Biographie

Reitsch, Hanna

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Flugkapitänin, Testpilotin
* 29. März 1912 in Hirschberg/Schlesien
† 24. August 1979 in Frankfurt/Main

Nach dem Besuch des Realgymnasiums in Hirschberg und dem Abschluss mit dem Abitur im Jahre 1931 ging Hanna Reitsch bis 1932 an die Koloniale Frauenfachschule nach Rendsburg. Diese Ausbildung und das noch im gleichen Jahre begonnene Medizinstudium in Berlin sowie die inzwischen erworbenen Segelflug- und Motorflugscheine waren für sie die Voraussetzung, um einmal als fliegende Missionsärztin nach Afrika gehen zu können.

Durch ihre fliegerischen Erfolge im Segelflug – sie hatte bereits während ihrer Ausbildung auf der Segelflugschule in Gru­nau durch einen Fünfstundenflug einen Weltrekord erflogen – kam es 1934 zur Teilnahme an einer Segelflug-Forschungs­expedition in Südamerika. Ebenfalls wurde Hanna Reitsch an die Deutsche Forschungsanstalt für Segelflug in Darmstadt durch Prof. Georgii berufen, wo sie als Testpilotin tätig war. Es erfolgten von dort aus weitere Expeditionen nach Finnland, Portugal, Ungarn, USA, Libyen und Jugoslawien. Das Medizinstudium hatte sie aufgegeben.

Im Jahre 1937 gelang Hanna Reitsch als erster Frau die Alpenüberquerung mit dem Segelflugzeug und im gleichen Jahr wurde sie als erste Frau der Welt zum Flugkapitän ernannt und flog wiederum als erste Frau einen Hubschrauber. Mit diesem führte sie im Jahr darauf den ersten Hallenflug in der Deutschlandhalle in Berlin aus. Nicht anders verhielt es sich 1942 beim Fliegen mit einem Raketenflugzeug und 1944 mit einem Flugzeug mit Staustrahlantrieb.

Während des Krieges war sie Testpilotin an der Militär-Erpro­bungsstelle in Rechlin und führte u.a.Testflüge mit dem Raketenflugzeug Me 163 und der V-1 durch. In diesem Zusammenhang kam es zu Abstürzen mit das Schlimmste zu befürchtenden Verletzungen. Für ihren aufopfernden Einsatz wurde Hanna Reitsch mit dem EK II und später als einzige Frau in der deutschen Geschichte mit dem EK I und dem Militärfliegerabzeichen in Gold mit Brillanten ausgezeichnet. Ihre Heimatstadt Hirschberg ernannte Hanna Reitsch 1941 zur Ehrenbürgerin, was zu Lebzeiten bisher nur Gerhart Hauptmann zuteil wurde.

Nach der Kapitulation wurden ihr von amerikanischer Seite verlockende Angebote als Testpilotin gemacht, die sie jedoch ablehnte. Zuvor hatte sie von dem tragischen Lebensende ihres Vaters, ihrer Mutter, ihrer Schwester und deren Kinder erfahren, die es wegen angekündigter Repressalien vorzogen, freiwillig aus dem Leben zu gehen.

Schließlich kam sie – zusammen mit vielen bekannten Persönlichkeiten des Dritten Reiches – als „Kriegsverbrecherin“ vom Mai 1945 bis zum November 1946 in das Baracken-Gefängnis in Oberursel im Taunus in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Hier kam es zu dem für sie folgenschwersten Ereignis. Sie sollte – im Zusammenhang mit jenem spektakulären Flug am 26. April 1945 mit Ritter von Greim in das eingeschlossene Berlin – über ihre Eindrücke im Bunker der Reichskanzlei hinsichtlich des Verhaltens Hitlers und seiner Umgebung etwas Falsches berichten. Dazu wurde sie einerseits mit verlockenden Versprechungen, andererseits durch die Androhung von Konsequenzen von einem CIC-Offizier gedrängt. Als Hanna Reitsch aber den zu einer Pressekonferenz geladenen zahlreichen Journalisten auf Fragen des Vemehmungsoffiziers hin nur ein der Wahrheit gemäßes Bild über diese Tage vom 26. bis 28. April 1945 wiedergab, wurde die Veranstaltung abgebrochen und allen Anwesenden ein fingierter Bericht überreicht. So kam es zu den böswilligen Verleumdungen, die schließlich in Magazinen und internationalen Zeitungen verbreitet wurden. Zunächst gab es keine Möglichkeiten, gerichtlich dagegen vorzugehen und so blieb es Hanna Reitsch nur übrig, sich in ihren Büchern Fliegen – mein Leben, „Höhen und Tiefen“ und „Das Unzerstörbare in meinem Leben“ darüber zu äußern (Herbig-Verlag, München).

In Deutschland konnte die Fliegerin bei den Segelflugweltmeisterschaften in Spanien 1952 die Bronzene Medaille erringen. Danach zeichnete sie sich 1955 als deutscher Segelflugmeister, 1956 im freien Streckenflug (370 km), 1957 im Frauen-Höhensegelflug (6848 m) und weiteren deutschen wie internationalen Wettbewerben aus. Sie half 1959 den Leistungssegelflug in Indien aufzubauen und in den Jahren 1962 bis 1966 in Ghana.

Hanna Reitsch wurde 1972 zum Ehrenmitglied der Society of Experimental Test Pilots in Kalifornien gewählt, in Arizona vom IOC zum „Pilot of the Year 1972“ ernannt und war Ehrenmitglied vieler deutscher und ausländischer Pilotenvereinigungen und Flieger-Clubs, darunter die Vereinigungen Alter Adler, Zoota und Whirly Girls. 1975 bekam sie die Auszeichnung Internationale Kette der Windrose verliehen.

An ihrem langjährigen Wohnsitz in Frankfurt am Main verstarb Hanna Reitsch am 24. August 1979 im Alter von 67 Jahren und wurde im Grab der Familie Reitsch in Salzburg beigesetzt. Man wird diese außergewöhnliche Frau, die häufigen Verleumdungen ausgesetzt war, nur dann zu begreifen vermögen, wenn man sich über das Eingespanntsein ihrer Generation in die Zwangsläufigkeiten der Zeit wirklich ursächlich informiert.

Bild: Archiv der Kulturstiftung.

Konrad Werner