Biographie

Richter, Christian Friedrich

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Arzt, Theologe, Liederdichter
* 1. Dezember 1676
† 5. Oktober 1711 in Halle/Saale

Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts entstand mit dem Pietismus eine Frömmigkeitsbewegung, welche die lutherische Kirche stark veränderte. Ein Zentrum war Halle mit der von August Herrmann Francke gegründeten Stiftung. Zu den zahlreichen Mitarbeitern gehörte auch der Arzt, Apotheker und Liederdichter Christian Friedrich Richter.

Er war das dritte Kind des Juristen Sigismund Richter und seiner Frau Anna Margaretha, geborene Döbler, doch die weiteren Angaben zu seinem Geburtsort und Geburtstag sind nach dem Tod Richters in Vergessenheit geraten. Da die Familie nicht aus Sorau stammt, fehlt in den örtlichen Kirchenbüchern auch ein Eintrag zu C. F. Richter. Aus diesem Grund folgert sein Biograph Eckhard Altmann, dass der Vater erst nach der Geburt des dritten Sohnes seine Stelle als Kanzler beim Grafen Promnitz antrat und die Familie erst in dieser Zeit nach Sorau zog. In den Schriften zu Richter ist hilfsweise das Datum seines Todestages symbolisch verstanden und zu seinem Geburtstag gemacht worden und so werden der falsche Geburtstag und -ort bis heute in der ADB oder RGG4 tradiert.

Bereits im Elternhaus sind Richter und seine Geschwister durch den Pietismus geprägt worden. Wie drei seiner Brüder ging er zum Studium nach Halle/Saale und lebte im Pädagogium der Fran­ckeschen Stiftungen. Am 31.1.1694 immatrikulierte er sich und begann ein Theologiestudium. Eine schwere Krankheit, vermutlich der Beginn einer Tuberkulose, veranlasste Richter, das Studienfach zu wechseln und Medizin bei Friedrich Hoffman und Georg Ernst Stahl zu studieren. Danach übte er sich in der klinischen Praxis und betreute die Kranken in den Franckeschen Stiftungen, allerdings ohne sein Studium mit der üblichen Promotion abgeschlossen zu haben. Auf die Bitte seiner Eltern ging er 1694/95 nach Sorau zurück, vermutlich um seinen Vater zu unterstützen oder zu pflegen, der dann 1698 starb. Die Position als Arzt der Franckeschen Stiftungen übernahmen bis 1698 erst sein Bruder Christian Albrecht danach Leopold Albert Labach, während Richter selbst als Inspektor des Pädagogiums arbeitete.

Neben seiner ärztlichen Tätigkeit war er weiter praktisch theologisch tätig, so hielt er Andachten und legte innerhalb des Kollegiums von Professor Anton einige Homilien des Makari­us aus. Außerdem verfasste er Lieder, von denen Johann Anastasius Freylinghausen 24 in sein Geistreiches Gesangbuch auf­nahm. Einige dieser Lieder werden bis in 20. Jahrhundert im Evangelischen Kirchengesangbuch überliefert; das berühmteste ist Es glänzet der Christen inwendiges Leben. August Hermann Francke, der Gründer und Leiter der Stiftungen, pflegte ein brüderliches Verhältnis zu seinen Mitarbeitern und ließ ihnen große Freiheit in ihren Arbeitsbereichen. Richter erwiderte die­ses Vertrauen mit großer Hingabe an Francke, die er 1700 so­gar mit seiner „Verschreibung“ offiziell besiegelt. Darin versprach er zum einen, seine Tatkraft sowie sein Vermögen an Christus und dessen Werk, d.h. die Franckeschen Stiftungen zu übergeben, zum anderen, ledig zu bleiben.

In dieser Zeit wurden Francke verschiedene Rezepte für Arzneien, darunter auch die für eine Goldtinktur, geschenkt. Fran­cke beauftragte Richter, diese herzustellen und entband ihn dafür von seinen ärztlichen Pflichten in den Anstalten. Da es sich nicht um konkrete Rezepte handelte, sondern um Anweisungen für einen „erleuchteten“ Kenner der Alchemie, musste Richter die einzelnen Schritte der Zubereitung selbst erforschen. Nach vielen misslungenen Versuchen gelang es ihm schließlich, eine Goldtinktur herzustellen. Da Francke von einer süßen Quelle geträumt hatte, die in Halle entspringen sollte, nannte man sie essiantia dulcis. Man knüpfte viele Hoff­nungen an diese Medizin: Auf der einen Seite glaubte man, ein Universalheilmittel gefunden zu haben, auf der anderen Seite eine gute Einnahmequelle, die zusammen mit der Buchhandlung die Stiftung finanzieren konnte. Nachdem ab 1706 Wunderwirkungen der Goldtinktur bekannt geworden waren und diese in Broschüren durch die Waisenhaus-Buchhandlung ver­breitet wurden, stieg der Absatz rasant an. Richter holte seinen Bruder Christian Sigismund, der ihn schon als Arzt der Anstalten nachgefolgt war, in das Labor. Zuerst lief der Vertrieb noch über die Apotheke, doch ab 1710 wurde die Medikamenten-Expedition als eigenes Unternehmen innerhalb des Waisenhauses geführt. Durch eine besonders gestaltete Flasche, ein Siegel, den beigelegten Prospekt und den direkten Vertrieb über konzessionierte Händler etablierten die Richter-Brüder eine frühe Marke. So konnte man den hohen Preis der Medikamente, vor allem der Goldtinktur, halten und sich gegenüber den zahlreichen Plagiaten behaupten.

Während Richter ein hervorragender Arzt und Pharmazeut war, war er dem Amt des Hauptkassenverwalters nicht gewachsen. Dies zeigt sich insbesondere im Fall des Viehhändler Christian Gassmann, der ihn mehrmals zu größeren Investitionen verleiten konnte, ohne dass Richter die damit zusammenhängenden Kosten hinterfragt hätte. Gassman weitete den Ankauf von Vieh immer weiter aus, so dass man gezwungen war, die Herden zum Weiterverkauf durch die Stadt auf den Viehmarkt zu treiben. Wiederholt mussten Waisenkinder als Treiber arbeiten und Francke protestierenden Bürgern den Schaden an ihren Zäunen zurückerstatten. Schließlich setzte Francke einen neuen Verwalter auf dem Viehhof ein. Da Richter kein Fehlverhalten erkennen konnte, fühlte er sich persönlich angegriffen; das bisher vertrauensvolle Verhältnis war beiderseits tief erschüttert. Daraufhin versuchte sich Richter immer mehr der Kontrolle von Francke zu entziehen und sich mit der Medikamentenexpedition eine eigene finanzielle Grundlage zu schaffen. Er beendete seine Promotion, kaufte sich ein eigenes Haus außerhalb des Stiftungsgeländes im Steinweg und heiratete. Auch seine „Verschreibung“ nahm er zurück. Francke distanzierte sich ebenfalls von Richter, ließ es aber öffentlich nicht zum Bruch kommen, um weder das erfolgreiche Unternehmen noch dem Ruf der Anstalt zu schaden.

Seine letzten Lebensjahre sind durch seine Tuberkulose und seine Familiengründung geprägt. 1706 heiratete er Dorothea Sophia Catharina Vogtländer, die Tochter eines Apothekers in Niendorf. In dieser Ehe wurden die Kinder Christiana-Rosa­munda, Christian Friedrich und August Christian Friedrich ge­boren. Die Arbeit in der Medikamentenexpedition, bei der ihn auch sein Bruder Erdmann unterstützte, musste er immer wieder durch längere Genesungsaufenthalte unterbrechen. Als 1710 sein Bruder Erdmann starb, nahm ihn das sehr mit und löste einen Blutsturz aus, von dem er nur langsam genas. Im Frühjahr des nächsten Jahres erkrankte er wieder und fuhr zur Erholung nach Nienburg. Nach mehreren Blutstürzen im September verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Schließlich verstarb er am 5. Oktober 1711 und wurde am Tag danach auf dem Kirchhof von St. Georgen beerdigt.

Werke: Kurtzer und deutlicher Unterricht Von dem Leibe und natürlichen Leben des Menschen (…) Nebst einem Selectu Medica­mentorum (…), Halle 1705, Neudr.: Zürich 1985. – Merkwürdige Exempel sonderbahrer durch die Essentiam Dulcem von (Anno 1701 biss 1708) geschehenen Curen (…), Halle 1708. – Christian Sigismund Richter (Hrsg.), Christian Friedrich Richters Erkenntniß des Menschen, sonderlich nach dem Leibe und natürlichen Leben oder Ein deutlicher Unterricht von der Gesundheit und deren Erhaltung (…), damit ein ieder (…) sonderlich durch 11 sichere (…) seligirte Medicamente (…) die gewöhnlichen, auch schweren Kranckheiten (…) curiren könnte, 1. Aufl. Leipzig 1712, 18. Aufl. Halle 1791. – Christian Sigismund Richter (Hrsg.), Christian Friedrich Richters (…) Erbauliche Betrachtungen vom Ursprung und Adel der Seelen und von deren ietzigen elenden Beschaffenheit, von der Wiedergeburt und geistlichem Leben, (…) nebst einigen (…) poetischen Gedichten auch geistlichen Liedern, Halle 1718.

Lit.: ADB; RGG4 (mit fehlerhaften Angaben) – der vorgestellte Lebenslauf beruht auf den wegweisenden Forschungen von Eckhard Altmann. Eckhard Altmann, Christian Friedrich Richter (1676-1711). Arzt Apotheker und Liederdichter des Halleschen Pietismus, Witten 1972 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 7). – Wolfram Kaiser, Arzneischatz und Anfänge einer pharmazeutischen Industrie in der Heilkunde des 18. Jahrhunderts. In: Europa in der Frühen Neuzeit. Hrsg.: Erich Donnert, Köln (u.a.), Bd. 6. 2002, S. 549-560.

Bild: Dresden, Kupferstichkabinett.

Konstanze-M. Grutschnig-Kieser