Schauspieler bei Marcel Ophüls, protegiert von Gustaf Gründgens und Joseph Goebbels, war Wolfgang Liebeneiner einer der wichtigsten Filmschaffenden im nationalsozialistischen Deutschland und einer der meistbeschäftigten Regisseure im Nachkriegsdeutschland.
Als Sohn eines Offiziers und Leinenfabrikanten und Nachfahre protestantischer Emigranten aus Salzburg wurde Wolfgang Liebeneiner in Liebau geboren. Er besuchte ein Realgymnasium in Berlin und die Kadettenanstalt Wahlstatt, um danach von 1924 bis 1927 in Innsbruck, Berlin und München Philosophie, Germanistik und Geschichte zu studieren. Beim Spiel einer Laientheatergruppe von Studenten der Münchener Universität fiel er Heinrich Fischer, dem Chefdramaturgen Otto Falckenbergs auf. Sein Vorsprechen bei Falckenberg, dem damaligen Direktor der Münchener Kammerspiele, war so erfolgreich, daß er von diesem vom Fleck weg als jugendlicher Charakterdarsteller für sein Haus engagiert wurde.
Liebeneiner gab sein Studium auf und debütierte vier Wochen später (1928) als Melchior in Wedekinds „Frühlings Erwachen“. 1930 ging er von München nach Berlin. 1932, aus Anlass des 70. Geburtstags Gerhart Hauptmanns, stand er in dessen Stück „Michael Kramer“ auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters. Der berühmte Kritiker Alfred Kerr erwähnte ihn als aufsteigenden Schauspieler in seiner Kritik.
Auch als Filmschauspieler machte Liebeneiner Karriere, u. a. in Max Ophüls Schnitzlerverfilmung „Liebelei“(1933), in der er den Leutnant Fritz spielte – nach diesem Film emigrierte Ophüls, der Jude war, wie so viele seiner Glaubensgenossen, denn im Deutschland Hitlers waren sie unerwünscht. Das erzwungene Weggehen so vieler guter Künstler stellte einen großen Verlust an Kreativität für die Kultur in Deutschland dar, aber durch die Flucht war ihnen wenigstens möglich, ihr Leben vor dem NS-Terror zu retten. In „Liebelei“ war Gustaf Gründgens Liebeneiners Rollenspartner gewesen. Gründgens holte ihn als Schauspieler und Regisseur ans Staatstheater.
Mehr und mehr wurde die Regie Liebeneiners eigentliches Metier. Neben Aufgaben als Darsteller, z. B. als junger Frederic Chopin in Geza von Bolvarys „Abschiedswalzer“ (1934) und Regisseur u. a. mit Heinz Rühmann in „Der Mustergatte“ (1937), wurde Liebeneiner auch zunehmend für Aufgaben als Funktionär in der Filmproduktion von Propagandaminister Joseph Goebbels ausersehen. Der schrieb am 11. Juni 1938 in sein Tagebuch: „Ich setze Liebeneiner als Leiter der künstlerischen Fakultät der Filmakademie ein. Er ist jung, modern, strebsam und fanatisch. Solche Leute suche ich.“ Was den Propagandachef der Nationalsozialisten an Liebeneiner reizte, ist bis heute nicht klar. Sicher ist jedenfalls, daß er ihm zunehmend wichtige Aufgaben in der Produktion, seit 1937 im Aufsichtsrat der Terra-Filmgesellschaft, 1939 Leiter der Fachschaft Film in der Reichsfilmkammer, übertrug.
Liebeneiner war gleichwohl nie in der Partei, wurde und wird von ehemaligen Kollegen wegen seiner kultivierten Art sehr geschätzt. Man darf bei Bewertung der Rolle der Künstler im Dritten Reich ja auch nie den Druck vergessen unter dem sie durch die braunen Machthaber standen. Gerade die Karriere Liebeneiners zeigt, wie stark die Kontrolle war, der er sich ausgesetzt sah. Goebbels selbst übte sie gegenüber ihm und seinen Regiekollegen aus, sei es in scheinbar unverfänglichen Gesprächen über filmische Projekte und deren künstlerische Umsetzung, sei es durch mehr oder weniger unverblümte politische Vorgaben. 1941 führte Goebbels mit Liebeneiner solche Gespräche über einen ausgesprochen politischen Film, der sich um die Euthanasie handeln und eindeutig die NS-Ideologie zum Ausdruck bringen sollte. Der Film hieß „Ich klage an“ und kam 1941 in die deutschen Lichtspieltheater. Dieser Film bereitete Liebeneiner nach dem Krieg erhebliche Schwierigkeiten, da er als „Beihilfefilm zur Mordaktion“ (Dietrich Kuhlbrodt) gewertet wurde. Er wird in der Tat als „nicht ungeschicktes Werk reiner Propaganda für Euthanasie“ von der heutigen Filmkritik beurteilt (Film-Dienst). – Liebeneiner selber hat, von diesen Urteilen scheinbar unberührt, seine Arbeit in dieser Zeit als von „vollkommen sachlicher Natur und völlig unpolitisch“ eingeschätzt.
Neben seiner Arbeit als Regisseur war er 1944 am Deutschen Theater Berlin, an der Volksbühne Berlin und am Preußischen Staatstheater Berlin als Bühnenregisseur tätig. 1942 wurde er zum Staatsschauspieler ernannt, 1943 erhielt er den Professorentitel.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Liebeneiner von den Alliierten mit einem kurzen Arbeitsverbot belegt, fand aber bald wieder Anschluß an seine frühere Karriere.
Wolfgang Borcherts Antikriegsstück „Draußen vor der Tür“ hob er als Regisseur, zwei Tage nach dem Tod des Autors, an den Hamburger Kammerspielen aus der Taufe. Die Aufführung war ein überwältigender Erfolg. Das Bühnenstück verfilmte er 1949 unter dem Titel „Liebe 47“ und durfte sich dafür über eine Auszeichnung bei der Biennale in Locarno freuen.
Als Theatermann war Liebeneiner ab 1954 vorwiegend in Wien beschäftigt, wo er am Theater an der Josefstadt und ab 1965 auch am Burgtheater inszenierte. Auch seine Filmkarriere ging erfolgreich weiter. Meist war er der Regisseur von gehobenen Unterhaltungsfilmen, in denen er manchmal selbst noch kleinere Rollen übernahm.
Die „Trapp-Familie“ (1956) war sein größter, auch kommerzieller Erfolg als Regisseur. Er erzählt von einer österreichischen Familie, die durch die politischen Umstände in der Nazizeit gezwungen wird zu emigrieren und dank der musikalischen Begabung große Erfolge als Familienensemble in den USA feiern kann.
Auch in dem neuen Medium Fernsehen reüssierte Liebeneiner, vornehmlich in Produktionen des ZDF. Nachdem er 1962 an der Wiener Volksoper mit der Neuinszenierung der Operette „Der Mikado“ (Sullivan) erstmals Regie im Musiktheater führte, brachte er diese Erfahrungen auch bei der Fernseh-Produktion von Nedbals „Polenblut“ (1966) ein. Später führte er noch bei mehreren Operetten Regie und war hierin, wie auch beim Drehen von Serien, eine Art Pionier im neuen Medium (u. a. „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ (1971) und „Spannagl & Sohn“ (1975).
Wolfgang Liebeneiner war mit den Schauspielerinnen Ruth Hellberg und Hilde Krahl verheiratet. Seine Tochter Johanna Liebeneiner, aus der Ehe mit Hilde Krahl, wurde ebenfalls Schauspielerin. Liebeneiner starb am 28. November 1987 im Alter von 82 Jahren in Wien.
1983 hatte sich Liebeneiner aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seine letzte Arbeit war die Mitarbeit an dem Fernsehporträt „Dein Vater kann dir die Welt nicht erklären in einer Stunde“ – ein aufschlußreiches Gespräch mit seiner Tochter Johanna, die „trotz seiner vielen Worte das Verhalten ihres Vaters in schwierigen Zeiten nicht verstehen kann“ (Michael Hanisch).
Das letzte Wort zum „Künstlerleben mit Flecken“ (J. Kaiser) soll seine Intendantin an den Hamburger Kammerspielen, Ida Ehre haben, die obwohl Jüdin, die Nazizeit durch einen besonderen Rechtsstatus überlebt hatte. Über Liebeneiner und seine Frau, Hilde Krahl, schreibt sie in ihren Erinnerungen: „Ich habe nie das Gefühl gehabt, daß die beiden während der Nazizeit etwas getan haben könnten, was man ihnen hätte vorwerfen können“ (Ehre, S. 151). Ihr waren die Anschuldigungen gegenüber Liebeneiner durchaus bekannt, doch gegen die Vorstellungen von ihm als Günstling Goebbels setzte sie das Wissen um die Künstler, welche die „braune Zeit“ nur dank Liebeneiners schützender Hand überlebt hatten.
Lit.:Ida Ehre, Gott hat einen größeren Kopf, mein Kind, München/Hamburg 1985. – Geschichte des deutschen Films, in Zusammenarbeit mit der Stiftung deutsche Kinemathek Berlin, hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes und Hans Helmut Prinzler, Stuttgart 1993. – Hans Sarkowicz (Hrsg.), Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus, Frankfurt/M. und Leipzig 2004. – Film-Dienst (Bonn), 29. September 2005. Zum 100. Geburtstag des Regisseurs Wolfgang Liebeneiner „Leben mit Ambivalenzen“ – Porträt von Michael Hanisch.
Matthias Otten