinrich von Weyrauch.

Aus geschäftlichen Verwicklungen entstanden Mißverhältnisse, die La Trobe zwangen, 1829 die Gutspacht aufzugeben. Er ließ sich in Dorpat nieder und fand endlich einen Beruf in seiner eigentlichen Berufung, in der Musik. Er gab Unterricht, vor allem an der Mädchenschule. Dort gründete er einen Chor, für welchen er mehrere Frauenchöre komponierte. 1834 führte La Trobe in der Dorpater Johanniskirche das Alexanderfest von Händel auf. Das Konzert mit 180 Mitwirkenden wurde "ein in seiner Großartigkeit einzigartiges Unternehmen in Livland" genannt. Er gründete nach dem Vorbild Zelters einen Singeverein, der vor allem alte Meister wie Durante, Zelenka und Bach einstudierte. La Trobe war auch Musikaliensammler; aus seinem Nachlaß kam eine Anzahl damals unbekannter Werke Wilhelm Friedemann Bachs an die Königliche Bibliothek nach Berlin.

La Trobe hat annähernd 200 Werke geschaffen, die noch weitgehend vorhanden sind; in Familienbesitz, aber auch in mehreren Bibliotheken sind sie nachzuweisen. Einflüsse der Zweiten Berliner Liederschule, Wesensmerkmale der Vorklassik und der Wiener Klassik finden sich in seinem Schaffen, das sich nach 1800 zur Frühromantik hin entwickelte. Hinsichtlich der Gattungen hat sich La Trobe wesentlich an den ihm zugänglichen Aufführungsmöglichkeiten orientiert. So überwiegt zunächst die Klaviermusik – bis 1807 in Heimthal Kammermusik und für die Dame des Hauses Klavierlieder sowie Lieder mit Instrumenten – ; danach entstanden mehr geistliche Werke wie Kantaten, nach seiner Verheiratung Lieder und in Dorpat Chorwerke. La Trobe gab vier HefteDeutsche Lieder heraus, welche mit Weyrauchs Deutschen Liedern in Zusammenhang stehen. Von seinen Chorwerken seien besonders das AgnusDei und das Stabat mater(1829/30) genannt, die von Mendelssohn herausgegeben wurden und das Lob Rossinis fanden. In diesen späteren mehrstimmigen geistlichen Chorwerken hat sich La Trobes Beschäftigung mit alten Meistern ausgewirkt, und man erkennt die Heranbildung eines Stils, der dem "Nazarenischen" in der bildenden Kunst entspricht. Einige kammermusikalische Werke erschienen in St. Petersburg, Lieder in Dorpat, mehrere finden sich in deutschbaltischen Liedersammlungen. Eigenartigerweise nennt das umfassende englische MusiklexikonGrove’s Dictionary of Music La Trobe nicht, nur den Bruder Christian Ignatius, und Riemanns Musik Lexikon, das beide bringt, auch im Nachtragsband, läßt unerwähnt, daß die beiden Brüder waren. Es sei hier noch der dritte, "unmusikalische" Bruder Benjamin Henry († 1820) genannt, der sich als Architekt und Bauingenieur in den Vereinigten Staaten einen Namen machte.

Werke: Klavier-Variationen (Breitkopf Lpz. 1795). – Violin-Sonate (ebda 1795). – Trois Divertimentos (Dittmar St. Petersburg). – Sei Canzone per 3 e 4 voci con Pianoforte (Päz St. Petersburg 1812). – Agnus Dei u. Stabat Mater f. 6stimmigen Chor (Breitkopf Lpz.). – 4 Sammlungen Deutsche Lieder (Dorpat bzw. Mitau 1826-1846). – Als Manuskripte im Nachlaß geistliche u. weltliche Chormusik, teilw. mit Orchester, Lieder, Klavier- u. Kammermusik u.a.

Lit.: Ernst Ludwig Gerber: Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler usw., Leipzig 1812-14. – Riemann Musik Lexikon. – (Woldemar v. Bock): La Trobe, ein baltischer Musiker, in: Baltische Monatsschrift H. 9 u. 10, Riga 1904. – H. Scheunchen: Die Musikgeschichte der Deutschen in den baltischen Landen, Dülmen 1990 S. 151 f. – ders. in: Lexikon deutschbaltischer Komponisten (in Vorb., hrsg. H. Scheunchen). – ders.: Niesky, in: Ostdeutsches Musiklexikon, Teil I: Schlesien (in Vorb., hrsg. L. Hoffmann-Erbrecht). – Deutschbaltisches biographisches Lexikon 1710-1960, hrsg. Wilhelm Lenz u. a. Köln, Wien 1970.

Bild: Johann Friedrich de La Trobe und Tochter Sophie, nach Timoleon von Neff; Privatbesitz.

 

Helmut Scheunchen