Biographie

Pyrker, Johann Baptist Ladislaus von Felsö-Eör

Herkunft: Ungarn
Beruf: Dichter, Erzbischof von Erlau
* 2. November 1772 in Nagylang/Ungarn
† 2. Dezember 1847 in Wien

Pyrkers Lebensdaten markieren eine erstaunliche Karriere: Sohn eines deutschstämmigen Gutsverwalters bei einem ungarischen Grafen, wird Pircher respektive Pyrker, wie er sich später madjarisierend nennt, nach ungeliebter Beamtentätigkeit, einer ernstlich erwogenen militärischen Laufbahn und einem entbehrungsreichen Wander-Intermezzo, das ihn bis nach Neapel führt, 1792 Zisterziensermönch im niederösterreichischen Stift Lilienfeld, erhält 1796 die Priesterweihe und bekleidet seit 1812 die Abtwürde dieses Stiftes. Sieben Jahre später ist er bereits Bischof von Zips, nach weiteren zwei Jahren finden wir ihn als Patriarchen von Venedig, und seit 1827 wirkt er als Erzbischof von Erlau im heimatlichen Ungarn. Fünfundsiebzigjährig stirbt Pyrker während einer Reise in Wien. Seine letzte Ruhestätte erhält der Wanderer zwischen den Weiten der ungarischen Tiefebene und des adriatischen Meeres auf eigenen Wunsch in seinem geliebten Lilienfeld am Fuße der Alpen.

Noch zwei Jahre vor seinem Tode hatte er dem Gebirge inLiedern der Sehnsucht nach den Alpen gehuldigt; aber wenn diesen seit Albrecht von Haller und Rousseau gepriesenen Berghöhen etwas den Ehrenplatz in seiner Seele streitig machten konnte, so war es das Meer. Eine Meerfahrt schildert Carls des V. Heeresfahrt gegen Tunis, die Pyrker 1816 als Probe seines Epos Tunisias (1820) drucken ließ. Uneinholbar aber blieb der allererste Eindruck des Meeres, den Pyrker 1792 in Triest empfing: ”Es ist unbeschreiblich, welchen Eindruck von der Höhe hinter Opicina der Anblick des unendlichen Meeres, das eben im Glanz der untergehenden Sonne flammte, auf mich machte: […] in Triest vor dem Gasthofe angelangt lief ich sogleich die Straße hinab zu dem Meeresufer, stand dort unbeweglich bis in die sinkende Nacht und staunte […] einzig und allein das ruhelose, bläuliche Wasser an, das endlos vor mir lag! Dieser Anblick, glaube ich, ist das Höchste, was die Natur dem Menschen bieten kann!” Fünfundsechzig Jahre später begeistert sich Adalbert Stifter angesichts des TriesterMare Austriacum fast gleichlautend: ”Ich kann Ihnen” – angesprochen ist der Pesther Verlegerfreund Heckenast – ”mit Worten nicht beschreiben, wie groß die Empfindung war, welche ich hatte. Alle Dinge, welche ich bisher von der Erde gesehen hatte, […] versinken zu Kleinlichkeiten gegen die Erhabenheit des Meeres. […] Zwei Stunden des frühen Morgens am 20. Juni blieb ich auf einem Hügel bei Opschina sitzen, und ich sah nur das tief unter meinen Füßen liegende Meer. Wie groß ist Gott, wie herrlich ist seine Welt!”

Zwei große Österreicher, ein den Zisterziensern zuwandernder und ein benediktinisch geprägter, begegnen sich im Zeichen Homers. Stifter führt ihn wörtlich an: ”das ‚ewige Meer‘ (wie Homer sagt)”, Pyrker gedenkt homerisch ”des unendlichen Meeres”, und er wird dem Ur-Epiker mit der Tunisias, mit dem HeldengedichtRudolph von Habsburg (1825) sowie mit der AbhandlungHomer und Virgil (1837) seinen Tribut entrichten.

Diese Epen haben freilich den Niedergang der damals noch hochangesehenen Gattung nicht überlebt. Wohl aber bleibt Pyrkers Autobiographie lesenswert, der wir neben seinem stifternahen Triest-Erlebnis auch die biedermeierlich rührende Miniatur einer keuschen Jugendliebe verdanken: ”Ein Mädchen liebte ich auch schon in meinem 15-ten Jahre, das etwa um ein Jahr jünger war als ich – ein zartes, holdes Wesen; doch sie ahnte es nicht, was in mir vorging, denn ich konnte stundenlang mit ihr auf einer Bank vor ihrem Hause in den Abendstunden sitzen, ohne ihr meine Empfindungen für sie gestehen zu können. Ich glaube in diesen wenigen Worten sei eine ganze Geschichte enthalten! In der Folge hörte ich, sie sei in ihrer Ehe sehr unglücklich geworden.” Etwas von seinen Gefühlen muß das liebe Kind aber doch geahnt haben; denn auf einer im Jahre 1817 unternommenen Badereise, die den als Abt eines bedeutenden Stiftes und auch als Dichter mittlerweile berühmten Mann – schon 1810 hatte er Historische Schauspiele publiziert – in Maria Zell Station machen ließ, empfing er einen Brief, den seine frühe Freundin für ihn zurückgelassen hatte. Eine Begegnung der beiden kam nicht zustande. ”Aber”, so versucht er sich zu trösten, ”vielleicht besser, daß wir uns nicht sahen?” Vielleicht hatte sie ”einen Zug, den ich aus ihrem Gesicht weg wünschte – vielleicht ist einer in den meinigen, der ihr mißfiel. Dennoch ward mein Gemüt düster am Wege”. Ihren Namen nennt er nicht; aber kein Leser seiner Lebensbeschreibung und seiner Gasteiner Aufzeichnungen von 1817 wird sie vergessen.

Erst im Jahre 1966 ist Pyrkers AutobiographieMein Leben im Druck erschienen. Der Verfasser hatte sie ursprünglich für den Cotta-Verlag vorgesehen, als Ergänzung seiner dort verlegten Werkausgabe. Doch Cotta hielt das Manuskript zurück; das Sturmjahr 1848 war den Musen nicht günstig, und Pyrkers Ruhm verblaßte schnell. Die verdienstvolle Erstveröffentlichung im Rahmen der exklusivenFontes rerum Austriacarum konnte einer weiten Verbreitung dieses Werkes auch nicht gerade förderlich sein. So bleibt es einstweilen eine Trouvaille für die happy few – wie so vieles wahrhaft Wertvolle gerade an altösterreichischem Schrifttum.

Werke: Sämtliche Werke. 3 Bände. Stuttgart: Cotta 1832-34, mehrfach neu aufgelegt. – Mein Leben. Hrsg. von Aladar Paul Czigler. Wien: Böhlau 1966 (= Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Historische Kommission. Schriften des DDr. Franz Josef Mayer-Gunthof-Fonds Nr. 3. Fontes rerum Austriacarum. Österreichische Geschichtsquellen. I. Abteilung: Scriptores. 10. Band). Sämtliche Pyrker-Zitate sind dieser Publikation entnommen.

Lit.: Alexander Läuchli: Der Dichter Johann Ladislaus Pyrker (1772-1847). Dissertation. Zürich 1994.

Bild: Holzschnitt der Xylographischen Anstalt von C. Laufer. In: Heinrich Kurz: Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 3. Leipzig: Teubner 1859, S. 350.